Chan Yunis
Chan Yunis (arabisch خان يونس Chān Yūnis, DMG Ḫān Yūnis, im Englischen oft als Khan Yunis transkribiert, hebräisch ח'אן יונס Chan Junis) ist eine Stadt und ein Flüchtlingslager im Gouvernement Chan Yunis, dem südlichen Teil des Gazastreifens, der seit 1994 de jure unter Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde steht. Die Stadt Chan Yunis und das Flüchtlingslager zählen zusammen etwa 220.000 Einwohner (2014). Chan Yunis ist nach Gaza die zweitgrößte Stadt im Gazastreifen. Chan Yunis ist einer der Standorte der Al-Quds Open University.[2]
Chan Yunis خان يونس | |||
Verwaltung: | Palästinensische Autonomiegebiete | ||
Gebiet: | Gazastreifen | ||
Gouvernement: | Gaza | ||
Gegründet: | 1387 | ||
Koordinaten: | 31° 21′ N, 34° 18′ O | ||
Einwohner: | 174.240 (2014[1]) | ||
Zeitzone: | UTC+2 | ||
Gemeindeart: | Stadt | ||
Webpräsenz: | |||
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Geographie
Die Stadt liegt rund vier Kilometer vom Mittelmeer und acht Kilometer nördlich von der ägyptischen Grenze entfernt. Klimatisch liegt Chan Yunis somit in einer halbtrockenen Region, deren jährliche Niederschlagsmenge durchschnittlich 260 Millimeter beträgt.
Geschichte
Stadt
Chan Yunis wurde im 14. Jahrhundert gegründet.
Die Stadt hat ihren Ursprung in einer alten Karawanserei (Han), erbaut von dem Emir Yunis, im Jahr 1387 n. Chr. Der Name der Stadt Chan Yunis geht auf ihren Erbauer Yunis ibn Abdallah an-Nauruzi ad-Dawadar zurück. Er war der oberste Sekretär und einer der höchsten Offiziellen von Barqūq, dem ersten Sultan der Mamluken in Ägypten. Seine Aufgabe war es, die Karawanen, Pilger und Reisende der damaligen Zeit zu schützen. Später wurde der Ort zu einem wichtigen Zentrum für Handel, der Wochenmarkt fand Donnerstags statt und zog Händler der Nachbarregionen an.[3] Während des Ersten Arabisch-israelischen Krieges 1948/49 wurde Chan Yunis von ägyptischen Truppen besetzt. Am 31. August 1955 führte die israelische Armee eine Militäraktion gegen Chan Yunis durch, da von hier aus eine Guerillaaktion gegen Israel stattgefunden hatte. Die Aktion, die über 70 ägyptische Soldaten das Leben kostete führte zu einem Waffenstillstand Ägyptens mit Israel.[4][5][6]
Während des Sueskrise 1956 kam es erneut zu Kämpfen in Chan Yunis zwischen der israelischen Armee und der 86. Palästinensischen Brigade der ägyptischen Armee.[7]
In diesem Zusammenhang kam es zur Tötung von 275 palästinensischen Zivilisten. Während Israel behauptete, auf militärischen Widerstand gestoßen zu sein, behaupteten die Palästinenser, Israel habe vorsätzlich unbewaffnete Zivilisten ermordet.[8][9][9]
Im Jahr 1967, während des Sechstagekrieges, war Chan Yunis ebenfalls von Kämpfen und Bombardements betroffen.
Während der israelischen Besatzung (1967–2005) kam es in Chan Yunis wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Angehörigen von palästinensischen Untergrundorganisationen, in deren Verlauf auch Unbeteiligte zu Schaden kamen. Die Stadt gilt als Hochburg der Hamas.[10]
2006 übernahm die Hamas die Macht im Gazastreifen. Seit der israelischen Grenzblockade 2005 wurden über 2000 Qassam-Raketen von Chan Yunis nach Israel geschossen, zumeist auf die südisraelische Stadt Sderot.
Ende 2017 wurde das von Katar finanzierte Projekt Scheich-Hamad-Stadt fertiggestellt, ein neues Wohnviertel für mehr als tausend Familien.[11]
Flüchtlingslager
Das Chan-Yunis-Flüchtlingslager (englisch Khan Younis camp) befindet sich unweit der Stadt rund zwei Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt. Es wurde 1949 im Westen von Chan Yunis errichtet. Die meisten Bewohner sind Nachkommen von Flüchtlingen, die vor dem Ersten Arabisch-Israelischen Krieg in Dörfern um Be’er Scheva oder anderen Gemeinden in der Wüste Negev lebten. 2014 hatte das Flüchtlingslager etwa 46.000 Einwohner.[1]
Das Flüchtlingslager ist in 13 Blöcke unterteilt; einige Blöcke in niedriggelegenen Gebieten werden im Winter überflutet. Die meisten der Schutzunterkünfte sind aus Zementblöcken und haben Asbest-Dächer. Im Lager gibt es kein Kanalnetz. Alle Schutzhütten werden mit Wasser aus öffentlichen und privaten Brunnen beliefert.
Der westliche Block, "Block 1", war sehr nah am israelischen Siedlungsblock Gusch Katif gelegen. Vor der Grenzschließung des Gazastreifens im September 2000 arbeitet die meisten Flüchtlinge als Arbeiter in Israel oder in der lokalen Landwirtschaft und Fischfang. Um zu ihrer Arbeit ans Meer oder zu den Farmen in der Mawasi-Region nahe dem Meer zu kommen, mussten die Arbeiter eine israelische Kontrollstelle am Eingang zum Gusch-Katif-Siedlungsblock passieren. Erst mit dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen wurde das Siedlungsgebiet im August 2005 vollständig geräumt; das israelische Heer begann nach der Evakuierung der Siedlungen umgehend mit dem Abriss der Häuser.
Andere Flüchtlinge betreiben Läden und Werkstätten. Ein öffentlicher Markt wird jeden Mittwoch abgehalten.
Das Relief and Social Services Department des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat mehrere hundert durch Operationen der israelischen Streitkräfte (IDF) zerstörte Häuser im Chan-Yunis-Flüchtlingslager erfasst. Die UNRWA hilft beim Wiederaufbau von Häusern, stellt Bildungsmaßnahmen und medizinische Hilfe zur Verfügung.
Politik
Sehenswürdigkeiten
- Die Alte Karawanserei, erbaut während der Regierungszeit von Yunis ibn Abdallah an-Nauruzi: Zunächst als Station für Reisende und Händler geplant, wurde der Khan während der Osmanenherrschaft zu einer Zitadelle ausgebaut und diente als Militärstützpunkt und Poststation.
- Das kleine archäologische Museum zeigt viele der in der Gaza-Region gefundenen Mosaike.
- „South Forest Park“, der Zoo von Chan Yunis, wurde 2007 eröffnet. Durch den Konflikt mit Israel konnten die Tiere aber nicht mehr versorgt werden und verhungerten reihenweise[12].
Infrastruktur
Der Friedhof liegt inmitten der Stadt in einem stark bewohnten Gebiet mit vielen Alleen und kleinen Plätzen. Auf ihm liegt das Familiengrab der al-Qidwas, Jassir Arafats Verwandtschaft väterlicherseits.[13]
Eisenbahn
Chan Yunis lag von 1916 bis zur Stilllegung des betreffenden Abschnitts in den 1970er oder 1980er Jahren an der Sinai-Bahn von Beirut über Lod nach Kairo (bis 1967). Heute sind die Gleise der Eisenbahn im Gazastreifen größtenteils abgebaut.
Einzelnachweise
- Palästinensisches Zentralamt für Statistik
- HP der QOU (Memento des Originals vom 16. Dezember 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , zuletzt abgerufen am 28. August 2011.
- Elagha (Memento des Originals vom 1. Februar 2008 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Geschichte vom Khan von Chan Yunis (en)
- Israel's reprisal policy, 1953-1956: the dynamics of military retaliation By Zeʼev Derori. Seite 142
- Katz, Samuel M. (1988) Israeli Elite Units since 1948. Osprey Publishing. ISBN 0-85045-837-4. Seite 10
- Morris, Benny (1993) Israel's Border Wars, 1949 - 1956. Arab Infiltration, Israeli Retaliation, and the Countdown to the Suez War. Oxford University Press, ISBN 0-19-827850-0. Seite 350.
- Varble, Derek The Suez Crisis 1956, Osprey: London, 2003 Seite 46.
- Joe Sacco produces comics from the hot zones. New York Times.
- UNRWA Report to the UN General Assembly November 1 – 14. Dezember 1956
- Auf dem Newsletter der israelischen Botschaft (Memento des Originals vom 2. Februar 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. vom 8. Oktober 2002 wurde der Stadtteil al-Amal als Hochburg genannt.
- Christoph Sydow, Dominik Peters, DER SPIEGEL: Gazastreifen: Die Geheimdiplomatie zwischen Israel und Katar - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 8. April 2020.
- http://www.dailymail.co.uk/news/article-2936551/Sentenced-death-world-s-worst-zoo-Dozens-animals-starve-animal-attraction-Gaza.html
- Daniela Marcus: Khan Yunis: Jede Grabesstätte birgt ein Problem. In: haGalil vom 1. November 2004
Weblinks
- Chan Yunis auf der Seite der Generaldelegation Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland
- Chan-Yunis-Flüchtlinglager auf der Seite von UNRWA (en)