Carl Mühlenpfordt
Carl Mühlenpfordt (* 12. Februar 1878 in Blankenburg am Harz; † 19. Januar 1944 in Lübeck) war ein deutscher Architekt, Baubeamter und Hochschullehrer.
Leben
Carl Mühlenpfordt legte sein Abitur am humanistischen Gymnasium in Blankenburg ab. Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule Braunschweig unter anderem bei Constantin Uhde. Er wurde 1896 Mitglied der Braunschweiger Burschenschaft Alemannia.[1][2] Sein Examen als Regierungsbauführer bestand er am 10. November 1900 mit Auszeichnung. Nach einer Parisreise unterrichtete er ein halbes Jahr lang vom 1. November 1900 bis zum 20. März 1901 als Dozent an der Baugewerkschule Holzminden.
Seine Tätigkeit vom 1. April 1901 bis zum 31. Dezember 1902 als Regierungsbauführer (Referendar) in Berlin im preußischen Staatsdienst, während der er bei Neubauten der Berliner Charité eingesetzt war, wurde von seiner Militärdienstzeit als Einjährig-Freiwilliger vom 1. Oktober 1901 bis 30. September 1902 im 5. Hannoverschen Infanterie-Regiment Nr. 165 unterbrochen.
Zur Mitarbeit bei Architekturuntersuchungen des Hochbauamtes Lübeck an der Marienkirche, dem Heiligen-Geist-Hospital und der Johanniskirche in der Zeit vom 1. Januar 1903 bis zum 30. Juli 1905 wurde er beurlaubt. Diese Inventarisation von Baudenkmälern bildete die Grundlage für die von ihm mitverfassten Bände II, III und IV der Publikationsreihe „Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck“, die 1906, 1920 und 1928 erschienen. Er war 1905 an der Planung des Vorwerker Friedhofs beteiligt und führte sie in späteren Jahren in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtgärtner Erwin Barth aus.
Er kehrte nach Berlin zurück und setzte seine Ausbildung in der Bauinspektion und der Königlichen Regierung Potsdam fort. Am 9. Juni 1906 schloss er sein zweites Staatsexamen zum Regierungsbaumeister (Assessor) für den Preußischen Staatsdienst ab. Seine häusliche Prüfungsarbeit wurde als Wettbewerbsarbeit zum Schinkelpreis angenommen, für die er im März vom Architekten-Verein zu Berlin die Schinkel-Medaille erhielt. Nach einer Studienreise nach Belgien und in die Niederlande nahm er am 1. August 1906 seine Arbeit als Regierungsbaumeister in Kassel auf. Er wurde Vertreter des Kreisbauinspektors Homburgs und übernahm die Bauleitung des Amtsgerichts in Fritzlar.
Am 11. September 1906 trat er eine Anstellung beim Hochbauamt der Stadt Frankfurt am Main an. Am 1. August 1907 trat er als Nachfolger von Bauinspektor Meyer in den Dienst der Hansestadt Lübeck.
Am 27. Dezember 1909 heiratete er die Malerin Anna Dräger, Tochter des Lübecker Industriellen und Gründers der Drägerwerk AG, Johann Heinrich Dräger in Lübeck.[3] Das Paar hatte vier Kinder. Der Sohn Justus Mühlenpfordt wurde Kernphysiker und lebte später in Leipzig und Berlin.
Mit seinem Schwager Bernhard Dräger verband Mühlenpfordt eine enge Freundschaft. Als Inhaber der Firma Drägerwerk, Heinr. & Bernh. Dräger eröffnete Dräger Carl Mühlenpfordt weitere Möglichkeiten des architektonischen Wirkens im Industrie- und Privatbau. So war Mühlenpfordt Architekt von Erweiterungsbauten des Drägerwerks.[4] 1912 entstand ein mehrstöckiges Fabrikgebäude, das beispielhaft für Carl Mühlenpfordts klare, zurückhaltende Architektursprache ist. 1921 wurde das Verwaltungsgebäude in der Moislinger Allee fertiggestellt. Auch beim Bau des Wohnhauses von Bernhard Dräger und seiner Frau Elfriede, der Villa Finkenberg in Lübeck war Mühlenpfordt der Architekt.[5] Die Villa Finkenberg gilt als ein Beispiel für die Reformarchitektur. An der Villa Finkenberg wirkten Bruno Paul und Harry Maasz mit. Sowohl die Drägerwerks-Bauten als auch die Villa sind bis heute erhalten. Mühlenpfordt gehörte mit Dräger zu den Gründungsmitgliedern der Lübecker Heimstätten-Gesellschaft. Ziel der Heimstätten-Gesellschaft war es, den Arbeitern in Lübeck bessere Wohnmöglichkeiten zu bieten. Die Entwürfe der Wohnhäuser stammen aus der Hand von Mühlenpfordt. Der Briefwechsel Bernhard Drägers mit Carl Mühlenpfordt, der im Dräger-Archiv Lübeck aufbewahrt ist, ist eine bedeutende kulturgeschichtliche Quelle.
Der Senat der Stadt Lübeck verlieh Carl Mühlenpfordt 1910 den Titel eines Baurats. Mühlenpfordt entwarf die Heilanstalt Strecknitz mit 28 Gebäuden im Heimatschutzstil mitsamt 37 Meter hohem Wasser-, Glocken- und Uhrenturm. Die Einrichtung wurde nach dreijähriger Bauzeit am 24. Oktober 1912 in Betrieb genommen. Sie ist heute Teil des Campus der Universität zu Lübeck.[6]
1914 wurde Carl Mühlenpfordt als Professor an die Technische Hochschule Braunschweig berufen. Dort lehrte er das Fach Gebäudekunde. 1919 bis 1925 war er Dekan der Architekturabteilung und zwischen 1925 und 1929 Rektor der Hochschule. 1934 wurde Mühlenpfordt, der national-konservativ eingestellt war, aus politischen Gründen aus dem Dienst entlassen.
Als nach dem Luftangriff auf Lübeck am 29. März 1942 unverzüglich die Planungen für den Wiederaufbau in Gang gesetzt wurden, erhielt Mühlenpfordt den Planungsauftrag von der Kaufmannschaft zu Lübeck. Über diese Interessenvertretung der örtlichen Wirtschaft flossen seine Planungsüberlegungen in die städtebauliche Entwicklung Lübecks nach dem Zweiten Weltkrieg ein.
Den Namen Carl Mühlenpfordts tragen die Carl-Mühlenpfordt-Straße in Lübeck und die Mühlenpfordtstraße in Braunschweig.
Bauten
- 1908–1914: Wohnhäuser für den Gemeinnützigen Bauverein für den Kreis Alfeld eGmbH in der Kolonie Am Rodenkamp in Alfeld (Leine)
- 1908–1909: Gefängnis, so genannte Strafanstalt Neu-Lauerhof in Lübeck-St. Gertrud
- 1909–1910: römisch-katholische Kirche St. Joseph mit Pfarrhaus in Lübeck-Kücknitz, Josephstraße
- 1909–1912: Heil- und Pflegeanstalt in Strecknitz bei Lübeck, Ratzeburger Allee (heute Campus der Universität zu Lübeck)
- 1910–1911: evangelisch-lutherische St.-Johannes-Kirche mit Pfarrhaus und Volksschule in Lübeck-Kücknitz, Kirchplatz / Dummersdorfer Straße
- 1910–1914: Wohnhaus, genannt Villa Finkenberg, für den Unternehmer Bernhard Dräger in Lübeck
- 1912: Erweiterung der Alfelder Schuhleistenfabriken C. Behrens in Alfeld (Leine)
- vor 1913: Krematorium und andere Hochbauten auf dem Vorwerker Friedhof in Lübeck-Krempelsdorf, Friedhofsallee
- vor 1913: Turnhalle des Katharineums in Lübeck
- vor 1913: Erweiterungsbau des Hauptzollamts in Lübeck, An der Untertrave
- vor 1913: Gebäude der Firma Marty & Co. in Lübeck, Rosenpforte
- 1913: „Alte Stadtschule“ (Freese’sche Schule, später „(Ober-)Lyzeum am Falkenplatz“, heute Volkshochschule) in Lübeck, Falkenplatz
- vor 1914: Erweiterungsbauten der Drägerwerk AG in Lübeck, Moislinger Allee
- vor 1914: Wohn- und Geschäftshaus mit „Sonnen-Apotheke“ in Lübeck, Sandstraße
- vor 1914: katholisches Gesellenhaus in Lübeck, Hartengrube (neben der Propsteikirche Herz Jesu)
- vor 1915: Bau eines neuen Kirchturms und Renovierung der evangelisch-lutherischen Kirche in Nusse (Kreis Herzogtum Lauenburg, damals Exklave der Freien und Hansestadt Lübeck)
- 1927–1929: Institut für Hochspannungstechnik (Elektrotechnisches Institut) der Technischen Hochschule Braunschweig, Mühlenpfordtstraße
- 1928–1929: Bürgerschule (heute Grundschule) in Bad Gandersheim, Roswithastraße 16
- 1927–1930: Wohnbebauung des Gemeinnützigen Siedlungsvereins in der „Siedlung Lämmchenteich“ in Braunschweig
- 1929–1932: Verwaltungsgebäude der Ortskrankenkasse in Braunschweig, Am Fallersleber Tore 3/4
- 1931: evangelisch-lutherische Auferstehungskirche in Oldenburg i.O., auf dem Neuen Friedhof
- 1942: Luftschutzgebäude im Töpferweg (Lübeck)
Ausstellungen
- Mühlenpfordt – Neue Zeitkunst und Anna Dräger-Mühlenpfordt – ausgewählte Werke. Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck, 16. Januar bis 15. März 2020[7]
Literatur
- Arne Herbote: Carl Benscheidt auf der Suche nach der idealen Fabrik: eine Bauherrenbiographie, Braunschweig 2019.
- Arne Herbote, Ulrich Knufinke, Simon Paulus: Wege in die Moderne. Architektur im Braunschweiger Land 1900-1930. Braunschweig 2013.
- Bettina Gundler: Zwischen Stagnation und Aufbruch. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung der TH Braunschweig in der Weimarer Republik. In: Technische Universität Braunschweig. Vom Collegium Carolinum zur Technischen Universität 1745-1995. Hildesheim u. a. 1995, S. 345–367.
- Ulrich Knufinke, Simon Paulus: Braunschweig vor der “Braunschweiger Schule”. Bemerkungen zur Selbstfindung einer Architekturschule. In: Klaus Jan Philipp, Kerstin Renz (Hrsg.): Architekturschulen. Programm, Pragmatik, Propaganda. Stuttgart 2012, S. 145–157.
- Olaf Gisbertz: Carl Mühlenpfordt. Reformarchitekt und Hochschullehrer der Zeitenwende. In: INSITU, Zeitschrift für Architekturgeschichte, Ausgabe 5 (Februar 2013), S. 217–234.
- Olaf Gisbertz (Hrsg.): Mühlenpfordt. Neue Zeitkunst. Reformarchitektur und Hochschullehre. Jovis, Berlin 2018, ISBN 978-3-86859-499-7.
Weblinks
- 100 Jahre: Die Klinik für Psychiatrie feiert. auf stadtzeitung.luebeck.de
- Kurzbiografie mit Foto von Mühlenpfordt (Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive) auf stadtzeitung.luebeck.de
Einzelnachweise
- Ernst Elsheimer (Hrsg.): Verzeichnis der Alten Burschenschafter nach dem Stande vom Wintersemester 1927/28. Frankfurt am Main 1928, S. 346.
- Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band II: Künstler. Winter, Heidelberg 2018, ISBN 978-3-8253-6813-5, S. 502–503.
- Michael Kamp: Bernhard Dräger: Erfinder, Unternehmer, Bürger. 1870 bis 1928. Wachholtz Verlag GmbH, 2017, ISBN 978-3-52906-369-5, S. 283–289.
- Michael Kamp: Bernhard Dräger: Erfinder, Unternehmer, Bürger. 1870 bis 1928. Wachholtz Verlag GmbH, 2017, ISBN 978-3-52906-369-5, S. 312–320.
- Michael Kamp: Bernhard Dräger: Erfinder, Unternehmer, Bürger. 1870 bis 1928. Wachholtz Verlag GmbH, 2017, ISBN 978-3-52906-369-5, S. 276-282, 340-346.
- Meike Müller: St. Jürgen. Chronik einer Vorstadt und ihres dörflichen Umfeldes. (= Kleine Hefte zur Stadtgeschichte, Archiv der Hansestadt Lübeck, Heft 14.) Lübeck 1998, ISBN 3-7950-3113-3, S. 56.
- https://museum-behnhaus-draegerhaus.de/ausstellungseroeffnung-muehlenpfordt--neue-zeitkunst-und-anna-draeger-muehlenpfordt--ausgewaehlte-werke_1578316889