Blume des Lebens
Die Blume des Lebens ist ein Ornament auf einem sechseckigen Ausschnitt eines Dreiecksgitters. An jedem Gitterpunkt schneiden sich Kreise bzw. Kreisbögen um die sechs benachbarten Gitterpunkte, sodass benachbarte Gitterpunkte durch Linsen verbunden sind, neunzig an der Zahl.
An jedem inneren Gitterpunkt berühren sich sechs Linsen wie Blütenblätter, was der modernen Esoterik (New Age) die Bezeichnung Blume des Lebens nahelegte. Darauf, dass das Ornament schon früher so genannt worden wäre, gibt es keinen Hinweis.
Vorkommen des Ornaments in Architektur und Kunst
Ornamente, die der „Blume des Lebens“ gleichen oder ähneln, sind in Kirchen, Tempeln, Profanbauten, Grabanlagen, Kunstobjekten und Manuskripten zu finden.
Naher Osten
Eine der ältesten derzeit bekannten Darstellungen der Grundstruktur als sich wiederholendes Muster findet sich auf einer 2,07×1,26 m großen Türschwelle aus dem Palast von König Aššur-bāni-apli in Dur Šarrukin aus dem Jahr 645 v. Chr., die heute in der assyrischen Abteilung des Louvre gezeigt wird.[2][1] Weitere Exemplare werden im British Museum gezeigt.[3] Die Ornamentik der Türschwellen hatte vermutlich in den angrenzenden Räumen ausgelegte Teppiche zum Vorbild;[1][4] für eine darüber hinausgehende kultische oder religiöse Bedeutung finden sich keine Anzeichen.
Gelegentlich als Beleg für die Verwendung des Ornaments seit altägyptischer Zeit angeführte Darstellungen finden sich in etwa 4 m Höhe auf Pfeilern des Osiris-Heiligtums in Abydos (Ägypten).[5] Dort wurden seit dem Altertum eine ganze Reihe von Graffiti in unterschiedlichen Sprachen (u. a. altgriechisch, koptisch) angebracht,[6] weshalb die in diesem Umfeld vorgefundenen Blumen des Lebens nicht älter einzuschätzen sind als jene (zumal solche Ornamentik in der altägyptischen Kultur unüblich war).[4] Sie werden daher zumeist analog zu nahebei stehenden altgriechischen Graffiti in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte datiert, als eine teilweise Verschüttung der Tempelanlage eine Anbringung ohne Leiter oder Gerüst gestattet haben dürfte. Für Graffiti spricht auch die unauffällige dünne Linienführung.[4] Vom Stil her ist auch eine islamische Herkunft um 1200 n. Chr. möglich.[4][7] Auch eine Hinzufügung im 20. Jahrhundert ist nicht auszuschließen, zumal Margaret Murrays ausführliche Auflistung der Graffiti[6] von 1904 sie nicht erwähnt.
Europa
In Europa sind solche Ornamente beliebte Motive aus der Volkskunst des 17. und 18. Jahrhunderts. So findet sich beispielsweise in der Pfarrkirche Altenkirchen auf Rügen im Chor über dem Altar das Ornament als Stern an den Himmel gemalt. Ebenso sind die Balken zahlreicher Fachwerkhäuser in der Altstadt von Straßburg mit dem Ornament verziert. Auch im Silberschatz von Kaiseraugst auf Platte 85 findet es sich.[8] Im Kloster Preveli auf Kreta ist es auf beiden Seiten der zweischiffigen Kapelle zu finden, in der Londoner Westminster Abbey im Cosmati-Mosaik aus dem 13. Jahrhundert.[9] Im Hazara-Rama-Tempel im indischen Hampi ist es auf diversen Säulen und Architraven zu sehen. Weitere Fundstellen gibt es in den Ruinen von Kabile sowie in Weliki Preslaw in Bulgarien, in Masada in Israel sowie im peruanischen Cusco.
Leonardo da Vinci beschäftigte sich mit der Form und den mathematischen Proportionen des Ornaments,[10] ohne jedoch das Ornament eigens zu benennen.[11]
China
Eine mit diesem Ornament bedeckte Kugel findet sich unter der Pfote des männlichen Wächterlöwen am Tor der Höchsten Harmonie zur Verbotenen Stadt in Peking. Andere Wächterlöwen in dieser Anlage halten Kugeln, die mit ähnlichen, aber vom Konstruktionsprinzip abweichenden hexagonalen Mustern bedeckt sind, ohne dass eine besondere Bedeutungszuweisung für diese unterschiedliche Ornamentik bekannt ist.
Esoterik
In der modernen Esoterik wird die Blume des Lebens als Schutzamulett, zur „Belebung“ von Wasser,[12] zur „Entstörung“ von Innenräumen und zum Schutz vor „Elektrosmog“ propagiert. Eine Zuschreibung religiöser Bedeutung erfolgte vor allem durch den Autor Drunvalo Melchizedek,[13] der ein zweibändiges Werk zu dem Thema veröffentlichte.[14]
Weblinks
Einzelnachweise
- Georges Perrot, Charles Chipiez: A History of Art in Chaldæa and Assyria, vol. 1, London 1884, S. 240, online auf Project Gutenberg (abgerufen 7. Januar 2014)
- Louvre Inventar-Nr. AO 19915
- Door-sill (Museum number 118913). British Museum, abgerufen am 24. Juni 2021 (englisch).
- Alan Geal: Aux armes · symbolism: notes. 2010, abgerufen am 5. Januar 2014 (englisch).
- David Furlong: The Osirion and the Flower of Life. In: davidfurlong.co.uk. Abgerufen am 8. November 2015 (englisch).
- Margaret Alice Murray: The Osireion at Abydos, London 1904, S. 35 ff., hier online (abgerufen 5. Januar 2014)
- Peter J. Lu, Paul J. Steinhardt: Decagonal and Quasi-Crystalline Tilings in Medieval Islamic Architecture. Science 315, 1106 (2007), Abstract online
- Hans Ulrich Instinsky: Der spätrömische Silberschatzfund von Kaiseraugst. Mainz 1971
- The Cosmati Pavements in Westminster Abbey. Abgerufen am 14. September 2013.
- Ladislao Reti (Hrsg.): Leonardo. Forscher, Künstler, Magier. GLB Parkland Vlgsges.mbH, 2. Auflage 1999, ISBN 978-3880598584
- Leonardo da Vinci: Codex Atlanticus, fol. 307r–309v
- Julian Aé: Optimierungswahn: Die Auferstehung des Wassers. welt.de, 13. Dezember 2019, abgerufen am 13. Dezember 2019. Kritischer Zeitungsartikel, hinter Bezahlschranke.
- Wolf Schneider: Kleines Lexikon esoterischer Irrtümer: Von Astrologie bis Zen. Gütersloher Verlagshaus 2008, Seite 60, ISBN 978-3-579-06522-9
- Drunvalo Melchizedek: Die Blume des Lebens. Burgrain 2004, 2 Bände: ISBN 978-3-929512-57-1, ISBN 3-929512-63-7