Bielefeld-Verschwörung
Die Bielefeld-Verschwörung oder Bielefeldverschwörung ist Gegenstand einer satirischen Verschwörungstheorie, die behauptet, die Stadt Bielefeld gebe es nicht, ihre Existenz werde lediglich überzeugend vorgetäuscht.
Diese Theorie erschien erstmals 1994 im deutschsprachigen Usenet, kursiert seither als Dauerwitz im Internet und wurde so Teil der Internetfolklore, die zur Netzkultur gehört.[1] Sie wird als Beispiel genutzt, um die in sich geschlossene unangreifbare Argumentationsstruktur von Verschwörungstheorien aufzuzeigen.
Inhalt
Die Verschwörungstheorie behauptet, dass die Stadt Bielefeld nicht existiere, sondern sämtliche Hinweise auf ihre Existenz nur Teil und Werk der groß angelegten Bielefeldverschwörung seien. Die Existenz der Stadt Bielefeld werde der Bevölkerung vorgetäuscht, um an dieser Stelle etwas ganz anderes zu verbergen.
Die unbekannten Drahtzieher der Verschwörung werden meist nur geheimnisvoll als „SIE“ (immer in Versalien) bezeichnet. Hinter „IHNEN“ werden beispielsweise die CIA, der Mossad oder Außerirdische vermutet, die ihr Raumschiff als Universität getarnt haben. Eine Version vermutet an der Stelle der vorgetäuschten Stadt gar den Eingang nach Atlantis.
Sämtliche Fotos aus Bielefeld seien tatsächlich in anderen Städten aufgenommen und teilweise zu einem fiktiven Stadtbild montiert worden. Auch Fahrzeiten von Zügen, die zum Halt auf dem angeblichen Bielefelder Bahnhof erstaunlich wenig Zeit benötigen, werden als Beleg angeführt. Autos mit der Ortskennzeichnung BI auf dem Nummernschild würden auch nur zu Tarnungszwecken auf die Reise durch Deutschland geschickt.
Ursprung
Auf einer Studentenparty im Jahr 1993 rutschte einem Bekannten des deutschen Informatikers Achim Held, damals Informatikstudent in Kiel, der Satz „Das gibt’s doch gar nicht“ heraus, als ihm jemand aus Bielefeld gegenüberstand. Die Idee einer entsprechenden Verschwörung wurde im Umfeld von Held weitergesponnen, zu dem auch ein Leser von Esoterikmagazinen gehörte. Eine Rolle spielte hierbei auch, dass im Herbst 1993 die Autobahnabfahrten nach Bielefeld wegen Großbauarbeiten zeitweilig gesperrt waren.[2] Die erste bekannte öffentliche Erwähnung der Bielefeldverschwörung stammt von Held und wurde am 16. Mai 1994 im Usenet in der Newsgroup de.talk.bizarre veröffentlicht.[3] Helds Absicht war es dabei, gängige Verschwörungstheorien ins Lächerliche zu ziehen.[2] Die Auswahl der Stadt war Zufall.[4]
In Texten der Verschwörungstheorie wird der verräterische Name Bielefeld meist vorsichtshalber durch B*e*e*e*d, B**l*f*ld, Blfld, Bielefake oder B-Wort ersetzt.
Das ZDF führte zum zehnten Geburtstag der Verschwörungstheorie ein Interview mit Achim Held, in dem er über die Entstehungsgeschichte berichtete.[5] Unbekannt ist, ob die 1969 erschienene Geschichte Amerika gibt es nicht[6] von Peter Bichsel bei der Entstehung eine Rolle gespielt hat[7][8] und ob es Verbindungen gibt zu Carl Zuckmayers Drama Der Gesang im Feuerofen (1956, Zitat: „Wir sehen uns wieder – so Gott will. […] Und wenn nicht in dieser Welt, dann vielleicht in Bielefeld.“) oder Udo Lindenbergs Lied „Rätselhaftes Bielefeld“ (1976, Zitat: „Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehen wir uns in Bielefeld!“).[9]
Rezeption
Im Jahr 2010 erschien ein Film mit dem Titel Die Bielefeld-Verschwörung im Stile eines Agententhrillers auf Basis des Textes von Held, in dem Held selbst mitspielt.[10] Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Walden.[11][12][13][14] Produzenten waren Bielefeld-Marketing und das medienpädagogische Labor der Universität Bielefeld unter Leitung von Thomas Walden[15] und Fabio Magnifico. Gefilmt wurde ab Mai 2009 „in Griechenland und in Bielefeld“. Der Film wurde am 2. Juni 2010 im Cinemaxx Bielefeld uraufgeführt. Der Roman des ersten Teils erhielt 2012 eine Fortsetzung unter dem Titel Drachenzeit in Bielefeld: Aufgabe 2 der Bielefeld Verschwörung. Dieser Roman wurde in sieben Folgen von Mai 2012 bis April 2013 in Bielefeld als Theaterserie gespielt.[16][17]
Der ebenfalls auf der Bielefeldverschwörung basierende Film Bielefeld – stirb stilvoll wurde am 18. April 2011 in München uraufgeführt.[18][19][20] Die Krimikomödie stellt Wahrheit mit Bielefeld gleich. Da es Bielefeld laut der Bielefeldverschwörung nicht gibt, existiere auch keine eindeutige Wahrheit. Gedreht wurde unter Regie von Daniel Mechling mit Mirjam Novak und Cecilia Lanzi ab April 2010 in München.
Der Cartoonist Ralph Ruthe, der in Bielefeld geboren wurde, hat sich des Themas in dem kleinen Video Zeugenschutzprogramm angenommen.[21] In der Fernsehserie Wilsberg des ZDF wurde das Thema in den Episoden Aus Mangel an Beweisen und Die Bielefeld-Verschwörung aufgegriffen.[22] Bundeskanzlerin Angela Merkel erwähnte bei der Verleihung des Deutschen Sozialpreises im November 2012 in Bielefeld geführte Bürger-Gespräche mit dem Nachsatz „… so es denn existiert“ und fügte an: „Ich hatte den Eindruck, ich war da“.[23]
Von der Stadt Bielefeld selbst wird die Bielefeldverschwörung unterschiedlich wahrgenommen. Einerseits schaffen Anfragen in Form von E-Mails einen Bearbeitungsbedarf, andererseits wird das Thema vom Stadtmarketing aufgegriffen. So stand zum Beispiel die 800-Jahr-Feier der Stadt 2014 unter dem Motto Das gibt’s doch gar nicht.[5][24] Das Stadttheater Bielefeld hat sich des Themas in dem Stück „Verschwörer – Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ von Tobias Rausch angenommen.[25]
Die israelische Regisseurin Sapir Heller kreierte 2015 in einer Münchner Galerie das Das Bieleveld Projekt. In einer multimedialen Installation werden Hintergründe zu den verschiedenen Mythen und Verschwörungstheorien aufgedeckt, die sich um diese Stadt ranken. Bekannte und renommierte Künstler stellen performativ ihre Arbeiten aus, rund um die Frage nach der Existenz und Identität ihrer Heimat. „Nach dem, was Bieleveld wirklich ist. Falls es ist.“[26]
Am 25. Januar 2017 wurde auf Facebook der Ortsname Bielefeld zu „Bielefeldverschwörung“ geändert. Erste Erklärungsversuche des Seitenbetreibers wiesen darauf hin, dass im userbestimmten Teil des Netzwerks ein Konsens zur Umbenennung geherrscht haben müsse, wodurch es zur Umbenennung des Ortsnamens kam.[27] Laut Mimikama seien die Namen Bielefeld und Bielefeldverschwörung in der Datenbank zum Namen Bielefeldverschwörung zusammengefasst worden. Etwas Ähnliches hatte es in der Vergangenheit bereits gegeben, als Germany zu Langenfeld-Thüringen wurde.[28][29] Kurze Zeit später war der korrekte Name wiederhergestellt.
Im August 2019 lobte das Stadtmarketing Bielefeld unter dem Namen „Die Bielefeldmillion“ ein Preisgeld in Höhe von einer Million Euro für denjenigen aus, der schlüssige Beweise für die Nichtexistenz der Stadt vorlegen kann.[30] Das Thema wurde weltweit von Medien aufgegriffen und erreichte mehr als 500 Erwähnungen, darunter bei BBC, Radio Canada, The Sydney Morning Herald und in der New York Post.[31][32] Am 17. September wurde der Wettbewerb für beendet erklärt: kein Teilnehmer hätte eine Nichtexistenz der Stadt beweisen können und das Geld bleibt daher unangetastet. Die Stadt sieht ihre Existenz daher als abschließend erwiesen und die Verschwörung für beendet. Zu ihrem Gedenken wurde in der Bielefelder Altstadt in der Nähe des Leineweber-Denkmals ein Findling aufgestellt.[33]
Literatur
- Günther Butkus (Hrsg.): Rätselhaftes Bielefeld. Die Verschwörung. Pendragon, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-86532-188-6.
- Thomas Walden: Die Bielefeld-Verschwörung. Der Roman zum Film. Pendragon, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-86532-194-7.
- Thomas Walden: Drachenzeit in Bielefeld: Aufgabe 2 der Bielefeld Verschwörung. tredition, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8472-3859-1.
- Karl-Heinz von Halle (Pseudonym): Gibt es Bielefeld oder gibt es Bielefeld nicht? Eichborn-Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-8479-0546-2.
Weblinks
- Website über die Bielefeld-Verschwörung
- Bielefeld? Gibt es doch gar nicht. In: Welt Online, 24. Juli 2007
- Auf der Suche nach Bielefeld (Mockumentary)
- „Es musste schon eine farblose Stadt sein“, Interview mit Achim Held auf Spiegel Online vom 4. Juni 2010.
- Die Tagesschau berichtet über die Bielefeldverschwörung (Memento vom 6. März 2009 im Internet Archive)
- Mythos Bielefeld. Verschwörungstheorien und ihre Geschichte(n), Deutschlandfunk (Radio-Feature)
- Goethe-Institut: Die Bielefeldverschwörung, Beitrag über Moderne Sagen
- groups.google.com/... – Originaltext vom 15. Mai 1994.
Einzelnachweise
- Katharina Miklis: Aus Bielefeld? Das gibt’s doch nicht! In: der Freitag. 7. April 2010, abgerufen am 6. September 2012.
- „Ich habe die Bielefeld-Verschwörung unterschätzt“ (Interview mit Achim Held), einestages auf Spiegel Online vom 15. Mai 2014.
- Achim Held: Die Bielefeld-Verschwoerung. In: de.talk.bizarre. Google Groups, 16. Mai 1994, abgerufen am 6. September 2012.
- Martin Motzkau: „Gibt’s doch gar nicht“: Der Mann hinter der großen Bielefeld-Verschwörung. In: Welt Online. 25. Januar 2013, abgerufen am 4. März 2013.
- Mario Sixtus: Die Stadt, die nicht sein darf. In: Sixtus.net. 5. Juni 2004, archiviert vom Original am 31. Januar 2008; abgerufen am 6. September 2012.
- Peter Bichsel: „Amerika gibt es nicht“. In: Kindergeschichten. Luchterhand-Verlag 1969. Suhrkamp Verlag 1997; 12. Auflage 1997. ISBN 978-3-518-39142-6
- Amerika gibt es nicht. In: Quetzal Leipzig
- taz-Artikel vom 13. Oktober 2010
- Wikiquote: Bielefeld
- Die Bielefeld Verschwörung in der Internet Movie Database (englisch)
- Eine Stadt und ihr Witz: „Bielefeld-Verschwörung“ wird verfilmt. In: Spiegel Online. 13. Februar 2009, abgerufen am 6. September 2012.
- „Bielefake“-Satire: Wir sehen uns nur in dieser Welt … In: Spiegel Online. 4. Juni 2010, abgerufen am 6. September 2012.
- Die Bielefeld Verschwörung. Universität Bielefeld, 11. März 2010, abgerufen am 6. September 2012.
- Film: „Die Bielefeldverschwörung“ startet im Kino. In: Focus Online. 2. Juni 2010, abgerufen am 6. September 2012.
- Achtung: Verschwörung! (Memento vom 18. Mai 2015 im Internet Archive)
- Rouven Ridder: Drachenzeit in Bielefeld. Neue Westfälische, 28. Juni 2012.
- Drachenzeit in Bielefeld. (Nicht mehr online verfügbar.) Trashtheater Bielefeld, archiviert vom Original am 21. November 2016; abgerufen am 21. November 2016.
- Bielefeld – stirb stilvoll in der Internet Movie Database (englisch)
- Daniel Mechling – Portfolio / Eigene Projekte. In: Daniel Mechling. 20. April 2011, archiviert vom Original am 4. Oktober 2013; abgerufen am 1. Oktober 2013.
- Erstaufführung von Amateurfilm im Münchner Gloria Palast: Premiere von „Bielefeld – Stirb stilvoll“ ein voller Erfolg. In: Nachrichten München. 19. April 2011, abgerufen am 6. September 2012.
- Ralph Ruthe: Zeugenschutzprogramm. (Online-Video) In: YouTube. 15. Oktober 2007, abgerufen am 6. September 2012.
- „Wilsberg“: Zwei Krimis und ein Internet-Intermezzo. In: Westfälische Nachrichten. 26. Januar 2012, abgerufen am 6. September 2012.
- Auch Merkel zweifelt an Existenz Bielefelds. In: Die Welt. 27. November 2012, abgerufen am 25. Januar 2013.
- 800 Jahre Bielefeld – Das gibt’s doch gar nicht! Bielefeld Stadtmarketing GmbH, archiviert vom Original am 25. Dezember 2011; abgerufen am 6. September 2012.
- Verschwörer – Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Nicht mehr online verfügbar.) Theater Bielefeld, archiviert vom Original am 20. Februar 2015; abgerufen am 20. Februar 2015.
- Das Bieleveld Projekt. In: facebook. Abgerufen am 6. Juni 2015.
- Angela Wiese, Jens Reichenbach: Bielefeld heißt plötzlich Bielefeldverschwörung. In: Neue Westfälische, 26. Januar 2017, abgerufen am 26. Januar 2017.
- Nadine Grunewald: Bei Facebook heißt Bielefeld jetzt Bielefeldverschwörung. In: Neue Osnabrücker Zeitung, 26. Januar 2017, abgerufen am 26. Januar 2017.
- Bielefeldverschwörung auf Facebook! In: ZDDK / minikama, 26. Januar 2017, abgerufen am 26. Januar 2017.
- WDR: Preisgeld von 1 Mio Euro für Beleg von Nichtexistenz von Bielefeld
- Bielefeld-Kampagne: Verschwörungstheorie geht viral. destinet.de, abgerufen am 28. August 2019.
- Bielefeldmillion - Das Ende einer Verschwörung, abgerufen am 5. September 2019
- Bielefeld gibt's - die Million nicht. In: tagesschau.de. 17. September 2019. Abgerufen am 17. September 2019.