Begierde
Begierden sind konative Geisteszustände, die durch Begriffe wie Begehren, Begier, „Wollen“, „Wünschen“, „Sehnsucht“ oder „Verlangen“ ausgedrückt werden. Eine große Vielfalt von Merkmalen wird üblicherweise mit Begierden assoziiert. Sie werden als propositionale Einstellungen zu vorstellbaren Sachverhalten angesehen. Sie zielen darauf ab, die Welt zu verändern, indem sie darstellen, wie die Welt sein sollte. Dies steht im Gegensatz zu Glaubenshaltungen, die darauf abzielen, darzustellen, wie die Welt tatsächlich ist. Begierden sind eng mit der Handlungsfähigkeit verbunden: Sie motivieren den Handelnden dazu, sie zu verwirklichen. Damit dies möglich ist, muss eine Begierde mit einem Glauben darüber kombiniert werden, welche Handlung sie verwirklichen würde. Begierden präsentieren ihre Objekte in einem günstigen Licht, als etwas, das gut zu sein scheint. Ihre Erfüllung wird normalerweise als angenehm erlebt, im Gegensatz zu der negativen Erfahrung, wenn dies fehlschlägt. Bewusste Begierden werden in der Regel von einer Form emotionaler Reaktion begleitet. Während sich viele Forscher grob über diese allgemeinen Merkmale einig sind, gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, wie Begierden zu definieren sind, d. h. welche dieser Merkmale wesentlich und welche nur akzidentell sind. Handlungsbasierte Theorien definieren Begierden als Strukturen, die in uns eine Tendenz zu Handlungen veranlassen. Lustbasierte Theorien konzentrieren sich auf die Tendenz von Begierden, Lust zu verursachen, wenn sie erfüllt werden. Wertbasierte Theorien identifizieren Begierden mit Einstellungen zu Werten, wie z. B. dem Urteil oder dem Anschein, dass etwas gut ist.
Begierden können anhand von einigen grundlegenden Unterscheidungen in verschiedene Typen eingeteilt werden. Intrinsische Begierden betreffen das, was das Subjekt um seiner selbst willen wünscht, während es bei instrumentellen Begierden darum geht, was das Subjekt um willen von einer anderen Sache wünscht. Okkurrente Begierden sind entweder bewusst oder anderweitig kausal aktiv, im Gegensatz zu stehenden Begierden, die irgendwo im Hinterkopf existieren. Propositionale Begierden sind auf mögliche Sachverhalte gerichtet, während sich Objektbegierden direkt auf Objekte beziehen. Verschiedene Autoren unterscheiden zwischen höheren Begierden, die mit spirituellen oder religiösen Zielen verbunden sind, und niederen Begierden, bei denen es um körperliche oder sinnliche Vergnügen geht. Begierden spielen in vielen verschiedenen Bereichen eine Rolle. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob Begierden als praktische Gründe zu verstehen sind oder ob wir praktische Gründe haben können, ohne eine Begierde zu haben, ihnen zu folgen. Gemäß den Werttheorien der passenden Einstellung ist ein Objekt wertvoll, wenn es passend ist, dieses Objekt zu begehren, oder wenn wir es begehren sollen. Begierdeerfüllungs-Theorien des Wohlbefindens besagen, dass das Wohlbefinden einer Person davon bestimmt wird, ob die Begierden dieser Person erfüllt werden.
Etymologie
Das Wort „Begierde“ ist ein vom Adjektiv „gierig“ abgeleitetes Abstraktum (Adjektivabstraktum).[1] Das Substantiv „Gier“ stammt aus der indogermanischen Wurzel *ghi; das alte Adjektiv ger – noch enthalten im Wort begehren – ist verdrängt durch gierig, althochdeutsch girig. Erhalten geblieben ist auch das schwache Zeitwort gieren im Sinne von „gierig verlangen“.[2]
Theorien der Begierde
Theorien der Begierde zielen darauf ab, Begierden hinsichtlich ihrer wesentlichen Merkmale zu definieren.[3] Den Begierden wird eine Vielfalt von Merkmalen zugeschrieben, wie zum Beispiel, dass es sich um propositionale Einstellungen handelt, dass sie zu Handlungen führen, dass ihre Erfüllung tendenziell Lust bereitet usw.[4][5] Zwischen den verschiedenen Theorien der Begierde besteht eine breite Übereinstimmung darüber, was diese Merkmale sind. Ihre Uneinigkeit besteht darin, welche dieser Merkmale zum Wesen der Begierden gehören und welche lediglich akzidentell oder kontingent sind.[3] Traditionell definieren die beiden wichtigsten Theorien Begierden als Dispositionen, die zu Handlungen führen, oder in Bezug auf ihre Tendenz, Lust zu bereiten, wenn sie erfüllt werden. Eine wichtige Alternative neueren Ursprungs besagt, dass etwas zu begehren bedeutet, das Objekt der Begierde als wertvoll anzusehen.[5]
Allgemeine Merkmale
Den Begierden wird eine große Vielzahl von Merkmalen zugeschrieben. Sie werden in der Regel als Haltungen zu vorstellbaren Sachverhalten gesehen, oft auch als propositionale Einstellungen bezeichnet.[6] Sie unterscheiden sich von Glaubenshaltungen (belief), die ebenfalls üblicherweise als propositionale Einstellungen angesehen werden, durch ihre Passensrichtung (direction of fit).[6] Sowohl Glaubenshaltungen als auch Begierden sind Darstellungen der Welt. Aber während Glaubenshaltungen auf Wahrheit abzielen, d. h. die Welt so darzustellen, wie sie wirklich ist, zielen Begierden darauf ab, die Welt zu verändern, indem sie darstellen, wie die Welt sein sollte. Diese beiden Darstellungsweisen wurden als „Geist-zu-Welt“- bzw. „Welt-zu-Geist“-Passensrichtung (mind-to-world and world-to-mind direction of fit) bezeichnet.[6][3] Begierden können entweder positiv sein, in dem Sinne, dass das Subjekt das Bestehen eines begehrenswerten Zustands wünscht, oder negativ, in dem Sinne, dass das Subjekt das Nicht-Bestehen eines abgelehnten Zustands wünscht.[7] Gewöhnlich wird angenommen, dass Begierden in unterschiedlichen Stärkegraden auftreten: Manche Sachen werden stärker begehrt als andere.[8] Wir begehren Sachen in Bezug auf einige Merkmale, die sie haben, aber in der Regel nicht in Bezug auf all ihre Merkmale.[9]
Begierden sind auch eng mit Handlungsfähigkeit verbunden: Normalerweise versuchen wir beim Handeln, unsere Begierden zu verwirklichen.[6] Es wird üblicherweise angenommen, dass Begierden allein nicht für Handlungen ausreichen: Sie müssen mit Glaubenshaltungen kombiniert werden. Die Begierde, ein neues Handy zu besitzen, kann z. B. nur dann zur Handlung führen, ein solches online zu bestellen, wenn sie mit der Glaubenshaltung gepaart ist, dass die Bestellung zur Erfüllung der Begierde beitragen würde.[3] Die Erfüllung von Begierden wird normalerweise als lustvoll erlebt, im Gegensatz zur negativen Erfahrung, wenn dies fehlschlägt.[5] Aber unabhängig davon, ob die Begierde erfüllt ist oder nicht, gibt es einen Sinn, in dem die Begierde ihr Objekt in einem vorteilhaften Licht präsentiert, als etwas, das gut zu sein scheint.[10] Neben der Verursachung von Handlungen und Lust haben Begierden auch verschiedene Auswirkungen auf das geistige Leben. Einer dieser Effekte besteht darin, die Aufmerksamkeit des Subjekts häufig auf das Objekt der Begierde zu lenken, insbesondere auf dessen positive Eigenschaften.[5] Ein weiterer Effekt, der für die Psychologie von besonderem Interesse ist, besteht in der Tendenz von Begierden, belohnungsbasiertes Lernen zu fördern, beispielsweise in Form der operanten Konditionierung.[3]
Handlungsbasierte Theorien
Handlungsbasierte oder motivationale Theorien (action-based or motivational theories) sind traditionell dominant.[5] Sie können unterschiedliche Formen annehmen, aber allen ist gemeinsam, dass sie Begierden als Strukturen definieren, die in uns eine Tendenz zu Handlungen veranlassen.[3][9] Dies ist vor allem dann relevant, wenn Begierden nicht aus der Ich-Perspektive, sondern aus der Perspektive der dritten Person zugeschrieben werden. Handlungsbasierte Theorien enthalten in ihrer Definition normalerweise einen Verweis auf Glaubenshaltungen, z. B., dass „zu begehren dass P bedeutet, dazu geneigt zu sein, P zu verwirklichen, vorausgesetzt dass die eigenen Glaubenshaltungen wahr sind“.[3] Trotz ihrer Popularität und ihrer Nützlichkeit für empirische Untersuchungen werden handlungsbasierte Theorien mit verschiedenen Kritikpunkten konfrontiert. Diese Kritikpunkte lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Einerseits gibt es Handlungsneigungen, die nicht auf Begierden beruhen.[3][5] Evaluative Glaubenshaltungen darüber, was wir tun sollen, veranlassen in uns beispielsweise eine Neigung dazu, es zu tun, auch wenn wir es nicht tun wollen.[6] Es gibt auch psychische Störungen, die einen ähnlichen Effekt haben, wie die mit dem Tourette-Syndrom verbundenen Tics. Auf der anderen Seite gibt es Begierden, die uns nicht zum Handeln veranlassen.[3][5] Dazu gehören Begierden nach Dingen, die wir nicht ändern können, zum Beispiel die Begierde eines Mathematikers, dass die Zahl Pi eine rationale Zahl sei. In einigen extremen Fällen können solche Begierden sehr häufig vorkommen, z. B. kann eine völlig gelähmte Person alle Arten von regulären Begierden haben, wobei aufgrund der Lähmung jede Disposition zum Handeln fehlt.[3]
Lustbasierte Theorien
Es ist ein wichtiges Merkmal von Begierden, dass ihre Erfüllung lustvoll ist. Lustbasierte oder hedonische Theorien verwenden dieses Merkmal als Teil ihrer Definition von Begierden.[4] Laut einer Version ist „zu begehren dass p ... dazu geneigt zu sein, Lust zu empfinden, wenn es scheint dass p, und Unlust zu empfinden, wenn es scheint dass nicht-p“.[3] Hedonische Theorien vermeiden viele der Probleme, mit denen handlungsbasierte Theorien konfrontiert sind: Sie lassen zu, dass andere Dinge als Begierden uns zu Handlungen veranlassen, und sie haben keine Probleme zu erklären, wie eine gelähmte Person immer noch Begierden haben kann.[5] Aber sie bringen auch neue, eigene Probleme mit sich. Zum einen wird meist von einem kausalen Zusammenhang zwischen Begehren und Lust ausgegangen: Die Befriedigung von Begierden wird als Ursache der daraus resultierenden Lust gesehen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Ursache und Wirkung zwei verschiedene Dinge sind, nicht aber wenn sie identisch sind.[5] Abgesehen davon kann es auch schlechte oder irreführende Begierden geben, deren Erfüllung nicht die Lust bringt, die sie ursprünglich in Aussicht stellten.[11]
Wertbasierte Theorien
Wertbasierte Theorien sind jüngeren Ursprungs als handlungsbasierte und hedonische Theorien. Sie identifizieren Begierden mit Einstellungen zu Werten. Kognitivistische Versionen, manchmal als Begierde-als-Glauben Thesen (desire-as-belief theses) bezeichnet, setzen Begierden mit Glaubenshaltungen gleich, dass etwas gut ist, und kategorisieren so Begierden als eine Art von Glauben.[3][6][12] Aber solche Versionen stehen vor der Schwierigkeit zu erklären, wie wir Glaubenshaltungen darüber haben können, was wir tun sollen, obwohl wir es nicht tun wollen. Ein vielversprechenderer Ansatz identifiziert Begierden nicht mit Wertglauben, sondern mit Wertanschein.[10] Aus dieser Sicht ist die Begierde nach einem weiteren Drink dasselbe wie dass es dem Subjekt gut erscheint, noch einen Drink zu haben. Aber ein solcher Anschein ist mit der gegenteiligen Überzeugung des Subjekts vereinbar, dass es eine schlechte Idee wäre, noch einen Drink zu haben.[3] Eine eng verwandte Theorie geht auf T. M. Scanlon zurück, der behauptet, dass Begierden Urteile über Handlungsgründe sind.[3] Kritiker haben darauf hingewiesen, dass wertbasierte Theorien Schwierigkeiten haben zu erklären, wie Tiere, wie z. B. Katzen oder Hunde, Begierden haben können, da es fraglich ist, ob sie sich Dinge als gut im relevanten Sinne vorstellen können.[5]
Andere
Eine große Vielfalt anderer Theorien der Begierde wurde vorgeschlagen. Aufmerksamkeitsbasierte Theorien nehmen die Tendenz der Aufmerksamkeit, immer wieder zu dem begehrten Objekt zurückzukehren, als das definierende Merkmal von Begierden.[5] Lernbasierte Theorien definieren Begierden hinsichtlich ihrer Tendenz, belohnungsbasiertes Lernen zu fördern, beispielsweise in Form der operanten Konditionierung.[5] Funktionalistische Theorien definieren Begierden in Bezug auf die kausale Rolle, die interne Zustände spielen, während interpretationistische Theorien Personen oder Tieren Begierden basierend darauf zuschreiben, was ihr Verhalten am besten erklären würde.[3] Holistische Theorien kombinieren verschiedene der oben genannten Merkmale in ihrer Definition von Begierden.[3] Begierde wird manchmal auch als ein zwischen unwillkürlichem Streben und bewusstem Willen liegendes Trieberlebnis definiert.[13]
Typen
Begierden können anhand von einigen grundlegenden Unterscheidungen in verschiedene Typen eingeteilt werden. Etwas wird intrinsisch begehrt, wenn das Subjekt es um seiner selbst willen begehrt. Andernfalls ist die Begierde instrumentell oder extrinsisch.[4] Okkurrent Begierden (occurrent desires) sind kausal aktiv, während stehende Begierden (standing desires) irgendwo im Hinterkopf existieren.[14] Propositionale Begierden sind auf mögliche Sachverhalte gerichtet, im Gegensatz zu Objektbegierden (object-desires), die sich direkt auf Objekte beziehen.[15]
Intrinsisch und instrumentell
Die Unterscheidung zwischen intrinsischen und instrumentellen oder extrinsischen Begierden ist zentral für viele Fragen, die Begierden betreffen.[4][5] Etwas wird intrinsisch begehrt, wenn das Subjekt es um seiner selbst willen begehrt.[3][11] Lust ist ein häufiges Objekt von intrinsischen Begierden. Laut dem psychologischen Hedonismus ist dies das einzige, was intrinsisch begehrt wird.[4] Intrinsische Begierden haben insofern einen Sonderstatus, als sie nicht von anderen Begierden abhängen. Sie stehen im Gegensatz zu instrumentellen Begierden, bei denen etwas um einer anderen Sache willen gewünscht wird.[3][11][5] Haruto mag zum Beispiel Filme, weshalb er eine intrinsische Begierde hat, sie zu sehen. Aber um sie zu sehen, muss er in sein Auto steigen, durch den Verkehr zum nahegelegenen Kino navigieren, in der Schlange warten, die Eintrittskarte bezahlen usw. Er begehrt auch all diese Dinge zu tun, aber eben nur auf eine instrumentelle Weise. Er würde all diese Dinge nicht tun, wenn er nicht die intrinsische Begierde hätte, den Film zu sehen. Es ist möglich, dieselbe Sache gleichzeitig intrinsisch und instrumentell zu begehren.[3] Wenn Haruto also ein begeisterter Autofahrer wäre, könnte er sowohl eine intrinsische als auch eine instrumentelle Begierde haben, zum Kino zu fahren. Bei instrumentellen Begierden geht es normalerweise um kausale Mittel, um das Objekt einer anderen Begierde herbeizuführen.[3][5] Die Fahrt zum Kino ist beispielsweise eine der kausalen Voraussetzungen, um den Film dort zu sehen. Aber neben kausalen Mitteln gibt es auch konstitutive Mittel.[16] Konstitutive Mittel sind keine Ursachen, sondern Weisen, etwas zu tun. Den Film zu sehen, während man auf Platz 13F sitzt, ist z. B. eine Weise den Film zu sehen, aber keine vorhergehender Ursache. Begierden, die konstitutiven Mitteln entsprechen, werden manchmal als „Realisierungsbegierden“ (realizer desires) bezeichnet.[3][5]
Okkurrent und stehend
Okkurrente Begierden sind Begierden, die gerade aktiv sind.[14] Sie sind entweder bewusst oder haben zumindest unbewusste Auswirkungen, beispielsweise auf das Denken oder Verhalten des Subjekts.[17] Begierden, auf die wir uns einlassen und die wir versuchen zu verwirklichen, sind okkurrent.[3] Aber wir haben viele Begierden, die für unsere gegenwärtige Situation nicht relevant sind und uns derzeit nicht beeinflussen. Solche Begierden werden als stehende oder dispositionelle Begierden bezeichnet.[14][17] Sie existieren irgendwo im Hinterkopf und sind etwas anderes als gar nicht zu begehren, obwohl sie im Moment keine kausalen Auswirkungen haben.[3] Wenn Dhanvi zum Beispiel damit beschäftigt ist, ihre Freundin zu überreden, an diesem Wochenende wandern zu gehen, dann ist ihre Begierde, wandern zu gehen, okkurrent. Aber viele ihrer anderen Begierden, wie z. B. ihr altes Auto zu verkaufen oder mit ihrem Chef über eine Beförderung zu sprechen, sind während dieser Unterhaltung lediglich stehend. Stehende Begierden bleiben Teil des Geistes, auch während das Subjekt tief schläft.[14] Es wurde infrage gestellt, ob stehende Begierden überhaupt als Begierden im engeren Sinne betrachtet werden sollten. Eine Motivation für diesen Zweifel ist, dass Begierden Einstellungen zu Inhalten sind, aber eine Disposition zu einer bestimmten Einstellung ist nicht automatisch selbst eine Einstellung.[18] Begierden können auch dann okkurrent sein, wenn sie unser Verhalten nicht beeinflussen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Handelnde eine bewusste Begierde hat, etwas zu tun, ihr aber widersteht. Diese Begierde ist okkurrent, weil sie eine gewisse Rolle im mentalen Leben des Handelnden spielt, auch wenn sie nicht handlungsleitend ist.[3]
Propositionale Begierden und Objektbegierden
Die vorherrschende Ansicht ist, dass alle Begierden als propositionale Einstellungen (propositional attitudes) zu verstehen sind.[6] Aber eine gegensätzliche Sicht erlaubt, dass zumindest einige Begierden nicht auf Propositionen oder mögliche Sachverhalte gerichtet sind, sondern direkt auf Objekte.[3][15] Dieser Unterschied spiegelt sich auch auf sprachlicher Ebene wider. Objektbegierden können durch ein direktes Objekt ausgedrückt werden, zum Beispiel begehrt Louis ein Omelett.[3] Propositionale Begierden hingegen werden normalerweise durch einen Dass-Satz ausgedrückt, zum Beispiel begehrt Arielle, dass sie ein Omelett zum Frühstück hat.[19] Propositionalistische Theorien gehen davon aus, dass direkte Objektausdrücke nur eine Kurzform für Dass-Satz-Ausdrücke sind, während Objektbegierde-Theoretiker behaupten, dass sie einer anderen Form der Begierde entsprechen.[3] Ein Argument für die letztere Position ist, dass die Rede von Objektbegierden in der Alltagssprache sehr verbreitet und natürlich ist. Ein wichtiger Einwand gegen diese Sichtweise ist jedoch, dass Objektbegierden keine eigenen Erfüllungsbedingungen (conditions of satisfaction) haben, die für Begierden notwendig sind.[3][15] Erfüllungsbedingungen bestimmen, durch welche Situationen eine Begierde erfüllt wird.[20] Arielles Begierde wird erfüllt, wenn der Dass-Satz, der ihre Begierde ausdrückt, realisiert wurde, d. h. sie hat ein Omelett zum Frühstück. Aber Louis Begierde wird weder durch die bloße Existenz von Omeletts erfüllt noch dadurch, dass er zu irgendeinem unbestimmten Zeitpunkt in seinem Leben in den Besitz eines Omeletts kommt. Es scheint also, dass Objektbegierde-Theoretiker, wenn sie nach Details gefragt werden, auf propositionale Ausdrücke zurückgreifen müssen, um zu artikulieren, was genau diese Begierden beinhalten. Dadurch drohen Objektbegierden mit propositionale Begierden zusammenzufallen.[3][15]
Höhere und niedere
In Religion und Philosophie wird manchmal zwischen höheren und niederen Begierden unterschieden. Höhere Begierden werden üblicherweise mit spirituellen oder religiösen Zielen in Verbindung gebracht, im Gegensatz zu niederen Begierden, die manchmal auch als Leidenschaften bezeichnet werden und mit körperlichen oder sinnlichen Freuden zu tun haben. Dieser Unterschied ist eng verwandt mit John Stuart Mills Unterscheidung zwischen den höheren Freuden des Geistes und den niederen Freuden des Körpers.[21] In einigen Religionen werden alle Begierden als negativer Einfluss auf unser Wohlbefinden gänzlich abgelehnt. Die zweite edle Wahrheit im Buddhismus zum Beispiel besagt, dass Begierde die Ursache allen Leidens ist.[22] Eine verwandte Lehre findet sich auch in der hinduistischen Tradition des Karma-Yoga, die empfiehlt, dass wir handeln ohne eine Begierde nach den Früchten unserer Handlungen zu haben, was als „Nishkam Karma“ bezeichnet wird.[23][24] Andere Richtungen im Hinduismus unterscheiden jedoch ausdrücklich zwischen niederen oder schlechten Begierden nach weltlichen Dingen und höheren oder guten Begierden nach Nähe oder Einheit mit Gott. Diese Unterscheidung findet sich beispielsweise in der Bhagavad Gita oder in der Tradition des Bhakti-Yoga.[23][25] Eine ähnliche Denkweise ist in den Lehren des Christentums vorhanden. In der Lehre von den sieben Todsünden werden beispielsweise verschiedene Laster aufgeführt, die als perverse oder korrupte Versionen der Liebe definiert werden. Explizite Hinweise auf schlechte Formen des Begehrens finden sich hier in den Sünden der Wollust, der Völlerei und der Habgier.[7][26] Den sieben Sünden werden die sieben Tugenden gegenübergestellt, die die entsprechenden positiven Gegenstücke enthalten.[27] Eine Begierde nach Gott wird in verschiedenen Lehren ausdrücklich ermutigt.[28] Existentialisten unterscheiden manchmal zwischen authentischen und unauthentischen Begierden. Authentische Begierden drücken aus, was der Handelnde wirklich tief in seinem Inneren will. Ein Handelnder will hingegen etwas unauthentisch, wenn er sich nicht vollständig mit dieser Begierde identifiziert, obwohl er sie hat.[29]
Rollen von Begierde
Begierde ist ein ganz fundamentaler Begriff. Als solche ist sie für viele diverse Bereiche relevant. Verschiedene Definitionen und Theorien anderer Begriffe wurden in Bezug auf Begierden ausgedrückt. Handlungen hängen von Begierden ab und moralische Lobenswürdigkeit (moral praiseworthiness) wird manchmal in Bezug darauf definiert, dass man durch die richtige Begierde motiviert wird.[3] Ein populärer zeitgenössischer Ansatz definiert Wert als das, was es passend ist, zu begehren.[30] Begierdeerfüllungstheorien des Wohlbefindens (desire-satisfaction theories of well-being) besagen, dass das Wohlbefinden einer Person dadurch bestimmt wird, ob die Begierden dieser Person erfüllt werden.[31] Es wurde vorgeschlagen, dass eine Sache einer anderen vorzuziehen nur bedeutet, eine stärkere Begierde nach der ersteren Sache zu haben.[32] Eine einflussreiche Theorie des Personseins (personhood) besagt, dass nur Wesen mit Begierden höherer Ordnung Personen sein können.[33]
Handlung, praktische Gründe und Moral
Begierden spielen eine zentrale Rolle für Handlungen als das, was sie motiviert. Gewöhnlich wird angenommen, dass eine Begierde allein nicht ausreicht: Sie muss mit dem Glauben kombiniert werden, dass die betreffende Handlung zur Erfüllung der Begierde beitragen würde.[34] Der Begriff der praktischen Gründe (practical reasons) steht in engem Zusammenhang mit Motivation und Begierde. Einige Philosophen, oft aus der humeanischen Tradition, identifizieren einfach die Begierden eines Handelnden mit den praktischen Gründen, die er hat. Eine eng verwandte Sichtweise besagt, dass Begierden selbst keine Gründe sind, sondern dem Handelnden Gründe präsentieren.[3] Eine Stärke dieser Positionen besteht darin, dass sie eine einfache Erklärung dafür liefern können, wie praktische Gründe als Motivation wirken können. Ein wichtiger Einwand ist jedoch, dass wir Gründe haben können, Dinge zu tun, ohne eine Begierde zu haben, sie zu tun.[3] Dies ist insbesondere im Bereich der Moral relevant. Peter Singer behauptet zum Beispiel, dass die meisten Menschen in entwickelten Ländern eine moralische Pflicht haben, einen erheblichen Teil ihres Einkommens an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden.[35][36] Eine solche Pflicht wäre ein praktischer Grund, entsprechend zu handeln, auch für Menschen, die keine Begierde dazu haben, dem zu folgen.
Ein eng verwandtes Thema der Moral fragt nicht, welche Gründe wir haben, sondern aus welchen Gründen wir handeln. Diese Idee geht auf Immanuel Kant zurück, der die Auffassung vertritt, dass es aus moralischer Sicht nicht ausreicht, das Richtige zu tun. Stattdessen müssen wir das Richtige aus dem richtigen Grund tun.[37] Diese Unterscheidung bezeichnet er als den Unterschied zwischen Legalität, also dem Handeln gemäß äußeren Normen, und Moralität, also der Motivation durch die richtige innere Einstellung.[38][39] Aus dieser Sicht ist es keine moralische Handlung, einen erheblichen Teil des eigenen Einkommens an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden, wenn die motivierende Begierde darin besteht, den eigenen Ruf zu verbessern, indem man andere Menschen von dem eigenen Reichtum und der eigenen Großzügigkeit überzeugt. Aus einer kantischen Perspektive sollte man stattdessen aus der Begierde heraus handeln, die eigene Pflicht zu erfüllen. Diese Fragen werden in der zeitgenössischen Philosophie oft unter den Begriffen der moralischen Lobenswürdigkeit und Tadelnswürdigkeit (moral praiseworthiness and blameworthiness) diskutiert. Eine wichtige Position in diesem Bereich ist, dass die Lobenswürdigkeit einer Handlung von der Begierde abhängt, die diese Handlung motiviert.[3][40]
Wert und Wohlbefinden
In der Axiologie ist es üblich, Wert in Bezug auf Begierde zu definieren. Solche Ansätze fallen unter die Kategorie der Theorien der passenden Einstellung (fitting-attitude theories). Ihnen zufolge ist ein Objekt wertvoll, wenn es passend ist, dieses Objekt zu begehren, oder wenn wir es begehren sollten.[30][41] Dies wird manchmal ausgedrückt, indem man sagt, dass das Objekt begehrenswert, passend begehrt oder der Begierde würdig ist. Zwei wichtige Aspekte dieser Art von Position sind, dass sie Werte auf deontische Begriffe reduziert, oder darauf, was wir fühlen sollten, und dass sie Werte von menschlichen Reaktionen und Einstellungen abhängig macht.[30][41][42] Trotz ihrer Popularität sehen sich Werttheorien der passenden Einstellung mit verschiedenen theoretischen Einwänden konfrontiert. Ein oft zitierter Einwand ist das Problem der Gründe von der falschen Art (wrong kind of reason problem), das auf der Überlegung beruht, dass Tatsachen, die vom Wert eines Gegenstandes unabhängig sind, beeinflussen können, ob dieses Objekt begehrt werden soll.[30][41] In einem Gedankenexperiment droht ein böser Dämon dem Handelnden, seine Familie zu töten, wenn er den Dämon nicht begehrt. In einer solchen Situation ist es für den Handelnden passend, den Dämon zu begehren, um seine Familie zu retten, trotz der Tatsache, dass der Dämon keinen positiven Wert besitzt.[30][41]
Das Wohlbefinden wird gewöhnlich als eine besondere Art von Wert angesehen: Das Wohlbefinden einer Person ist das, was letztlich gut für diese Person ist.[43] Begierdeerfüllungstheorien (desire-satisfaction theories) gehören zu den wichtigsten Theorien des Wohlbefindens. Sie besagen, dass das Wohlbefinden einer Person davon bestimmt wird, ob die Begierden dieser Person erfüllt werden: Je höher die Anzahl der erfüllten Begierden, desto höher das Wohlbefinden.[31] Ein Problem für einige Versionen der Begierdetheorie besteht darin, dass nicht alle Begierden gut sind: Einige Begierden können sogar schreckliche Folgen für den Handelnden haben. Begierdetheoretiker haben versucht, diesen Einwand zu vermeiden, indem sie davon ausgehen, dass es nicht auf die tatsächlichen Begierden ankommt, sondern auf die Begierden, die der Handelnde haben würde, wenn er vollständig informiert wäre.[31][44]
Präferenzen
Begierden und Präferenzen sind zwei eng miteinander verbundene Begriffe: Beide sind konative Zustände, die unser Verhalten bestimmen.[32] Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass Begierden auf ein Objekt gerichtet sind, während Präferenzen einen Vergleich zwischen zwei Alternativen betreffen, von denen eine der anderen vorgezogen wird.[6][32] Der Fokus auf Präferenzen statt auf Begierden ist im Bereich der Entscheidungstheorie weit verbreitet. Es wurde argumentiert, dass Begierde der grundlegendere Begriff ist und dass Präferenzen in Bezug auf Begierden zu definieren sind.[3][6][32] Damit dies funktioniert, muss Begierde so verstanden werden, dass sie einen Grad oder eine Intensität beinhaltet. Unter dieser Annahme kann eine Präferenz als Vergleich zweier Begierden definiert werden.[3] Dass Nadia zum Beispiel Tee gegenüber Kaffee bevorzugt, bedeutet nur, dass ihre Begierde nach Tee stärker ist als ihre Begierde nach Kaffee. Ein Argument für diesen Ansatz ist auf Überlegungen der Parsimonie zurückzuführen: Eine große Anzahl von Präferenzen kann aus einer sehr geringen Anzahl von Begierden abgeleitet werden.[3][32] Ein Einwand gegen diese Theorie ist, dass unser introspektiver Zugang bei Präferenzen viel unmittelbarer ist als bei Begierden. Daher ist es für uns normalerweise viel einfacher zu wissen, welche von zwei Optionen wir bevorzugen, als zu wissen, zu welchem Grad wir ein bestimmtes Objekt begehren. Diese Überlegung wurde verwendet, um darauf hinzuweisen, dass vielleicht Präferenz und nicht Begierde der grundlegendere Begriff ist.[3]
Personen, Personsein und Begierden höherer Ordnung
Personsein ist das, was Personen haben. Es gibt verschiedene Theorien darüber, was Personsein ausmacht. Die meisten stimmen darin überein, dass eine Person zu sein mit dem Vorhandensein gewisser geistiger Fähigkeiten zu tun hat und mit einem bestimmten moralischen und rechtlichen Status einhergeht.[45][46][47] Eine einflussreiche Theorie der Personen geht auf Harry Frankfurt zurück. Er definiert Personen in Bezug auf Begierden höherer Ordnung.[33][48][49] Viele der Begierden, die wir haben, wie die Begierde, Eis zu essen oder Urlaub zu machen, sind Begierden erster Ordnung. Begierden höherer Ordnung hingegen sind Begierden nach anderen Begierden. Sie sind vor allem herausstehend in Fällen, in denen eine Person eine Begierde hat, die sie nicht haben will.[33][48][49] Ein genesender Süchtiger zum Beispiel kann sowohl eine Begierde erster Ordnung haben, Drogen zu nehmen, als auch eine Begierde zweiter Ordnung, der Begierde erster Ordnung nicht zu folgen.[33][48] Oder ein religiöser Asket kann immer noch sexuelle Begierden haben, während er gleichzeitig frei von diesen Begierden sein möchte. Laut Frankfurt besteht das Kennzeichen des Personseins darin, Volitionen zweiter Ordnung zu haben, d. h. Begierden zweiter Ordnung dazu, welchen Begierden erster Ordnung man folgt. Dies ist eine Form, sich für sich selbst zu interessieren oder sich darum zu sorgen, wer man ist und was man tut. Nicht alle Wesen mit einem Geist haben Volitionen höherer Ordnung. Frankfurt bezeichnet sie als „wantons“ im Gegensatz zu Personen. Seiner Ansicht nach sind Tiere und vielleicht auch einige menschliche Wesen wantons.[33][48][49]
Entstehen und Vergehen von Begierden
Sowohl Psychologie als auch Philosophie interessieren sich dafür, woher Begierden kommen bzw. wie sie entstehen. Eine wichtige Unterscheidung für diese Untersuchung ist die zwischen intrinsischen Begierden, d. h. dem, was das Subjekt um seiner selbst willen begehrt, und instrumentellen Begierden, d. h. dem, was das Subjekt um einer anderen Sachen willen begehrt.[4][5] Instrumentelle Begierden hängen bezüglich ihrer Entstehung und Existenz von anderen Begierden ab.[11] Aisha hat zum Beispiel die Begierde, eine Ladestation am Flughafen zu finden. Diese Begierde ist instrumentell, weil sie auf einer anderen Begierde beruht: ihr Handy nicht ausgehen zu lassen. Ohne die letztere Begierde wäre die Erstere nicht entstanden.[3] Als zusätzliche Voraussetzung ist ein möglicherweise unbewusster Glaube oder ein Urteil notwendig, dass die Erfüllung der instrumentellen Begierde irgendwie zur Erfüllung der Begierde beitragen würde, auf der sie basiert.[11] Instrumentelle Begierden vergehen normalerweise, nachdem die Begierden, auf denen sie basieren, aufhören zu existieren.[3] Fehlfälle sind jedoch auch möglich, bei denen, oft aufgrund von Geistesabwesenheit, die instrumentelle Begierde bestehen bleibt. Solche Fälle werden manchmal als „motivationale Trägheit“ (motivational inertia) bezeichnet.[11] So etwas kann der Fall sein, wenn der Handelnde die Begierde hat, in die Küche zu gehen, nur um bei seiner Ankunft festzustellen, dass er nicht weiß, was er dort will.[11]
Intrinsische Begierden hingegen sind nicht von anderen Begierden abhängig.[11] Einige Autoren vertreten die Auffassung, dass alle oder zumindest einige intrinsische Begierden angeboren sind, z. B. die Begierde nach Lust oder Nahrung.[3] Andere Autoren weisen jedoch darauf hin, dass selbst diese relativ grundlegenden Begierden in gewissem Maße von der Erfahrung abhängen können: Bevor wir ein lusterregendes Objekt begehren können, müssen wir beispielsweise durch eine hedonische Erfahrung dieses Objekts lernen, dass es lusterregend ist.[50] Es ist aber auch denkbar, dass die Vernunft von sich aus intrinsische Begierden hervorbringt. Aus dieser Sichtweise bewirkt die Schlussfolgerung, dass es rational wäre, eine bestimmte intrinsische Begierde zu haben, dass das Subjekt diese Begierde hat.[3][6] Es wurde auch vorgeschlagen, dass instrumentelle Begierden unter den richtigen Bedingungen in intrinsische Begierden umgewandelt werden können. Dies könnte durch Prozesse des belohnungsbasierten Lernens möglich sein.[5] Die Idee ist, dass alles, was die Erfüllung von intrinsischen Begierden zuverlässig anzeigt, selbst zum Objekt einer intrinsischen Begierde werden kann. So mag ein Baby seine Mutter zunächst nur instrumentell begehren, weil sie ihm Wärme, Umarmungen und Milch gibt. Aber mit der Zeit kann diese instrumentelle Begierde zu einer intrinsischen Begierde werden.[5]
Die These vom Tod des Begehrens (death-of-desire thesis) besagt, dass eine Begierde nicht weiter existieren kann, sobald ihr Objekt verwirklicht ist.[10] Dies würde bedeuten, dass ein Handelnder nicht begehren kann, etwas zu haben, wenn er glaubt, dass er es bereits hat.[51] Ein Einwand gegen die These vom Tod des Begehrens ergibt sich aus der Tatsache, dass sich unsere Präferenzen bei der Begierdeerfüllung normalerweise nicht ändern.[10] Wenn Samuel also lieber trockene als nasse Kleidung trägt, würde er diese Präferenz auch dann noch beibehalten, wenn er nach einem regnerischen Tag nach Hause gekommen ist und sich umgezogen hat. Dies würde entgegen der These vom Tod des Begehrens darauf hindeuten, dass keine Veränderung auf der Ebene der konativen Zustände des Handelnden stattfindet.[10]
Soziologie und Religion
Gabriel Tarde hat das Begehren zu einem Ausgangspunkt soziologischer Theorie genutzt.[52] Viele Religionen und philosophische Strömungen propagieren, dass das Nichtverfolgen von Begierden zum Glück führt, darunter viele Philosophien aus Ostasien (etwa der Zen-Buddhismus; siehe auch Tanha für das Konzept der Begierde im Buddhismus allgemein) und dem antiken Griechenland (etwa Kynismus und Stoa). Askese und „einfaches Leben“ sind Lebensstile, für die dieses Prinzip zentral ist.
Siehe auch
- Jouissance (deutsch „Genießen“)
- Konkupiszenz (böse Begierde, theologisch)
- Tanha (Begierde im Buddhismus)
- Sexualität des Menschen
Literatur
- Christian Borch, Urs Stäheli (Hrsg.): Soziologie der Nachahmung und des Begehrens: Materialien zu Gabriel Tarde. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-518-29482-6.
- Franz X. Eder: Kultur der Begierde: Eine Geschichte der Sexualität. 2., erweiterte Auflage. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57738-3 (Erstauflage 2002).
- Carolin Emcke: Wie wir begehren. Fischer, Frankfurt/M. 2012, ISBN 978-3-10-017018-7.
- Thomas Gebel: Krise des Begehrens: Theorien zu Sexualität und Geschlechterbeziehungen im späten 20. Jahrhundert. Kovac, Hamburg 2002, ISBN 3-8300-0501-6.
- J. D. Vincent: Biologie des Begehrens. Reinbek 1996.
Weblinks
- Tim Schroeder: Desire. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. 9. April 2015 (englisch).
- Luc Vendramin: Begehren und Bedürfnis – Vorläufiger Bericht über Stand und Möglichkeiten der Vermittlung. In: lesamisdenemesis.com. 19. Februar 2003 (übersetzt von Jean-Pierre Baudet).
Einzelnachweise
- Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. De Gruyter, Berlin/New York 1975, Lemma Begierde.
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