Bauvorleistung
Eine Bauvorleistung ist ein vorab erstellter Bauteil, der noch nicht genutzt wird. Dies kann bei einem in mehreren Etappen zu realisierenden Projekt erfolgen. Durch eine Bauvorleistung kann auch die grundlegende Option auf zukünftige Erweiterbarkeit gewahrt werden. Die vorgezogene Realisierung, oft nur im Rohbau, kann in Bautechnik, Finanzen oder Nutzung begründet sein.
Grundlegendes
Im Allgemeinen verursacht der Umbau von Hoch- und Tiefbauten einen merkbaren Eingriff in die Bausubstanz. Neben den Kosten ist die Nutzung im Baustellenbereich eingeschränkt. Wenn potentielle Erweiterungen und Ergänzungen bei der Bauplanung als Optionen schon berücksichtigt worden sind, können Abbrucharbeiten weniger umfangreich ausfallen, der Baustellenbereich vom Bereich der aktuellen Nutzung räumlich getrennt werden, allgemein Aufwand und Kosten bei der Realisierung einer solchen Option erheblich reduziert werden. Bauvorleistungen sind unter anderem bei Verkehrsbauwerken bekannt.
Insbesondere wenn ein erhebliches Einsparpotential im Vergleich geringen Kosten der Vorleistung gegenübersteht, können Bauvorleistungen auch bei einer kleinen Realisierungswahrscheinlichkeit oder Wahrnahme der Optionen in weiterer Zukunft gerechtfertigt sein. Letztlich geht es – wenigstens implizit – darum ob der Erwartungswert der Gesamtkosten im Mitfall günstiger ist als im Ohnefall.
Auch das Lichtraumprofil einer Bahnstrecke kann unter ähnlichen Gesichtspunkten festgelegt werden. Zwar steigen die Kosten für Tunnel (nichtlinear) mit dem Regelquerschnitt, jedoch sind die Grenzkosten für einen größeren Querschnitt im Allgemeinen deutlich niedriger als die Kosten für spätere Nachrüstung. Auch das spätere Anheben von Brücken ist zumeist teurer als selbige von vorne herein mit größerer lichter Höhe zu bauen.
Verkehrswege
Die Trassenfreihaltung, auch Freihaltestrasse, Trassenvorhaltung oder Vorhaltetrasse genannt, als Reservierung des Platzes für einen kompletten Verkehrsweg ist Aufgabe der Raumordnung. Bei Verkehrsbauten kann aber Platz für künftige Erweiterungen reserviert werden. Eine Lärmschutzwand an einer Autobahn kann um die Breite einer zusätzlichen Spur zur Seite versetzt sein, Brücken in Spannweite, Breite oder Tragkraft auf Zuwachs dimensioniert sein. Beispiele sind der breite Mittelstreifen der A 45 südlich des Gambacher Kreuzes für eine Erweiterung von vier auf sechs Fahrstreifen und bei der Autobahn Antwerpen-Brüssel der für einen einmal geplanten Superschnellweg freigelassene Raum im Mittelstreifen. Das Teilstück zwischen Machelen und Mechelen wird seit 2012 für die Eisenbahnstrecke 25N genutzt (Teil des Diabolo-Projektes). Auf der Schnellfahrstrecke Mannheim–Stuttgart sind nördlich des Pfingstbergtunnels die Gleise mit 15 Meter Abstand verlegt, hier besteht die Option, die östliche Riedbahn einzubinden.
- Autobahndreieck Würzburg-West mit Anschlussstutzen für eine Verbindungsspur nach Norden
- Autobahn A 45 bei Karlstein mit Platz für weitere Fahrspuren im Mittelstreifen
- Verkehrskreisel mit Ausfahrt ins Maisfeld
- Verbreiterte Brücken um später die Autobahn (ohne Brückenneubau) um zusätzliche Fahrstreifen zu erweitern
Des Weiteren kann die geometrische Struktur von Verkehrsbauwerken schon auf Erweiterungen ausgelegt sein. Viele Autobahndreiecke sind nur teilweise ausgebaute Autobahnkreuze. Abgesehen von ggf. noch fehlenden Brücken und bei teilweise schon vorhandenen Erdarbeiten sind im Prinzip nur noch kleine Ergänzungen vorzunehmen. Beispiele sind die als Autobahnkreuz vorbereiteten Dreiecke Autobahndreieck Würzburg-West und Seligenstädter Dreieck.
Eine mit dem ursprünglich vorgesehenen Verwendungszweck inzwischen in Betrieb genommene Bauvorleistung ist die Trasse der Schienenanbindung des Athener Flughafens. Im Gegensatz dazu wurde anstelle der ursprünglich vorgesehenen Autostraße auf einem Teil des breiten Mittelstreifens der Autobahn 1 Antwerpen–Brüssel eine Bahnlinie des Diabolo-Projekts gebaut.
- Trasse für Schienenanbindung des Athener Flughafens
Bauvorleistung im Hoch- und Tiefbau
Bei Brücken ist die Auslegung von Widerlagern, Fundamenten und Pfeilern für breiteres Tragwerk oder höhere Last bekannt. Die Erweiterung von Brücken unter Aufrechterhaltung des Verkehrs ist möglich, wenn die Arbeiten nicht auf der Verkehrsebene stattfinden. Bei Neubau auf bestehender Trasse kann eine Brücke nahebei erstellt werden und dann eingehoben oder eingeschoben werden. Bauvorleistungen können in der Form eines vollständigen Bauwerks erfolgen, welches vorerst nur in Teilen befahren wird.
Tunnelbauwerke müssen an Ort und Stelle errichtet werden, ihr Bau hat erhebliche Auswirkungen auf die Geologie und Statik der angrenzenden Bereiche. Bauvorleistungen können verschiedene Formen annehmen. So können keine Fundamentgründungen im Bereich und keine Bebauung oberhalb der Tunneltrasse vorgesehen sein. Bei vorab erstellten Hochbauten sind besonders tiefe Fundamentgründungen noch tragfähig beim Tunnelbau, kraftableitende Fundamente reduzieren die Belastung im künftigen Tunnelquerschnitt.
Weiter ist die Gestaltung von unterirdischen Bauwerken als Brücken möglich. Beim Anlegen von mehrgeschossigem Tiefbau vermeidet das Anlegen von Tunnelteilstücken ein späteres Unterfangen des Baukomplexes. Bei einem Tunnel ist das Anschließen einer weiteren Röhre oder das Hinzufügen einer Abzweigung bei vorab gebautem Tunnelstutzen deutlich billiger und grundlegend ohne Verkehrsunterbrechung möglich.
- Bauvorleistung Bahnhofsteil in untersten Geschoss unter dem Hauptbahnhof Hannover
- Tunnelstutzen der U-Bahn-Station Waterloo in Hannover
- Vorbereitete Verzweigung am S-Bahnhof Potsdamer Platz
- Nie in Betrieb genommene zusätzliche Röhren am U-Bahnhof Hauptbahnhof Nord in Hamburg
Ein generisches Beispiel ist der Bau von Rampenbauwerken zwischen U-Bahn-Strecke und Oberfläche als Rechteckkasten mit flachem Boden. Die mit Schotter aufgeschüttete Rampe muss bei einer Verlängerung nur ausgebaggert werden. Bei der Lötschbergbahn wurden Tunnel teilweise komplett zweigleisig angelegt, teilweise nur das Gewölbe für zwei Gleise vorgesehen, aber die Strosse nur für ein Gleis abgeräumt. Beim Lötschberg-Basistunnel sind für den optionalen kompletten Ausbau auf zwei Gleise schon Tunnelröhren und Tunnelstutzen gebaut.
Teilweise sind Bauvorleistungen auch im Design zu erkennen. Bei der U-Bahn Nürnberg war es ursprünglich vorgesehen, dass orangefarbene Kacheln an der Wand einen Umsteigebahnhof signalisieren. Diese wurden sowohl beim U-Bahnhof Nürnberg Hauptbahnhof und U-Bahnhof Plärrer wo man (Stand 2021) von allen drei Linien der Nürnberger U-Bahn zueinander umsteigen kann, als auch beim U-Bahnhof Aufseßplatz und beim U-Bahnhof Friedrich Ebert Platz eingesetzt, obwohl diese derzeit nur von jeweils einer U-Bahn-Linie bedient werden.[1] Bemerkenswert ist, dass dieses Designprinzip über fast vier Jahrzehnte beibehalten wurde – der Bahnhof Aufseßplatz ging 1975 in Betrieb, der Bahnhof Friedrich Ebert Platz 2011.
Freileitungen
Auch beim Bau von Freileitungen können Bauvorleistungen erbracht werden. Dies ist vor allem in Gebieten sinnvoll, in denen es schwer möglich ist, die Rechte für den Bau von Freileitungstrassen zu erhalten. So ist es in Deutschland nicht unüblich, Freileitungsmaste für die Aufnahme von zwei Stromkreisen zu errichten, obwohl zuerst nur ein Stromkreis installiert wird. Es ist auch möglich, dass Maste nicht nur für eine spätere Montage, sondern auch für die kompletter Traversen vorgesehen sind. Eine andere Form der Bauvorleistung besteht darin, eine Leitung so zu bauen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt auf eine höhere Spannung umgestellt werden kann. Hierbei können die Isolatoren schon für die höhere Spannung ausgelegt sein.
Sonstiges
- Als Negation einer Bauvorleistung blockierten die Pfeilergründungen der Verrazzano-Narrows-Brücke die Trasse einer teilweise schon gebauten U-Bahn-Linie.
- Weitgehend unerschlossen sind die erheblichen planungs- und vor allem auch haushaltsrechtlichen Aspekte der Bauvorleistung. Vor allem das haushaltsrechtliche Gebot der Sparsamkeit verlangt nach einer sorgsamen Abwägung zwischen Bauvorleistung(splanung) und Durchführung.
- Ökonomisch betrachtet stellen die Aufwendungen für Bauvorleistungen versunkene Kosten dar.
- Bei einem in Etappen geplanten Projekt kann vorhandenes Geld und Baulogistik zu vorab gebauten „Soda-Brücken“ führen; wird ein Projekt, für das Bauvorleistungen erbracht wurden, letztlich nicht realisiert, kann die Bauvorleistung zu einer Investitionsruine werden.
- Wenn Straßen aufgrund zum Beispiel von Kanalbauarbeiten ohnehin geöffnet werden, werden manchmal auch andere Arbeiten (Erneuerung der Fahrbahn, Verlegung von Straßenbahn-Gleisen o. ä.) vorgenommen, die andernfalls erst später realisiert worden wären. In Berlin wurde so eine Straßenbahntrasse ohne Verbindung zum restlichen Netz verlegt.[2]
- Teilweise werden Bauvorleistungen bei Bahnen auch als „Geisterbahnhof“ bezeichnet
Einzelnachweise
- http://www.gleistreff.de/U4_I.htm
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