Bassettklarinette
Die Bassettklarinette ist eine Klarinette in A- oder B-Stimmung (sehr selten auch in G- oder in C-Stimmung), deren Tonumfang in die Tiefe durch ein längeres Unterstück vermehrt wurde: zunächst um den Grundton notiert c (kleine Oktave), und in der weiteren Entwicklung derart, dass Chromatik spielbar wurde, also um die Töne notiert es, d, cis, c und gelegentlich H (große Oktave)[1]. Diese Töne erzeugen einen tiefen Klang, der an den eines Bassetthorns erinnert.
Bassettklarinette en.:basset clarinet it.:clarinetto di bassetto frz.:clarinette de basset | |
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Klassifikation | Holzblasinstrument, Klarinettenfamilie |
Tonumfang |
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Erfinder | Theodor Lotz und andere |
Entstehungszeit | ab 1770 |
Verwandte Instrumente | Klarinette, Altklarinette, Bassetthorn, Klarinette d`Amore |
Musiker | Sabine Meyer, Charles Neidich, Vlad Weverbergh, Sharon Kam, Martin Fröst, Shirley Brill |
Hersteller | Schwenk & Seggelke, Herbert Wurlitzer, Leitner & Kraus, Buffet Crampon, Selmer Company, Stephen Fox, Backun Musical Services |
Weitere Bilder | Commons: Bassettklarinette – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien |
Historie
Die frühesten erhaltenen Instrumente in Pariser und Londoner Museen datieren ab 1770. Die Bassettklarinette wurde, wie auch das Bassetthorn, zeitnah mehrfach erfunden, jedoch in unterschiedlichen Bauformen, in unterschiedlichen Stimmungen und unterschiedlichen Instrumentenbezeichnungen (z. B. Inventionsklarinette, Bass-Klarinette, Clarinet d’amour). Das von Anton Stadler verwendete Instrument wurde ca. 1788 von dem Wiener k. u. k. Hofinstrumentenmacher Theodor Lotz erfunden und gebaut. Trotz der Namensähnlichkeit ist die Bassettklarinette von der eine Oktav tieferen Bassklarinette, die 1838 vom Saxophon-Erfinder Adolphe Sax entwickelt wurde, und von dem in der Tonhöhe dazwischen liegenden Bassetthorn in F zu unterscheiden.
Anton Stadler spielte eine Bassettklarinette in A erstmals bei der Uraufführung von Mozarts Klarinettenquintett KV 581 am 22. Dezember 1789 in Wien und danach auch 1791 in Prag bei Mozarts Klarinettenkonzert KV 622. Ein in B gestimmtes Instrument mit diatonischen Bassetttönen erklang erstmals in Wien am 20. Februar 1788. Die damals neuartige, bis auf die rechtwinklig abgeknickte kugelförmige Stürze (Liebesfuß) und die leicht gebogene Birne, gestreckte Wiener Bauform des Instruments (siehe Skizze auf der Concert-Anzeige) hatte ihren Vorläufer im bereits zuvor von Theodor Lotz für Anton Stadler entwickelten Bassetthorn. Lotz’ Erfindung gehört in die Reihe typischer experimenteller Instrumentenschöpfungen des 18. und 19. Jahrhunderts.
Nach dem Tode Mozarts wurde es sehr ruhig um dieses Instrument, es ging gewissermaßen verloren (s. u. das Video "Mozart’s lost Clarinet"). Von Mozart bis zur Gegenwart gibt es kaum mehr als 60 Kompositionen für dieses Instrument.[2]
Gleichwohl hat die Bassettklarinette wieder an Bedeutung gewonnen, seit die weltberühmte Klarinettistin Sabine Meyer sich 1984 von Herbert Wurlitzer eine moderne Bassettklarinette in A anfertigen ließ, um seitdem vorwiegend auf diesem Instrument das Klarinettenquintett und das Klarinettenkonzert von Mozart in rekonstruierten Fassungen mit wieder tiefer gesetzten Passagen zu spielen und dann später andere bekannte Soloklarinettisten folgten, z. B. Alessandro Carbonare, Martin Fröst, Sharon Kam, David Shifrin, Kari Kriikku, Colin Lawson und Antony Pay. Der amerikanische Klarinettist Charles Neidich, der italienische Luca Lucchetta, der niederländische Vlad Weverbergh und der schwedische Stefan Harg, alle der historischen Aufführungsweise verpflichtet, spielen Mozart auf Nachbauten der Bassettklarinette von Stadler. Auch bei Aufführungen von Mozarts Oper La clemenza di Tito wird in der Arie des Sesto "Parto, ma tu ben mio" (Nr. 9) wieder zunehmend die vorgeschriebene solistisch hervortretende Bassettklarinette in B statt einer normalen Klarinette eingesetzt, desgleichen bei konzertanten Aufführungen dieser Arie, so bei den Aufführungen der Oper 2017 in Salzburg und 2018 in Amsterdam mit dem Klarinettisten Florian Schüle auf der Bühne. Seltener wird dieses Instrument im Jazz und in der Klezmer-Musik verwendet. So spielt der deutsche Jazzklarinettist Theo Jörgensmann auf einer B-Bassettklarinette von Harald Hüyng. Seit 2020 existiert auch eine Klarinette d’Amore in G, eine Art Bassettklarinette (oben rechts abgebildet) mit Liebesfuß, wofür der australische Klarinettist Richard Haynes neue Kompositionen schreiben lässt.[3]
Bauweise
Die Bauweise einer modernen Bassettklarinette kann komplett gestreckt (gerade) sein, wie eine normale Klarinette, siehe die Fotos rechts unten. Vom Klang her vorteilhafter ist jedoch ein Becher, der über ein abgewinkeltes Zwischenstück leicht nach oben und nach vorne ausgerichtet ist, siehe Foto rechts oben in der Infobox. Charles Neidich hat sich von Schwenk & Seggelke eine Bassettklarinette mit moderner frz. Mechanik bauen lassen, die, wie die Stadler-Klarinette, über eine abgewinkelte Birne und als Schalltrichter einen Liebesfuß verfügt, den er aus Gründen der Gewichtsverteilung nach hinten ausrichtet, obwohl für das Publikum eine Ausrichtung nach vorne besser wäre, wie z. B. beim Bassetthorn und der Bassklarinette.
Griffweise der Bassetttöne
Die speziellen Bassetttöne tief c bis es (kleine Oktav) werden bei historischen Instrumenten und denen des deutschen Griffsystems mit dem rechten Daumen gegriffen, desgleichen bei den von einigen deutschen Manufakturen (z. B. Herbert Wurlitzer und Leitner & Kraus) hergestellten Instrumenten des französischen Systems. Hingegen sind die Bassettklarinetten des französischen Systems anderer Hersteller (z. B. Buffet Crampon, Frankreich und Backun, Kanada) mit je zwei zusätzlichen Klappen für die beiden kleinen Finger ausgestattet. Der deutsche Hersteller Schwenk & Seggelke bietet beim französischen System wahlweise die Daumen-Griffweise und eine Kombination beider Griffweisen an, indem er cis und c mit dem rechten Daumen und es und d – redundant – sowohl mit dem rechten wie dem linken kleinen Finger drücken lässt, sh. Dreifachfoto links. Bei Instrumenten des kanadischen Herstellers Stephen Fox wird d mit dem linken kleinen Finger und, falls vorhanden, das tiefe H (große Oktave) mit dem rechten kleinen Finger gegriffen, während alle anderen Bassetttöne mit dem rechten Daumen gedrückt werden.[4]
Klang und Tonumfang
Im Vergleich zur normalen B- oder A-Klarinette sind der Klang und das Piano einer Bassettklarinette außergewöhnlich schön, was schon zeitgenössische Zuhörer bei Anton Stadlers Spiel bewunderten. Der Klang ist leicht gedeckter, die hohe Lage weniger grell und das Chalumeau-Register von c' (eingestrichene Oktave) abwärts bis e, dem tiefsten Ton der normalen Klarinette, offener und voller. Die Erweiterung des Tonumfangs nach unten verhalf diesem Klarinettentyp zu seinem Namen. Der Tonumfang reicht notiert vom kleinen c bis zu d'''' (viergestrichene Oktave), klingend bei der Stimmung in A bzw. B vom großen A bis h''' bzw. vom großen B bis c'''', umfasst also vier Oktaven plus einen Ton.
Kompositionen
Von Mozart bis zur Gegenwart gibt es kaum mehr als 60 Kompositionen für dieses Instrument.[5] Die bedeutsamsten sind die bereits erwähnten Kompositionen:
- W. A. Mozart: Quintett für Bassettklarinette, 2 Violinen, Viola und Cello in A-Dur, KV 581
- W. A. Mozart: Konzert für Bassettklarinette und Orchester in A-Dur, KV 622
- W. A. Mozart: Oper La Clemenzia di Tito, Nr. 9, Arie des Sesto “Parto, parto, ma tu ben mio”, für Mezzosopran, Bassettklarinette in B und Orchester.
Die weiteren Kompositionen sind fast alle nach 1950 entstanden. Dabei handelt es sich um
- Konzerte mit Solo-Bassettklarinette u. a. von en:Joan Tower (*1938 USA), Manfred Trojahn (*1949 Deutschland), Helmut Eisel (*1955 Deutschland),
- Stücke für Bassettklarinette Solo, u. a. von Michiko Kawagoe (Japan), Aribert Reimann (*1936 Deutschland), Ondreij Sarek (Tschechien), Christopher M. Wicks (*1975, USA),
- Duos mit Bassettklarinette, u. a. von Harrison Birtwistle (*1934 England), Istvan Bozicevik (Kroatien) Erika Fox (*1936 Österreich/GB), Patrick Nunn (*1969 GB), Meinrad Schmitt (*1935, Deutschland), William Sweeney (*1950 GB)
- Trios mit Bassettklarinette, u. a. von François Devienne (1759–1803 Frankreich), Helmut Eisel (*1955 Deutschland),
- Quintette mit Bassettklarinette, uj. a. von Harrison Birtwistle (*1934 GB), Antonín Dvořák (1841–1904 Österreich/Ungarn),
- Größere Kammermusikbesetzungen mit Bassettklarinette, u. a. von Klaus Huber (*1924 Bern)
- Orchestermusik und Opern mit Bassettklarinette, u. a. von Thomas Adés (*1971 GB), W. A. Mozart (1756–1791), Oper „Cosi fan tutte“ Arie des Ferrando (Nr. 24) „Ah! Io veggio“ und Ferdinando Paer (1771–1839 Italien), Oper „Sargino“ (1803), Arie „Una voca al cor mi parla“.
Literatur
- Thomas Graß, Dietrich Demus: Von Vincent Springer zu Jiri Kratochvil. Mitteilungen zu Anton Stadlers Inventions-Clarinetten und seinem Bassetthorn. In: rohrblatt. Nr. 1/2006, Musikverlag Müller & Gössl, Frechen, S. 12–18.
- Thomas Grass, Dietrich Demus: Die Bassettklarinette. In: Das Bassetthorn. Seine Entwicklung und seine Musik. 2. Auflage. Books on Demand, 2004, ISBN 3-8311-4411-7, S. 83–86.
- Colin Lawson: Mozart: Clarinet Concerto. Cambridge University Press, 1996, ISBN 0-521-47929-0.
- Colin Lawson: The basset clarinet revived. In: Early Music, November 1987, S. 487–501.
Weblinks
- Video: Moderne Bassettklarinette (Buffet/Fox), Klangbeispiele aus dem Allegro und dem Adagio des Mozartkonzerts (2:06 Min.)
- Video: Moderne Bassettklarinette (Backun), Klangbeispiel aus dem Adagio des Mozartkonzerts (53 Sek.).
- Video: Mozart’s lost Clarinet (58 Min.)
Einzelnachweise
- digitale und US-amerikanische Notation: B2
- Musik-Katalog für Bassetthorn und Bassettklarinette von T. Graß und D. Demus, Stand 17. März 2017, S. 170 bis 176
- Tonträger (CD) Ghosts of Motion, Cubus Records CR374.
- Basset clarinet, basset lower joint and conversion (englisch) Stephen Fox. Abgerufen am 19. Juli 2019.
- Musik-Katalog für Bassetthorn und Bassettklarinette von T. Graß und D. Demus, Stand 17. März 2017, S. 170 bis 176