Baseldeutsch
Baseldeutsch (auch Baaseldytsch, Baseldytsch, Baseldütsch) ist der Dialekt der Schweizer Stadt Basel und Umgebung. Es ist der einzige deutschschweizerische Dialekt, der dem Niederalemannischen zugeordnet werden kann oder doch zumindest in seiner klassischen Form eine Reihe von Besonderheiten hat, die auch das Niederalemannische hat und die vom Hochalemannischen abweichen.
Baseldeutsch | ||
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Gesprochen in |
Schweiz (Basel) | |
Linguistische Klassifikation |
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Offizieller Status | ||
Amtssprache in | — | |
Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
— | |
ISO 639-2 |
gsw (Schweizerdeutsch) | |
ISO 639-3 |
gsw (Schweizerdeutsch) |
Typische Merkmale des traditionellen Stadt-Baseldeutsch
- Vokaldehnung in offener Silbe, d. h. vor einfachem Konsonanten ([ba:səl]; sonst hochalemannisch verbreitet [basəl])
- Kürzung von historischem Langvokal vor Fortiskonsonant unter Beibehaltung von dessen geschlossener Qualität, z. B. Lyt, dytsch, bysse, schlyffe (‚Leute, deutsch, beissen, schleifen‘) mit kurzem /i/ ([lit], [ditʃ], [bisːə], [ʃlifːə]).
- Entrundung von mittelhochdeutsch = hochalemannisch /y/ und /ø/ (scheen [ʃeːn], sonst hochalemannisch schöön [ʃøːn ʃœːn] ‚schön‘; grien [gʁiən], sonst hochalemannisch grüen [gryən] ‚grün‘); daher wird es auch Baaseldytsch genannt im Unterschied zum modernen Baaseldütsch
- langes /u:/ wird zentralisiert artikuliert ([ʉ:mə] ‚herum‘)
- unverschobenes aspiriertes [kʰ] ([kʰind] ‚Kind‘; sonst hochalemannisch: [xind], sprich «chind»), auch aspirierte [tʰ, pʰ] sind etwas verbreiteter als in anderen Mundarten
- Lenisierung: Verschlusslaute im Wortanlaut werden meist lenisiert (also als stimmloses, kurzes [d]): Dyybli [ˈdiːblɪ] ‚Täubchen‘ (wie auch in gewissen anderen hoch- und niederalemannischen Dialekten)
- /r/ wird in den meisten Stellungen nicht als «Zäpfchen-r», sondern als [χ] = ch ausgesprochen ([ʋæːχ] ‚wer‘)
- das Suffix -lich wird als -lig realisiert (meeglig [ˈmeːglɪg] ‚möglich‘; sonst hochalemannisch: mögli [ˈmøglɪ], möglech [ˈmœgləx])
- das Suffix der Zahlwörter von 20 bis 90 wird wie in der Schriftsprache realisiert ([ˈdʁisːɪg] 30, [ˈfuftsɪg] 50; sonst im Hochalemannischen (ausgenommen Bündner und z. T. St. Galler Rheintal) driisg [ˈdriːsːg], füftsg [fʏftsg])
- Das Zahlwort 1000 wird mit Diphthong ausgesprochen ([ˈdausɪg]; sonst [ˈtuːsɪg ˈduːsɪg]).
Sprachgebrauch des traditionellen Stadt-Baseldeutsch
Das alte Stadt-Baseldeutsch (Baaseldytsch) mit all seinen charakteristischen Merkmalen und Unterschieden zum heutigen Alltags-Baseldeutsch wird heute nur noch von einem kleinen, meist älteren Teil der Basler Bevölkerung gesprochen; jedoch sind praktisch alle Baslerinnen und Basler sehr wohl in der Lage, das alte Baseldeutsch zu verstehen oder gar nachzuahmen.
Allerdings war der Sprachgebrauch schon immer auch abhängig von der sozialen Schicht. Das, was heute als «altes, korrektes» Baseldeutsch gehandelt wird, entspricht dem Dialekt, wie er um das Ende des 19. Jahrhunderts in den gehobeneren Kreisen (dem Daig) gesprochen wurde. In den sozial niedrigeren Kreisen (z. B. «Rheingasse») wurde es nie in dieser Form gesprochen.
Das heutige Baseldeutsch
Heute dominiert das Alltags-Baseldeutsch, welches nicht nur die Stadt, sondern auch die nähere Umgebung umfasst. Das Alltags-Baseldeutsch ist das Produkt einer anhaltenden Annäherung zwischen dem traditionellen Stadt-Baseldeutsch und den baseldeutschen Dialekten im Baselbiet, Fricktal, Laufental und Schwarzbubenland, was auf die massive Zuwanderung Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgeht. Die Anpassung ist gegenseitig: Während in der Stadt die Entrundung (ee [eː] für öö [øː], è [ɛ] für ö̀ [œ], yy [iː] für üü [yː], ì [ɪ] für ü [ʏ], ei [ei] für öi [øi]) in den meisten Fällen aus der Alltagssprache verschwunden ist, breiten sich typische Stadt-Baseldeutsche Merkmale wie das dominante «Zäpfchen-r» über die Stadtgrenzen in die Agglomeration aus. Das heutige Baseldeutsch (Baaseldütsch) steht dem Hochalemannischen näher als das ältere Baseldeutsch (Baaseldytsch). Dennoch haben sich einzelne typische Merkmale der Stadtsprache wie entrundetes ie [iə] für üe [yə] und anlautendes [k] bzw. [g] für hochalemannisches ch [χ] bis heute im baselstädtischen Dialekt erhalten. Die Dialekte im Baselbiet, Fricktal, Laufental und Schwarzbubenland gehören hingegen seit jeher zum Hochalemannischen.
Unterschiede Alltags- / älteres Baseldeutsch
Das heutige Alltags-Baseldeutsch unterscheidet sich im Wesentlichen wie folgt vom traditionellen Stadt-Baseldeutsch:
- Praktisch verschwunden ist die Entrundung, es gilt heute ö für e, ü statt i und öi für ei. Beispiele: «dürftig» statt «dirftig», «Wenni frooge dörft» anstatt «Wenni frooge derft», «Füür» [yː] (Feuer) statt «Fyyr» [iː]; «nöi» [œi] (neu) statt «nei» [ei]; daher heisst es heute Baaseldütsch im Gegensatz zum traditionellen Baaseldytsch. Nach wie vor weniger rückgerundet wird ie [iə], zum Beispiel «miese», seltener «müese» [yə] (müssen).
- Fortis k [k] oder ch [x] ersetzt die Lenis g im Anlaut, zum Beispiel «e klaineri Sach» oder «e chlaineri Sach» im Alltags-Baseldeutschen, «e glaineri Sach» im traditionellen Stadt-Baseldeutschen.
- r wird nicht mehr als ch [x] gesprochen, beispielsweise Alltags-Baseldütsch: «Bilder» [ʀ]; traditionelles Stadt-Baseldeutsch: «Bildch»
- Integration von ursprünglich Baseldeutsch-fremden Wörtern wie etwa «Grüezi» in Form von «Griezi» [gʀiətsɪ].
Wird das traditionelle Stadt-Baseldeutsch verdrängt?
Von einem Verschwinden des traditionellen Stadt-Baseldeutschen kann trotz der Entwicklungen nicht die Rede sein. Baslerinnen und Basler gehen selbstbewusst mit ihrer Sprache um. So ist die schriftliche Form des traditionellen Stadt-Baseldeutsch praktisch an jedem Ort der Stadt anzutreffen: Auf Speisekarten, Werbetafeln oder in Zeitungen. Es existieren auch ein Baseldeutsch-Wörterbuch und eine Grammatik. Eine besondere Bedeutung hat das traditionelle Stadt-Baseldeutsch in der Basler Fasnacht, wo darauf geachtet wird, möglichst nicht vom «reinen» Baseldeutsch abzuweichen.
Das Alltagsbaseldeutsch bildet die mündliche Umgangssprache und wird beinahe ausschliesslich auch im lokalen Fernsehen und den Radiostationen verwendet.
Die Basler Interessengemeinschaft Dialekt (IG Dialekt)
Zu Empörung bei Teilen der Öffentlichkeit hat 2008 die Ankündigung des Erziehungsdepartementes geführt, dass im Vorschulbereich Kindergärtnerinnen bis auf sogenannte «Dialektfenster» nur noch Standarddeutsch verwenden dürfen. Die Umsetzung der Anordnung wurde zurückgenommen. In der Folge bildete sich eine «Basler Interessengemeinschaft Dialekt» (IG Dialekt), der u. a. Dialektdichter Carl Miville und Rudolf Suter, Autor der Baseldeutsch-Standardwerke, angehören. Im Vorstand der IG Dialekt sind Personen aus sämtlichen Parteien vertreten. Ziele der Interessengemeinschaft sind: Dialekt als Umgangssprache im Kindergarten (mit 20 Prozent Hochdeutschfenster); Standarddeutsch als Unterrichtssprache an der Schule und Dialekt als Umgangssprache ausserhalb des Unterrichts.
Die IG Dialekt lancierte eine stadtbaslerische Volksinitiative, die verlangt: «Die Unterrichtssprache in den ersten beiden Jahren nach der Einschulung (Kindergartenstufe) ist Dialekt. Hochdeutsch wird in definierten Sequenzen gefördert.» Innert weniger Wochen wurden über 5000 Unterschriften gesammelt. Nötig wären 3000 in einer Sammelfrist von anderthalb Jahren.
Trotz der hängigen Initiative wurde auf das Schuljahr 2009/2010 für den Kindergarten die Regelung erlassen, dass von der Kindergärtnerinnen und Kindergärtnern mindestens 50 Prozent Standarddeutsch verwendet werden muss. Zuvor wurde – mit Ausnahme der sogenannten Versuchskindergärten – Mundart als Unterrichtssprache verwendet.
Über die Initiative wurde am 15. Mai 2011 abgestimmt, wobei die Regierung einen Gegenvorschlag zur Initiative vorlegte. Die Initiative wurde mit 55,11 % Ja-Stimmen angenommen, der Gegenvorschlag mit 51,86 % Ja-Stimmen. Da in der Stichfrage 222 Stimmen mehr auf den Gegenvorschlag als auf die Initiative entfielen, wurde somit der Gegenvorschlag angenommen.[1]
Ähnliche Volksinitiativen gab es etwa in den Kantonen Zürich und Luzern.
Baseldeutsch im Schweizer Film
Im vor allem in Zürich produzierten Schweizer Dialektfilm diente Baseldeutsch lange zur Markierung des Bösewichts. Dieser Stereotyp ist schon im ältesten erhaltenen Dialektfilm Jä-soo! aus dem Jahr 1935 ersichtlich und kommt darauf in den Missbrauchten Liebesbriefen (1940), dem im Zuge der Geistigen Landesverteidigung entstandenen Landammann Stauffacher (1941), der Gotthelf-Verfilmung Uli der Pächter (1955) und dem in der Stadt Zürich spielenden Bäckerei Zürrer (1957) zum Tragen. Über Dokumentarfilme und Dani Levys «Peperoni» in der Fernsehserie Motel aus den 1980ern konnte sich der Basler Dialekt filmisch rehabilitieren.[2]
Literatur
Wörterbücher
- Christoph Merian Stiftung (Hrsg.): Neues Baseldeutsch-Wörterbuch. Christoph Merian Verlag, Basel 2010, ISBN 978-3-85616-502-4.
- Rudolf Suter: Baseldeutsch-Wörterbuch. 3. Auflage. Christoph Merian Verlag, Basel 2006 (Grammatiken und Wörterbücher zum Schweizerdeutschen V), ISBN 978-3-85616-305-1.
- Fridolin [= Robert B. Christ]. E Baseldytsch-Sammlig. Ygruumt in zwelf Fächli und in e Vytryne. Mit Helge vom Ferdi Afflerbach. Birkhäuser, 4. Auflage Basel 1976 (Grammatiken und Wörterbücher zum Schweizerdeutschen V).
- Gustav Adolf Seiler: Die Basler Mundart. Ein grammatisch-lexikographischer Beitrag zum schweizerdeutschen Idiotikon, zugleich ein Wörterbuch für Schule und Haus. Detloff, Basel 1879; unveränderter Nachdruck: Sändig Reprint, Wiesbaden 1970.
- Johann Jacob Spreng: Idioticon Rauracum oder Baselisches Wörterbuch. Manuskript um 1760. Hrsg. von Heinrich Löffler unter dem Titel Idioticon Rauracum oder Baseldeutsches Wörterbuch von 1768. Edition der Handschrift AA I 3 der Universitätsbibliothek Basel. Schwabe, Basel 2014.
Grammatiken
- Rudolf Suter: Baseldeutsch-Grammatik. 3. Auflage. Christoph Merian Verlag, Basel 1992 (Grammatiken und Wörterbücher zum Schweizerdeutschen VI), ISBN 3-85616-048-5.
- Herbert Pilch: Baseldeutsche Phonologie. Auf Grundlage der Intonation. In: Phonetica 34 (1977), S. 165–190.
- Eduard Hoffmann: Der mundartliche Vokalismus von Basel-Stadt in seinen Grundzügen dargestellt. Adolf Geering’s, Basel 1890.
- Andreas Heusler: Der alemannische Consonantismus in der Mundart von Baselstadt. Dissertation Basel. Karl J. Trübner, Strassburg 1888.
- Gustav Binz: Zur Syntax der baselstädtischen Mundart. Inaugural-Dissertation Basel. Kröner, Stuttgart 1888.
Geschichte und Entwicklung
- Ernst Erhard Müller: Die Basler Mundart im ausgehenden Mittelalter. Francke, Bern 1953 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 14).
- Adolf Socin: Zur Geschichte der Basler Mundart. In: Franz August Stocker: Vom Jura zum Schwarzwald. Geschichte, Sage, Land und Leute. Aarau 1888, S. 81–95.
- Wilhelm Bruckner: Veränderungen im Wortschatz der Basler Mundart. In: Teuthonista 8 (1931/1932), S. 170–197.
- Albert Gessler: Beiträge zur Geschichte der Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache in Basel. Inaugural-Dissertation Basel. Frehner & Rudin, Basel 1888.
- Rudolf Suter: Die baseldeutsche Dichtung vor J. P. Hebel. Basler Mundart und Mundartforschung im 17. und 18. Jahrhundert. Dissertation Basel. Vineta, Basel 1949.
- Eduard Hoffmann-Krayer: Werden und Wandeln der Basler Mundart. In: Sonntagsblatt der «Basler Nachrichten», 15. Jahrgang, Juni/Juli 1921, Nummer 25, 26, 27. Auch als durchpaginierter Separatabzug gedruckt.
- Wilhelm Altwegg: Baseldytsch. In: Basel, ein Stadtbuch. Basel [1932].
- Robert B. Christ: U und Non-U in Basel. Standesunterschiede in der Basler Mundart. In: Sprachspiegel 19 (1963), S. 129–135 (Digitalisat).
- Lorenz Hofer: Sprachwandel im städtischen Dialektrepertoire. Eine variationslinguistische Untersuchung am Beispiel des Baseldeutschen. Francke, Basel/Tübingen 1997 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 72).
- Beatrice Bürki: Sprachvariation in einem Grossbetrieb. Eine individuenzentrierte Analyse anhand sprachlicher Tagesläufe. Francke, Basel/Tübingen 1999 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 73).
- Petra Leuenberger: Ortsloyalität als verhaltens- und sprachsteuernder Faktor. Eine empirische Untersuchung. Francke, Basel/Tübingen 2000 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 74).
- Lorenz Hofer, mit Beiträgen von Annelies Häcki Buhofer und Heinrich Löffler: Zur Dynamik urbanen Sprechens. Studien zu Spracheinstellungen und Dialektvariation im Stadtraum. Francke, Basel/Tübingen 2002 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 71).
Baseldeutsch im alemannischen Zusammenhang
- Schweizerisches Idiotikon, Bände I ff. Huber, Frauenfeld 1881–2012 bzw. Schwabe, Basel 2014 ff.
- Sprachatlas der deutschen Schweiz, Bände I–VIII. Francke, Bern, später Basel 1962–1997.
- Rudolf Hotzenköcherle: Der Nordwesten. In: Rudolf Hotzenköcherle: Die Sprachlandschaften der deutschen Schweiz. Hrsg. von Niklaus Bigler und Robert Schläpfer unter Mitarbeit von Rolf Börlin. Aarau / Frankfurt a. M. / Salzburg 1984 (Reihe Sprachlandschaft 1), S. 71–77.
Belletristik (Anthologie)
- Rudolf Suter (Hrsg.): Uff baaseldytsch. 100 baaseldytschi Täggscht us 200 Joor. Friedrich Reinhardt, Basel 1988.
Einzelnachweise
- Dialekt-Initiative knapp abgelehnt - Ja zu Gegenvorschlag. 15. Mai 2011, abgerufen am 5. Mai 2019.
- aeppli.ch (PDF; 24 kB): Felix Aeppli: Vorsicht Baseldeutsch! Zur Funktion des Dialekts im Schweizer Film. Aus Zürcher Filmrollen (hrsg. von der Zürcher Kantonalbank), Zürich 2005.