Auszug nach Hannoversch Münden
Der Auszug der Göttinger Studentenschaft nach Hann. Münden 1806 war der erste Auszug an der Georg-August-Universität Göttingen im 19. Jahrhundert.
Vorgeschichte
Nach dem erfolgreichen ersten Auszug der Göttinger Studenten zum Kerstlingeröder Feld 1790 und dem erfolgreichen Auszug der Jenenser Studentenschaft 1792 nach Nohra bei Weimar war der Auszug aus einer Universitätsstadt als probates Kampfmittel der Studentenschaft zur Legende geworden. Bereits 1802 hatte es in Göttingen Studentenunruhen gegeben, bei denen ein erneuter Auszug geplant war; sie wurden mit Hilfe des Militärs beendet. Das Kurfürstentum Hannover und damit auch seine Universität Göttingen war zu der Zeit bis zum Frieden von Amiens preußisch, seit der Konvention von Artlenburg französisch besetzt. Mit dem Vertrag von Paris am 15. Februar 1806 folgte eine erneute Besetzung durch Preußen.
Ablauf
An einem der Weihnachtsfeiertage des Jahres 1805 brachen bei einer Feier von Göttinger Bürgern und Studenten auf Ulrichs Garten Streitigkeiten zwischen Bürgern und Studenten aus, nachdem sich Billard spielende Studenten durch einen Pfeife rauchenden Fleischer gestört fühlten und seine Porzellanpfeife zerstört hatten. Es kam zu einer größeren tätlichen Auseinandersetzung, die durch den Einsatz akademischer Jäger und Pedelle noch eskalierte. Daraufhin beschlossen die landsmannschaftlich organisierten Studenten den Auszug nach Hann. Münden, der vom 5. bis 12. Januar 1806, allerdings ohne die Landsmannschaft der Kurländer, stattfand. Zeitgenössische Quellen berichten, das 300–400 Studenten nach Hann. Münden in militärischer Ordnung zogen. Die Universität und die Regierung in Hannover gingen auf die Forderungen der Studenten nach Satisfaktion und Bestrafung der Bürger und akademischen Jäger nicht ein und setzten die Studierenden ihrerseits bei Zusage einer Amnestie, von der die drei Hauptanführer ausgenommen waren, unter Druck, nach Göttingen zurückzukehren. Der Auszug nach Hann. Münden blieb daher für seine Initiatoren erfolglos.
Als Anführer wurden seitens der Universität Göttingen und des von der Regierung in Hannover nach Göttingen entsandten Kommissars Oberappellationsgerichtsrat Carl Graf von Hardenberg[1] einmal der Senior der Vandalen Louis Spangenberg[2] ermittelt. Er legte 1806 in Rostock eine gedruckte Rechtfertigungsschrift wegen des Auszugs und der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen seitens Universität und Regierung vor[3] und war einer der Söhne des bereits 1794 verstorbenen Rostocker Hochschullehrers Peter Ludolph Spangenberg und Enkel des vormaligen langjährigen Göttinger Bürgermeisters Ernst August Spangenberg. Hinzu kam der Student Alexander Wolf aus Hildesheim, der ebenfalls mit Spangenberg aus Göttingen flüchtete. Beide wurden in Abwesenheit im Februar 1806 relegiert.
Als weiterer Anführer wurde der Schweizer Siegmund Ferdinand Keller,[4] benannt. Er war der einzige der drei Anführer, der sich nicht durch Flucht entzog, sondern vielmehr den akademischen Behörden in Göttingen stellte. Er wurde daher alsbald aus dem Karzer entlassen und ging ebenfalls straffrei aus.[5]
Das Hamburger Wochenblatt Nordische Miszellen berichtete ausführlich und kritisch über die Vorgänge in Göttingen wie auch andere deutsche und Schweizer Periodika.
Bekannte Teilnehmer
Hannoversche Landsmannschaft
- Julius Albert, imm. 1. Mai 1803 bis Ostern 1806
- Ernst von Bodenhausen, imm. 22. Oktober 1802 bis Ostern 1806
- Wilhelm von Hodenberg, imm. 24. Oktober 1804 bis Ostern 1808[6]
- Friedrich Leopold Hornbostel
- Franz von Borries, imm. 20. Oktober 1805 ex ac. Erlangen bis Ostern 1806
- Georg Ernst Adolf von Hake, imm. 24. Oktober 1805
- Friedrich Konrad Griepenkerl, imm. 25. Oktober 1805 bis Ostern 1808
Weitere Auszüge in Göttingen
- Gendarmen-Affäre, 1809
- Auszug nach Witzenhausen, 1818
Literatur
- Liste der Teilnehmer am Auszug nach Hann Münden, SUB Göttingen. Sign.4° Heft IV 110/10
- Studenten-Lärm in Göttingen in: Nordische Miszellen vom 19. Januar 1806, Band 5, Hoffmann [in Komm.], 1806, S. 33–45 (Digitalisat)
- Nachtrag über die Studenten-Unruhen in Göttingen in: Nordische Miszellen vom 16. Februar 1806, Band 5, Hoffmann [in Komm.], 1806, S. 97–101 (Digitalisat)
- Letztes Wort über die Studenten-Unruhen in Göttingen in: Nordische Miszellen vom 23. Februar 1806, Band 5, Hoffmann [in Komm.], 1806, S. 113–118 (Digitalisat)
- Ludwig Spangenberg: Die Unruhen in Göttingen in Hauptbezug auf Ludewig Spangenberg, Stiller, Rostock 1806
- C. von Hardenberg: Nachdem sämmtliche Untersuchungsacten, über die drey Studiosos Ludwig Spangenberg aus Mecklenburg, Alexander Wolf aus Hildesheim, und Siegmund Ferdinand Keller aus Zürich ..., 1806
- Friedrich Saalfeld: Geschichte der Universität Göttingen in dem Zeitraume vom 1788 bis 1820, Verlag der Helwingschen Hofbuchhandlung, 1820, S. 36 ff. (Digitalisat)
- Brüning, Quaet-Faslem, Nicol: Geschichte des Corps Bremensia 1812–1912. Göttingen 1914, S. 21 ff. (Digitalisat)
- Otto Deneke: Franz Eichhorn der Vandale. Göttingen 1931
- Otto Deneke: Alte Göttinger Landsmannschaften – Urkunden zu ihrer frühesten Geschichte (1737–1813). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1937
- Karsten Bahnson: Akademische Auszüge aus deutschen Universitäts- und Hochschulorten, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1973
Einzelnachweise
- C. von Hardenberg: Nachdem sämmtliche Untersuchungsacten, über die drey Studiosos Ludwig Spangenberg aus Mecklenburg, Alexander Wolf aus Hildesheim, und Siegmund Ferdinand Keller aus Zürich ..., 1806
- auch: Ludwig Spangenberg (* 1784 in Rostock; † 1807 als Kandidat der Rechte in Heidelberg), vgl. Spangenberg, Ludwig in: Georg Christoph Hamberger, Johann Georg Meusel: Das gelehrte Teutschland, oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, Band 15, Meyersche Buchhandlung, 1811, S. 503 Meusel; Eintrag 1806 im Rostocker Matrikelportal: stud. jur aus Rostock, ex. ac. Göttingen und Halle; imm. Heidelberg 16. Dezember 1806 ex. ac. Göttingen, Halle und Rostock
- Ludwig Spangenberg: Die Unruhen in Göttingen in Hauptbezug auf Ludewig Spangenberg, Stiller, Rostock 1806
- „Keller B gen. Wolkenkeller“, Verzeichniß der Bürger und Niedergelassenen der Stadt Zürich: Im Jahr 1868, Schulthess, 1868, S. 140; GND=102122652
- Siegmund Ferdinand Keller war bereits 1806 als Verfasser (Vergleichung der Intestat-Erbfolge nach zürcherischem Stadt-Erbrecht mit dem Römischen Rechte.) wieder in Zürich, im Mai 1816 ist er als Kantons-Fürsprech in Zürich (Kindstaufe im Grossmünster) erwähnt und wurde im Juni 1821 zum Land- und Amtsschreiber nach Grüningen ZH gewählt (Amtszeit 1821–1853).
- sp. Mitglied des Corps Bremensia Göttingen nach Kösener Corpslisten 1960