Aurora Borealis (Schiff)
Aurora Borealis (dt. Polarlicht) ist der Name eines seit 2002 in der Planung befindlichen europäischen eisbrechenden Forschungsbohrschiffes (→ Forschungsschiff, Eisbrecher, Bohrschiff). Das Schiff, das unter der Federführung des Helmholtz-Zentrums Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung entwickelt wird, ist zum Einsatz im Arktischen Ozean vorgesehen, insbesondere auch in dessen zentralem Bereich, im Sommer für Tiefseebohrungen und im Winter für die allgemeine Polarforschung, was beides bisher nicht möglich ist. Die Verwirklichung des aufwendigen Projektes ist jedoch spätestens mit der Distanzierung des deutschen Wissenschaftsrats im Jahr 2010, der die Ziele nun mit anderen Mitteln erreichen will, unwahrscheinlich geworden.
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Konzept
Ziel des Projektes ist es, zwei bisher unzugängliche Forschungsbereiche zu erschließen:
- Die Erforschung der Sedimentschichten am Boden der Arktis gibt Aufschluss über die Klimageschichte der Region, die von besonderer Bedeutung für die Modellierung von Klimaveränderungen ist. In der Region würde ein laufender Beitrag zum Integrated Ocean Drilling Program erbracht.
- Die ganzjährige Gewinnung von Daten, die bisher praktisch nur für das Sommerhalbjahr vorliegen, verspricht Erkenntnisdurchbrüche in der Meteorologie, Biologie, Ökologie, Ozeanographie, Physik und Chemie des Polarmeeres. Auch hier sind Ergebnisse für die Klimaforschung zu erwarten, da die Polarregionen besonders früh und empfindlich auf Klimaveränderungen reagieren und hierbei auch Verstärkungsmechanismen (z. B. Veränderungen der Albedo und der thermohalinen Zirkulation) wirksam werden.
Um diese Ziele zu erreichen, soll das Schiff im Prinzip die Fähigkeiten der schweren russischen Eisbrecher der Arktika-Klasse, des im Integrated Ocean Drilling Program verwendeten US-amerikanischen Tiefseebohrschiffes JOIDES Resolution und des deutschen Polarforschungsschiffes Polarstern vereinigen und erweitern.
Technik
Das Schiff ist als schwerer Eisbrecher konzipiert, der mehrjähriges Eis bis höchstens 2,5 Meter Dicke bei einer Geschwindigkeit von 2 bis 3 Knoten brechen kann. Die hierzu erforderliche hohe Leistung wird mit drei jeweils mit 27 Megawatt angetriebenen Propellern aufgebracht. Hinter dem Mittelpropeller ist das Vollschweberuder (gemäß Eisklasse mit Eissporn an der Ruder-Headbox) angeordnet. Durch die besondere Formgebung an den Seiten des Rumpfes in Verbindung mit den leistungsstarken einziehbaren Querstrahlrudern an Bug und Heck kann das Schiff auch seitlich herandriftendes Eis brechen. Ein solch leistungsfähiges dynamisches Positioniersystem ist nötig, um das Schiff während der Bohrungen ohne fremde Hilfe gegen driftendes Eis, das seine Richtung auch mit der Windgeschwindigkeit ändert, auf Position zu halten.[1][2]
Für die geologische Forschung soll das Schiff mit einem Bohrturm ausgestattet werden, mit dessen Hilfe in einer Wassertiefe von bis zu 5.000 Metern Tiefbohrungen von bis zu 1.000 Metern in den Meeresgrund möglich sind.[3] Der Bohrstrang wird dafür in der Mitte des Schiffes durch einen sogenannten Moonpool, eine Öffnung im Schiffsrumpf, abgelassen. Über eine Seegangsfolgeeinrichtung können seegangsbedingte Bewegungen axial zum Bohrgestänge kompensiert werden.
Über einen zweiten Moonpool ist der Einsatz von autonomen (AUV) und ferngesteuerten (ROV) Unterwasserfahrzeugen möglich. Es ist Hangar- und Decksfläche für drei Hubschrauber vorhanden. Neben mehreren fest eingebauten Labors können weitere Laborcontainer verlastet werden.
Einsatzstrategie
Die Tiefseebohrungen mit dem Schiff sind nur in den Sommermonaten (Juni–September) geplant, bei den ungünstigeren Eisbedingungen im Winter wäre die Leistung der dynamischen Positionierung nicht mehr ausreichend. In der übrigen Zeit sollen atmosphärische Beobachtungen und Untersuchungen von Meeresströmungen und dem Ökosystem der Arktis durchgeführt werden. Ein Monat im Jahr ist für Wartung, Modernisierungen und Umrüstungen vorgesehen. Die Gesamtnutzungsdauer soll 35 bis 40 Jahre betragen, mit einer umfangreichen Generalüberholung in der Mitte dieses Zeitraums. Weitere Folge des ganzjährigen Einsatzes am Nordpol ist, dass der mittlere Eisbrecher Polarstern für seine verbleibende Nutzungsdauer für die ebenfalls ganzjährige Forschung in der Antarktis freigesetzt wird. Dabei wird nochmals zusätzliche wissenschaftlich nutzbare Zeit gewonnen und werden Kosten eingespart durch das Entfallen der Transfers zwischen den Polen, insbesondere bei einer anvisierten Verlegung des Stützpunkthafens nach Südafrika.
Kosten
Die Integration aller Funktionen in einem Schiff sollte auch zu einer Kostenersparnis führen gegenüber dem alternativ möglichen Einsatz eines von mehreren Eisbrechern begleiteten eisverstärkten Tiefseebohrschiffes und eines Polarforschungsschiffes. So wurden für das Integrated Ocean Drilling Program im Spätsommer 2004 in der Arktis einmalig mit enormem Aufwand 339 Meter Bohrkerne von drei Bohrstellen aus lediglich 1200 Meter Tiefe vom Lomonossow-Rücken gewonnen, was bereits umfangreiche neue Erkenntnisse brachte. Die Kosten dieser sechswöchigen Arctic Coring Expedition ACEX betrugen jedoch zehn Millionen Euro (Einsatz dreier Eisbrecher verschiedener Größe, Sovetskiy Soyuz und Oden zur Zerkleinerung der mit 0,5 Knoten driftenden 2–4 Meter dicken Eisflächen vor der bohrenden Vidar Viking, sowie zweier Eisbeobachtungs- und Versetzhubschrauber).[4] Die Baukosten der Aurora Borealis werden mit 650 bis 850 Millionen Euro veranschlagt, die jährlichen Betriebskosten mit 36 Millionen Euro.[5] Aufgrund des absehbar hohen finanziellen Aufwandes war das Schiff von Anfang an als europäisches Gemeinschaftsprojekt geplant.
Projektgeschichte
Konkrete Planungen für das 2001 am Alfred-Wegener-Institut entstandene Konzept begannen 2002. Nach Vorliegen der von der Hamburgischen Schiffbauversuchsanstalt 2004 abgeschlossenen technischen Machbarkeitsstudie begutachtete der Wissenschaftsrat 2005/06 das Projekt, das zu diesem Zeitpunkt mit Baukosten von 355 und jährlichen Betriebskosten von 17,5 Millionen Euro veranschlagt war. Er empfahl seine Fortsetzung und die sofortige Bereitstellung von beantragten 6 Millionen Euro für weitere notwendige ingenieurwissenschaftliche Arbeiten. Gleichzeitig stellte er fest, dass diese Forschungsinfrastruktur nur im europäischen Rahmen sinnvoll sei und eine entsprechende Integration des Projekts angestrebt werden müsse.[6] Das Bundesministerium für Forschung und Technologie finanzierte daraufhin von März 2007 bis Januar 2009 die entsprechenden Arbeiten. Fünfzehn institutionelle Partner aus zehn europäischen Ländern einschließlich der Arktisanlieger Norwegen und Russische Föderation schlossen sich zum bei der European Science Foundation angesiedelten European Polar Research Icebreaker Consortium ERICON zusammen, das für den Zeitraum März 2008 bis Februar 2012 von der Europäischen Kommission mit 4,5 Millionen Euro gefördert wird und die strategischen, organisatorischen, finanziellen und juristischen Fragestellungen des Projekts bearbeitet. Der Baubeginn war für 2012 geplant, zwei Jahre später sollte das Schiff in Dienst gestellt werden.[7]
Am 12. November 2010 empfahl der Wissenschaftsrat, statt der Aurora Borealis einen schweren Forschungseisbrecher mit Moonpool, jedoch ohne Bohreinrichtung, für geschätzt 450 Millionen Euro mit deutscher Finanzierung zu bauen, die vorhandenen Meeresbodenbohrgeräte für eine Bohrtiefe bis 200 Meter weiterzuentwickeln und die Dienstzeit der Polarstern möglichst mit europäischer Finanzierung so zu verlängern, dass drei bis fünf Jahre lang ein gleichzeitiger Einsatz an Nord- und Südpol möglich wird. Ein Grund hierfür war die gegenüber 2004 verdoppelte Kostenschätzung vom Dezember 2008 (650–850 Mio. € Bau, 36 Mio. € Betrieb) und die noch immer fehlende Gemeinschaftsfinanzierung. Hinzu kam die Erkenntnis, dass die wesentlichen erdgeschichtlichen Erkenntnisse für die Klimaforschung bereits mit 200-Meter-Bohrungen zu gewinnen sind, und die technische Entwicklung bei Meeresbodenbohrgeräten, die von Schiffen abgesetzt werden können.[5] Mit der 2012 in Dienst gestellten Stena Icemax (1,15 Mrd. US-$) ist außerdem ein eisverstärktes Tiefseebohrschiff auf dem Markt, das für gelegentliche tiefere Bohrungen mit Eisbrecherassistenz gechartert werden könnte.
Weblinks
- Website zum Projekt (Memento vom 20. Juli 2011 im Internet Archive)
- Wissenschaftsrat gibt grünes Licht für die „Aurora Borealis“
Einzelnachweise
- Aurora Borealis – Forschungseisbrecher der Zukunft, Welt der Physik.
- Technisches Design des Forschungsschiffes Aurora Borealis bekanntgegeben, Innovations-Report – Forum für Wissenschaft, Industrie und Wirtschaft, 11. Dezember 2008.
- Aurora Borealis: Eisbrecher, Bohrschiff und Mehrzweck-Forschungsschiff für die Polarmeere, Pressemitteilung, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 3. Dezember 2008.
- Expedition 302 – Arctic Coring Expedition (Memento vom 29. Oktober 2010 im Internet Archive), ECORD Science Operator (ESO).
- Empfehlungen zur zukünftigen Entwicklung der deutschen marinen Forschungsflotte, Wissenschaftsrat, Lübeck, 2010 (Drucksache 10330-10; PDF, 3,1 MB).
- Stellungnahme zu zwei Großgeräten der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung: Freie-Elektronen-Laser für weiche Röntgenstrahlung (BESSY FEL) und eisbrechendes Forschungsbohrschiff (AURORA BOREALIS), Wissenschaftsrat, Nürnberg, 2006 (Drucksache 7269-06; PDF, 1,2 MB).
- Eisbrecher, Bohrschiff und Mehrzweck-Forschungsschiff – Technische Details (Memento vom 1. Januar 2011 im Internet Archive), European Science Foundation, Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung.