Augendominanz
Augendominanz (Fachbegriff okulare Dominanz von lateinisch oculus „Auge“ und dominus „Herr“) bezeichnet den Umstand, dass das retinale Abbild des einen Auges eines Lebewesens gegenüber dem retinalen Abbild des anderen Auges bevorzugt wird.
Beim Binokularsehen sind die Augen räumlich unterschiedlich positioniert; dadurch unterscheiden sich ihre retinalen Abbilder; die Netzhäute werden also von unterschiedlichen Lichtstrahlen getroffen. Wenn sich die beiden retinalen Abbilder hinreichend ähnlich sind (ansonsten kommt es zur binokularen Rivalität), kombiniert das Gehirn sie miteinander zu einem einheitlichen Bild, indem die visuelle Information des nicht-dominanten Auges auf die des dominanten Auges „verschoben“ wird.[1][2] Dieser Vorgang wird Fusion genannt.[3]
Diagnose
Zur Feststellung der Augendominanz gibt es verschiedene Verfahren. Bei vielen wird die Versuchsperson darum gebeten, ein näheres (beispielsweise den eigenen Daumen bei ausgestrecktem Arm) und ein ferneres Objekt (beispielsweise ein senkrechter Strich an einer Wand) aufeinander abzustimmen (beispielsweise den Daumen so zu positionieren, dass er auf dem Strich liegt) und das nähere Objekt zu fixieren. Nun wird die Versuchsperson gebeten, die Augen abwechselnd zu schließen. Schließt sie das nicht dominante Auge, verändert sich die wahrgenommene Position der Objekte zueinander nicht, da die binokuläre Wahrnehmung ohnehin auf das dominante Auge abgestimmt ist. Schließt die Versuchsperson jedoch das dominante Auge, verändert sich die Position der Objekte zueinander, da die visuelle Information des nicht dominanten Auges nicht mehr an die des dominanten Auges angepasst werden kann.[4]
Augendominanz kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und richtet sich nicht zwangsweise danach, mit welchem Auge man besser sieht. Bei etwa zwei Dritteln der Menschen dominiert das rechte Auge.[5][6][7] Welches Auge dominiert, variiert anscheinend jedoch auch mit der Blickrichtung während des Tests;[8][9] das entscheidende Kriterium ist dabei anscheinend, auf welcher der beiden Netzhäute das Abbild des betrachteten Objekts größer ist.[10] Bei Personen mit dem Williams-Beuren-Syndrom, das durch einen Gendefekt ausgelöst wird und unter anderem zu Fehlsichtigkeit führen kann, ist anscheinend das linke Auge häufiger dominant als das rechte.[11] Möglicherweise ist auch bei Migräne-Patienten das linke Auge häufiger dominant; die experimentellen Befunde sind hier noch nicht schlüssig.[12] Bei Amblyopie, einer durch Entwicklungsstörung im Kindesalter hervorgerufenen dauerhaften Sehschwäche eines Auges, dominiert das funktionstüchtigere Auge.[13] Bei anisometropher Kurzsichtigkeit, d. h., wenn die Sehstärke der Augen sich (deutlich) unterscheidet, dominiert hingegen das kurzsichtigere Auge.[14][15]
Auswirkungen
Das dominante Auge scheint bei der visuellen Wahrnehmung eine vorherrschende Rolle einzunehmen; so ist es beispielsweise nicht nur schneller bei Suchaufgaben, sondern scheint sogar vom untergeordneten Auge gelieferte Eindrücke zu unterdrücken.[16]
Beeinträchtigungen der Sehkraft des dominanten Auges werden sehr viel deutlicher wahrgenommen als Beeinträchtigungen des untergeordneten Auges. Dies beeinflusst die Behandlungsmethoden der Kataraktchirurgie und der refraktiven Chirurgie sowie die Anpassung von Kontaktlinsen: Um befriedigende Resultate zu erzielen, muss die Sehkraft des dominanten Auges möglichst umfassend wieder hergestellt werden; Einschränkungen beim untergeordneten Auge hingegen sind eher verkraftbar.
Liegen dominantes Auge und dominante Hand auf verschiedenen Körperseiten, so spricht man von Kreuzdominanz. Studien legen nahe, dass Kreuzdominanz positive Auswirkungen auf das Zielen hat, z. B. beim Wurfscheibenschießen und beim Golf.[17]
Linksseitige und wechselseitige Augendominanz stehen gemeinsam mit Linksseitigkeit im Allgemeinen im Verdacht, Lernschwierigkeiten zu verursachen oder zu begünstigen.[18]
Bei Messungen der Blickbewegungen mit der Blickbewegungsregistrierung muss die Anlage besonders auf das dominante Auge kalibriert werden, um zuverlässige Ergebnisse zu liefern.
Ursachen
Als Ursache der Augendominanz wird wie auch bei Rechts- oder Linkshändigkeit die Dominanz einer Hirnhemisphäre angenommen. In der Entwicklungsphase des Sehsinns entstehen im visuellen Cortex, dem Gehirnareal, in dem visuelle Eindrücke verarbeitet werden, sogenannte Augendominanzsäulen (englisch ocular dominance columns, ODC). Diese säulenförmigen Verbünde von Neuronen, die sich am freigelegten Gehirn als streifenförmiges Muster ausmachen lassen, schließen sich entweder an ein Axon des rechten oder linken Auges an und erstrecken sich über mehrere Neuronenschichten. Normalerweise sind die Augendominanzsäulen etwa gleichmäßig auf beide Augen verteilt; ist jedoch während der Entwicklungsphase ein Auge funktionsuntüchtig, so wachsen nur die Säulen des anderen Auges und nehmen den visuellen Cortex für sich ein.[19] Vermutlich ist die Ausbildung der Augendominanzsäulen für die Augendominanz verantwortlich, das binokulare Sehen und die Tiefenwahrnehmung.
Quellen
- Bear, M.F.;Connors B.W.;Paradiso, M.A. (2009) „Neurowissenschaften“, 3. Auflage, Heidelberg: Spektrum (Kapitel 9 und 10)
- Goldstein, E.B. (2000). „Wahrnehmungspsychologie“ Heidelberg: Spektrum. ISBN 978-3827401892
- Herbert Kaufmann: Strabismus. 4. grundlegend überarbeitete und erweiterte Auflage, unter Mitarbeit von W. de Decker u. a., Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 2012, ISBN 3-13-129724-7
- F. Valle-Inclan et al.: A new method to assess eye dominance. In: Psicologica (2008), 29, 55–64.
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- A. Brian: Sports Vision Training: An expert guide to improving performance by training the eyes. (Memento des Originals vom 28. September 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- U. Hohl-Brunner: Buchstabensuppe und Zahlensalat. Wie die Augendominanz unser Lernen beeinflusst. VAK Verlags GmbH; Auflage 1, Sep 2003. ISBN 3935767315
- D. H. Hubel, T. N. Wiesel: Receptive fields of single neurones in the cat’s striate cortex. In: The Journal of Physiology. 1959 Oct;148:574-91. PMID 14403679