Aufrechnung
Unter Aufrechnung wird ein Rechtsinstitut verstanden, bei dem wechselseitige Forderungen zwischen zwei Rechtssubjekten miteinander verrechnet werden.
Allgemeines
Die Aufrechnung setzt voraus, dass ein Rechtssubjekt (Privathaushalt, Unternehmen, der Staat mit seinen Untergliederungen) Schuldner eines anderen Rechtssubjekts ist, das wiederum Gläubiger gegenüber diesem Rechtssubjekt aus einem anderen Schuldverhältnis ist. Es bestehen also gegenseitige Forderungen und Verbindlichkeiten. Jeder der Beteiligten müsste die eigene Schuld bezahlen und erhielte vom anderen ebenfalls eine Zahlung. Der Aufrechnung liegt deshalb der Gedanke zugrunde, dass eine an sich entbehrliche Doppelleistung durch Hin- und Herzahlen zwischen Vertragsparteien vermieden werden kann.[1] Die Aufrechnung führt zur Erfüllung von Forderungen, die denselben Rechtssubjekten gegeneinander zustehen.
Geschichte
Die Klassiker des römischen Rechts zählten die Aufrechnung (lateinisch compensatio) zunächst zum Prozessrecht. Gaius berichtete im 2. Jahrhundert in seinen Institutionen darüber, dass der Richter im Prozess die Erlaubnis besaß, Forderungen gegeneinander aufzurechnen.[2] Nach der Auffassung von Iulius Paulus verhielt sich arglistig, wer etwas forderte, was er alsbald wieder zurück zu gewähren hatte (lateinisch dolo agit, qui petit, quod redditurus est).[3] Das Hin- und Herzahlen einer Geldsumme im Zweipersonenverhältnis galt noch als Selbstverständlichkeit.[4] Erst später erlosch die Forderung entweder durch Erfüllung (lateinisch solutio), also Bewirkung der geschuldeten Leistung an den Gläubiger, aber auch durch Vereinigung von Schuld und Forderung in einer Hand (lateinisch confusio)[5] oder durch Aufrechnung.[6] Der römische Konkursverwalter besaß das Recht der Aufrechnung, das noch heute in § 94 f. InsO verankert ist.
Als Tilgungsart von gegenseitigen Schulden erschien die Aufrechnung erstmals im mittelalterlichen römischen Brachylogus (III, 18), der etwa um das Jahr 1100 erschien.[7] Es verfestigten sich später durch Glossatoren zwei Lehrmeinungen, die sich mit der Entstehung der Aufrechnung befassten. Nach Martinus Gosia (vor 1166) entstand sie kraft Gesetzes (lateinisch ipso jure compensantur; Legalaufrechnung) oder dem Azo Portius zufolge (vor 1220) durch einseitige Erklärung (lateinisch ope exceptionis compensantur, vertragliche Aufrechnung). Martinus wollte die Forderungen im Moment ihres Gegenüberstehens automatisch erlöschen lassen,[8] für Azo musste jemand die Aufrechnung erklären. Diese beiden Lehrmeinungen finden sich noch heute in den positivrechtlichen Regelungen einzelner Staaten wieder.
International
Die Aufrechnung tritt kraft Gesetzes ein in Frankreich (Art. 1290 Code civil), Italien (Art. 1242 Codice civile), Spanien (Art. 1202 Código civil) oder Österreich (§ 1438 ABGB), kraft Parteiwillen in Deutschland (§ 388 BGB) oder der Schweiz (Art. 124 OR). Die Legaldefinition des § 1438 ABGB lautet: „Wenn Forderungen gegenseitig zusammentreffen, die richtig, gleichartig, und so beschaffen sind, dass eine Sache, die dem Einen als Gläubiger gebührt, von diesem auch als Schuldner dem Andern entrichtet werden kann; so entsteht, insoweit die Forderungen sich gegen einander ausgleichen, eine gegenseitige Aufhebung der Verbindlichkeiten (Compensation), welche schon für sich die gegenseitige Zahlung bewirket.“ Nach § 1441 ABGB kann ein Schuldner „seinem Gläubiger dasjenige nicht in Aufrechnung bringen, was dieser einem Dritten und der Dritte dem Schuldner zu zahlen hat“.
Aufrechnungswirkungen können im Common Law durch ein Gerichtsurteil herbeigeführt werden oder ausnahmsweise durch die vertraglich vereinbarte Aufrechnung.[9] Beim Gerichtsprozess gibt es die Einrede der Aufrechnung (englisch set off), die zur Klageabweisung führen kann, und die Widerklage (englisch counterclaim). Die vertraglich herbeigeführte Aufrechnung (englisch contractual set off) kommt vor, wo das Recht zur Aufrechnung auf einen Vertrag zurückgeht, ohne diesen aber eine Aufrechnung nicht möglich wäre. Konnexe Forderungen, die in engem Zusammenhang miteinander stehen, können miteinander aufgerechnet werden (englisch transaction set off); ebenfalls möglich sind die Kontokorrentbeziehung (englisch current account set off) und die Aufrechnung im Konkurs (englisch retainer set off).[10]
Rechtslage in einzelnen Staaten
Literatur
- Matthias N. Kannengiesser: Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht: mit vergleichender Darstellung ausgewählter europäischer Aufrechnungsrechte. Mohr Siebeck, Tübingen 1998.
- Ingo Janert: Die Aufrechnung im internationalen Vertragsrecht. Lang, Frankfurt am Main 2002.
Einzelnachweise
- Klaus Peter Berger, Der Aufrechnungsvertrag, 1996, S. 62
- Gaius, Institutiones, 4, 61, 63
- Iulius Paulus, Digesten, 50, 17, 173
- Heinrich Dernburg, Geschichte und Theorie der Compensation, 1868, S. 15 f.
- Herennius Modestinus, Digesten, 46, 3, 75
- Digesten 16, 2
- Fridolin Eisele, Die Compensation nach römischem und gemeinem Recht, 1876, S. 391
- Glossator ad. 1.4, cod. H.t.v. ipso jure
- Matthias N. Kannengiesser, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, S. 57
- Matthias N. Kannengiesser, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, S. 58