Attentat in der Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh 2018
Bei dem Attentat in der Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania am 27. Oktober 2018 erschoss Robert Bowers elf Menschen und verletzte sechs, darunter vier Polizisten. Es war der bis dahin gravierendste einzelne antisemitische Gewaltakt in der Geschichte der Vereinigten Staaten.[1][2]
Vorgeschichte
Die schwersten antisemitisch motivierten Verbrechen in den Vereinigten Staaten vor dem Attentat von Pittsburgh waren im Jahr 1984 die Ermordung einer vierköpfigen Familie in Seattle, die der Täter für jüdisch hielt, sowie der Anschlag eines White Supremacists auf vor einem jüdischen Gemeindezentrum in Kansas City stehende Personen im Jahr 2014, bei dem drei Menschen starben.[3]
Antisemitische Übergriffe stiegen 2017 in den USA im Vergleich zum Vorjahr um 57 % an.[4][5] Das war der höchste Anstieg innerhalb eines Jahres, seit die Anti-Defamation League 1979 begonnen hatte, diese Taten gesondert zu erfassen.[5]
Attentat
Hintergrund
Die Tree-of-Life-Synagoge befindet sich in Pittsburghs jüdisch geprägtem Stadtviertel Squirrel Hill, in der Nähe der Carnegie Mellon University. Das Gotteshaus wurde 1946 erbaut; die Gemeinde gehört dem Konservativen Judentum an. Die Synagoge ist ein weitläufiges Gebäude. Seit 2010 war auch die rekonstruktionistische Dor Hadash-Gemeinde hier beheimatet,[6] und seit 2017 hielt die konservative New Light-Gemeinde ihre Gottesdienste im Untergeschoss ab.[7][8] So fanden an diesem Sabbat-Morgen drei Gottesdienste in verschiedenen Räumen statt.[3]
Tathergang
Um 9.45 Uhr vormittags Ortszeit begann ein Sabbat-Morgengottesdienst, außerdem fand eine Beschneidungszeremonie (Bris) statt.[9] Um 9.54 Uhr wurde die Polizei gerufen, weil ein um sich schießender Attentäter in die Synagoge eingedrungen sei. Bevor der 46-jährige Schütze das Feuer mit einer AR-15 und drei Glock .357-Handfeuerwaffen[10] eröffnete, soll er Zeugen zufolge „Alle Juden müssen sterben!“ geschrien haben.[11] Die tödlichen Schüsse fielen vor dem Eintreffen der Polizei.[3]
20 Minuten später wurde der Attentäter beim Verlassen des Gebäudes von einem Polizeibeamten aufgehalten. Der Attentäter schoss ihn nieder und zog sich daraufhin wieder in die Synagoge zurück, um sich vor den eintreffenden Einsatzkräften, darunter einem SWAT-Team, zu verbergen. Die beiden Polizisten, die als erste am Schauplatz des Verbrechens eintrafen, wurden vom Attentäter niedergeschossen, zwei weitere Beamte innerhalb des Gebäudes. Der Attentäter wurde während des Schusswechsels mehrmals selbst getroffen.[9] Er verbarrikadierte sich in einem Raum im dritten Stockwerk, ergab sich aber schließlich der Polizei.[3] Er wurde ins University of Pittsburgh Medical Center eingeliefert, sein Zustand war nach Behördenangaben stabil.[3]
Das Attentat wird als Hasskriminalität eingestuft.[4] Es ist der tödlichste Einzelanschlag auf Juden in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.[12]
Opfer
Bei dem Attentat starben elf Menschen und sechs wurden verletzt, darunter vier Polizisten.[13] Wie der Sprecher des University of Pittsburgh Medical Center am gleichen Tag gegenüber NBC sagte, schwebten ein 70-jähriger Synagogenbesucher und ein 55-jähriger Polizeibeamter noch in Lebensgefahr.[9]
Liste der Opfer
Das Alter der elf Todesopfer liegt zwischen 54 und 97 Jahren.[14] Sie stammen aus allen drei Gottesdienstgruppen, die sich am Morgen in der Synagoge versammelt hatten[10] und gehörten überwiegend den Minjan-Leuten der Synagoge an, die nicht nur am Schabbat kommen, sondern auch unter der Woche, um das Quorum von zehn oder mehr – im religiösen Sinne – mündigen Juden zu stellen, das Voraussetzung ist, um einen vollständigen jüdischen Gottesdienst abhalten zu können.[15]
- Joyce Fienberg, 75
- Richard Gottfried, 65
- Rose Mallinger, 97
- Jerry Rabinowitz, 66
- Cecil Rosenthal, 59
- David Rosenthal, 54, Bruder von Cecil
- Bernice Simon, 84
- Sylvan Simon, 86, Ehemann von Bernice
- Daniel Stein, 71
- Melvin Wax, 88
- Irving Younger, 69
Massenmedien veröffentlichten eine Liste der Getöteten mitsamt ihrer Biographie.[16]
Tatverdächtiger
Als Tatverdächtigen nahm die Polizei den 46-jährigen Robert Gregory Bowers aus Pittsburgh fest. Die Eltern von Bowers trennten sich, als dieser ein Jahr alt war.[17] Medienberichten zufolge beging sein Vater Randall Bowers mit 26 Jahren Suizid, nachdem er von Polizisten bei der Vergewaltigung einer 20-jährigen Frau angetroffen und wegen dieser Tat angeklagt wurde.[18] Die Mutter von Robert Bowers heiratete nach der Trennung von seinem Vater erneut, die Ehe wurde jedoch bereits nach einem Jahr wieder geschieden.[17] Bowers Mutter zog daraufhin zu ihren Eltern, die ihren Sohn auch aufzogen, nachdem sich bei seiner Mutter gesundheitliche Probleme eingestellt hatten. Robert Bowers besuchte von August 1986 bis November 1989 die Baldwin High School, welche er jedoch mit 17 Jahren ohne Abschluss verließ. Anschließend arbeitete er als Fernfahrer.[19] Nachbarn beschrieben Bowers als „Geist“, der kaum mit anderen kommuniziert habe und wenig zu Hause gewesen sei.[20]
Nach Angaben der Lokalbehörden besaß Bowers 21 Waffen, die auf seinen Namen zugelassen waren.[3]
Dem FBI zufolge soll Bowers diverse antisemitische Äußerungen in sozialen Medien getätigt haben. Besonders die Unterstützung von Flüchtlingen in den USA durch jüdische Organisationen stand im Fokus seiner Beiträge. Stunden vor dem Anschlag soll Bowers folgenden Beitrag beim Kurznachrichtendienst Gab erstellt haben: I can’t sit by and watch my people get slaughtered. Screw your optics, I’m going in („Ich kann nicht rumsitzen und zusehen, wie mein Volk abgeschlachtet wird. Scheiß aufs Image, ich gehe rein“).[21] Bowers hatte auf der Profilseite seines Gab-Benutzerkontos Juden als „Kinder des Satans“ bezeichnet und ein Foto mit der Nummer 1488 hinzugefügt, eine bei White Supremacists und Neonazis beliebte Anspielung auf die Fourteen Words von David Lane und den Hitlergruß.[13][22]
Vor dem Pittsburgher Bezirksgericht begann am 31. Oktober der Prozess. Dem Angeklagten werden 29 Straftaten auf Bundesebene, etwa das Hassverbrechen der Störung der freien Religionsausübung („obstructing the free exercise of religious beliefs“), und weitere 30 Straftaten auf Staatsebene, darunter elf Morde („criminal homicide“) und sechs gefährliche Körperverletzungen („aggravated assault“), zur Last gelegt.[23] Erwartungsgemäß plädierte der Angeklagte zunächst auf „nicht schuldig“. Ihm droht zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Todesstrafe, die nach Angaben der Anklagebehörde angestrebt wird, oder eine 535-jährige Gefängnisstrafe.[24][25]
Reaktionen und Folgen
Am Abend versammelten sich Hunderte Einwohner Pittsburghs in Squirrel Hill bei drei interreligiösen Mahnwachen, um die Toten zu betrauern und für die Verwundeten zu beten.[5]
Der Zugang zum Campus der Carnegie Mellon University wurde abgesperrt. Präsident Donald Trump sowie der demokratische Gouverneur von Pennsylvania Tom Wolf und seine Parteikollegen John Fetterman und Bill Peduto, Bürgermeister von Pittsburgh, verurteilten den Anschlag auf Twitter. Präsident Trump äußerte die Ansicht, dass der Anschlag zu vermeiden gewesen wäre, wenn die Synagoge unter bewaffnetem Polizeischutz gestanden hätte. Ein ehemaliger Präsident der betroffenen Gemeinde entgegnete darauf, das Gebäude sei zwar an den Hohen Feiertagen polizeilich geschützt, aber nicht während des restlichen Jahres.[26] Zudem wies Trump der Berichterstattung in den Medien einen Teil der Verantwortung zu und bezeichnete die Fake News Media als „den wahren Volksfeind“.[27]
Andreas Mink äußerte im Wochenmagazin tachles die Ansicht, eine von Trump und rechten Medien geschürte „sachlich völlig unbegründete Hysterie“ über den angeblich von Kriminellen und nahöstlichen Terroristen durchsetzten und mit ansteckenden Krankheiten infizierten Migrationstreck von Zentralamerika, der in den USA einfallen wolle, könne den Täter zur Tat getrieben haben.[28]
James S. Robbins vermutet hingegen in seinem Kommentar in USA Today, der mutmaßliche Täter habe Trump verachtet und nicht für einen Nationalisten, sondern einen Globalisten gehalten, der von einer „jüdischen Verschwörung“ kontrolliert werde. Wegen Trumps großzügiger Spenden an jüdische Wohlfahrtsorganisationen, seiner Auszeichnung durch den Jewish National Fund und langjährigen Beziehung zu Benjamin Netanjahu und seiner Entscheidung, die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem zu verlegen, hält Robbins es für faktenwidrig und moralisch falsch, eine Verbindung zwischen Trump und Antisemitismus herzustellen.[29]
Auf Anordnung von Präsident Trump wurden sämtliche Flaggen der USA vom 27. bis zum 31. Oktober auf halbmast gesetzt.[30] Im Kontext seines Kondolenzbesuchs in Pittsburgh kam es zu Protesten.[31]
Drei jüdische Ärzte und Pfleger retteten dem Attentäter Robert Bowers das Leben nach seiner Einlieferung ins Allegheny General Hospital, darunter der Intensivpfleger Ari Mahler, der jedoch dem Täter verschwieg, Jude zu sein. Er erklärte seinen Einsatz mit den Worten: „Der beste Weg, seine Opfer zu ehren, schien mir, ihm als Jude zu zeigen, dass er unrecht hatte“.[32]
Nach antisemitischen Schmierereien am Union Temple, einer Synagoge in Brooklyn, am 1. November wurde eine für denselben Abend vorgesehene Veranstaltung in den Gemeinderäumen mit der Komödiantin Ilana Glazer abgesagt.[33]
Weblinks
- Tree of Life * Or L'Simcha Congregation | Pittsburgh Synagogue. Abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
- What we know about the Pittsburgh shooting. In: BBC News. 28. Oktober 2018 (bbc.com [abgerufen am 28. Oktober 2018]).
Einzelnachweise
- 'Deadliest Attack on Jewish Community in U.S. History': Jewish Leaders Lament Pittsburgh Synagogue Shooting 'It is unfathomable that in the United States of America, Jews or any one else should have to live in fear of being targeted simply because of who they are and where they choose to worship,' says World Jewish Congress president Judy Maltz. Haaretz, 27. Oktober 2018.
- Das Massaker am Schabbat. Abgerufen am 12. August 2019.
- Campbell Robertson, Christopher Mele, Sabrina Tavernise: 11 Killed in Pittsburgh Synagogue Massacre; Suspect Charged With 29 Counts. In: The New York Times. 27. Oktober 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018.
- Johanna Bruckner, New York: Die Sicherheit ist brüchig geworden für Amerikas Juden. In: sueddeutsche.de. 2018, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 28. Oktober 2018]).
- Campbell Robertson, Christopher Mele, Sabrina Tavernise: 11 Killed in Pittsburgh Synagogue Massacre; Suspect Charged With 29 Counts. In: The New York Times. 27. Oktober 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018.
- Lee Chottiner: Tree of Life, Or L'Simcha vote to merge into 1 congregation. In: Pittsburgh Jewish Chronicle. 30. Juni 2010. Abgerufen am 27. Oktober 2018.
- New Light Marches Torah From Old Synagogue To New Home (video). In: CBS Pittsburgh. 13. November 2017. Abgerufen am 28. Oktober 2018.
- CNN: Pittsburgh synagogue shooting leaves 11 dead, 6 injured. 27. Oktober 2018. Abgerufen am 28. Oktober 2018.
- Kalhan Rosenblatt, Tom Winter, Jonathan Dienst: 11 dead in shooting at Pittsburgh synagogue, suspect in custody. In: NBC News. 27. Oktober 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
- Pittsburgh shooting: husband and wife and two brothers among 11 victims. In: The Guardian. 28. Oktober 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
- Schüsse auf US-Synagoge: Täter rief: „Alle Juden müssen sterben“, dann eröffnete er das Feuer, bz-berlin.de, 28. Oktober 2018
- Judy Maltz: 'Deadliest Attack on Jewish Community in U.S. History': Jewish Leaders Lament Pittsburgh Synagogue Shooting. In: Haaretz. 27. Oktober 2018 (haaretz.com [abgerufen am 31. Oktober 2018]).
- Johanna Bruckner, New York: Die Sicherheit ist brüchig geworden für Amerikas Juden. In: sueddeutsche.de. 2018, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 28. Oktober 2018]).
- Victims of Pittsburgh attack named. In: BBC News. 28. Oktober 2018 (bbc.com [abgerufen am 28. Oktober 2018]).
- Ayala Goldmann, Gesa Ederberg, Mitten ins Herz, Jüdische Allgemeine, 1. November 2018. Abgerufen am 5. November 2018.
- Pittsburgh shooting: Who are the victims? In: BBC News. 28. Oktober 2018 (bbc.com [abgerufen am 28. Oktober 2018]).
- As questions linger about Pittsburgh suspect, details emerge from his early life. The Washington Post, 2. November 2018, abgerufen am 8. Dezember 2018 (englisch).
- Man Said to Be Pittsburgh Suspect’s Father Killed Himself Amid 1979 Rape Case. The New York Times, 2. November 2018, abgerufen am 8. Dezember 2018 (englisch).
- Pittsburgh Post Gazette, 1. November 2018
- Pittsburgh Synagogue Massacre Suspect Was ‘Pretty Much a Ghost’. The New York Times, 28. Oktober 2018, abgerufen am 8. Dezember 2018 (englisch).
- Authorities name the 11 killed in the Pittsburgh synagogue shooting. Abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
- Lois Beckett: Pittsburgh shooting: suspect railed against Jews and Muslims on site used by 'alt-right'. In: The Guardian. (englisch, theguardian.com [abgerufen am 28. Oktober 2018]).
- Campbell Robertson, Christopher Mele & Sabrina Tavernise: 11 Killed in Pittsburgh Massacre; Suspect Charged With 29 Counts. New York Times Online, 27. Oktober 2018 (englisch), abgerufen am 28. Oktober 2018
- Campbell Robertson, Sabrina Tavernise & Matthew Haag: Pittsburgh Shooting Suspect to Face Court; Prosecutors Vow to Pursue Death Penalty. New York Times Online, 29. Oktober 2018 (englisch), abgerufen am 29. Oktober 2018.
- Pittsburgh synagogue shooting suspect indicted on federal hate crime charges, faces 535 years Doha Madani in: NBC News, 31. Oktober 2018 (englisch), abgerufen am 2. November 2018
- Caroline Kelly, Ray Sanchez, Liz Stark: Trump says Pittsburgh synagogue should have had armed guards. CNN, 27. Oktober 2018.
- Team Trump’s Game Plan Following Synagogue Slaughter Asawin Suebsaeng und Sam Stein, in The Daily Beast, 29. Oktober 2018.
- Andreas Mink: Schicksalswahl in Amerika, tachles, 2. November 2018
- James S. Robbins: Synagogue shooter hated Donald Trump and shows what real hatred, anti-Semitism looks like, USA Today, 29. Oktober 2018.
- President Trump orders all US flags be flown at half-staff The Jerusalem Post, 28. Oktober 2018
- Nach Attentat auf Juden Protestmarsch gegen Trumps Kondolenzbesuch in Pittsburgh, Handelsblatt 31. Oktober 2018
- Solidarität und Mitgefühl, Jüdische Allgemeine, 8. November 2018. Abgerufen am 20. November 2018.
- Ilana Glazer Event at Synagogue Is Canceled After Anti-Semitic Graffiti Is Found William K. Rashbaum und Ali Winston in: The New York Times, 2. November 2018