Atomwaffentestgelände Semipalatinsk
Das Atomwaffentestgelände Semipalatinsk (russisch Семипалатинский ядерный полигон Semipalatinski jaderny poligon, kasachisch Семей полигоны Semei poligony) ist ein ehemaliges Kernwaffentestgelände der Sowjetunion und liegt in Kasachstan.
Lage und Klima
Das Atomwaffentestgelände Semipalatinsk liegt ca. 400 km östlich der Hauptstadt Nur-Sultan (bis 2019 Astana), westsüdwestlich der Stadt Semei (russ. Semipalatinsk) in der kasachischen Steppe in 100 bis 300 m Höhe mit Gebirgszügen von bis zu 1200 m Höhe. Durch die kontinentale Lage gibt es große Differenzen zwischen Sommer- (bis 45 °C) und Wintertemperaturen (bis −50 °C) bei einem geringen Jahresniederschlag von 200 bis 300 mm.
Geschichte des Testgeländes
Während die Vereinigten Staaten vor den Abwürfen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki schon 1945 den ersten Atomwaffentest auf der Alamogordo Test Range im Bundesstaat New Mexico durchgeführt hatten, zog die Sowjetunion vier Jahre später, am 29. August 1949, mit der Explosion der RDS-1 nach. Haupttestgebiet war das Atomwaffentestgelände Semipalatinsk nahe der Stadt Kurtschatow im heutigen Kasachstan, wo sich die Verwaltung des Atomwaffentestgeländes befand. Von 1949 bis 1989 wurden hier 496 nukleare Bombentests überwiegend zu militärischen Zwecken durchgeführt.[1]
Das Testgelände in der kasachischen Steppe ca. 800 km nördlich von Almaty war nur schwer zugänglich und galt als streng geheim. Auf insgesamt ca. 18.000 km2 fanden in einer ersten Phase bis ins Jahr 1962 Explosionen in der Atmosphäre oder am Boden überwiegend im nördlichen Teil des Geländes statt, was zu einer erheblichen Strahlenbelastung der Atmosphäre führte. Ab dem Jahr 1963 wurden die Tests auf dem Gelände in Bohrlöchern und Tunneln im Balaplan-Gebiet bzw. in den Degelen-Bergen durchgeführt.
Am 29. August 1991 erfolgte die Stilllegung des Atomwaffentestgeländes Semipalatinsk, 1996 wurden die Stollen versiegelt, die jedoch durch illegale Altmetallhändler wieder aufgebrochen wurden.[2]
Mit 100 Tonnen TNT wurde am 29. Juli 2000 der letzte Tunnel auf dem Areal zum Einsturz gebracht und die frühere nukleare Nutzung des Gebiets endgültig beendet.[3][4] Im Jahr 2012 war die Sicherung aller bekannten Überreste der Atomtests beendet.[2]
Das Testgelände heute
Das ehemalige Atomwaffentestgelände ist heute noch Sperrgebiet, jedoch ist es praktisch für jedermann zugänglich. Die für die Tests von Atombomben angelegten und größtenteils auch genutzten Stollen und Tunnel sind heute verfüllt und verschlossen. 496 Atomwaffen wurden gezündet, 113 über- und 383 unterirdisch. Dies entspricht etwa der Sprengkraft von 2500 Hiroshima-Bomben.[5] Die Strahlung erreichte noch 20 Jahre nach der letzten Sprengung einen Wert, der ungefähr 400 mal höher als der empfohlene Maximalwert ist.
In den anliegenden Wohnorten leiden die meisten Bewohner an diversen Krankheiten, hauptsächlich Krebs. Da es aufwändig und teuer ist, den von den Behörden für jeden Einzelfall geforderten Nachweis zu erbringen, dass die Atomtests in ursächlichem Zusammenhang mit den Krankheiten stehen, werden die meisten Betroffenen nicht als Opfer anerkannt und leben unter ärmsten Bedingungen.[5] Die heutige Nutzung erfolgt zum Teil in Form einer extensiven Weidewirtschaft (Pferde, Ziegen). Im Südostteil des Geländes wird auch Kohle in Tagebauen abgebaut.
Aufgrund der historischen Nutzung des Geländes für Atomtests wurde am 8. September 2006 in der nahegelegenen Stadt der Vertrag von Semei geschlossen, der Zentralasien zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Der Vertrag wurde 2009 von allen fünf Unterzeichnerstaaten ratifiziert und ist somit in Kraft.
Das Forschungszentrum Jülich unterstützte das Institute for Nuclear Physics des National Nuclear Center der Republik Kasachstan beim Monitoring des Grundwassers.[6][7]
Die USA und Kasachstan vereinbarten 1997, die Brennelemente aus dem kasachischen Kernkraftwerk Aqtau in speziell entwickelten Behältern auf dem Gebiet des ehemaligen Atomwaffentestgeländes Semipalatinsk zu lagern. Im Jahr 2007 war die Überbringung nach Semipalatinsk abgeschlossen.[8]
Literatur
- Eben Harrell, David E. Hoffman: Plutonium Mountain: Inside the 17-Year Mission to Secure a Legacy of Soviet Nuclear Testing, Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School, 2013.
Weblinks
- IAEA (Internationale Atomenergieorganisation) zu Aktivitäten auf dem Testgelände: ns.iaea.org
- Kasachisches Kernforschungszentrum (National Nuclear Center), sts.nnc.kz: Aktueller Stand (russisch) und Geschichte (englisch)
- Deutschlandfunk, Das Feature, 10. September 2013, Ulla Lachauer: dradio.de: Steppenbeben - Augenzeugen der sowjetischen Atomwaffentests erzählen (12. September 2013)
Einzelnachweise
- Marcus Bensmann: Kühe am Atomsee. taz.de, 3. Dezember 2013
- Sicherung von spaltbarem Material: Geheimoperation am Plutonium-Berg. In: Neue Zürcher Zeitung, 19. August 2013.
- Augsburger Allgemeine vom 29. Juli 2010, Rubrik: Das Datum
- n-tv.de: Bilderserie: Geschichte der Atomtests, abgefragt am 2. September 2010
- extra, Das RTL-Magazin vom 26. Oktober 2009
- Grundwassermonitoring auf der Semipalatinsk Test Site STS (Memento vom 27. Juli 2012 im Internet Archive), Forschungszentrum Jülich
- Kurzbericht zum Grundwassermonitoring auf dem Atomwaffentestgelände (S. 3–6–3-8) im Jahresbericht 2006 des Geschäftsbereiches Sicherheit und Strahlenschutz (Forschungszentrum Jülich); Schwerpunkt: Degelen-Berge, Balapan-Gebiet; mit Karten, geol. Profil, chem. Analysen
- nti.org – Securing the Bomb: Securing Nuclear Warheads and Materials BN-350 Spent Fuel Security (Memento vom 8. März 2008 im Internet Archive) (englisch)