Atelier Elvira
Das Atelier Elvira, auch Hofatelier Elvira oder Salon Elvira genannt, wurde 1887 von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker als Fotostudio in München gegründet. Berühmtheit erlangte es durch die Arbeit der Gründerinnen in der Frauenbewegung. Eine Filiale bestand seit 1891 in Augsburg. Der 1898 in der Von-der-Tann-Straße 15[1] errichtete Neubau des Münchner Ateliers war ein bedeutendes Bauwerk des Jugendstils.
Geschichte
Stammhaus München
- Sophia Goudstikker (um 1894)
- Anita Augspurg (1902)
Anita Augspurg und Sophia Goudstikker, die als Paar lebten, zogen 1886 von Dresden in das liberalere München. Beide ließen sich zu Fotografinnen ausbilden und eröffneten am 13. Juli 1887 das Münchner Studio in der Von-der-Tann-Straße 15,[2] schräg gegenüber dem Prinz-Carl-Palais. Einer ihrer Schwerpunkte waren Kinderporträts, die wegen der damals langen Belichtungszeiten als schwierig galten. Auch viele Frauen – darunter namhafte Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen – ließen sich von Goudstikker porträtieren. Das Studio fand nicht nur bei wohlhabenden Bürgerinnen und Bürgern Anklang, sondern auch in adeligen Kreisen und bei gehobenen Hof- und Staatsbeamten. Mit Goudstikkers Ernennung zur Königlich Bayerischen Hofphotographin durfte das Elvira zudem die Bezeichnung Hofatelier führen.[3]
1897 entschlossen sich die Betreiberinnen zu einem Neubau, den Auftrag erhielt August Endell. In einem Brief von November 1897 schreibt er: Ich werde voraussichtlich schon nächstes Frühjahr bauen. Nur klein, aber alles, die gesamte Innendekoration, Türen, Fensterfriese, Kapitelle, Simse, gemalte Ornamente, Treppengeländer, Gitter, schmiedeeiserne Türen... Die Genehmigung lag im April 1898 vor, nicht ohne die bissige Bemerkung eines Beamten, die Entwürfe des Autodidakten Endell wären ein „Hohn auf die Kunst des Zeichnens“. Im Sommer 1898 begannen die Bauarbeiten an dem Atelier und an einem durch einen Garten abgegrenzten Wohnhaus (Königinstraße 3a). Die Fenster der Fassade hatten eingebuchtete obere Ecken und gewellte Sprossen. Das Schmiedegitter der Eingangstür erhielt die Form eines Stachelbaumes. Die Arbeiten am „Drachenornament“ übernahm der Bildhauer Josef Hartwig. Das Auftragen der Mörtelmasse dauerte vier Wochen, das Außenmaß betrug 13 × 7 Meter. Die Wand war meergrün gestrichen, die Ornamente rosaviolett und türkis. Die Decke des Empfangszimmers dominierte ein plastisches, wurzelstockähnliches Gebilde, dahinter öffnete sich der Raum mit einem Rundbogen zu einer 180-Grad gewundenen Treppe mit geschwungenem Geländer und einer Standleuchte mit floralen Formen. Die Treppe erhielt Licht durch ein schräges Glasdach. Beim zugleich entstehenden Wohnhaus verzichtete Endell auf Ornamente. Die Formen waren bewusst vieldeutig und sollten möglichst verschiedenartigste Assoziationen zulassen. So mag für das Atelier Elvira in besonderem Maße gelten, was Ulrich Simon für den Jugendstil generell konstatiert hat, nämlich, dass er vor allen Dingen für sich selbst Reklame mache.[4] Endell vermied jede Nähe zu dem von ihm als überkommen empfundenen Naturalismus. Insbesondere die Fassade regte zu bissigen Kommentaren an: Das Haus sei im „Polypenrokoko“ errichtet, eine „Drachenburg“ oder „Chinesische Botschaft“.[5]
Die beiden Gründerinnen trennten sich bald nach der Fertigstellung des Hauses, und Goudstikker führte den Betrieb allein weiter. 1907 verkaufte Augspurg ihren Anteil an Goudstikker, und diese verpachtete im Jahr 1908 das Atelier an die 28-jährige Fotografin Emma Uibeleisen, um sich selbst stärker ihrer Arbeit für die Frauenbewegung widmen zu können.[6] Nach dem folgenden Ersten Weltkrieg blieb die alte Kundschaft jedoch größtenteils aus, und als Uibeleisen 1928 starb, fand sich keine Nachfolgerin. Im Herbst 1933 wurde im Haus eine SA-Einheit einquartiert, später, im Zuge der Neugestaltung der Von-der-Tann-Straße als Hauptzufahrt zum Haus der Deutschen Kunst eine provisorische Baukantine. 1937 wurde das „Drachenornament“ abgeschlagen und übertüncht; das Haus selbst sollte einem Arkadenbau weichen, was während des Zweiten Weltkrieges verworfen wurde. Während eines Bombenangriffes im April 1944 wurde es schwer beschädigt. Der Freistaat Bayern erwarb nach dem Krieg das Grundstück und überließ es den USA für den Neubau ihres Generalkonsulatsgebäudes.[5]
- Entwurfszeichnung Endells
- Die fertig ausgeführte Fassade (um 1900)
- Das Treppenhaus (um 1900)
- Blick auf das Prinz-Carl-Palais und das Generalkonsulat der USA
Filiale Augsburg
Augspurg und Goudstikker richteten 1891 in Augsburg im Hinterhof des Hauses Litera D 171 (Ludwigstraße 22) ein Filialatelier ein. Unter demselben Namen, aber wechselnden Betreibern bestand dieses bis 1944. Am 26. Februar 1944 wurde es von Bomben zerstört.[2]
Arbeiten (Auswahl)
- Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily von Gizycki, Minna Cauer und Sophia Goudstikker (von li. nach re.), um 1894
- Frauenrechtlerin Helene Lange, vor 1899
- Schriftstellerin und Historikerin Ricarda Huch, 1901
- Regentin des Großherzogtums Luxemburg Maria Anna von Portugal, 1903
- Großfürstin von Russland Victoria Melita von Sachsen-Coburg und Gotha
- König Ludwig III. von Bayern, 1914
Literatur
- Nikolaus Schaffer: Architektur als Bild. Das Atelier Elvira – ein Unikum der Architekturgeschichte. In: Rudolf Herz, Brigitte Bruns (Hrsg.): HOF-ATELIER ELVIRA 1887–1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten. Ausstellungskatalog Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum 1985, S. 5–24.
- Nikolaus Schaffer: Architektur als Bild: das "Atelier Elvira" von August Endell. Dissertation Universität Salzburg 1981.
- Rudolf Herz, Brigitte Bruns (Hrsg.): HOF-ATELIER ELVIRA 1887–1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten. Ausstellungskatalog Fotomuseum im Münchener Stadtmuseum 1985.
- August Endell: der Architekt des Photoateliers Elvira. 1871–1925, Ausstellungskatalog Stuck-Jugendstil-Verein, München, 1977.
Einzelnachweise
- Der Vorgängerbau des Ateliers Elvira mit den Inhaberinnen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker war 1892 ebenso in der v. d. Tannstr. 15 gemeldet, siehe: , S. 134, Sp. 3; Anita Augspurg für sich jedoch in der Veterinärstr. 5, Gartenhaus: Augspurg Anita photogr. Anstalt (Spez. Kinderaufnahmen) Veterinärstr. 5. Siehe: , S. 11, Sp. 3, aufgerufen am 15. November 2015.
- Ludwigstrasse 22 „Photographisches Atelier Elvira“. In: Franz Haußler: Fotografie in Augsburg 1839–1900. Wißner Verlag, Augsburg 2004, ISBN 3-89639-432-0, S. 154f. Digitalisat
- Süddeutsche Photographen-Zeitung, I. Jahrgang (April 1894 - März 1895), J. Lindauer, München, S. 30; laut dieser Meldung wurden sowohl Sophia Goudstikker als auch Anita Augspurg von Ludwig von Bayern zu Hofphotografinnen ernannt.
- Hans-Ulrich Simon: Sezessionismus, Kunstgewerbe in literarischer und bildender Kunst. Stuttgart 1976, S. 182. Zitiert nach: Nikolaus Schaffer: Architektur als Bild. Das Atelier Elvira - ein Unikum der Architekturgeschichte. In: Rudolf Herz, Brigitte Bruns (Hrsg.): HOF-ATELIER ELVIRA 1887–1928. Ästheten, Emanzen, Aristokraten. Ausstellungskatalog Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum 1985, S. 23.
- Edgard Haider: Verlorene Pracht - Geschichten von zerstörten Bauten. Kapitel: Die "Drachenburg" zweier Frauenrechtlerinnen. Hofatelier Elvira, München. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2006, ISBN 3-8067-2949-2, S. 142ff.
- Herz/Bruns, Hof-Atelier Elvira. S. 112.
Weblinks
- Fotoatelier Elvira: Das erste abstrakte Werk der Kunstgeschichte (LWL-Presse-Info vom 19. Oktober 2007) aufgerufen am 12. August 2012
- Forschungsprojekt „Atelier Elvira“