Antoine-François Prévost
Antoine-François Prévost d’Exiles (* 1. April 1697 in Hesdin, Département Pas-de-Calais; † 23. November 1763 in Courteuil, Département Oise) war ein französischer Schriftsteller. Heute ist er nur noch mit einem einzigen seiner zahlreichen Werke bekannt, dem relativ kurzen Roman Manon Lescaut.
Leben
Jugend und literarische Anfänge
Prévost (der in der Literaturgeschichte schlicht unter „L'Abbé Prévost“ figuriert) wuchs auf als zweiter Sohn eines aus dem reichen Bürgertum stammenden procureur du roi, d. h. eines königlichen Richters, dem sein (gekauftes) Amt adelsähnliche Privilegien verschaffte, ohne ihn jedoch schon de jure zu adeln. Seine glückliche Kindheit endete abrupt, als er mit 14 Jahren seine Mutter und seine etwas jüngere Lieblingsschwester verlor. Ein Jahr später (1712) überwarf er sich offenbar mit seinem Vater, brach seine Studien auf dem heimischen Jesuitenkolleg ab, verdingte sich als Soldat und nahm am Spanischen Erbfolgekrieg teil. Bei dessen Ende 1713 verließ er das Militär und absolvierte am jansenistisch orientierten Pariser Collège d'Harcourt das rhétorique genannte letzte Schuljahr. Hiernach wurde er Novize im Jesuitenorden, dem er aber 1715 den Rücken kehrte, um für kurze Zeit wiederum Soldat zu werden.
Nach einem neuerlichen Zwischenspiel bei den Jesuiten nahm er ab 1718 als Offiziersaspirant am französisch-spanischen Krieg teil, desertierte jedoch 1719 und flüchtete sich 1720 nach einigen unsteten und schwierigen Monaten in den Benediktinerorden. Hier legte er 1721 sein Gelübde als Mönch ab, angeblich unter inneren Vorbehalten.
In den nächsten Jahren lebte er in verschiedenen, meist jansenistisch ausgerichteten Klöstern, studierte Theologie, wurde zum Priester ordiniert und betätigte sich als Prediger. Bei seinen Oberen scheint er allerdings als nicht recht zuverlässig gegolten zu haben. Immer wenn er konnte, übte er seine Feder, weshalb man ihn 1727 in das Pariser Kloster Saint Germain-des-Prés versetzte, wo er an einem historiographischen Gemeinschaftswerk der Benediktiner mitarbeiten sollte, der vielbändigen Gallia Christiana. Seine eigenen Vorstellungen waren aber sichtlich andere: Er hatte inzwischen einen Roman begonnen, dessen ersten beiden Bände 1728 erschienen: Mémoires et Aventures d'un homme de qualité qui s'est retiré du monde (Erinnerungen und Abenteuer eines Edelmanns, der sich von der Welt zurückgezogen hat).
Unstete Jahre
Prévost, der schon seit längerem Schwierigkeiten mit seinem Abt hatte, versuchte nun, um mehr Zeit zum Schreiben zu bekommen, sich in ein Kloster mit einer laxeren Handhabung der Regeln versetzen zu lassen. Als dies nicht gelang, verließ er heimlich sein Pariser Kloster und vollendete in einem Versteck die Bücher III und IV der Mémoires. Mit dem Honorar ging er über Holland nach London, um sich dem königlichen Haftbefehl, lettre de cachet zu entziehen, den sein Abt wegen unerlaubten Sich-Entfernens gegen ihn erwirkt hatte.
In London konvertierte Prévost zum Anglikanismus und wurde Hauslehrer eines jungen Mannes aus bester Familie, schmiedete aber Heiratspläne mit dessen Schwester und wurde auf Betreiben des Vaters ausgewiesen. Er ging nach Holland, wo er 1731 die Bücher V und VI der Mémoires publizierte. Ihnen hängte er rasch noch einen nur locker damit verbundenen siebenten Band an: L'Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (Die Geschichte des Ritters des Grieux und Manon Lescauts). Es ist ein Roman, der sichtlich die eigene, offenbar so leidenschaftliche wie frustrierende und Schuldgefühle auslösende Liebe des Autors zu der Haager Edelkurtisane Lenki Eckhardt verarbeitet, die er kurz zuvor kennengelernt hatte.
Ebenfalls 1731 publizierte Prévost in Utrecht vier Bände eines schon in England begonnenen Romans: Histoire de Cleveland, fils naturel de Cromwell (Die Geschichte Clevelands, eines unehelichen Sohnes von Cromwell). Hiernach vollendete und publizierte er eine schon früher begonnene Übertragung der lateinisch verfassten Memoiren des Anti-Richelieu-Verschwörers François-Auguste de Thou (1607–1642) (1733).
Inzwischen hatte er zusammen mit Lenki Schulden angehäuft und floh nach London. Hier produzierte er eine Ein-Mann-Zeitschrift nach dem Muster von Addisons Spectator: Le Pour et le Contre (Das Für und Wider). Sie erschien in Paris und sollte das neu erwachte England-Interesse der gebildeten französischen Leser befriedigen. 1734 saß er wegen Wechselbetrugs kurz im Gefängnis und wurde ausgewiesen.
Prévost ging heimlich zurück nach Frankreich (wo ein separater Nachdruck von Manon Lescaut gerade von der Zensur verboten und beschlagnahmt worden war). Aus einem Versteck heraus nahm er Kontakt mit dem Benediktinerorden auf und erhielt vom Papst Vergebung für seine Apostasie (Abfall vom katholischen Glauben) sowie die Erlaubnis für ein verkürztes zweites Noviziat (1735).
Die ruhigen letzten Jahrzehnte
Offenbar war der Orden weitgehend mit der Einhaltung eines frommen Scheins zufrieden, denn Prévost schrieb auch als Novize pausenlos weiter: Neben den Faszikeln von Le Pour et le Contre erschienen 1735 die ersten Bände des Romans Le Doyen (=Dechant) de Killérine. Nach seinem Noviziat wurde Prévost in Paris Almosenier (aumônier) beim Fürsten von Conti, d. h. eine Art Privatpfarrer in hochadeligem Haus.
Hier schrieb und schrieb er: 1737/38 die letzten Bände des Cleveland, 1739/40 die des Doyen de Killérine, 1740 das 20. und letzte Faszikel von Le Pour et le Contre. Danach entwickelte er sich zum Spezialisten für romanähnliche historische Sachbücher und Biografien (Mémoires pour servir […] l'histoire de Malte, Histoire de Marguerite d'Anjou, Histoire de Guillaume le Conquérant). Danach verlegte er sich auf Reiseberichte (Voyages du capitaine Robert Lade) und begann 1746 eine Histoire générale des voyages, zunächst als Übersetzer englischer Reisebücher, dann in eigener Autorschaft. (1760, bei Band 15 hörte er auf und ließ andere Autoren weiterschreiben.)
Daneben erwarb er sich Meriten als Übersetzer von Werken eines der großen Autoren des europäischen „empfindsamen Romans“, Samuel Richardson (1689–1761): 1751 Lettres anglaises, ou Histoire de Miss Clarisse Harlowe (Original 1748), 1755 Nouvelles lettres anglaises, ou Histoire du chevalier Grandisson (Original 1754). Ob auch die 1742 erschienene Richardson-Übersetzung Paméla, ou la vertu récompensée (Original 1740) schon von Prévost stammt, ist zweifelhaft.
1753 veröffentlichte er eine leicht überarbeitete und moralisierte Fassung des Romans Manon Lescaut.
Der Roman Manon Lescaut
Inhalt
Der Roman gilt heute als Prévosts Meisterwerk. Es ist die Geschichte des jungen Kleinadeligen Des Grieux, der vor dem Beginn seines geplanten Theologiestudiums der hübschen, ihrerseits fürs Kloster bestimmten Manon Lescaut begegnet, gemeinsam mit ihr nach Paris durchbrennt und aus Liebe zu ihr (die viel Geld verbraucht) nach und nach alle seine Vorstellungen von Anstand und Ehre über Bord werfen muss, bis er schließlich, nach Manons tragischem Tod im gemeinsamen Exil in den Kolonien (Louisiana), von seinem alten Freund Tiberge wiedergefunden und nach Frankreich zu einem sittlicheren Leben (in der Urversion von 1731 sogar zum Priestertum) zurückgeleitet wird.
Aktuelle Ausgaben
- Manon Lescaut. Übersetzt von Wilhelm Cremer, 1914. Jean Meslier Verlag, Saillon 2017. ISBN 978-1542379090.
- Manon Lescaut. Übersetzt von Jörg Trobitius. Nachwort von Kristina Maidt-Zinke. Manesse, München 2013, ISBN 978-3-717-52298-0.
- Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut. Übersetzt von Walter Widmer unter dem Titel Manon Lescaut. Diogenes-Taschenbuch 23737, Zürich 2008, ISBN 978-3-257-23737-5.
- Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Ernst Sander. Reclam, Stuttgart 1986, ISBN 978-3-15-000937-6.
- Manon Lescaut. Geschichte des Ritters des Grieux und der Manon Lescaut. Übersetzt von Elisabeth von Hase und Walter Hoyer. Mit einem Nachwort von Josef Heinzelmann. Illustriert von Franz von Bayros. Insel-Taschenbuch 518, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-458-32218-3 (Lizenzausgabe nach der Ausgabe der Dieterich'schen Verlagsbuchhandlung Leipzig, die erstmals 1950 erschienenen war).
- Übersetzung von Wilhelm Cremer aus dem Jahr 1926 bei zeno.org und beim Projekt Gutenberg.
- Übersetzung von Friedrich Heinrich Feuerbach, Erlangen 1834, online – Internet Archive.
Literatur
- Franz Pauli: Die philosophischen Grundanschauungen in den Romanen des Abbé Prévost im Besonderen in der Manon Lescaut. Marburg 1912, online – Internet Archive.
Vertonungen
Prévosts Manon Lescaut hat mehrere bedeutende Opernkomponisten zu Vertonungen inspiriert:
- Daniel-François-Esprit Auber: Manon Lescaut, 1856
- Jules Massenet: Manon, 1884
- Giacomo Puccini: Manon Lescaut, 1893
- Hans Werner Henze: Boulevard Solitude, 1951
Ballett
Manon (Choreographie: Kenneth MacMillan, Musik von Jules Massenet). Das Ballett entstand 1973/74, als MacMillan 1970–1986 Ballettdirektor beim Royal Ballet war.[1][2] Die Erzählstruktur des Balletts ähnelt der früheren Choreografie MacMillans zu Romeo und Julia von Prokofjew. Die Londoner Uraufführung wurde vom Publikum enthusiastisch aufgenommen. Weitere Aufführungen fanden durch die Ballettkompanien der Opernhäuser in Paris (1991 und 2015), Mailand (2014/15), Oslo (2015) und Budapest (2015) statt. In Dresden hatte das Stück am 7. November 2015 in der Semperoper Premiere, mit den Solisten Melissa Hamilton vom Royal Ballet und Jiří Bubeníčekvon der Semperoper. Dirigent war Paul Connelly.[3]
2007 gestaltete der Choreograph Wang Xinpeng zusammen mit dem Dramaturgen und Schriftsteller Christian Baier das Ballett Manon Lescaut zur Musik von Giacomo Puccini. (UA Ballett Dortmund 2007)
Verfilmungen
Prévosts Manon Lescaut wurde mehrfach verfilmt:
- Giovanni Pastrone: Manon Lescaut, Italien 1909
- Friedrich Zelnik: Manon. Das hohe Lied der Liebe, Deutschland 1919
- Arthur Robison: Manon Lescaut/Die Geliebte des Abbé, Deutschland 1926
- Carmine Gallone: Manon Lescaut, Italien 1940
- Henri-Georges Clouzot: Manon, Frankreich 1949
- Mario Costa: Gli amori di Manon Lescaut, Italien/Frankreich 1954
- Jean Aurel: Hemmungslose Manon, Italien/Frankreich/Deutschland 1968
Werkausgaben
- Oeuvres de Prévost. 39 Bände. Précédées des Eloges de Le Sage qui ont partagé le Prix d'éloquence décerné par l'Académie française dans sa séance du 24 août 1822 par Mm. Malitourne et Patin. Bände 1, 2, 3: Mémoires et aventures d'un homme de qualité, suivis de Manon L'Escaut ; Bände 4, 5, 6, 7: Histoire de M. Cleveland ; Bände 8, 9, 10: Le doyen de Killerine : Tome 11: Histoire d'une Grecque moderne ; Band 12: Campagnes philosophiques ou, Mémoires de M. de Montcal; Band 13: Histoire de la jeunesse du Commandeur De *** ou Mémoires pour servir à l'histoire de Malte ; Band 14 : Histoire de Marguerite D'Anjou ; Band 15: Voyages du capitaine Robert Lade et sa famille; Band 16: Histoire de Guillaume le conquérant ; Bände 17, 18: Pamela ou La vertu récompensée; Bände 19, 20, 21, 22, 23 et 24: Histoire de Miss Clarisse Harlove [Harlowe]; Bände 25, 26, 27, 28: Histoire du chevalier Grandisson ; Band 29: Le monde moral ou Mémoires pour servir à l'histoire du coeur humain ; Bände 30, 31, 32: Mémoires pour servir à l'histoire de la vertu ; Band 33: Mémoires d'un honnête homme ; Tout pour l'amour et le monde bien perdu ; ou, la mort d'Antoine et de Cléopatre ; Band 34: Almoran et Hamet. Lettres de mentor à un jeune seigneur ; Band 35 : Aventures et anecdotes; Bände 36, 37, 38 et 39: Histoire de la vie de Cicéron. Bon ensemble (frott. en dos du tome premier, bon exemplaire par ailleurs), rare ainsi bien complet des 39 tomes des oeuvres de l'abbé Prévost. Un ensemble impressionnant parmi lequel on découvrira son chef-d'oeuvre (Manon Lescaut) mais également sa célèbre traduction du roman de Samuel Richardson "Histoire de Clarisse Harlowe". Chez Boulland-Tardieu, Paris, 1823.
- Oeuvres de Prévost. 8 Bände, Grenoble, Presses Universitaires de Grenoble, 1978–1986 (I. Mémoires et aventures d'un homme de qualité qui s'est retiré du monde. Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (Texte établi par Pierre Berthiaume et Jean Sgard). II. Le philosophe anglais ou histoire de Monsieur Cleveland (Texte établi par Philippe Stewart). III. Le doyen de Killerine. Histoire morale (Texte établi par Aurelio Principato). IV. Histoire d'une grecque moderne. Mémoire pour servir à l'histoire de Malte. Campagnes philosophiques (Textes établis par Allan Holland, Henri Coulet et Jean Oudart). V. Histoire de Guillaume le Conquérant. Histoire de Marguerite d'Anjou (Textes établis par Henri Duranton). VI. Voyages du capitaine Robert Lade. Mémoires d'un honnête homme. Le monde moral (Textes établis par John Abioyé, Peter Tremewan, Robert Favre et Jean Sgard). VII. Les aventures de Pomponius. Contes singuliers. Préfaces et opuscules. Avertissements de l'histoire des voyages. Critique du roman dans le pour et contre. Correspondance (Textes établis par Jean Sgard, Pierre Berthiaume, Jean-Paul Mas et Jean-Paul Sermain). VIII. Commentaires et notes (Sous la direction de Jean Sgard)).
Weblinks
- Literatur von und über Antoine-François Prévost im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Antoine-François Prévost in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Werke von Antoine-François Prévost im Projekt Gutenberg-DE
- Werke von Antoine-François Prévost bei Zeno.org.
- Gert Pinkernell, Artikel in Namen, Titel und Daten der franz. Literatur (Quelle für den Abschnitt „Leben und Schaffen“)
Einzelnachweise
- K. Macmillan: Manon (Memento vom 20. Oktober 2014 im Internet Archive) (engl.) (abgerufen am 8. Oktober 2016)
- Manon 1974 (engl.) (abgerufen am 29. April 2019)
- Programmheft „Manon“ der Staatsoper Dresden, November 2015