Antimilitarismus
Antimilitarismus ist eine dem Pazifismus nahestehende Überzeugung, die sich gegen militaristische Tendenzen innerhalb von Gesellschaft und Politik wendet. Sie ist damit eine Gegenbewegung zum Militarismus in seinen verschiedenen Ausprägungen.
Gesellschaftliche Aspekte
Für Kurt Tucholsky war die Dominanz des Militärischen eine Ursache für den typisch deutschen Untertanengeist, der demokratische Entwicklungen behinderte. Nach Ende des Ersten Weltkrieges machte Tucholsky den preußischen Militarismus auch für die Missstände an der Front verantwortlich. Er kam zu dem Schluss:
„Worauf es uns ankommt, ist dies: den Deutschen, unsern Landsleuten, den Knechtsgeist auszutreiben, der nicht gehorchen kennt, ohne zu kuschen – der keine sachliche Unterordnung will, sondern nur blinde Unterwerfung. Unser Offizier hat schlecht und recht seinen Dienst getan, und auch den teilweise mäßig genug – aber er hat sich überzahlen lassen, und wir haben auszufressen, was ein entarteter Militarismus uns eingebrockt hat.
Nur durch völlige Abkehrung von dieser schmählichen Epoche kommen wir wieder zur Ordnung. Spartakus ist es nicht; der Offizier, der sein eigenes Volk als Mittel zum Zweck ansah, ist es auch nicht – was wird es denn sein am Ende?
Der aufrechte Deutsche.“[1]
Die Ablehnung des Militärischen lässt sich dabei auf dessen verschiedene Formen wie Paraden, Kriegerdenkmäler, Kriegsliteratur, öffentliche Gelöbnisse und Waffenschauen übertragen. So heißt es bei Tucholsky:
- Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg; man drehe diesem Kram den Rücken oder bekämpfe ihn aktiv. Auch wohlwollende Zuschauer sind Bestärkung.
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Politische Aspekte
Es ist nicht ausgemacht, dass nicht-militaristische Staaten weniger Kriege führen als militaristische. So war das Deutsche Reich von 1871 bis 1914 in wenige militärische Auseinandersetzungen involviert, während Staaten, in denen das Militär nicht so dominant war (z. B. USA) zahlreiche Kriege forcierten (zivilistisch aber bellizistisch waren). Angesichts der Kriegsbegeisterung, die 1914 in Deutschland herrschte, schien die Gesellschaft jedoch sehr stark auf einen Krieg vorbereitet gewesen zu sein und ihn nahezu herbeigewünscht zu haben. Von daher lässt sich argumentieren, dass die starke militärische Prägung des Deutschen Reiches die Regierung sicherlich in ihrer Auffassung bestärkte, einen großen europäischen Konflikt eingehen zu können. Auch die Missachtung der Neutralität Belgiens machte deutlich, dass militärischen Gesichtspunkten höhere Priorität als politischen Verträgen gegeben wurde. Anders als in den demokratischen Staaten der Entente erlangte das Militär in Deutschland im Kriegsverlauf einen völligen Primat über die Politik, was ab 1916 zu einer Art Militärdiktatur durch Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg führte. Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau soll dagegen den Spruch geprägt haben, wonach der Krieg eine viel zu wichtige Angelegenheit sei, um sie den Militärs zu überlassen.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges begrüßte der Journalist Robert Breuer (alias Germanicus) daher die Niederlage des Deutschen Reiches, weil im Falle eines Sieges das Militär vermutlich Staat und Gesellschaft vollständig beherrscht hätte:
- Man stelle sich nur einmal vor, was aus Deutschland geworden wäre, wenn wir in einem einzigen sieghaften Anrennen Europa unter die Füße bekommen hätten. Den Leutnant in Ehren: aber wäre es dann überhaupt noch möglich gewesen, ohne gebrochene Kniee der Uniform zu begegnen?
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In der Weimarer Republik kamen radikale Pazifisten dennoch zu der Überzeugung, dass der Aufbau einer deutschen Reichswehr prinzipiell abzulehnen sei, weil der preußische Militarismus noch ungebrochen weiter existiere und trotz starker Beschränkungen einen neuen Krieg vorbereite. Tucholsky verglich die deutschen Militärs daher häufig mit Feuerwehrleuten, die selbst die Brände legen wollten, die sie zu löschen beauftragt seien. Diese Kritiker behielten recht, denn die Nationalsozialisten mussten die seit langem ausgearbeiteten Aufrüstungs- und Kriegspläne nur noch in die Tat umsetzen.
In den 1950er Jahren konnte mit pazifistischen und antimilitaristischen Argumenten die Wiederbewaffnung Deutschlands nicht verhindert werden. Im Zuge dieser wurde die Bundeswehr nach dem Prinzip vom „Staatsbürger in Uniform“ und unter dem Primat der Politik über die Streitkräfte als Parlamentsarmee aufgestellt.
In der Bundesrepublik setzen sich insbesondere die Zeitung Graswurzelrevolution und die mit ihr verbundene Graswurzelbewegung seit Ende der 60er Jahre publizistisch und aktionistisch für den Antimilitarismus ein.
Forderungen von Antimilitaristen
Antimilitaristen unterscheiden sich stark in ihren Strömungen nach dem, was sie fordern.
Forderungen von Antimilitaristen sind unter anderem:
- Weltweite Abrüstung
- Ausstieg aus der Atom-Energie als Voraussetzung zu nuklearer Abrüstung
- Ablehnung der politisch motivierten Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung
- Abschaffung der Wehrpflicht, um einer Gesellschaft keinen Krieg gegen deren Interessen aufzubefehlen
- Ablehnung von Auslandseinsätzen von Polizei und Militär
- Keine Verfolgung von Antimilitaristen aufgrund ihrer politischen Meinung
- Das Selbstbestimmungsrecht aller Völker – Abzug aller militärischen Besatzer
Strömungen des Antimilitarismus
Es gibt zahlreiche Strömungen im Antimilitarismus. Antimilitarismus ist eine Überzeugung, die besonders dort als Gegenbewegung auftritt, wo eine Macht aufrüstet, aufrüsten will oder bereits aufgerüstet hat.
Anarchistische Antimilitaristen
Die meisten anarchistischen Strömungen sind antimilitaristisch und lehnen jeden Teil einer Militärdiktatur ab. Für anarchistische Antimilitaristen ist das Militär der Unterdrücker der Unterschicht und die hauptsächliche Stütze einer hierarchischen Klassengesellschaft.
Antimilitaristen für nukleare Abrüstung
Antimilitaristen und Atomkraft-Gegner setzten sich bei Castor-Transporten für den Atom-Ausstieg und für die nukleare Abrüstung ein.
Antimilitaristen für innere Abrüstung
Ab dem Jahr 2006 begannen die Innenminister Otto Schily, Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble mit dem Aufbau eines Systems, das nach Ansicht politischer Gegner der Überwachung und inneren Aufrüstung diente. Forderungen waren unter anderem:
- Vorratsdatenspeicherung
- Aufrüstung der Polizei auf militärisches Niveau
- Totalüberwachung
Eine Gegenbewegung gründete sich mit Fragen zur inneren Abrüstung. Sie stellte die Frage, ob der Überwachungswahn militaristisch sei. Als Beispiel für Exekutiven, die mit Waffen gegen die eigene Bevölkerung vorgehen, wurden hier Militärdiktaturen aufgezeigt.
Bekannte Antimilitaristen
Einer der bekanntesten Antimilitaristen, Karl Liebknecht, definierte den Militarismus als die Summe „aller friedensstörenden Tendenzen des Kapitalismus“.[4] Dieser erfülle einen doppelten Zweck, nämlich als innerer Militarismus zum Schutz der Kapitalistenklasse und als äußerer Militarismus zur imperialistischen Eroberung neuer Ausbeutungsgebiete.
Auch Erich Mühsam war ein bekannter anarchistischer Antimilitarist. In den Niederlanden gründete Ferdinand Domela Nieuwenhuis 1904 die Internationale Anti-Militaristische Vereeniging („Internationale Antimilitaristische Vereinigung“) (IAMV). Weitere Antimilitaristen waren unter anderem: Fritz Köster, Hendrik Ebo Kaspers, Oskar Stillich, Lodewijk van Mierop, Uwe Timm, Clara Gertrud Wichmann, Augustin Souchy.
Demokratische vorbeugende Maßnahmen gegen Militarismus
In demokratisch organisierten Gesellschaften wird die Rolle des Militärs von der der innerstaatlichen Sicherheitskräfte (Polizei) abgegrenzt. Außerdem bestehen Schutzmechanismen, um das Militär zu kontrollieren. Dies zeigt sich in der Eigenschaft einer sogenannten Parlamentsarmee. Dagegen sind in vielen repressiven Staaten diese beiden Funktionen vermischt und das Militär übernimmt innenpolitische Aufgaben. Ausdruck für diesen Dualismus ist die Gendarmerie. Gendarmen sind ebenfalls häufig Teil der Streitkräfte wie in Frankreich oder unterstanden historisch einmal dem Verteidigungsressort wie die frühere Bundesgendarmerie in Österreich. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Normen stellen dabei sicher, dass solche Einheiten im Frieden dem Innen- bzw. dem Justizressort unterstehen.
Siehe auch
Nachweise
Literatur
- Wolfram Beyer: Pazifismus und Antimilitarismus. Eine Einführung in die Ideengeschichte, Schmetterling, Stuttgart 2012, ISBN 3-89657-666-6.
- Ernst Friedrich: Krieg dem Kriege! Guerre à la guerre. War against War. 2 Bände. Freie Jugend, Berlin 1924 (DNB 560487576); Neu herausgegeben vom Anti-Kriegs-Museum Berlin, mit einer Einführung von Gerd Krumeich, Links, Berlin 2015, ISBN 978-3-86153-828-8 (In einem Band).
- Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus (1907).
Weblinks
- Wolfram Beyer: Was ist eigentlich Anti-Militarismus?. Zuerst erschienen im Lexikon der Anarchie
Einzelnachweise
- Ignaz Wrobel: „Militaria: Offizier und Mann“, in: Die Weltbühne, 9. Januar 1919, S. 38.
- Ignaz Wrobel: „Über wirkungsvollen Pazifismus“, in: Die Weltbühne, 11. Oktober 1927, S. 555.
- Germanicus: „Ein verlorener Krieg?“, in: Die Weltbühne, 31. Oktober 1918, S. 401.
- Karl Liebknecht Internet Archive. Karl Liebknecht: Militarism & Anti-Militarism (1907). Englisch, abgerufen am 13. Dezember 2012.