Amiternum
Lage
Amiternum lag in den Abruzzen zu Füßen des Gran Sasso, an der Stelle des heutigen Ortsteils San Vittorino der Stadt L’Aquila. Der größere Teil der Stadt erstreckte sich unterhalb eines Hügels mit einer Zitadelle am Fluss Aternus, nach dem die Stadt benannt war. Die Entfernung nach Rom betrug ausweislich eines Meilensteins[1] 83 römische Meilen (etwa 125 km). Amiternum war ein wichtiger Kreuzungspunkt der Via Caecilia, der Via Claudia Nova und zweier Zweige der Via Salaria.
Geschichte
Amiternum, genauer das in der Nähe gelegene Testruna, galt als Herkunft des Volks der Sabiner. 293 v. Chr. eroberten die Römer die Stadt von den Samniten und verwalteten sie als praefectura.[2] Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. war Amiternum vollständig romanisiert und gehörte zur Tribus Quirina. 86 v. Chr. wurde dort der Historiker Gaius Sallustius Crispus geboren. Nach einer späteren lokalen Legende stammte auch Pontius Pilatus aus Amiternum.[3]
Die Stadt blühte noch in der Kaiserzeit und wurde Sitz eines Bischofs. Ihre Einwohnerzahl wird auf 20.000 bis 25.000 geschätzt. Ein schweres Erdbeben 346 n. Chr. leitete den Niedergang ein.[4] Erst im Mittelalter um das Jahr 1250 wurde die Stadt aufgegeben; die Bewohner siedelten in das etwa 8 km entfernte L’Aquila um, das auch den Bischofssitz übernahm. Das Bistum besteht als Titularbistum Amiternum der römisch-katholischen Kirche fort.
Archäologie
Im Tal unterhalb von San Vittorino wurden seit dem späten 19. Jahrhundert zahlreiche Ausgrabungen gemacht. Nördlich des Dorfes, rechts der SS 80, liegen die Reste eines Theaters mit vielleicht augusteischem Mauerwerk. Es hatte einen Durchmesser von 80 m und konnte etwa 2000 Zuschauer aufnehmen. Während die Sitzreihen der cavea teilweise restauriert wurden, sind von der scaena nur noch die Fundamente sichtbar. Außerhalb der antiken Stadt auf der anderen Seite des Aterno liegt das Amphitheater, mit einem Durchmesser von 68 m. Es ist ein Ziegelbau aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., der 6000 Zuschauern Platz bot. Daneben gibt es Reste einer Thermenanlage und eines vielleicht tiberischen Aquädukts.
Die bekannteste in der Stadt gefundene Inschrift ist ein Kalender, die fasti Amiterni.
Nach langem Stillstand der archäologischen Erforschung Amiternums finden jetzt wieder intensive Untersuchungen statt. Seit 2006 beschäftigt sich ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Projekt der Universität Bern (seit 2008 Universität zu Köln) mit der urbanistischen Untersuchung der Stadt mittels Fernerkundung, geophysikalischer Prospektionen und gezielter stratigraphischer Ausgrabungen. Neu nachgewiesen wurden u. a. das Forum mit Basilika, eine große Domus der lokalen Oberschicht sowie mehrere Heiligtumskomplexe. 2007 und 2008 unternahm die regionale Denkmalbehörde der Provinz Abruzzen eigene Ausgrabungen am Theater und an einem Tempel östlich des Amphitheaters.[5]
S. Michele
Im Ort San Vittorino steht die romanische Kirche S. Michele mit Fresken aus dem 13. Jahrhundert. Von besonderem Interesse sind die Katakomben. Vom rechten Seitenschiff aus gelangt man über eine Treppe zu den Gräbern von über 80 vorgeblichen Märtyrern, datierbar für einen Zeitraum vor dem 4. Jahrhundert. Ein Grabmal ist als Ruhestätte des Heiligen Victorinus (San Vittorino) gekennzeichnet, der als einer der ersten Bischöfe von Amiternum unter Kaiser Nerva das Martyrium erlitten haben soll. Die Anlage besteht aus quasi-natürlichen Höhlen und Schächten, z. T. aber auch aus säulengestützten Gewölben. Hier hat es verschiedentliche Eingriffe gegeben und über diese Grabanlage und ihre Toten hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine reiche Legendenbildung entwickelt.
Literatur
- Michael Heinzelmann, D. Jordan: Eine sabinisch-römische Landstadt im oberen Aterno-Tal. In: Hefte des Archäologischen Seminars der Universität Bern 20, 2007, S. 79–92.
- Christian Hülsen: Amiternum. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,2, Stuttgart 1894, Sp. 1840 f.
- Alessandro Mucciante: Amiternum (AQ), loc. San Vittorino: le indagini nell'area del Teatro. In: Quaderni di Archeologia d'Abruzzo, 4 (2012), Florenz 2016, S. 133–143.
- Gerhard Radke: Amiternum. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 1, Stuttgart 1964, Sp. 301.
- Edward Togo Salmon: Amiternum (San Vittorino) Latium, Italy. In: Richard Stillwell u. a. (Hrsg.): The Princeton Encyclopedia of Classical Sites. Princeton University Press, Princeton NJ 1976, ISBN 0-691-03542-3.
- S. Segenni: Amiternum e il suo territorio in età romana. Giardini Editori, Pisa 1985.
- Roger Willemsen: Die Abruzzen. Das Bergland im Herzen Italiens. Kunst, Kultur und Geschichte. DuMont, Köln 1990, ISBN 3-7701-2256-9, S. 154.
Weblinks
- Universität Bern, Archäologisches Institut
- Universität Köln, Archäologisches Institut
- Denkmalbehörde (Memento vom 25. November 2013 im Internet Archive) (italienisch)
- Ausgrabungen Amiternum (italienisch)
Einzelnachweise
- CIL 9, 5957.
- So Gerhard Radke: Amiternum. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 1, Stuttgart 1964, Sp. 301. Dagegen geht E. T. Salmon, Amiternum, in: Princeton Encyclopedia of Classical Sites, 1976, davon aus, dass das 293 v. Chr. eroberte Amiternum eine namensgleiche Stadt im nordwestlichen Samnium war.
- Archeologia Aquilana (Memento vom 7. Oktober 2007 im Internet Archive) Abgerufen am 19. Oktober 2015.
- Aquila TV. (Nicht mehr online verfügbar.) Ehemals im Original; abgerufen am 19. Januar 2021. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
- il centro: Amiternum, è stata trovata l’antica piazza (Memento vom 1. August 2008 im Internet Archive)