al-Ma'mūn
Abū l-ʿAbbās ʿAbdallāh al-Ma'mūn ibn Hārūn ar-Raschīd (arabisch أبو العباس عبد الله المأمون بن هارون الرشيد, DMG Abū l-ʿAbbās ʿAbd Allāh al-Maʾmūn bin Hārūn ar-Rašīd; geboren um 786; gestorben am 9. August 833 in al-Budandūn), kurz al-Ma'mūn, in Westeuropa als Almanon bekannt, war der siebte Kalif (813–833) der Abbasiden. Unter ihm erreichte das Kalifat der Abbasiden seinen kulturellen Höhepunkt.
Jugend und Thronfolgeregelung
Al-Maʾmūn wurde im September 786 in Bagdad als Sohn von Hārūn ar-Raschīd und dessen persischer Sklavin Marādschil geboren. Die Mutter starb wahrscheinlich kurz nach seiner Geburt, sodass al-Maʾmūn von Zubaida, der arabischen Mutter al-Amins, aufgezogen wurde.
Im Jahre 799 wurde al-Ma'mūn von seinem Vater in die Nachfolgeregelung eingeschlossen und zum zweiten Thronfolger nach seinem Bruder al-Amīn erhoben. Während der Wallfahrt des Jahres 802 wurde diese Thronfolgeregelung noch um verschiedene Punkte erweitert und darüber ein Protokoll angefertigt, das in der Kaaba in Mekka niedergelegt wurde. Demnach sollte al-Amīn Kalif werden und in Bagdad residieren. Seine beiden Brüder al-Maʾmūn und al-Muʾtamin sollten ihm nacheinander folgen und während seiner Herrschaft die Statthalterschaft in zwei Schlüsselprovinzen übernehmen: ersterer in Chorasan, letzterer in der Dschazīra, um dort den Kampf gegen das Byzantinische Reich zu führen.[1]
Im Jahre 803 bekam al-Ma'mūn die beiden Brüder al-Fadl ibn Sahl und al-Hasan ibn Sahl als Berater an die Seite gestellt. Sie stammten aus einer zoroastrischen Familie und hatten vorher den Barmakiden gedient. Im Jahre 808 zog al-Maʾmūn mit seinem Vater nach Chorasan, um dort einen Aufstand umayyadischer Parteigänger niederzuschlagen. Während dieses Feldzugs starb der Vater im März 809 in der chorasanischen Stadt Tus, während al-Maʾmūn sich mit seinen Truppen bereits in Merw befand.[2]
Als Statthalter und Kalif in Merw
Der Bruderstreit zwischen al-Amīn und al-Ma'mūn
Nach dem Tod seines Vaters erhob al-Ma'mūn Merw zu seiner Residenz und befriedete die Grenzgebiete seines Teilreichs. Allerdings kam es bald zu Spannungen mit seinem Bruder al-Amīn, als dieser ihn von der vereinbarten Thronfolgeregelung ausschließen und stattdessen seinen minderjährigen Sohn als Nachfolger designieren wollte.
811 kam es zum Bruch, als al-Amin in Iran einmarschierte. Al-Ma'mūn sandte seinen Kommandeur Tāhir ibn Husain aus, der al-Amīns Kommandeur ʿAlī ibn ʿĪsā noch im gleichen Jahr bei Hamadan besiegte. Al-Ma'mūn erklärte sich daraufhin im März 812 in Merw zum Kalifen und ernannte al-Fadl ibn Sahl zum doppelten Oberbefehlshaber (ذو الرئاستين / Ḏu r-Riʾāsatain) mit zivilen und militärischen Kompetenzen. Nachdem Tāhir im August 812 Bagdad mit seinen Truppen eingeschlossen hatte, wurde al-Ma'mūn in den meisten Provinzen des Reiches als Kalif anerkannt. In der Nacht zum 25. September 813 ergab sich al-Amīn schließlich; Tāhir nahm ihn gefangen und ließ ihn am nächsten Morgen enthaupten.[3] Während al-Ma'mūn selbst in Merw verblieb, übertrug er die Regierung im Irak al-Hasan ibn Sahl. Tāhir wurde zum Statthalter der westlichen Provinzen ernannt und erhielt die alte Palaststadt ar-Raqqa als Residenz zugewiesen.[4]
Der Aufstand der Aliden
Das im Zentrum des Reiches entstandene Machtvakuum nutzte ein gewisser Abū s-Sarāyā aus, der im Irak im Namen "desjenigen aus dem Hause Muḥammads, der Zustimmung findet" (ar-riḍā min āl Muḥammad) einen großangelegten Aufstand anzettelte, der von verschiedenen schiitischen Gruppen, darunter besonders den Zaiditen, unterstützt wurde. In Kufa, Basra, dem Hedschas und dem Jemen ergriffen verschiedene von Fatima abstammende Aliden die Macht und vertrieben die abbasidischen Gouverneure aus ihren Positionen. In Mekka wurde zum Neujahrstag des Jahres 200 der Hidschra (11. August 815 u. Z.) die Kaaba mit gelben und weißen Tüchern neu eingekleidet, um symbolisch anzuzeigen, dass ein neues Zeitalter begonnen hatte.[5]
Das pro-alidische Zwischenspiel und das Bagdader Gegenkalifat
Unter dem Eindruck des alidischen Aufstands, der erst zwei Jahre später endgültig niedergeschlagen werden konnte, besann sich al-Ma'mūn auf die Prinzipien der haschimitischen Daʿwa und versuchte, die Linien der Abbasiden und Aliden zu vereinigen. Im März 817 rief er den Husainiden ʿAlī ibn Mūsā zu seinem Nachfolger aus. Das Dokument, in dem al-Ma'mūn diese Entscheidung bekräftigte und der Öffentlichkeit verkündete, ist im Wortlaut überliefert.[6] ʿAlī bekam bei dieser Gelegenheit auch den Beinamen ar-Ridā ("das Wohlgefallen") verliehen, womit al-Maʾmūn unmittelbar auf eine Idee der haschimitischen Daʿwa zurückgriff, denn diese war im Namen von ar-riḍā min āl Muḥammad durchgeführt worden.[7] Die schwarzen Banner der Abbasiden wurden durch die grünen des Prophetenhauses ersetzt, und alle Amtsträger des Staates wurden angewiesen, grüne Kleidung zu tragen.[8]
Kopien von al-Ma'mūns Dekret wurden nach Medina, in den Irak und nach Ägypten geschickt.[9] In Medina wurde das Dekret am Grab des Propheten öffentlich verlesen.[10] Als das Gleiche im Juli 817 im Irak geschah, revoltierten dort die von der Thronfolge ausgeschlossenen abbasidischen Prinzen und riefen al-Ma'mūns Onkel Ibrāhīm ibn al-Mahdī, zum Gegenkalifen aus. Dieser Gegenkalif, der den Thronnamen al-Mubārak annahm, konnte neben Bagdad auch Kufa unter seine Kontrolle bringen und wurde auch von dem Gouverneur in Ägypten anerkannt. al-Hasan ibn Sahl behielt von al-Wasit aus die Kontrolle über den Süden des Irak mit der Stadt Basra. Um die Situation zu retten, entschloss sich al-Maʾmūn im Januar 818 zur Verlegung seines Hofes nach Bagdad und brach nach Westen auf. Unterwegs ließ er im Februar 818 seinen Wesir al-Fadl ibn Sahl, der als Symbol seiner pro-alidischen Politik galt, ermorden. ʿAlī ar-Ridā, der ihn begleitete, starb im September 818 in der Nähe von Tūs, die Schiiten beschuldigten al-Maʾmūn, ihn ermordet zu haben.[11]
Nachdem im Juni 819 der Bagdader Gegenkalif abgedankt hatte, hielt al-Ma'mūn am 11. August triumphalen Einzug in Bagdad.[12] Damit waren die politischen Unruhen, die zusammengenommen auch als die vierte Fitna bezeichnet werden, weitgehend beendet.
Als Kalif in Bagdad
Durchsetzung der Zentralgewalt
Auch nach seiner Übersiedlung nach Bagdad hatte al-Ma'mūn noch mit der Bekämpfung von Aufständen zu tun. Das Gebiet der Dschazira befand sich schon seit der Zeit seines Bruders al-Amīn unter der Kontrolle des arabischen Stammesführers Nasr ibn Schabath, der ein Gegner der Abnāʾ war, der iranischen Militärelite, auf die sich die Abbasiden stützten. Den Kampf gegen Nasr führte seit 814 al-Ma'mūns Statthalter der Westprovinzen, Tāhir ibn Husain. Als er 821 Statthalter von Chorasan wurde, löste ihn sein Sohn ʿAbdallāh ibn Tāhir in dieser Aufgabe ab. Ihm gelang es 824/25, Nasr ibn Schabath zur Aufgabe zu bewegen.[13]
Auch Aufstände in Ägypten (825–828/829–832) konnten niedergeschlagen werden. Weniger erfolgreich war al-Ma'mūn dagegen bei der Bekämpfung des Churramiten Bābak, der sich 816 in Aserbaidschan erhoben hatte. Zwei Heerführer, die al-Maʾmūn gegen Bābak aussandte, wurden von diesem zurückgeschlagen.
Fortsetzung der pro-alidischen Politik in abgeschwächter Form
Auf Drängen seiner Höflinge und Bediensteten kehrte al-Ma'mūn schon eine Woche nach seiner Umsiedlung nach Bagdad bei der Kleidung zum abbasidischen Schwarz zurück,[14] doch hielt er an bestimmten schiitischen Elementen der Politik fest. So verfügte er 826, dass das Landgut Fadak, das Abū Bakr der Prophetentochter Fātima entzogen hatte, den Aliden als ihren Nachkommen zurückgegeben wurde.[15] Im gleichen Jahr ließ er durch einen Herold ausrufen, dass wer immer von Muʿāwiya im Guten rede oder ihn irgendeinem der Prophetengefährten vorziehe, seine bürgerlichen Ehrenrechte verliere.[16] Im Sommer 827 erklärte er ʿAlī ibn Abī Tālib offiziell zum „vorzüglichsten aller Menschen nach dem Gottesgesandten“ (afḍal an-nās baʿda rasūl Allāh).[17] Auch bemühte er sich, den siebenjährigen Sohn ar-Ridās, Muhammad al-Dschawād, eng an die regierende Dynastie zu binden, indem er ihm eine seiner Töchter versprach; die Ehe wurde im Jahre 830 geschlossen.[18] Indem er den Titel Imam, der vorzugsweise von den Aliden benutzt wurde, für sich verwendete,[19] machte er aber auch deutlich, dass er deren Imamat nicht anerkannte.
Al-Maʾmūns früherer Gouverneur in Bagdad, al-Hasan ibn Sahl, zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück, doch wurde Ahmad ibn Abī Chālid, ein Mann, der mit ihm engen Kontakt hatte, zum Sekretär des Kalifen.[20] Al-Maʾmūn selbst heiratete, um seine Verbundenheit mit der Sahliden-Familie zum Ausdruck zu bringen, im Winter 825/826 Būrān, eine Tochter von al-Hasan ibn Sahl.
Förderung der Muʿtazila und der Wissenschaften
Schon seit seiner Übersiedlung nach Merw hatte al-Ma'mūn einen muʿtazilitischen Gelehrten in seinem Gefolge, Thumāma ibn al-Aschras, einen Schüler von Bischr ibn al-Muʿtamir.[21] Während der Bagdader Zeit zog er noch mehrere andere Muʿtaziliten an seinen Hof, darunter Bischr al-Marīsī, Ibn Abī Duwād und Abu l-Hudhail.[18] Den Koran verstanden diese Gelehrten als von Gott erschaffene Offenbarung. Im Sommer 827 erklärte al-Maʾmūn die Lehre von der Erschaffenheit des Korans zur Staatsdoktrin, und zwar in der gleichen Proklamation, in der er ʿAlī ibn Abī Tālib zum „vorzüglichsten aller Menschen“ erhob.[16]
Nur wenige Monate vor seinem Tod im Jahre 833 veranlasste er, dass die Rechts- und Religionsgelehrten der Hauptstadt, vor allem solche, die ein öffentliches Amt bekleideten, einen Eid auf die Lehre von der Erschaffenheit des Korans leisten sollten.[22] Damit setzte er die Mihna in Gang, die unter seinen beiden Nachfolgern aufrechterhalten wurde.
Al-Ma'mūn hatte persönlich großes Interesse an den Wissenschaften und ließ zahlreiche griechische (und auch einige mittelpersische) Werke zur Logik, Mathematik, Medizin und Astronomie ins Arabische übersetzen und bestimmte den Umfang der Erdkugel mit einem genaueren Wert[23] als Christoph Columbus. Als Zentrum der griechisch-arabischen Übersetzungsaktivitäten fungierte die kalifale Bibliothek in Bagdad, die in Übernahme sasanidischer Tradition als Haus der Weisheit bezeichnet wurde.[24]
Die schiitische Tradition schreibt ʿAlī ar-Ridā einen Traktat über die Medizin zu, den er für al-Ma'mūn abgefasst haben soll. Dieser Traktat, der als das „goldene Sendschreiben“ (risāla ḏahabīya) bekannt wurde, ist jedoch wahrscheinlich nicht authentisch.[25]
Ende
Al-Ma'mun starb am 9. August 833 in al-Budandūn auf einem Feldzug gegen Byzanz. Sein Leichnam wurde nach Tarsus überführt und dort begraben.[26] Nachfolger wurde sein Bruder Al-Muʿtasim (833–842).
Nach ihm ist der Mondkrater Almanon und der Fernsehturm von Bagdad[27] benannt.
Literatur
- Nahide Bozkurt: „The caliph Maʿmūn and the doctrine of the createdness of the Qurʿān“ in Martin Tamcke: Christliche Gotteslehre im Orient seit dem Aufkommen des Islams bis zur Gegenwart. Ergon-Verlag, Würzburg, 2008. S. 101–112.
- Michael Cooperson: Al-Ma'mun. Oneworld Publications, Oxford 2005.
- Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert der Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. 6 Bde. De Gruyter, Berlin 1991–97.
- Francesco Gabrieli: Al-Ma'mūn e gli Alidi. Leipzig 1929.
- Dimitri Gutas: Greek Thought, Arabic Culture. The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early ʿAbbāsid Society (2nd-4th/8th-10th centuries). London 1998, S. 75–104.
- Gerhard Hoffmann: Al-Amīn, al-Ma’mun und der "Pöbel" von Bagdad in den Jahren 812/13. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 143, 1993, S. 27–44
- M. Rekaya: Art. Al-Ma'mūn. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. VI, S. 331–339.
- Dominique Sourdel: „La politique religieuse du calife ʿAbbaside al-Ma'mūn“ in: Revue des Études Islamiques 30 (1962) 27–48.
- Hans Ferdinand Uhrig: Das Kalifat von al-Ma'mūn: aus den Annalen von aṭ-Ṭabarī übersetzt und unter Heranziehung der sonstigen bedeutenden Quellen ausführlich erläutert. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1988, ISBN 978-3631406205
Anmerkungen
- Vgl. Rekaya 331a.
- Vgl. Rekaya S. 331.
- Vgl. Cooperson 53f.
- Vgl. Rekaya 333b-334a.
- Vgl. Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Bd. III, S. 150–154, sowie Gabrieli 23-29.
- Vgl. Gabrieli 38-43 und Patricia Crone, Martin Hinds: God's Caliph. Religious Authority in the First Centuries of Islam. Cambridge 1986. S. 133–139.
- Vgl. van Ess III, 155.
- Vgl. Uhrig 78f.
- Vgl. Crone/Hinds 133.
- Vgl. van Ess III, S. 155.
- Vgl. Rekaya 335-336.
- Vgl. Uhrig 124.
- Vgl. C.E. Bosworth: Art. "Naṣr ibn Shabath" in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. VII, S. 1016b.
- Vgl. Uhrig 126.
- Vgl. Laura Veccia Vaglieri: Art. "Fadak" in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. II, S. 725–727, hier 726b.
- Vgl. van Ess III 446.
- Vgl. at-Tabarī Annales III 1099 (online) Zeile 10-11 und Gabrieli 60.
- Vgl. van Ess III 199.
- Vgl. Rekaya S. 336a.
- Vgl. Gabrieli 54.
- Vgl. van Ess TuG III 162.
- Vgl. van Ess III 446f.
- Gotthard Strohmaier: Avicenna. Beck, München 1999, ISBN 3-406-41946-1, S. 157.
- Vgl. Gutas 53-60 und Cooperson 84.
- Vgl. Fabrizio Speziale: Il Trattato Aureo sulla medicina attribuito all'imām ʿAlī ar-Riḍā. Officina di Studi Medievali, Palermo, 2009. S. 26f.
- Vgl. Uhrig 286, 288 298.
- Skyscraperpage.com: Ma'amoon Telecommunication Center, abgerufen am 21. November 2021
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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al-Amin | Kalif der Abbasiden 813–833 | al-Mu'tasim bi-'llāh |