Abraham Silberschein
Abraham Silberschein (geboren als Adolf Henryk Silberschein am 30. März 1882 in Lemberg, Österreich-Ungarn; gestorben am 30. Dezember 1951 in Genf) war ein polnischer Rechtsanwalt, Zionist und 1922–1927 Mitglied im ersten Sejm.
Leben
Der Sohn von Jakub und Anna Silberschein eröffnete eine Anwaltskanzlei in Lemberg.
Im Ersten Weltkrieg beteiligte er sich in Wien an humanitären Aktionen für jüdisch-galizische Kriegsflüchtlinge.
In den 1920er Jahren war er Führer der zionistischen Arbeiterpartei Poale-Hitachut in Ostgalizien, als deren Abgeordneter er 1922 in das polnische Parlament, den Sejm, gewählt wurde. Sein größtes Verdienst in dieser Funktion war die Schaffung jüdischer Kreditgenossenschaften im Land. Im März 1930 nominierte Joseph C. Hyman ihn und Isaac Joffe aus Riga zum C-Mitglied des JDC.[1]
Als Teilnehmer am 21. Zionistenkongress im August 1939 in Genf wurde er vom Kriegsausbruch überrascht. Er beschloss, in der Schweiz zu bleiben, und legte seinen ursprünglichen Vornamen Adolf ab, später auch den zweiten, Alfred (sic).
Am 30. September gründete er in Genf ein Hilfskomitee für die kriegsbetroffene jüdische Bevölkerung: RELICO (Relief Committee for Jewish War Victims). Dieses wurde vom WJC unterstützt. In der im September 1936 gegründeten Genfer Geschäftsstelle des WJC gehörte er neben Myra Becker zu Gerhart M. Riegners wichtigsten Mitarbeitern,[2] wobei es später zu Unstimmigkeiten kam.
In der ersten Jahreshälfte 1942 schickte er 100.000 Pakete mit 52.000 kg Hilfsgütern nach Polen. Seine Paketaktion wurde von der WJC-Spitze untersagt, da sie der Linie der Alliierten widersprach. Nachdem er ab Sommer 1942 das Genfer Büro verlassen musste und allein arbeitete, wurde der Name RELICO sowohl von ihm als auch vom WJC benutzt.
Silberschein erwarb sich den Ruf, besonders sorgfältig zu arbeiten, so dass seine Dienste sowohl von karitativen Organisationen als auch von Privatpersonen in Anspruch genommen wurden.
Passaffäre und Verhaftung
Hauptartikel: Ładoś Gruppe
Silberschein spielte eine wichtige Rolle in der von der polnischen Gesandtschaft organisierten Rettungsaktion der Juden durch die herstellung der falschen lateinamerikanischen Pässen. 1942 stellte er RELICO in den Dienst des Vertriebs von Ausweisen und steuerte eigens Vermögen dazu bei.[3]
Anfangs hatten die Aktivitäten nur einen sporadischen Charakter. In den Jahren 1942–43 wurden sie aber schon in großem Umfang durchgeführt. Silberschein war in Kontakt mit den polnischen Diplomaten Juliusz Kühl, Stefan Ryniewicz und Konstanty Rokicki, denen er die aus den Ghettos geschmuggelten Namenslisten mit Fotos übergab. Mit diesen Angaben wurden die Blanko-Pässe ausgefüllt, die von dem korrumpierten Honorarkonsul Paraguays und Berner Notar Rudolf Hügli gekauft wurden. Silberschein war eine von der Personen, die Bestechungsgelder für Hüggli beschafften. Er arbeitete auch mit dem peruanischen Konsul José María Barreto und wahrscheinlich mit anderen lateinamerikanischen Konsuln zusammen. José María Barreto wurde später vom Institut Yad Vashem zum Gerechten unter den Völkern erklärt.
Im Herbst 1943 wurde er durch die schweizerische Polizei verhaftet. Er sagte damals aus, dass er auf Anweisung von Ryniewicz und Rokicki handelte, von denen er auch über den Mechanismus der Pass-Operation erfuhr. Laut Silberschein haben ihn Ryniewicz und Rokicki auch gebeten, die Koordinierung der Aktivitäten zu übernehmen. Auf diese Weise konnten die Blanko-Pässe in großer Anzahl gekauft werden, was die Senkung ihres Preises zur Folge hatte. „Wir hatten mit einem wahren Pass-Schwarzmarkt zu tun gehabt. Die Herren von der Gesandtschaft haben den Wunsch geäußert, dass ich die Verantwortung für die Sache übernehme, was ich auch im Namen von RELICO getan habe“ – sagte Silberschein aus[4]. Das Geld für den Ankauf der Pässe von Hüggli kam laut Silberschein „aus unterschiedlichen Quellen, darunter auch vom Palästinakomitee in Jerusalem, dem Jüdischen Weltkongress in New York und von anderen jüdischen Organisationen in New York und Istanbul sowie Privatpersonen in den USA und der Schweiz“[4].
Der Botschaftsrat Stefan Ryniewicz setzte sich erfolgreich für Silberschein nach seiner Verhaftung ein[5].
Schätzungen zufolge hat die Ładoś-Gruppe das Leben von 400 Juden gerettet[6]. Sie waren die Inhaber der paraguayischen Pässe. Bei der Operation, an der Silberschein teilnahm, sollte man auch Personen berücksichtigen, die dank u. a. den Pässen von anderen Ländern gerettet wurden.
Späteres Leben
1944 heiratete er Fanny Schulthess (als Danzig geboren, als Hirsch verwitwet, als Schultheiss geschieden und Silberschein gestorben.)[7] Im gleichen Jahr gab er „Die Judenausrottung in Polen“ heraus, und 1945 die Aufzeichnung „Warschau: die Vernichtung der jüdischen Gemeinde bis zur grossen Revolte / [ein junger jüdischer Mediziner und Offizier der polnischen Armee]“.
Literatur
- Naomi Lubrich, Pässe, Profiteure, Polizei. Ein Schweizer Kriegsgeheimnis. Jüdisches Museum der Schweiz, 2021, Edition Clandestin, ISBN 978-3-907262-09-2
Einzelnachweise
- http://search.archives.jdc.org/multimedia/Documents/NY_AR2132/00034/NY_AR2132_03204.pdf
- https://www.afz.ethz.ch/bestaende/cad48d92370044fb9a815da4db6bc6b1.pdf
- http://peterkamber.de/files/baz/240499.pdf
- Protokoll der Untersuchung von A. Silberschein und F. Hirsch, 1. September 1943, Bundesarchiv in Bern
- Notice du Chef de la Division de Police du Departement de Justice et Police, H. Rothmund, dodis.ch/11958, E 4800 (A) 1967/111/328, Bern, 6. September 1943
- Zbigniew Parafianowicz und Michal Potocki, Wie ein polnischer Gesandter in Bern Hunderte Juden rettete, 10. August 2017, www.swissinfo.ch
- Naomi Lubrich: Pässe, Profiteure, Polizei. Ein Schweizer Kriegsgeheimnis. Hrsg.: Jüdisches Museum der Schweiz. Edition Clandestin, 2021, ISBN 978-3-907262-09-2.