Ökoeffektivität
Ökoeffektivität, auch Konsistenz im Kontext der Nachhaltigkeit,[1] ist ein Konzept zur Erlangung der Vereinbarkeit von Natur, Arbeit und Technik. Der Grundgedanke besagt, in nachhaltigen Systemen dürfe es keine Abfälle, sondern nur Produkte geben. Das Konzept zielt damit auf die Vermeidung von Abfällen durch wiederverwertbare Ressourcen (Recycling). Statt auf die Ökoeffizienz des einzelnen Produktes wird dabei auf die ökologische Gesamtwirkung eines Unternehmens abgestellt.[2]
Begriff
Der Begriff wurde von dem deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough in ihrem 2002 erschienenen Buch Cradle to Cradle (C2C, „von der Wiege bis zur Wiege“)[3] verwendet. Sie stellten den Begriff „Ökoeffektivität“ in Kontrast zur „Ökobilanz“ (die den Stoffkreislauf und dessen Umweltwirkungen von der Wiege bis zur Bahre analysiere) und zur „Ökoeffizienz“.
Ökoeffektiv sind nach Braungart und McDonough Produkte, die entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden können oder als „technische Nährstoffe“ kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden.
Das Prinzip für einen ökoeffektiven Lösungsansatz laute: Abfall ist Nahrung (waste equals food). Bei vielen natürlichen Prozessen werde sowohl Energie als auch Material verschwendet. Pflanzen und Tiere produzierten große Mengen „Abfall“. Sie sind nicht ökoeffizient. Sie seien gleichwohl ökoeffektiv, weil sie Teil eines nachhaltigen Systems sind, das jedes Stück Abfall wiederverwendet, zum Beispiel als Dünger.
„Die Natur produziert seit Jahrmillionen völlig uneffizient, aber effektiv. Ein Kirschbaum bringt tausende Blüten und Früchte hervor, ohne die Umwelt zu belasten. Im Gegenteil: Sobald sie zu Boden fallen, werden sie zu Nährstoffen für Tiere, Pflanzen und Boden in der Umgebung.“
Analog dazu könne eine technische Produktion effektiv sein, wenn sie Stoffe abgibt, die in anderen Produktionen einsetzbar sind.
Beispiele
Ökoeffektivität
- Emissionen einfangen und für neue Produkte oder Brennstoffe verwenden (Upcycling).
- Bremsbeläge aus einem Material herstellen, das unbedenklich in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden kann (biologische Abbaubarkeit).
- Kunststoffprodukte gezielt so entwickeln, dass sie demontiert und recycelt werden können.
- Energiequellen nutzen, die direkt von der Sonne stammen (erneuerbare Energie).
- Das Gesamtprodukt auf biologische oder technische Kreisläufe abstimmen (Kreislaufwirtschaft).
Ökoeffizienz
- Den Benzinverbrauch um fünfzig Prozent reduzieren, aber die Gesamtzahl der Autos weltweit verdreifachen (Rebound).
- Bremsbeläge so entwickeln, dass sie weniger Partikel abgeben, aber dennoch insgesamt tausende von Tonnen an Schadstoffen auf den Straßen lassen.
- Den Anteil von recyceltem Material in Polymerprodukten erhöhen, ohne auf die Qualitätsminderung des recycelten Materials zu achten (Downcycling).
- Das Abwasservolumen in der Textilherstellung verringern, aber die Anzahl der Additive erhöhen und daher am Ende immer noch ein nicht wiederverwendbares Produkt zu haben.[5]
Kritik
Ein prominenter Kritiker von Braungart ist Friedrich Schmidt-Bleek, der langjährige Leiter des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Die mehrfach in Braungarts Buch angeführte Behauptung, durch die pessimistische Ausrichtung der Umweltbewegung würde die für die Lösung der Probleme notwendige Kreativität unterdrückt, bezeichnete er als „pseudopsychologischen Unsinn“. Auch die praktische Umsetzbarkeit des Konzepts bezweifelt Schmidt-Bleek. Als Beispiel führte er die kompostierbaren Sitzbezüge an, die von Braungart für den neuen Airbus A380 entworfen wurden:
„Ich kann mich auf Michaels Sitzbezügen im Flugzeug sehr wohl fühlen. Ich warte aber noch immer auf den detaillierten Vorschlag, die anderen 99,99 Prozent des Airbusses A380 nach seinen Prinzipien zu gestalten.“
Dass das Konzept in großem Rahmen ohne Schädigung der Natur umsetzbar sein könnte, hält Schmidt-Bleek für völlig ausgeschlossen.[6]
Auch Befürworter eines ökoeffektiven Ansatzes übten Kritik an Cradle to Cradle, etwa der Wirtschaftsethiker Rahim Taghizadegan:
„Das Versprechen besteht eigentlich auch nur darin, dass man dann ohne schlechtes Gewissen verschwenden könnte. Doch auch das ist falsch. Nahrungsmittel sind etwa vollkommen kompostierbare Produkte. Ist es deshalb richtig, massenweise angebrochene Nahrungsmittel wegzuwerfen?“[7]
Das Konzept von Braungart zertifiziert seine eigenen Analysen und entspricht somit nicht den ISO-Normen 14040 und 14044 für die Ökobilanzierung, die eine kritische Nachprüfung eines unabhängigen Gutachters vorschreiben.
Das Konzept berücksichtigt nicht die Nutzungsphase eines Produkts, bei vielen Produkten bzw. Systemen wie z. B. bei der Mobilität ist dies allerdings der dominierende Faktor für die Größe ihres ökologischen Fußabdrucks. Den größten Einfluss auf die Umwelt hat z. B. ein Auto oder ein Flugzeug während der Nutzungsphase. Daher ist maßgeblich, wie leicht die Transportmittel sind, um möglichst wenig Treibstoff zu verbrauchen.
In einigen Umweltverbänden wird kritisiert, Braungart vermeide es bewusst, Klarheit über die von ihm verwendeten Begriffe zu schaffen. So propagiere er eine „intelligente Verschwendung“ und vergleiche dabei in unzulässiger Weise die Verschwendung im Sinne von Artenreichtum und -ausbreitung in der Natur mit der Verschwendung in ökonomischen Prozessen. Der Auseinandersetzung mit Kritik auf wissenschaftlicher Ebene weiche er aus. Damit werde Braungart zu einem „neoliberalen Entertainer“, der mit seinen Thesen und Auftritten „den Wachstumsgedanken auch in grünen Kreisen salonfähig mache“.[8][9]
Die Idee, Abfälle als Wertstoffe zu sehen, ist jahrzehntealt. In Deutschland führte sie zu einer Reform der Abfallwirtschaft; im September 1994 verabschiedete der Bundestag das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Hohe Entsorgungskosten (sei es für Deponierung oder für Abfallverbrennung) machen es attraktiv, Abfälle zu recyceln. Auch vom Preis eines Rohstoffes hängt ab, wie attraktiv Recycling ist. Bis etwa 2008 stiegen die Preise zahlreicher Rohstoffe erheblich an; viele Unternehmen steigerten deshalb ihre Recyclingaktivitäten.
Siehe auch
Weblinks
- Cradle to Cradle – Öko-Effektivität, EPEA
- William McDonough & Michael Braungart (1998): 'The Next Industrial Revolution'
- Cradle to Cradle Playlist, umfangreiche Zusammenstellung zu Cradle-to-Cradle-Filmmaterial
- Nie mehr Müll – Leben ohne Abfall (Memento vom 6. Februar 2010 im Internet Archive), Die Story (WDR)
- forschergeist.de: Podcast über cradle to cradle
Fußnoten
- Konsistenz im Lexikon der Nachhaltigkeit der Aachener Stiftung Kathy Beys; Stand: 18. August 2015.
- Ökoeffektivität in Das Umwelt-Lexikon von Klaus Gebhardt; Stand: unverändert seit Januar 2009, letzter Aufruf im Januar 2020.
- William McDonough & Michael Braungart (2002): Cradle to Cradle (Memento vom 22. Februar 2012 im Internet Archive) (Zusammenfassung des Inhalts).
- Holger Fuss: Klugheit des Kirschbaums. In: Berliner Zeitung. 26. Juni 2004, abgerufen am 15. Juni 2015.
- Chemikalienmanagement und Umweltschutz in der textilen Kette. Kolloquium zur nachhaltigen Textilproduktion, 21. September 2017 / FEI, ISWA (Körpersch.); Harald Schönberger (Hrsg.) (Stuttgarter Berichte zur Siedlungswasserwirtschaft; 237) DIV Deutscher Industrieverlag, [München] 2017, ISBN 978-3-8356-7363-2 (PDF).
- taz.de vom 7. März 2009 / Peter Unfried: Der Umweltretter Michael Braungart
- Rahim Taghizadegan: Cradle-to-cradle – die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt? In: Koisser, H. u. a.: Cradle-to-cradle, die nächste industrielle Revolution – Idee, Kritik und Interviews. wirks, 1 (2010), S. 21–26. Download (PDF; 3 MB)
- Ernst Schmitter: Revolutionär mit Achillesferse. Michael Braungarts Thesen begeistern viele – doch bei genauem Hinsehen werden Zweifel wach. Der Rabe Ralf, 14. April 2010, S. 18–19, abgerufen am 22. Februar 2015.
- Christoph Aebischer: Die abfallfreie Welt des Stoff essenden Chemikers. Der Paradiesvogel Michael Braungart predigt eine zweite industrielle Revolution. Berner Zeitung, 9. Dezember 2012, abgerufen am 22. Februar 2016.