Édouard Louis
Édouard Louis, geboren als Eddy Bellegueule (* 30. Oktober 1992 in Hallencourt), ist ein französischer Schriftsteller.
Leben und Wirken
Louis, 1992 als Eddy Bellegueule geboren, entstammt einfachen, schwierigen Verhältnissen und wuchs in der kleinen Ortschaft Hallencourt in der Picardie auf.[1] Schon als Kind erfuhr er aufgrund von Homophobie immer wieder Diskriminierung, Mobbing und Gewalt, was ihn schließlich dazu brachte, nach Amiens, später nach Paris zu ziehen und seinen Namen zu ändern. Dort studiert er als Schüler von Didier Eribon an den beiden Elite-Hochschulen École normale supérieure (ENS) und der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) Soziologie und beschäftigte sich eingehend mit dem Werk des Soziologen Pierre Bourdieu, über den er ein Buch schrieb. Édouard Louis widmete seinen ersten Roman Didier Eribon.[2]
In seinem literarischen Erstlingswerk En finir avec Eddy Bellegueule (deutsch Das Ende von Eddy) beschreibt Louis die Probleme eines jugendlichen Außenseiters mit homosexuellem Hintergrund in der französischen Provinz. Die Versuche von Anpassung und das Scheitern dieser Versuche, die ihn letztlich zur Flucht in die Stadt zwingen, werden darin ausführlich dargestellt. Der Roman ist autobiographisch; er wurde in Frankreich bisher rund 200.000 Mal verkauft. Der 2017 erschienene Film Marvin der französischen Regisseurin Anne Fontaine basiert auf dem Roman von Louis.[3]
Zusammen mit dem befreundeten französischen Philosophen und Soziologen Geoffroy de Lagasnerie verfasste Louis 2015 ein Manifest für eine intellektuelle und politische Gegenoffensive, das in der Zeitung Le Monde und später in der Los Angeles Review of Books und dem Sammelband Wie wir leben wollen erschien.[4][5][6] Sie wandten sich darin unter anderem gegen die europäische Austeritätspolitik, die Sozialistische Partei Frankreichs (PS) und die Aufmerksamkeit, die extrem rechten Meinungen im öffentlichen Diskurs zugestanden wird. Als Antwort darauf formulierten sie Prinzipien für ein neues Engagement linker Intellektueller.
In dem 2016 erschienenen Roman Im Herzen der Gewalt[7] schildert Louis eine Vergewaltigung durch einen Algerier, den er in einer Nacht kennenlernte, den anschließenden Mordversuch durch den Vergewaltiger und das eigene Bewusstsein, dadurch selbst kurzzeitig zum xenophoben Menschen zu werden. Es geht ihm jedoch bei diesem wie bei dem vorigen Buch um mehr:
„Ich wollte aus der Gewalt einen literarischen Ort machen, so wie Marguerite Duras das mit der Leidenschaft gemacht hat oder Claude Simon mit dem Krieg. Es geht um die Gewalt, die meist unsichtbar ist. Genau darin besteht die Kraft der Literatur: Mit Worten das Unsichtbare zu zeigen.“[8]
Der Roman Im Herzen der Gewalt wurde ab Juni 2018 als Bühnenfassung für die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin unter der Leitung von Thomas Ostermeier aufgeführt.[9][10]
Im Mai 2017 veröffentlichte die New York Times anlässlich der Präsidentschaftswahl in Frankreich einen Kommentar von Édouard Louis unter dem Titel Why My Father Votes for Le Pen (deutsch: Warum mein Vater Le Pen wählt), in dem er schildert, warum sein der Arbeiterschicht entstammender Vater sich von den linken Parteien nicht mehr repräsentiert fühlt und daher die rechte Partei Front National (heute: Rassemblement National) unterstützt.[11] Diese Thematik greift Louis auch in seinem dritten, 2018 erschienenen Roman Wer hat meinen Vater umgebracht wieder auf. Darin schildert er den körperlichen Verfall seines Vaters, der nach einem Arbeitsunfall trotz Rückenschmerzen eine Stelle als Müllaufsammler annimmt, um seinen Anspruch auf Sozialleistungen nicht zu verlieren.[12] Der Roman wurde in Frankreich als Kritik der Sozial- und Sparpolitik unter Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und Emmanuel Macron, aber auch der sozialistischen Regierung unter François Hollande aufgefasst, welche Louis auch direkt angreift.[12][13][14] Auf das Motiv des durch schwere Arbeit gezeichneten Körpers bezog sich Louis auch in seiner Stellungnahme zur Gelbwestenbewegung, die im Dezember 2018 zuerst auf der französischen Website Les Inrockuptibles erschien und schließlich auch in deutscher Fassung auf ZEIT ONLINE veröffentlicht wurde.[15][16] Louis erkennt darin an, dass sich Teilnehmer der Gelbwestenproteste rassistisch und homophob geäußert haben, spricht sich aber dennoch für die Fortsetzung der Bewegung aus, weil „sie endlich die Gesichter und Stimmen sichtbar und vernehmbar macht, die normalerweise in die Unsichtbarkeit gebannt werden“ und so das Leiden des Prekariats unter dem Klassensystem offenbart.[16]
Seit 2016 lehrt Édouard Louis am Dartmouth College in den USA; im Sommersemester 2018 hatte er zudem die Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin inne.[17][18]
Zitat
„Das Arbeitermilieu, Armut, Bildungsungleichheit, der Hochmut der Intellektuellen gegenüber der Landbevölkerung und die Skepsis der Abgehängten jedem Kosmopolitismus gegenüber, das sind Louis’ Themen seit seinem autofiktionalen Debüt, „Das Ende von Eddy“ (2015).“
Werke
- Pierre Bourdieu – L'insoumission en héritage. Presses Universitaires de France PUF, Paris 2013, ISBN 978-2-13-061935-2.
- En finir avec Eddy Bellegueule. Seuil, Paris 2014, ISBN 978-2-02-111770-7.
- Deutsche Ausgabe: Das Ende von Eddy. Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-10-002277-6.[19][20]
- Auszug: Blau, weiß, rot. Frankreich erzählt. Herausgegeben von Olga Mannheimer. dtv, München 2017, ISBN 978-3-42-326152-4, S. 52–69.
- Gemeinsam mit Geoffroy de Lagasnerie: Manifest für eine intellektuelle und politische Gegenoffensive. (Auf Deutsch in dem Band Wie wir leben wollen. (Hrsg.: Matthias Jügler), Suhrkamp 2016)[21].
- Histoire de la violence. Seuil, Paris 2016 ISBN 978-2-02-117778-7.
- Deutsche Ausgabe: Im Herzen der Gewalt. Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer, Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-10-397242-9.[22]
- Qui a tué mon père, Paris 2018, ISBN 978-2-02-139943-1.
- Deutsche Ausgabe: Wer hat meinen Vater umgebracht. Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019, ISBN 978-3-10-397428-7.
- Combats et métamorphoses d'une femme. Éditions du Seuil, 2021.
- Deutsche Ausgabe: Die Freiheit einer Frau. Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-10-000064-4.[23]
- Changer: méthode. Éditions du Seuil, Paris 2021.
Auszeichnungen
- 2014: Pierre Guénin-Preis gegen Homophobie[24]
- 2018: Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur an der Freien Universität Berlin
Weblinks
Einzelnachweise
- Seronet: Qui est vraiment Eddy Bellegueule ? Abgerufen am 28. Dezember 2016
- Édouard Louis: "Im Herzen der Gewalt" - Die Eskalation einer spontanen Liebesnacht. In: Deutschlandfunk. (deutschlandfunk.de [abgerufen am 3. Dezember 2017]).
- Carolin Weidner: Coming-of-Age-Film: Licht am Ende des Tunnels. In: Spiegel Online. 4. Juli 2018 (spiegel.de [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- geoffroydelagasnerie: Manifeste pour une contre-offensive intellectuelle et politique. In: Le site de Geoffroy de Lagasnerie. 26. September 2015, abgerufen am 18. Februar 2019 (fr-FR).
- Geoffroy de Lagasnerie, Edouard Louis: Manifesto for an Intellectual and Political Counteroffensive. Abgerufen am 18. Februar 2019.
- Manifest der "Jungen Wilden" - Intellektuelle Frankreichs, engagiert Euch! Abgerufen am 18. Februar 2019 (deutsch).
- Edouard Louis. Im Herzen der Gewalt. Roman; auf Perlentaucher. de, 6. November 2017 (Klappentext, Leseprobe und Rezensionsnotizen)
- Alex Rühle: Wie aus einer Vergewaltigung eine literarische Aufarbeitung wird. In: sueddeutsche.de. 3. September 2017, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 3. Dezember 2017]).
- Elisabeth von Thadden: "Im Herzen der Gewalt": Bei lebendigem Leibe. In: Die Zeit. 7. Juni 2018, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- Über die Schmerzgrenze. Abgerufen am 18. Februar 2019.
- Édouard Louis: Opinion | Why My Father Votes for Le Pen. In: The New York Times. 4. Mai 2017, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- Miryam Schellbach: Die Geschichte des geschundenen Körpers. In: Die Tageszeitung: taz. 26. Juli 2018, ISSN 0931-9085, S. 17 (taz.de [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- Edouard Louis polarisiert in Frankreich - Ein neomarxistisches Pamphlet. Abgerufen am 18. Februar 2019 (deutsch).
- Iris Radisch: "Wer hat meinen Vater umgebracht": Macron beklaut meinen Vater. In: Die Zeit. 25. Januar 2019, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- Edouard Louis : ”Chaque personne qui insultait un gilet jaune insultait mon père”. Abgerufen am 18. Februar 2019 (fr-FR).
- Édouard Louis: Gelbwesten: Wer sie beleidigt, beleidigt meinen Vater. In: Die Zeit. 5. Dezember 2018, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- Autor Édouard Louis wird Gastprofessor an der FU. 6. Juni 2018, abgerufen am 18. Juni 2018 (deutsch).
- Der französische Schriftsteller Édouard Louis wird Gastprofessor in Berlin | NZZ. 6. Juni 2018, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 18. Februar 2019]).
- Die Hölle, die ist woanders. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15. Februar 2015, S. 38
- Homophobie in der Provinz: Ein Herz, verschlossen wie eine Auster Der Spiegel, 19. Februar 2015
- Wie wir leben wollen: Texte für Solidarität und Freiheit Hg.: Matthias Jügler - Suhrkamp Insel Bücher Buchdetail. Abgerufen am 3. Dezember 2017.
- Der Gangster mit der zarten Haut in FAZ vom 21. September 2017, Seite 10
- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.21, S. 10.
- Über Edouard Louis. perlentaucher.de, abgerufen am 3. Dezember 2017.