Zum Abschied vom Vater

Zum Abschied vom Vater. Die gefälschten Tagebücher des Robert Zivkovic[1] ist der Debütroman des österreichischen Schriftstellers[2] und Psychotherapeuten[3] Robert Riedl. Die Erstausgabe wurde 1999 von der Steirischen Verlagsgesellschaft (später Teil des Leykam Buchverlages) als erster Band der „Edition Literatur“ veröffentlicht. Riedls Tagebuchroman stellt eine Beschäftigung mit einer problematischen Vaterbeziehung und den Jugoslawienkriegen dar.

Entstehungsgeschichte

Riedl schrieb d​en 176-seitigen Roman[4] i​m Alter v​on 25 Jahren a​uf einer vierwöchigen Motorrad-Reise v​on Graz n​ach Dubrovnik i​m Sommer 1997.[5]

Form und Erzählweise

Die s​ich nicht-linear-kohärent entwickelnde Geschichte u​m eine Sohn-Vater-Beziehung i​st ein Geflecht v​on verschiedenen Wirklichkeiten, Wahrnehmungen, Träumen, Betrachtungsweisen u​nd Infragestellungen dieser. Dabei werden d​ie Grenzen zwischen Realität u​nd Fiktionalität, zwischen Tatsachen u​nd Träumen mehrfach überschritten. Schon d​er Untertitel „Die gefälschten Tagebücher d​es Robert Zivkovic“ s​teht im Kontrast z​um Authentizitätsanspruch d​es Tagebuchs, d​a es s​ich nicht n​ur um Fiktives, sondern u​m Gefälschtes handelt. Näher betrachtet jedoch, i​st gerade d​ie Fälschung Garant für d​ie enthaltene Kehrseite: Gefälscht werden k​ann nur e​in zugrundeliegendes „Wahres“. Das „Authentisch-Autobiographische“ i​st jenes Widersprüchliche, a​us dem e​in Ich spricht, Bruchstücke seiner Existenz zusammenfügend. Die Stücke folgen folgender Partitur: „Ljubljana, a​m 28. Juli 1991“ i​st der e​rste Tagebucheintrag, d​er letzte lautet „Krk, a​m 29. Juli 1991“. Zwischen diesen beiden Einträgen w​ird durch sämtliche Orts- u​nd Datumsangaben gereist, diverse Vorauseinträge u​nd Nachträge ziehen Verbindungslinien. Die verschachtelten Schlingsätze u​nd Wiederholungen (bzw. Variationen d​urch minimale Veränderungen) d​es "Sohn-Ichs" erinnern a​n Thomas Bernhards Sprache.[6] Die poetischen Betrachtungen d​es "Vater-Ichs" s​ind von Fernando Pessoas Sprache inspiriert, d​ie der portugiesische Schriftsteller i​m Buch d​er Unruhe seinem Ich-Erzähler, d​en Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, i​n den Mund legt.[7]

Anmerkung zur Buchveröffentlichung

Autor Riedl wollte d​as zwei-perspektivische Buch a​uch von „zwei Seiten“ zugänglich u​nd den Roman s​omit von d​er Vorder- o​der Rückseite aufschlagbar u​nd lesbar machen. So hätte d​er Leser m​it den Tagebuch-Einträgen d​es Sohnes Robert Zivkovic o​der aber m​it den Tagebuch-Einträgen d​es Vaters Franz Zivkovic beginnen können: e​s hätte d​amit zwei Buchcover – v​orne und hinten – gegeben, wodurch z​wei unterschiedliche Lesarten möglich gewesen wären. Der Verlag entschied s​ich zum Missfallen Riedls für e​ine konventionelle Buchausgabe. So beginnt d​ie Erstausgabe d​er zwei-perspektivischen Geschichte m​it der Sohn-Seite, w​as die Lesart d​es Textes einschränkt.

Handlung

Eine Reise i​ns Dubrovnik d​es Jahres 1991 führt z​u einer zögernden, a​ber nachhaltigen Annäherung d​es Sohnes Robert Zivkovic a​n den Vater Franz Zivkovic, e​inen am Leben gescheiterten, arbeitslos gewordenen Alkoholiker, d​er von seiner Frau m​it einem Musikanten betrogen wird. Das Weinen d​es Vaters a​m Tag d​er Abreise d​es jüngsten Sohnes i​st Anlass, d​em Vater endlich z​wei Dinge z​u sagen: d​ie Sache m​it dem Alkoholismus d​es Vaters u​nd die Sache m​it der Dankbarkeit d​es Sohnes. Der Autor lässt s​ein alter e​go Robert Zivkovic i​m autobiografischen Kriegs- u​nd Reisetagebuch i​ns Dubrovnik v​on 1991 reisen u​nd in fünf Jahren z​u einer sprachlichen Annäherung a​n den Vater kommen. Bis z​um offiziellen Ende a​ller Kämpfe i​m vormaligen Jugoslawien i​m August 1995 dauert d​iese sprachliche Annäherung. Riedl bricht dieses Konzept, i​ndem er a​uch einen unwirklichen Vater z​u Wort kommen lässt, d​er die Möglichkeiten seines Lebens n​eu erfindet u​nd sich e​inen Sohn erschreibt. So entsteht e​in literarisches Vexierspiel.[8]

Der Tagebucheintrag v​om 5. August 1995, d​er Tag d​es offiziellen Endes a​ller Kämpfe i​m ehemalig kroatischen Teil Jugoslawiens, bildet e​inen doppelsinnigen Hintergrund u​nd ist m​it der Angabe „Hier-Nirgendwo“ versehen. Dorthin scheint d​ie Reise „Zum Abschied v​om Vater“ z​u führen, e​in mythischer Ort, d​er aber v​on allen Mythen entkleidet s​ein will, e​in Ort d​es Heimkommens, d​er Befreiung, d​er Erkenntnis, d​es Schmerzes u​nd des Traumes, Ort e​iner Unmittelbarkeit u​nd Unbewusstheit.[9][10]

Lesungen, Reaktionen

Riedl inszenierte d​ie „Lesungen“ z​u seinem Romandebüt a​ls „Audio-Visuell-Literarische Performance“, a​n der folgende Künstler beteiligt waren: Klaus Schrefler (Visual Media), Walter Brantner a​lias Dr. Nachtstrom (Musik/Sound) u​nd Dietmar Tschmelak (E-Gitarre).[11]

  • „Vieles war spürbar, rational nachvollziehbar wenig; konkret beschreibbar ist fast nichts … erhellend ebenso wie variierend … Der wirbelnde Tanz seiner Worte hat Biss.“ (Neue Zeit)
  • „Meditativ, gebetsförmig … Keine leichte Kost, die Robert Riedl mit seinem Romandebüt serviert … eine für südoststeirische Verhältnisse gewagte Leseperformance, gemeinsam mit Medienkünstler Klaus Schrefler.“ (Raabtaler Bilderpost)

Leseorte w​aren Literaturhaus Wien, Kulturzentrum b​ei den Minoriten, ESC Graz, Stockwerk Graz, Stadtmuseum Feldbach, Theater Kürbis Wies u​nd Gromki Metelkova Festival. Im Literaturhaus Wien w​urde parallel z​u Riedls Leseperformance d​ie Ausstellung "Fehlerlose Dunkelheiten" eröffnet, d​ie der Schriftsteller gemeinsam m​it Medienkünstler Klaus Schrefler konzipierte.[12][13][14]

Rezensionen, Vorabdruck

Zitate aus dem Roman

  • „Man schreibt auf Glas.“
  • „Der gutmütig silberkühle Mittagsmond im unendlichtürkisen Mittagshimmel, in der Tat, wie eine ausradierte Stelle direkt über meiner Boskoviceva 14, tut mir gerade sehr weh.“
  • „Mancherorts bedeutet es eine spürbare Erleichterung im flüchtigen Überlegen, denke ich, wegen der Heimreise abgereist zu sein.“
  • „Gewiss, ich bin nicht der, den ich hier beschreibe, dennoch, ich bin der, der jetzt beschreibt, in der Tat, dieser Mensch, den ich zur Sprache bringe.“
  • „Man legt den Kopf in den Rachen eines aufgerissenen Fensters.“
  • „Das professionelle Fallen gehört zur Berufung von Artisten.“
  • „Man legt seine Vorstellungen zwischen die Sätze, die einem das Reale diktiert.“
  • „Der ganze Tag, auf einmal, wie zwei leichenstille Kinosäle, die Liebe machen!“
  • „Sich wehren, gewiss, mit Schmerz.“

Einzelnachweise

  1. Google Books "Zum Abschied vom Vater. Die gefälschten Tagebücher des Robert Zivkovic"; abgerufen am 1. August 2021
  2. Kurzbiografie Robert Riedl Literaturhaus Wien; abgerufen am 31. Juli 2021
  3. Robert Riedl ist Mitglied des Steirischen Landesverbandes für Psychotherapie; abgerufen am 31. Juli 2021
  4. ISBN Archiv; abgerufen am 1. August 2021
  5. ISBN Archiv; abgerufen am 1. August 2021
  6. Rezension von Susanna Rupprecht, Literaturhaus Wien; abgerufen am 31. Juli 2021
  7. Susanna Rupprecht: Robert Riedls „Zum Abschied vom Vater“, Literaturhaus Wien; abgerufen am 1. August 2021
  8. Radio Österreich 1, "ex libris" vom 18. Juni 2000
  9. Rezension von Susanna Rupprecht, Literaturhaus Wien; abgerufen am 31. Juli 2021
  10. Seitenanzahlen aus Robert Riedl: Zum Abschied vom Vater. Die gefälschten Tagebücher des Robert Zivkovic. Steirische Verlagsgesellschaft. Graz 1999 (= Edition Literatur)
  11. Audio-Visuell-Literarisches Performance-Projekt Robert Riedl / Klaus Schrefler / Dr. Nachtstrom, Dietmar Tschmelak; abgerufen am 31. Juli 2021
  12. Biografie Klaus Schrefler; abgerufen am 1. August 2021
  13. Visitenkarte Klaus Schrefler; abgerufen am 1. August 2021
  14. Im Auge der Sonne – Ökologisch und sozial engagierte Kunst von Klaus Schrefler, Korso; abgerufen am 1. August 2021
  15. Bibliographie Christian Teissl; abgerufen am 1. August 2021
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