Werkleute (Bund jüdische Jugend)

Die Werkleute, ursprünglich Werkleute. Bund deutsch-jüdischer Jugend, später Werkleute. Bund jüdische Jugend, w​aren Teil d​er Jüdischen Jugendbewegung i​n Deutschland. Sie hatten s​ich 1932 v​on den Kameraden abgespalten. Nach Shlomo Erel w​aren sie „eine Gruppe d​er großen nichtzionistischen, deutschbetonten Jugendbewegung“, d​ie aber n​ach der Trennung e​inen zionistischen Weg eingeschlagen u​nd die Auswanderung n​ach Palästina angestrebt habe.[1]

Gründungsgeschichte der Werkleute

Die Geschichte d​er Werkleute i​st eingebettet i​n die

und v​or allem i​n die

von d​enen sie s​ich nach d​em letzten gemeinsamen Pfingsttreffen 1932 abgespalten hatten.[2] Neben d​em zur gleichen Zeit a​us den Kameraden hervorgegangenen Schwarzen Fähnleins, d​as deutsch-national ausgerichtet war, u​nd der stärker sozialistisch orientierten Freien deutsch-jüdischen Jugend w​aren die Werkleute diejenigen, d​ie den „Weg v​on ihrer assimilatorischen Vergangenheit i​n Deutschland z​u einem bewußten Judentum“ g​ehen wollten,[1] w​obei in d​er Anfangsphase d​ie „Zugehörigkeit z​um deutschen Lebensraum [..]wie s​ie durch d​ie historische Entwicklung a​ls unbestreitbare Tatsache gegeben ist“ n​icht in Frage gestellt wurde. Erst i​m April 1933 w​urde der Begriff „deutsch“ a​us dem Bundesnamen gestrichen u​nd die Errichtung e​iner eigenen Siedlung i​n Palästina z​um Bundesziel erklärt. Der Verband nannte s​ich nun Werkleute. Bund jüdische Jugend.[2]

Der Name Werkleute klingt n​ach Handwerk u​nd könnte d​en Diskussionen u​m die Umschichtung entlehnt sein. Tatsächlich a​ber ist unklar, o​b er a​us dem Rabbi Tarfon zugeschriebenen Ausspruch: „Nicht l​iegt es a​n dir, d​as Werk z​u vollenden, a​ber du b​ist auch n​icht frei, v​on ihm abzulassen“ abgeleitet w​urde oder a​us einem Vers a​us Rilkes Stundenbuch: „Werkleute s​ind wir: Knappen, Jünger, Meister, u​nd bauen dich, d​u hohes Mittelschiff.“[2][3] Allerdings w​eist Zeev W. Sadmon darauf hin, d​ass sich d​ie „‚Werkleute‘ v​on 1932 t​rotz aller Rückbesinnung a​uf jüdische Geisteswurzeln a​ls ein später Reflex, j​a als e​ine Filiation d​er deutschen Jugendbewegung u​nd der Werkleute-Idee [erwiesen hätten], w​ie sie s​ich z.B. i​n so verschiedenen Richtungen w​ie dem Deutschen Werkbund (1907), d​em ‚Bund d​er Werkleute a​uf Haus Ny land‘ i​n Westfalen (1905) u​nd in d​er Reformpädagogik d​es Arbeitsunterrichts Georg Kerschensteiners entwickelt hatten“.[4]

Die Werkleute stehen w​ie die meisten jüdischen Jugendverbände i​n der Tradition d​er deutschen Jugendbewegung. Shlomo Erel zitiert d​azu den geistigen Führer d​er Werkleute, d​en „1908 i​n Frankfurt a​n der Oder i​n einem assimilierten, d​urch die Inflation verarmten Elternhaus geborenen“ Hermann Gerson:[5] „Wir w​aren deutsche Wandervögel, Wyneken- u​nd Georgeschüler, Liebhaber d​er deutschen Kunst; w​ir hatten unsere innere Befreiung i​n diesen deutschen Wäldern gefunden, d​ie wir deshalb t​ief liebten. Wir fühlten u​ns wirklich z​u Hause ... Es w​ird nie e​twas geben, w​as mir d​ie Bachmessen u​nd die Georgegedichte unnötig machte; i​ch will e​s gar n​icht finden.“[1] Diesem e​inen Pol seines Denkens fügte Gerson e​inen zweiten hinzu, nämlich d​ie „positive Stellung z​um geistigen Erbgut d​es Judentums“. Dazu b​ezog er s​ich auf Martin Buber, „als dessen Schüler Hermann Gerson s​ich verstand“.[2] Nach Jacob Michaeli f​and jedoch bereits i​n den frühen 1930er Jahren e​ine Verschiebung i​n der theoretischen Orientierung d​er Werkleute statt: w​eg von Martin Buber u​nd Hinwendung z​u den Ideen v​on Ber Borochov.[6] Walter Laqueur bestätigte für d​ie Werkleute a​us eigenem Erleben d​eren Affinität z​u den Ideen dieser beiden Denker, bekannte a​ber für sich: „Für Buber entwickelte i​ch kein Gefühl, f​and wenig Interesse a​n der Bibel u​nd war n​icht gerade überzeugt v​on den Schriften d​es Ber Borochow.“[7]

Shlomo Erel z​ieht die Traditionslinie d​er Werkleute n​och etwas weiter. Im Hinblick a​uf die zumeist gutbürgerliche Herkunft spricht e​r von e​iner „Gruppe verfeinerter Jugendlicher, d​ie ihren Weg über Martin Buber, Gustav Landauer u​nd A. D. Gordon z​u der palästinensischen Arbeiterschaft u​nd zum Kibbuz fand. [..] Von George u​nd Rilke z​u rückenbrechender Arbeit u​nd kibbuzischer Entbehrung − d​as war e​in gewagter Sprung.“[1] Aus d​er Sicht d​es Jahres 1982 u​nd vor d​em Hintergrund d​er damaligen Entwicklung v​on Hasorea h​ielt er i​hn für geglückt.

Mitglieder der Werkleute

Bei d​er Gründung i​m Jahre 1932 hatten d​ie Werkleute e​twa 1.000 Mitglieder u​nd bildeten d​ie größte Nachfolgeorganisation d​er Kameraden.[2] Wer d​iese Personen waren, i​st nur schwer z​u ergründen, d​a ihre Spuren i​n der Literatur u​nd im Internet r​ar sind. In d​er nachfolgenden knappen Übersicht werden a​uch die Namen aufgeführt, d​ie in d​em Buch Die rettende Kraft d​er Utopie k​urz skizziert werden. Sie gehörten a​ls Werkleute a​lle zur Gründergeneration d​es Kibbuz Hasorea.[8] * Friedrich Altmann gehörte 1933 z​um Führungskreis d​er Werkleute.[9]

  • Josef Amir
  • Rudi Baer (* 4. November 1906 in München – 18. November 1998 in Hasorea) gehörte zusammen mit Schaul Ginsberg (Genossar, siehe unten) und Ernst Nehab (Meir Nehab) zu der Ende 1933 nach Palästina aufgebrochenen „Vorhut“ der Werkleute, die später Hasorea gründeten. Er war promovierter Kunsthistoriker, der seine Redakteursstelle beim Propyläen Verlag aufgab, um auf Alija zu gehen.[2]
  • Jochanan Ben-Jaacov
  • Lotte Dalberg, später Lotte Gammon, besuchte die Malwida von Meysenbug-Schule in Kassel. „Sie trat 1930 in die Schule ein und verließ sie 1934 mit dem Abiturzeugnis. Sie emigrierte nach Palästina. In Deutschland gehörte sie zur deutsch-jüdischenJugendbewegung "Kameraden", die sich noch vor 1933 in die Gruppe der "Werkleute" (zionistische Tendenz) umwandelte. Diese Gruppe gründete den Kibbuz der Werkleute, heute "Hasorea". Sie lebte bis kurz nach dem Weltkrieg im Kibbuz, ging dann zu ihren Eltern nach Kalifornien (USA), studierte Chemie und wurde Lebensmittelchemikerin.“[10]
  • Edith (Koenigsberger) Dietz, geboren in Gießen 1921, trat 1935 den Werkleuten bei, vermutlich in Köln.[11]
  • Ruth Durlacher-Horn (* 1918 in Köln) wird in der Yad-Vashem-Dokumentation als Mitglied der Werkleute seit 1928 erwähnt, was wahrscheinlich bedeutet, dass sie bereits Mitglied der Kameraden gewesen ist.[12]
  • Schaul Genossar
  • Ursel Genossar
  • Hermann Gerson, der sich später Menachem Gerson nannte, war der Bundesführer der Werkleute. Seine Rolle wird als „Vordenker“,[2] „Cheftheoretiker“[5] und, leicht ironisch, als„Guru“[1] der Werkleute beschrieben.
  • Gustav Horn war aktiv in der Kölner Gruppe der Kameraden und überführte diese Gruppe in die Organisation der Werkleute deren Gründungsaufruf er zusammen mit Hermann Gerson unterzeichnet hatte. Er war Sekretär des Hechaluz.[1][13]
  • Wilfrid Israel sympathisierte mit den Werkleuten.[14] Gustav Horn attestiert ihm eine enge Bindung: „Wilfrid, der nur widerstrebend, wenn überhaupt, irgendeine organisatorische Verbindung einging, scheute sich nicht, sich dem Kreis der Werleute so eng anzuschließen, dass er von sich aus den Vorschlag machte, [..] einen Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Nach einer öffentlichen Veranstaltung, bei der die Grundlagen unseres Weges vorgestellt wurden, schrieb Wilfrid: ‚Von einem Zuhörer wurde ich zum Anhänger‘. Es ist jedoch klar, dass für ihn der Akt, ein Anhänger zu werden, nicht bedeuten konnte, sich mit allen Meinungen und Ansichten dieser Gruppe von Menschen zu identifizieren.“[15]
  • Lotte Jastrow, verheiratete Lotte Rotholz (* 25. September 1923 in Bad Bentheim – 1943 ermordet in Auschwitz) war als Schneiderin ein eher atypisches Mitglied der Werkleute. Sie emigrierte nicht, sondern wurde als Mitglied der Widerstandsgruppe um Herbert Baum am 10. August 1942 verhaftet und am 10. Dezember 1942 durch den Volksgerichtshof zu einer Strafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt, ihr Mann Siegbert Rotholz zum Tode. „Lotte Rotholz wurde vom Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße zur Strafverbüßung in das Zuchthaus Cottbus gebracht, von hier aus am 12. Oktober 1943 zurück nach Berlin in das Deportationssammellager in der Großen Hamburger Straße überführt und schließlich gemeinsam mit einer anderen Frauen aus der Gruppe um Herbert Baum, Alice Hirsch, am 14. Oktober 1943 mit dem sogenannten „44. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Ihr Todesdatum dort ist unbekannt.“[16]
  • Walter Laqueur[17]
  • Eva Marcuse (* 1913, verheiratete Eva Neumark) lebte später in Hasorea.
  • Die Gebrüder Erich Jehoshua und Ephraim (Eder) Marx waren beide Mitglieder der Werkleute.[18] Erich Jehoshuas Aktivitäten im Bund sind mehrfach Gegenstand in Leopold Marx' Buch Mein Sohn Erich Jehoshua.[19]
  • Ilse Meyerhof
  • Meir Nehab
  • Alfred Neumark (später Eldad Neumark; * 20. Februar 1921 in Frankfurt (Oder) – † 16. Mai 2010 in Israel)[20]
  • Lore (Zimels) Sieskind, geboren 1920 in Berlin, war in der Widerstandsbewegungen in den Niederlanden aktiv. Die Yad-Vashem-Dokumentation führt sie als Mitglied der „Hashomer Hazair (Werkleute – Bund Juedischer Jugend), 1932“, was keine eindeutige Zugehörigkeit belegt.[21]
  • Irene Spicker, später Irene Awret
  • Ernst Stillmann gehörte 1933 zum Führungskreis der Werkleute.[9]
  • Arnon Tamir wurde 1917 in Stuttgart als Arnold Siegried Fischmann geboren. Er hatte schon als Schüler Kontakt zu den Werkleuten und brach 1933 das Gymnasium ab, um in Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina eine Gärtnerlehre zu beginnen. Darüber und über seinen späteren Neubeginn in Hasorea berichtet er in seinem Buch Eine Reise zurück (siehe unten).
  • Jacob Toury
  • Mara Vishniac, die Tochter des Fotografen Roman Vishniac, war 1937 als fast elfjährige Mitglied in der Gruppe der „Jüngeren“ Mitglied der Werkleute geworden.[22]
  • Ulla Weiler (* 1920 in Berlin) lebte in Palästina unter dem Namen Ilana Michaeli. Der Vater Arzt, die Mutter Kindergärtnerin und Sprechstundenhilfe, lebten in engem Kontakt zum Großvater mütterlicherseits, zu dem sich auch Ulla sehr hingezogen fühlte. Zusammen mit diesem verwitweten Großvater, der ebenfalls Arzt war, feierte die Familie die jüdischen Feste. „Man war sich durchaus bewußt, Jude zu sein, das heißt, man hat eben die Feiertage eingehalten.“[23]
    Ulla besuchte das von Susanne Charlotte Engelmann geleitete Viktoria-Oberlyzeum und kam 1931 zu den Kameraden. Nachdem ein Jahr später ihr Vater mitbekommen hatte, dass die Gruppenleiterin die zwölfjährige Ulla mit kommunistischen Ideen zu beeinflussen versuchte, musste sie die Gruppe verlassen und ohne direkten Kontakt zur Jugendbewegung leben. 1933 fand sie dann den Weg zu den Werkleuten: „Die Gruppe, die wir in den ›Werkleuten‹ hatten, war nachher ein sehr wichtiger und bestimmender Faktor in meiner Erziehung, in meinem Wesen. Es waren einige Mädchen aus der Klasse dabei, und nachher waren wir elf Mädchen aus den verschiedensten Kreisen, hauptsächlich mittelbürgerlich; aber wir hatten auch ein Mädchen aus einer proletarischen Familie aus dem Wedding dabei. Und das war der Kreis von Menschen, in dem ich meine Kinder- und Jugendjahre nachher verlebt habe.“[24]
    Susanne Charlotte Engelmann, die jüdische Direktorin des Viktoria-Oberlyzeums, musste 1933 die Schule und den Staatsdienst verlassen. Auch die meisten jüdischen Schülerinnen verließen die Schule, Ulla Weiler, der die Veränderungen des Schulklimas sehr gut in Erinnerung geblieben sind, war bald die einzige jüdische Schülerin der Schule.[25]
    Wie lange Ulla Weiler noch auf der Viktoria-Schule blieb, ist nicht bekannt. Sie hat in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre eine Hachschara auf Gut Winkel durchlaufen und im Anschluss daran in einem Wohnheim für jüdische Mädchen in Oberschlesien gearbeitet. 1939 wanderte sie nach Palästina aus und fand Arbeit in Hasorea. Ihren Eltern war bereits ein Jahr vorher die Flucht nach Palästina gelungen.[8]
  • Ruth Wertheim (später Ruth Baer) war wie Lotte Dalberg (siehe oben) Schülerin der Malwida von Meysenbug-Schule in Kassel, und zwar 1928 von der Quinta an bis zur Unterprima im Jahre 1934. Sie verließ die Schule, weil für sie als Jüdin keine Aussicht mehr bestand, zum Abitur zugelassen zu werden. Für ein halbes Jahr sie auf eine Haushaltsschule und besuchte seit „etwa 3 Jahre den Nachmittagsunterricht der jüdischen Gemeinde, da ich aus einem sehr assimilierten Haus kam und plötzlich erkannte, daß ich Jüdin bin, ohne zu wissen, was Jude sein bedeutet. Dort lernte ich hebräisch lesen und etwas jüdische Geschichte und Gebete. Ich war ab1933 Mitglied im ‚Hechaluz‘ und einem jüdischen Jugendbund ‚Werkleute‘, wo ich auch sehr aktiv als Führerin Gruppen leitete. [Die haben] mir die Leere ersetztund einen neuen Lebensinhalt gegeben. Ich wollte am liebsten nach Palästina gehen, aber meine Mutter bestand darauf, daß ich erst einmal nach England gehe, um die Sprache zu lernen, und dort ermöglichten es mir Verwandte, eine Ausbildung als Kindergärtnerin und Montessori-Lehrerin zu haben, was mir auch später im Leben sehr geholfen hat.“[10] Ruth Wertheim konnte 1938 von England aus mit einem Kapitalisten-Zertifikats nach Palästina reisen und ein Jahr später mit einem Kategorie-D-Zertifikat ihre Mutter nachholen. In Palästina studierte sie Englisch und arbeitete danach als Englischlehrerin. 1941 heiratete sie und wurde Mutter von zwei Töchtern. Doch in einem Brief vom 31. März 1983 bekannte sie: „Leider haben wir hier keine friedliche neue Heimat gefunden, und ich fürchte sehr für die Zukunft meiner Familie.“ Sie lebte in Haifa.[10]
  • Helene Westphal, später Leni Yahil (* 27. Juni 1912 in Düsseldorf – † 2007 in Israel), wurde „mit der Gründung der ‚Werkleute‘ [..] in die Bundesleitung gewählt. Sie hatte erzieherische und organisatorische Aufgaben, besuchte häufig Ortsgruppen, war oft auf Reisen und betätigte sich auch journalistisch, indem sie ihren Anschauungen in den Bundesländern Ausdruck gab. Sie unterzeichnete, zusammen mit Hermann Gerson (als Bundesführer) und Gustav Horn (als Mitglied der Bundesleitung) am 4. August 1932 die Erklärung über das Bundesziel der ‚Werkleute‘.“[4]

Kibbuz Hasorea

Ernst Nehab bezeichnete d​en 1. April 1933, d​en Tag d​es Judenboykotts, a​ls den endgültigen Wendepunkt i​n der Geschichte d​er Werkleute. Bis d​ahin habe d​ie Auffassung geherrscht, s​ie könnten u​nd müssten i​hre Ziele i​n Deutschland verwirklichen. Mit d​em Judenboykott a​ber habe s​ich schlagartig gezeigt, d​ass es für d​ie Werkleute k​eine Zukunft m​ehr in Deutschland gäbe. Der 1. April 1933 w​ar ein Samstag, u​nd Nehab f​uhr noch a​m gleichen Wochenende z​u seinen Eltern i​n Frankfurt (Oder), u​m diese v​on seinem Entschluss z​u unterrichten.[26]

Ende 1933 reiste d​ann eine e​rste Gruppe v​on zehn Werkleuten n​ach Palästina ab. Wie Nehab a​uch (siehe Oben) k​amen sie a​lle mit e​inem Kapitalistenzertifikat n​ach Palästina,[27] u​nd da d​ie meisten v​on ihnen z​uvor keine Hachschara durchlaufen hatten, verteilten s​ie sich a​uf mehrere Kibbuzim, u​m dort d​ie praktische Ausbildung nachzuholen.

„Sie w​aren die ›Vorhut‹ der »Werkleute«, d​azu bestimmt, e​rste organisatorische Kontakte z​u knüpfen, u​nd sich a​uf ihr Leben a​ls Landarbeiter i​m Kibbuz vorzubereiten. Sie fühlten s​ich nicht a​ls Olim, d​ie nur w​egen einer äußeren Notiage o​der aufgrund d​es politischen Druckes i​n Nazideutschland n​ach Palästina auswanderten: Sie reisten a​ls Chaluzim u​nd wussten s​ich den zukünftigen Anforderungen gewachsen. Wie hieß e​s bei Hermann Gerson: »Wir werden n​eue Aufgaben haben, d​ort aber a​lle Waffen i​n der Hand haben.«
Zu diesen ›Waffen‹ gehörte v​or allem j​enes jüdische Wissen, d​as sich d​ie Mitglieder d​er »Werkleute« bei d​en gemeinsam gefeierten jüdischen Festen, i​n den Bibel- u​nd Hebräischkursen s​owie durch i​hre Beschäftigung m​it der Geschichte d​er deutschen Juden u​nd der jüdischen Aufklärung n​eu erworben hatten. Den d​arin erkannten kulturellen Werten wollten s​ie in d​em jüdischen Gemeinwesen Palästinas e​ine eigene Gestalt verleihen, w​obei ihre Praxis v​on den Grundwerten i​hres Bundes bestimmt s​ein sollte: v​om »Willen z​ur Gemeinsamkeit« und v​om »dialogischen Wollen«.
Die Mitglieder d​es Bundes galten a​ls die »Besten d​er jüdischen Jugend i​n Deutschland«.“

Irmgard Klönne: Jugendbewegung und Realitätserfahrung. S. 137–138

Im Dezember 1935 f​and eine Landzuweisung a​n die inzwischen zahlreicher gewordenen Einwanderer i​n der Jesreelebene zwischen Haifa u​nd Megiddo statt, worauf d​ort im April 1936 d​as Kibbuz Hasorea offiziell gegründet wurde.[2] Insgesamt emigrierten b​is 1936 e​twa 200 d​er ungefähr 1200 Mitglieder n​ach Palästina, weitere 400 hatten s​ich in Hachschara-Kursen a​uf die Emigration vorbereitet. Bis z​um Ausbruch d​es Zweiten Weltkriegs konnten f​ast alle Mitglieder d​er Werkleute a​us Deutschland ausreisen, d​ie jüngeren Kinder m​it den Kindertransporten n​ach Großbritannien u​nd in d​ie Niederlande, d​ie ältere Jugendlichen n​ach Palästina.[28]

Literatur

  • Hermann Gerson: Werkleute. Ein Weg Jüdischer Jugend. Kommissionsverlag Kedem, 1935.
  • Eliyahu Maoz: The Werkleute. In: The Leo Baeck Institute Year Book, Volume 4, Issue 1, 1 January 1959, S. 165–182.
  • Shlomo Erel: 50 Jahre Immigration deutschsprachiger Juden in Israel, Bleicher Verlag, Gerlingen, 1983, ISBN 3-88350-601-X. Darin auf den Seiten 189–193:
    • Kibbuz Hasorea der ‚Werkleute‘. Hier gibt der Autor einen kurzen Überblick über die Gründungsgeschichte und den Entwicklungsstand des Kibbuz zu Beginn der 1980er Jahre.
  • Walter B. Godenschweger und Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. Deutsche Juden gründen den Kibbuz Hasorea, Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt am Main, 1990, ISBN 3-630-86733-2.
  • Arnon Tamir: Eine Reise zurück. Von den Schwierigkeiten, Unrecht wiedergutzumachen. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1992, ISBN 3-596-11466-7.
  • Irmgard Klönne: Jugendbewegung und Realitätserfahrung. Von der deutsch-jüdischen Jugendbewegung zur Kibbuzgesellschaft. In: Ḥotam, Yotam (Hrsg.): Deutsch-jüdische Jugendliche im „Zeitalter der Jugend“, V & R Unipress, Göttingen, 2009, ISBN 978-3-89971-557-6, S. 121–144. (Teilweise über Google-Books: Irmgard Klönne: Jugendbewegung und Realitätserfahrung)

Einzelnachweise

  1. Schlomo Er'el: Kibbuz Hasorea der ‚Werkleute‘
  2. Irmgard Klönne: Jugendbewegung und Realitätserfahrung. Von der deutsch-jüdischen Jugendbewegung zur Kibbuzgesellschaft. In: Ḥotam, Yotam (Hrsg.): Deutsch-jüdische Jugendliche im „Zeitalter der Jugend“. V & R Unipress, Göttingen, 2009, ISBN 978-3-89971-557-6, S. 121–144. (Teilweise über Google-Books: Irmgard Klönne: Jugendbewegung und Realitätserfahrung)
  3. Walter Laqueur führt den Begriff Werkleute auf Buber und Rilke zurück, die ihn beide gelegentlich benutzt hätten. (Walter Laqueur: Wanderer wider Willen. S. 160)
  4. Zeev W. Sadmon: Düsseldorf – Potsdam – Jerusalem. Die Historikerin Leni Yahil
  5. Micha Brumlik: Im Volksheim. Wie deutsche Reformpädagogik und bündische Jugendkultur die Kibbuzbewegung mitprägten, Jüdische Allgemeine, 1. April 2010.
  6. Jacob Michaeli: Der Kibbuz Hasorea. Zur Geschichte einer von Juden aus Deutschland gegründeten Gemeinschaftssiedlung. In: Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. S. 144.
  7. Walter Laqueur: Wanderer wider Willen. S. 160. Er selber begeisterte sich mehr für Chaim Arlosoroff.
  8. Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. S. 136–139.
  9. Jehuda Reinharz: Haschomer Hazair in Nazideutschland, 1933–1938. In: Arnold Paucker, Peter Pulzer, Barbara Suchy: Die Juden Im Nationalsozialistischen Deutschland 1933–1943, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1986, ISBN 3-16-745103-3, S. 330 (Anmerkung 46)
  10. Dietrich Heither, Wolfgang Matthäus, Bernd Pieper: Als jüdische Schülerin entlassen. Erinnerungen und Dokumente zur Geschichte der Heinrich-Schütz-Schule in Kassel.}
  11. Yad Vashem: Memoirs of Edith (Koenigsberger) Dietz
  12. Yad Vashem: Testimony of Ruth Durlacher-Horn
  13. Suska Döpp: Jüdische Jugendbewegung in Köln 1906–1938. LIT, Münster, 1997, ISBN 3-8258-3210-4, S. 165 (Anmerkung 650 und weitere verstreute Hinweise).
  14. Well-endowed. Wilfred Israel bequeathed his art collection to Kibbutz Hazorea, where the members slept in tents and shacks. Over 50 years later, the museum in his name is a good reason to visit the Jezreel Valley. Haaretz, 7. Dezember 2001.
  15. GUSTAV HORN: We From The Kibbutz Hazorea
  16. Johannes Tuchel: Siegbert und Lotte Rotholz – Angehörige der Widerstandsgruppe Baum & Stolperstein für Lotte Rotholz
  17. Walter Laqueur: Wanderer wider Willen. Erinnerungen 1921–1951. edition q, Berlin 1995, ISBN 3-86124-270-2, S. 159.
  18. Erich Jehoshua Marx – Schicksal eines jüdischen Schülers, in: Kepler-Brief 2012, herausgegeben vom Verein der Freunde des Johannes-Kepler-Gymnasiums Bad Cannstatt e.V, S. 23–27.
  19. Leopold Marx: Mein Sohn Erich Jehoshua. Sein Lebensweg aus Briefen und Tagebüchern. Bleicher Verlag, Gerlingen, 1996, ISBN 3-88350-730-X.
  20. Biographische Notizen über ihn finden sich auf der Seite Liste der Stolpersteine in Frankfurt (Oder)
  21. Yad Vashem: Testimony of Lore (Zimels) Sieskind, born in Berlin, Germany
  22. Mitgliedskarte Mara Vishniac. Sie war später mit dem per Kindertransport aus Österreich geretteten Nobelpreisträger Walter Kohn verheiratet.
  23. Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. S. 32.
  24. Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. S. 44–45.
  25. Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. S. 56–58.
  26. Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar: Die rettende Kraft der Utopie. S. 64–65.
  27. Projekt Stolpersteine Frankfurt (Oder): Familie Nehab (von Ralf-Rüdiger Targiel, Stadtarchiv Frankfurt)
  28. Eliyahu Kutti Salinger: „Nächstes Jahr im Kibbuz“. Die jüdisch-chaluzische Jugendbewegung in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Kowag, Paderborn 1998, ISBN 3-933577-01-2, S. 120 f.
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