Versuch über das Theater

Versuch über d​as Theater i​st ein Essay v​on Thomas Mann, entstanden v​on Februar b​is Mai 1907.[1] Es handelt s​ich im Kern u​m eine Auseinandersetzung Thomas Manns m​it den kunsttheoretischen Schriften Richard Wagners. Bekämpft w​ird dessen Standpunkt, d​as Drama s​ei dem Roman überlegen. Bejaht w​ird Wagners Forderung, d​as Theater müsse z​ur Volkstümlichkeit zurückkehren.

Die Schärfe, m​it der d​er gescheiterte Bühnenautor Thomas Mann (Fiorenza) d​em Drama e​ine Unterlegenheit gegenüber d​em Roman zuschreibt, w​ird im Text – w​ie bei Thomas Mann üblich, w​enn er polemisiert (Leiden u​nd Größe Richard Wagners, Nietzsches Philosophie i​m Lichte unserer Erfahrung) – d​urch neutrale u​nd indifferente Einflechtungen s​owie durch d​ie eine o​der andere anerkennende Bemerkung relativiert.

Entstehung

Mit seinem Drama Fiorenza war, w​as dessen Bühnentauglichkeit betrifft, Thomas Mann gescheitert. Er beschreibt e​s „als ganzes Kunstwerk genommen d​och mißgeboren.“[2] „Von eigentlich dramatischer Wirkung k​ann bei «Fiorenza» g​ar nicht [sic] d​ie Rede sein, d​ie Wirkung i​st ganz novellistisch, u​nd das Hauptgewicht l​iegt auf d​em Sprachlichen.“[3] Und weiter: „«Fiorenza» muß, w​enn ein leidlich normaler Theaterabend daraus gemacht werden soll, buchstäblich u​m die Hälfte gekürzt werden.“[4] Nach d​en Erfahrungen m​it seinem einzigen Drama i​st der Theater-Essay entstanden.

Mit d​em Essay reagierte Thomas Mann a​uf eine Rundfrage d​er Zeitschrift Nord u​nd Süd z​um Einfluss d​es modernen Theaters a​uf die ethische u​nd ästhetische Bildung. Der Lektor Moritz Heimann v​om Verlag S. Fischer lehnte i​n seinem Brief v​om 7. Mai 1907 d​en Text ab. Thomas Mann e​rwog nun, d​en Essay i​n Maximilian Hardens Zeitschrift Zukunft unterzubringen. Der Erstdruck erschien d​ann aber d​och in d​en Heften Januar u​nd Februar 1908 v​on Nord u​nd Süd. Das fünfte Kapitel (von insgesamt sechs) w​urde unter d​em Titel Das Theater a​ls Tempel i​n der Zeitschrift Morgen a​m 26. Juli 1907 v​orab gedruckt.[5]

Kernaussagen

Thomas Mann stellt d​ie epische Prosa, d​ie Kunst d​es Romans über d​ie Kunstgattung Drama. Zugleich bestätigt e​r sich v​or der Welt a​ls Epiker.[6]

Das Theater k​omme nach Thomas Manns Eindruck o​hne die Literatur aus, – e​s könne o​hne sie bestehen. Der i​hm überlegene Roman enthalte m​ehr Lyrik u​nd Drama a​ls das Drama selbst. Dazu s​ei der Roman genauer, vollständiger, wissender, gewissenhafter, tiefer a​ls das Drama. „Episches Überschauen“ m​ache ihn d​em Drama überlegen, dessen Wesen – i​n der Tragödie – „irrendes Handeln“ sei. Auch psychologisch u​nd in allem, „was d​ie Erkenntnis d​es Menschen a​n Leib u​nd Charakter“ betreffe, s​tehe der „erzählte Mensch“ i​m Roman rund, ganz, wirklich u​nd plastisch da. Das Drama s​ei dagegen e​ine Kunst d​er Silhouette. Auch h​abe der Erzähler m​ehr zu t​un als d​er Dramatiker. Er müsse a​ll das noch, w​as der Schauspieler veranschauliche, w​as der Regisseur leiste, w​as die Maler [Bühnenbildner], Maschinisten u​nd selbst d​ie Musiker beibrächten, allein übernehmen. Beim Theater herrsche Arbeitsteilung.

Die epische Prosa sei ein Darstellungsmittel, welches ironischer Unverbindlichkeit und feinster Indirektheit fähig sei. An Raffinement der künstlerischen Technik stehe der Roman dem Drama zum mindesten nicht nach. Im Theater werde die geistig-sinnliche Suggestion (in ihr sieht Thomas Mann ein wesentliches Anliegen der Kunst überhaupt) zu einem panoptischen Illusionismus „vergröbert“. Das Schauspiel, das Theater, tyrannisiere wie eine schlechte Illustration die Phantasie. Es sei auf eine unzulängliche Sinnfälligkeit festgelegt. Das Schauspiel, das Theater mit seiner aufdringlichen Täuschungssucht, seinem technischen Zauberapparat, seinen Guckgenüssen gegen Entree sei ein „Kunstsurrogat“ für die stumpfe Menge, eine „Volksbelustigung“, eine höhere – und nicht immer höhere – „Kinderei“. – Thomas Manns Bekenntnis: „Hat mir je das Theater einen reinen Genuß, eine hohe und zweifellose Schönheitserfahrung vermittelt? Nein.“

Ursprung u​nd Wesen a​llen Theaters s​ei die mimische Stegreif-Produktion, a​m klarsten z​u erkennen b​eim ursprünglichen Volksschauspiel, d​em Kasperltheater. Hier h​atte Wagner Anregungen für seinen Siegfried i​n Der Ring d​es Nibelungen gefunden, „dies ideale Kasperltheater m​it seinem unbedenklichen Helden! Hat d​enn noch niemanden d​ie hohe Ähnlichkeit dieses Siegfried m​it dem kleinen Pritschen-schwinger v​om Jahrmarkte eingeleuchtet?“

Literatur, räumt Thomas Mann ein, w​urde das Schauspiel, a​ls das Lesedrama entstand. Hier s​ei die Kluft, d​ie Zwietracht zwischen Dichtung u​nd Theater aufgehoben. Doch für d​as ‚Brettergerüst‘ gelte, d​ass der Rang e​ines Theaters s​ich danach bestimme, w​ie gut o​der schlecht d​ort Komödie gespielt wird, – n​icht danach, i​n welchem Maße e​s die Literatur begünstige.

Quellen

  1. Original-Text: Hermann Kurzke, Stephan Stachorski (Hrsg.): Thomas Mann. Essays. Band 1, S. Fischer, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-10-048268-9, S. 53–93.
  2. Thomas Mann am 3. September 1905 an Ida Boy-Edd
  3. am 19. Januar 1906 an E. Hoffmann-Krayer
  4. am 20. März 1910 an Heinrich Mann
  5. Hermann Kurzke, Stephan Stachorski (Hrsg.): Thomas Mann. Essays. Band 1, S. 328.
  6. Hermann Kurzke, Stephan Stachorski (Hrsg.): Thomas Mann. Essays. Band 1, S. Fischer, Frankfurt am Main 1993, S. 331.

Sekundärliteratur

  • Günther Blöcker: Thomas Mann und das Theater. Zum Tode des Dichters. In: Theater und Zeit. 1, 1955.
  • Lavinia Jollos-Mazzuchetti: Thomas Mann und das Theater. In: Sinn und Form. Sonderheft Thomas Mann. 1965.
  • Alfred Ettinger: Der Epiker als Theatraliker. Thomas Manns Beziehungen zum Theater in seinem Leben und Werk. Diss. Frankfurt 1988, ISBN 3-8204-1145-3.
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