Velovignette
Die Velovignette, offiziell Fahrradkennzeichen oder Fahrradnummer, war bis zum 31. Dezember 2011 eine obligatorische Haftpflichtversicherung für Velos in der Schweiz sowie im Fürstentum Liechtenstein.
Das Fahrradkennzeichen, ab 1893 eingeführt, bestand in der Schweiz bis 1989 aus einer Blech- bzw. Email- und später Aluminiumplatte, von 1990 bis zur Abschaffung 2012 aus einem kleinen Aufkleber (Vignette). Das Kennzeichen musste jährlich neu gelöst und am Velo angeschraubt (bis 1989) bzw. angeklebt (1990–2011) werden. Das Kennzeichen beinhaltete eine eindeutige Nummer sowie das Gültigkeitsjahr. Die Gültigkeitsdauer reichte vom 1. Januar des Ausgabejahrs bis zum 31. Mai des darauf folgenden Jahres. 2010 beschloss das Parlament die Abschaffung der Velovignette per 1. Januar 2012.[1] 2011 musste somit zum letzten Mal eine solche am Fahrrad angebracht werden.[2]
Das Fahrradfahren ohne gültige Velovignette wurde in der Schweiz mit einer Busse von 40 Franken bestraft. Für Besucher aus dem Ausland war keine Vignette vorgeschrieben.
Die Velovignette war eine Haftpflichtversicherung für Schäden an Dritten, die mit bis zu zwei Millionen Schweizer Franken gedeckt war. Wenn beispielsweise ein Velo ein Auto streifte und den Lack beschädigte, so bezahlte den Schaden die Haftpflichtversicherung. Schäden am eigenen Velo oder Diebstahl waren in der Versicherung nicht enthalten, jedoch boten viele Versicherungsgesellschaften eigene Velovignetten an, die diese Zusatzleistungen enthielten.
Bei Velos, die ohne Velovignette unterwegs waren, übernahm der Nationale Garantiefonds die Haftpflichtkosten, wenn keine andere Versicherung den Schaden übernahm.[3] Jedoch konnte er grundsätzlich Regress auf den Verursacher nehmen, da zum Zeitpunkt des Unfalls kein Versicherungsschutz vorhanden gewesen war.
Die Velovignetten galten in den Nachbarstaaten der Schweiz. Für Versicherte, die nicht in der Schweiz wohnten, war die Gültigkeit der Haftpflichtversicherung allerdings häufig auf das Gebiet der Schweiz beschränkt. So konnten Fahrradtouristen zwar eine Velovignette erwerben, doch da Haftpflichtschäden beim Velofahren beispielsweise in Deutschland durch die Privathaftpflichtversicherung (PHV) übernommen werden, war es für Urlauber zumeist sinnvoller, eine umfassende Haftpflichtversicherung abzuschliessen, die auch Haftpflichtschäden im Ausland abdeckte.
Geschichte
Blechschilder
Ab 1893 gaben die ersten Kantone Veloschilder aus. Deren Gestaltung oblag den Kantonen. Ab ungefähr 1902 war der zugehörige Kanton anhand des Erscheinungsbildes erkennbar. Als Material wurde Aluminium oder Eisenblech verwendet. Während anfänglich die Schilder alle drei Jahre ersetzt werden mussten, wurde in den 1910er bzw. 1920er-Jahren allgemein üblich die Nummer jedes Jahr zu ersetzen. Jedes Schild enthielt eine fortlaufende Nummer, anhand derer der Besitzer identifiziert werden konnte. Von daher kommt der Ausdruck «Velonummer». In einigen Kantonen änderte sich die Form der Schilder nahezu jährlich.
Um die 1950er-Jahre herum führten die Kantone nach und nach bis 1961 eine einheitliche Veloschild-Form ein. Es war ein Hochkant-Format, in das ein Kantonskürzel, die zwei letzten Ziffern des Ausgabejahres und eine Kontrollnummer in kleiner Schrift gestanzt waren. Ab 1952 hatten die meisten Kantone eine reflektierende Oberfläche eingeführt. Die Grundfarbe der Velonummern war ab den 1910er Jahren gerne bunt gehalten, besonders in den 1940er und 1950er Jahren wurde die Grundfarbe in fast jedem Kanton geändert. Mit der Einführung der VVV im Jahr 1960 wurde die Grundfarbe vom Bund mit rot - reflektieren vorgegeben. Kantonsbuchstaben und Jahreszahl mussten in einer Farbe gehalten werden, die sich von der Farbe des Kennzeichens deutlich unterschied. Der Kanton Tessin widersprach der Verordnung und hatte keine Farbe für die Buchstaben und Zahlen aufgetragen. Zudem hatte der Kanton Tessin im Jahr 1962 die gelbe Grundfarbe für Mofanummern eingeführt obschon die VVV im ersten Rang eine weisse und im zweiten Rang eine rote Grundfarbe erlaubte. Die Mofanummern wurden ab 1961 im gleichen Format wie die Velonummern in Umlauf gebracht. Der Kanton Aargau folgte 1968 mit der gelben Grundfarbe für Mofanummern und fast alle anderen Kantone hatten dann 1969 nachgezogen. Der Kanton Waadt und Zug waren die letzten beiden Kantone welche 1970 die gelbe Grundfarbe für Mofanummern eingeführt haben. Einige Kantone gaben für Veloanhänger, sowie auch die Schweizer Armee für ihre Velo-Truppe von 1905 bis zu deren Auflösung 2003 eigene Velonummern heraus.
Vignetten
Seit 1989 wurden wegen der hohen Kosten statt Aluschildern selbstklebende Vignetten verwendet. Auf diesen sind die zwei letzten Ziffern des Ausgabejahres, je eine Kennzahl für die betreffende Versicherungsgesellschaft und den Kanton, in dem sie ihren Sitz hat, sowie die Kontrollnummer aufgedruckt. Eine Ausnahme stellte der Kanton Jura, dieser hatte bereits 1988 selbstklebende Vignetten in Umlauf gebracht dessen aussehen sich an die Mofanummern Vignetten orientierte.
Die Geschichte in Liechtenstein ist ähnlich wie in der Schweiz. Heute können die Liechtensteiner wählen, ob sie ein Aluschild ohne Jahresprägung mit der Postleitzahl der Gemeinde oder eine Vignette verwenden wollen.
Abschaffung
Der Nutzen der Vignette wurde in der Schweiz immer wieder in Frage gestellt. Es wurde vorgebracht, der Verwaltungsaufwand sei grösser als der Nutzen, da heute bereits 90 % der Radfahrer über eine private Haftpflichtversicherung verfügen (viele Haftpflichtversicherungen gaben die Vignetten gratis an ihre Kunden ab). Ständerat Philipp Stähelin verlangte in einer parlamentarischen Initiative die Abschaffung der Fahrradnummern. Er bezeichnete die Fahrradnummern als «alten Zopf» und erwähnte, dass rund 20 % der Versicherungsprämie für die Administration verwendet würden.
Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates entschied im Mai 2009, der Initiative keine Folge zu leisten. Die Mehrheit der Kommission begründete, dass sich das System bewährt hätte; sie befürchtete zudem, dass die zehn Prozent der Bevölkerung, die über keine private Haftpflichtversicherung verfügten, versicherungslos bleiben würden. Der Ständerat folgte am 28. Mai 2009 jedoch den Argumenten von Stähelin und nahm die Vorlage mit 21 zu acht Stimmen deutlich an. Die nationalrätliche Kommission gab in ihrer Sitzung im August 2009 ihre Zustimmung zur Ausarbeitung einer Vorlage. Im Februar 2010 stellte die ständerätliche Kommission den Gesetzesentwurf vor, der in die Vernehmlassung gegeben wurde. 2010 sprachen sich beide Parlamentskammern für die Abschaffung der Velovignette aus.[4]
Die Verordnungsänderungen zur Aufhebung der Vignettenpflicht traten auf den 1. Januar 2012 in Kraft.[5]
Vertrieb
Die Velonummern waren bis 1989 nur bei den Gemeindeämtern und mit einer Registrierung des Halters und des Fahrrads (Marke und Rahmennummer) erhältlich. Gestohlene oder gefundene Fahrräder konnten so wieder den Besitzern zugeführt werden. Der Preis bestand aus der Jahreshaftpflichtversicherungsprämie, der Verkehrsabgabe und dem Preis der Alu-Platte und war von Kanton zu Kanton verschieden, bewegte sich jedoch meist im Bereich um die 10 Franken. Ab 1989 waren die Vignetten an Verkaufsstellen beispielsweise der Schweizerischen Post, der SBB, der Velohändler und in verschiedenen Verkaufsgeschäften wie Migros, Denner zu unterschiedlichen Preisen (zirka Fr. 4.- bis Fr. 10.-, Stand 2008) erhältlich. Der Preis bestand nun nur aus der Haftpflichtversicherungsprämie; die Herstellungskosten der Vignette waren vernachlässigbar und man konnte sie durch die beigelegte Werbung der jeweiligen Versicherungsgesellschaft als abgegolten ansehen. Die Verkehrsabgabe wurde von den Gemeinden übernommen. Der Käufer füllte fakultativ seine Personalien auf einen zweiten ablösbaren Teil des Vignettenformulars aus, den er zusätzlich auf dem Velo anbringen konnte, wenn er sich dessen Identifizierbarkeit, bzw. Erkennung der Zugehörigkeit zum Besitzer wünschte. Weiterreichende Angaben zum Besitzer und zum Fahrrad wurden nur im Versicherungsfall benötigt. Eine zentrale obligatorische Registratur in bisheriger Form existierte seitdem nicht mehr. Um Halter von gefundenen Fahrrädern identifizieren zu können, boten Drittfirmen diese Dienstleistung kostenpflichtig an.
Übertragbarkeit
Die Vignette war grundsätzlich auf andere Fahrräder übertragbar.[6] Dazu bot der Fachhandel ungeprägte Grundplatten entsprechend den alten Alu-Nummern an, die zum Beispiel mit einem Plastikclip einfach am Rahmen befestigt werden könnten. Da der Umstand der Übertragbarkeit jedoch in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war, wurde davon nur selten Gebrauch gemacht. Für die alten Nummernplatten galt auch die Vorschrift, dass diese hinten und senkrecht angebracht werden mussten. Bei den Aufklebern war es dem Benutzer überlassen, wo und wie er diese am Fahrrad anbrachte. Das dürften die Hauptgründe sein, warum bald nach dem Abschaffen der geprägten Alu-Nummer die praktischen Plastikclips wegen nachlassendem Absatz vom Markt verschwunden sind. Die Vignette wurde meist zum Beispiel direkt auf den Velorahmen, bzw. auf die angeschraubte Grundplatte geklebt. Viele Gepäckträger verfügen über eine «Nase» mit einem zum Anschrauben dieser Grundplatte vorgesehenen Loch. Die Übertragbarkeit wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass die Etiketten seit einiger Zeit so beschaffen waren, dass sie – nach dem Muster der nicht übertragbaren Autobahnvignetten – beim Ablösen womöglich zerrissen.
Weblinks
- Parlamentarische Initiative zur Abschaffung der Velovignette
- Auslaufende Gesetzgebung Schweizerische Fahrradkennzeichen
- Historisches zu Fahrradschildern sowie zu einigen Kantonen auf morger.net
- Ein Sinnbild für Schweizer Ordnungsliebe verschwindet. In: Basler Zeitung/Newsnet vom 30. Dezember 2011
Einzelnachweise
- Parlamentarische Initiative auf parlament.ch
- Medienmitteilung Bundesamt für Strassen vom 23. Mai 2011
- Nationaler Garantiefonds Schweiz
- Geschäftsdatenbank der Bundesversammlung. Besucht am 15. August 2011.
- Medienmitteilung des ASTRA vom 12. Oktober 2011
- Art. 34 Verkehrsversicherungsverordnung: Vorschriften bezüglich Velovignette