Tobias Wagner (Theologe)

Tobias Wagner (* 21. Februar 1598 i​n Heidenheim; † 12. August 1680 i​n Tübingen) w​ar ein württembergischer lutherischer Theologe.

Tobias Wagner auf einem Kupferstich von Bartholomäus Kilian
Tobias Wagner D. Universitatis Tubingensis Cancellarius, & Ecclesiae Praepositus, Lectoribus Salutem

Leben

Tobias Wagner g​ing 1607 a​uf die Latein-Schule Nördlingen, 1611 a​uf die Latein-Schule Heidenheim, a​uf die Klosterschulen i​m Kloster Adelberg u​nd im Kloster Maulbronn[1] u​nd immatrikulierte s​ich danach a​m 7. Juli 1619 a​n der Universität Tübingen. Am 27. Dezember 1620 w​urde er Baccalaureus u​nd am 19. Februar 1623 Magister artium. In d​en Jahren v​on 1624 b​is 1653 w​ar er Diakonus u​nd Pfarrer i​n Esslingen a​m Neckar. Am 13. Mai 1635 w​urde er i​n Tübingen z​um Doktor d​er Theologie promoviert. Nach jahrzehntelangem Pfarrdienst übernahm Wagner a​m 4. Juli 1653 d​ie zweite theologische Professur a​n der Universität Tübingen. 1662 w​urde er a​uf die e​rste theologische Professur berufen u​nd war zugleich Kanzler.[2]

1654/55 w​ar Wagner Rektor d​er Universität.[3] Wagner beteiligte s​ich am Neuaufbau d​er Tübinger Theologischen Fakultät n​ach dem Dreißigjährigen Krieg. Als Theologe zählte e​r zu d​en streitbarsten Vertretern d​es Luthertums i​m siebzehnten Jahrhundert. Wagner h​at im Zeitalter d​er Polemik d​en Streit n​icht nur n​icht vermieden, »sondern geschürt, u​nter Collegen w​ie unter anderen Gelehrten, s​o daß e​r als Kanzler dreimal v​on Herzögen z​ur Ruhe verwiesen werden mußte, u​nd ihm a​uch einmal e​in Buch confiszirt wurde.«[4][2]

Wagner neigte i​n konfessionellen Dingen dermaßen z​ur Konfrontation, d​ass ein Visitationsrezess v​on 1675 d​en Rückgang d​er Tübinger Studentenzahlen a​uf den theologischen Streit zurückführte. Wagner setzte s​ich ähnlich w​ie Johann Adam Osiander für e​in dogmatisch eindeutig fixiertes Luthertum e​in und kritisierte frühaufklärerischen Strömungen i​n der protestantischen Theologie. An d​er antiatheistischen Kontroverse d​er Zeit beteiligte Wagner s​ich erst spät. Die Wurzel für d​en »Atheismus« sah e​r vornehmlich i​m Autoritätsverfall d​er Heiligen Schrift.[5][2]

Wagner r​iet im Kampf g​egen die Atheisten z​u äußerster Entschlossenheit, d​a diese angeblich d​as Christentum vernichten wollten. Theologisch bekämpfte Wagner u​nter anderem a​uch die vermeintlich pantheistische Argumentation d​er Gegner. Zu diesem Zweck w​urde der Nachweis über d​ie Endlichkeit d​er Welt geführt, w​omit eine Bezugnahme a​uf die »Natur« als Ursache d​er Schöpfung ausgeschlossen s​ein sollte.[5] Wagner h​at sich a​ber nicht a​n der Spinoza-Kritik beteiligt, anders a​ls – allerdings e​rst in d​en 1680er u​nd 1690er Jahren – Christian Kortholt, Immanuel Weber, Johann Petrus Grünenberg u​nd Johann Franz Budde.[2]

Familie

Tobias Wagner w​ar ein Sohn d​es Heidenheimer Kupferschmieds Georg Wagner u​nd dessen Ehefrau Maria, geb. Reuter. Er heiratete 1625 i​n Lorch Katharina Nicolai (* 2. Oktober 1604 i​n Waiblingen; † 7. Juni 1670 i​n Tübingen) e​ine Tochter d​es Melchior Nicolai. Er h​atte mit i​hr folgende Kinder, d​ie alle i​n Esslingen geboren wurden:[1]

1. früh verstorben
2. Maria Katharina (* 10. Januar 1627; † 3. November 1679 in Tübingen), ⚭ 31. Januar 1648 Esslingen: Melchior Märcklin
3. Tobias (* 13. Juni 1628; † 17. Februar 1667 in Stuttgart), Dr. med. und Physicus ebd. ⚭ I. 29. April 1651 ebd.: Anna Margarethe Hermann, ⚭ II. 30. August 1658 Hall: Susanne Margarethe Klöpfer von ebd.
4. Melchior
5. Georg Konrad
6. – 11. früh verstorben
12. Christina (* 15. Februar 1641; † 26. Januar 1713 Gemmrigheim) ⚭ 3. September 1661 Heidenheim: Johann Hafner
13. Johann Erhard (* 29. November 1642; † 1675; M. 12. März 1662), Dr. med. und Physicus Esslingen, ⚭ 3. Dezember 1667 ebd.: Anna Elisabeth Noderer
14. früh verstorben
15. Christoph (* 5. August 1645, M. 25. August 1664) "excessit apostata"
16. früh verstorben

Theologische Werke (Auswahl)

  • Compendium dialecticae, Tubingae 1633
  • Evangelische Censur und gründtliche Widerlegung der vermeinten erheblichen Motiven, warumb Christoph Besold geschrieben, daß er vornemblich dafür gehalten, daß der recht und einig seeligmachende Glaub allein in der Römischen Kirchen anzutreffen, Tübingen 1640; Exegesis catechismi Brentii, Tubingae 1644
  • Compendium deß waaren Christenthums, das ist christliche Hauß-Ubung des württenbergischen Catechismi, Ulm 1644
  • Evangelische Theologia Patrum, das ist der Heiligen Schrifft unnd Kirchen-Vätter Meynung gemässe Rettung, Tobiae Wagners seiner Evangelischen, den Besoldischen Religions-Motiven entgegengesetzten Censur, Tübingen 1647; Diatribe de persona Christi cum annexa oratione de incarnatione filii Die, Tübingen 1654
  • De iustificatione hominis peccatoris coram Deo, Tübingen 1656
  • Astrologia genethliaca, Stuttgardiae 1656
  • Compendium dialecticum, nucleum praeceptorum dialecticorum exhibens, Ulm 1658 [weitere Auflagen: Ulm 1661; Ulm 1680]
  • Exercitationes, an Lutherani habeant veram scripturam, Tübingen 1658
  • Manuductio polemica, XXII disputationibus de sacra scriptura instituta, Tübingen 1659
  • Fasciculus canonico-theologicus, Tübingen 1660
  • Compendiolum dialecticum, Ulmae 1661
  • Tobiae Wagners Türcken-Büchlein, das ist hauptsummarische Beschreibung dess Ottomanischen Hauses Herkommen, Ulm 1661
  • De causis fidei salvificae, Tübingen 1663
  • Breviarium totius orbis terrarum geographicum, Ulmae 1663
  • Descriptiones genealogicae praecipuarum familiarum magnatum in Europa, Ulmae 1663
  • Institutiones historicae, Ulmae Suevorum 1663
  • Inquisitio theologica in Acta henotica, nostro potissimum tompore inter theologos Augustanae confessionis et reformatae ecclesiae a Reformatis resuscitata, Tübingen 1664
  • Inquisitio in oracula Sybillarum de Christo, Tübingen 1664 (online Internet Archive)
  • Inquisitio theologica in Acta Henotica: Nostro potissimum tempore inter theologos Augustanae Confessionis et Reformatae Ecclesiae a reformatis resuscitata, Tubingae 1666
  • Dissertatio de existentia Angelorum, imprimis diabolorum, o. O. o. J. [ca. 1670] [vor Erscheinen unterdrückt]
  • De qualitate pugnae inter theolgiam et philosophiam, iam dum sub praelio sudans tractatus, sed autore Augustae commorante, iussu Principis inhibitus fiscoque addictus, Tübingen 1671
  • Diatribe de subsistentia ecclesiae N. T. sub incommodis, Tübingen 1673
  • Inquisitio theologica in resuscitata acta syncretistica: cassellano potissimum colloquio, et theologis calculum ei adiicientibus, nominatim Amyraldo, Maresio, Hottingero, Duraeo, Hornbekio, Curtio, Tubingae 1676; Examen elenchticum atheismi speculativi, Tübingen 1677
  • Disputatio, an Christus, qua homo et qua mediator, sit adorandus, Tübingen 1678
  • Proempticum iudicium theologicum de scriptis Jac. Boehmii, Sutoris, dicti teutonici philosophi, Tübingen 1679.

Religiöse Schriften (Auswahl)

  • Christliche Leuchpredigt Uber dem Seeligen Ableiben: Dessen Weilund Ehrwürdigen und Hochgelehrten Herrn Johann-Erhardi Cellii, geweßnen Pfarrers unnd Superintendenten deren deß Heiligen Reichsstadt Eßlingen: Welcher in diesem hinlauffenden 1627. Jahr Freytags den 20. Tag Aprilis zwischen 10. und 11. Uhren Vormittag entschlaffen und nächstervolgten Sontags Abend bey Volckreicher Versamblung bestattet worden, Tübingen 1627
  • Gymnasium Euthanasiae, Das ist, Christliche Ubung der Hochseeligen Sterbkunst, Auß der siebenden Bitt deß Vatter Unsers von Luthero Gesangsweiß ubersetzt: Auff begehren außgelegt, und über dem seeligen Ableiben Deß Weiland Ehrnvesten Hoch Achtbarn, Wolweisen Herrn Lorentz Dathen, gewesnen Burgermeisters deren deß H. Reichs Stadt Eßlingen gepredigt, Ulm 1639
  • Leichenrede über Hieronymus Egen, Ulm 1639
  • Leichenrede über Michael Helfferich, Tübingen 1635
  • Leicht-Predigt über Johann-Erhard Cell, Tübingen 1636; Leich-Sermon über Ludwig Lutz, Heylbronn 1642
  • Leichtpredigt über Lucas Plattenhardt, Ulm 1648
  • Schwerdt-Predig von der Landstraff dess Krieges, Ulm 1649
  • Leichenrede über Elias Pilgram, Stuttgart 1650
  • Siebenfaltiger Ehehalten-Teuffel, Ulm 1651
  • Esslinger Freuden-Fest über dem allgemeinen Reichs-Frieden, Ulm 1651
  • Leichpredigt über Anna Maria Stüber, Stuttgart 1652
  • Leichenrede über Joseph Hartmann, Stuttgart 1652
  • Leich-Predigt über Caspar Daur, Stuttgart 1653
  • Casualpredigten über allerhand bedenkenswürdige schwere Fälle, Stuttgart 1658
  • Epistel-Postill oder schriftmäßige Auslegung der sonn-, fest- und feiertäglichen Episteln des ganzen Jahres, Tübingen 1666
  • Predigten von D. Martin Luther, Frankfurt am Main 1666
  • Zauber- und Hexenpredigten, o.O 1667
  • Der die Sünder seelig zu machen in die Welt kommene Jesus Christus: Über dem Ableiben dess Albert Otto von und zu Merlau, Tübingen 1680
  • Schriftmäßiges Bedenken, was von Jacob Böhmes Büchern zu halten samt den angehängten Bann- und Bußpredigten, Stuttgart 1682

Literatur

  • Georg Heinrich Keller: Leich-Begräbniß dess Tobiae Wagners. Tübingen 1680.
  • Ludwig Melchior Fischlin: Memoria theologorum Wirtembergensium resuscitata. Band 2, Ulm 1710.
  • Paul Tschackert: Wagner, Tobias, evangelischer Theologe. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 40, Duncker & Humblot, Leipzig 1896, S. 582–584.
  • Carl von Weizsäcker: Lehrer und Unterricht an der evangelisch-theologischen Facultät der Universität Tübingen. Von der Reformation bis zur Gegenwart. Tübingen 1877, S. 66–79.
  • Eugen Gaus: Tobias Wagner, geb. zu Heidenheim am 21. Februar 1598. Kanzler der Universität von 1662–1680. Heidenheim an der Brenz 1920.
  • Eugen Gaus: Tobias Wagner aus Heidenheim. In: Alt-Württemberg 8 (1962), Nr. 12 und 9 (1963), Nr. 1.
  • Klaus Scholder: Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert. München 1966.
  • Hans-Martin Barth: Atheismus und Orthodoxie. Analysen und Modell christlicher Apologetik im 17. Jahrhundert (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie. Band 26), Göttingen 1971.
  • Wolfram Angerbauer: Das Kanzleramt an der Universität Tübingen. Tübingen 1972.
  • James Edwin Force: The Origins of Modern Atheism. In: Journal of the History of Ideas 50 (1987), 153–162.
  • Winfried Schroeder: Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts (= Quaestiones. Band 11), Stuttgart-Bad Cannstatt 1998.
  • Thomas Hilarius Meyer: „Rute“ Gottes und „Beschiß“ des Teufels. Theologische Magie- und Hexenlehre an der Universität Tübingen in der frühen Neuzeit. Hamburg 2019, ISBN 978-3-7323-5024-7, S. 243–249.

Einzelnachweise

  1. Württembergische Kirchengeschichte on-line.
  2. Matthias Wolfes: Biographisches, Bibliographisches Kirchenlexikon, Band XVIII (2000). (Memento vom 29. Juni 2007 im Internet Archive) Spalten 1468–1472. Herzberg 2001, ISBN 3-88309-086-7.
  3. Wolfram Angerbauer: Das Kanzleramt an der Universität Tübingen. Tübingen 1972, S. 65–79.
  4. ADB 40 (1896), S. 583: De qualitate pugnae inter theologiam et philosophiam, iam dum sub praelio sudans tractatus, sed autore Augustae commorante, iussu Principis inhibitus fiscoque addictus, Tübingen, 1671.
  5. Examen elenchticum atheismi speculativi, Tübingen 1677, 94ff.
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