Tierwohllabel
Ein Tierwohllabel ist ein Gütesiegel, welches Konsumenten von tierischen Produkten helfen soll, die Bedingungen der Haltung, des Transports und der Schlachtung der Tiere zu beurteilen.
Diese Label bezeichnen nicht die Qualität der Fleischprodukte.
Definition von „Tierwohl“
Der Begriff „Tierwohl“ ist markenrechtlich in Deutschland weder geschützt noch gesetzlich oder wissenschaftlich definiert.[1] Zwischen den Begriffen Tierwohl und Tiergerechtheit besteht ein komplementärer Zusammenhang.
Tierwohllabel in verschiedenen Ländern
Deutschland
Staatliches Tierwohlkennzeichen
Die Einführung eines staatlichen Tierwohllabels wurde bereits von verschiedenen Bundesagrarministern beabsichtigt.[2][3] Bisher gibt es in Deutschland jedoch kein staatliches Tierwohlkennzeichen.[4][5]
Haltungsformkennzeichnung der Initiative Tierwohl
Entwickelt wurde die Kennzeichnung von der Initiative Tierwohl, einem Zusammenschluss der Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und der Lebensmittelketten Aldi Nord/Süd, Edeka/Netto, Kaufland/Lidl, Rewe/Penny. Sie zeichnen abgepackte Eigenmarkenprodukte von Schwein, Rind und Hühnern seit April 2019 mit einem vierstufigen Label aus. Weitere Unternehmen aus Handel und Gastronomie haben sich der Initiative seither angeschlossen. Die Markenrechte an dem Label liegen bei der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH.[6] Deren Gesellschafter sind:[7]
- Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie
- Deutscher Bauernverband
- Deutscher Raiffeisenverband
- Handelsvereinigung für Marktwirtschaft
- Verband der Fleischwirtschaft
- Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft
Diese Kennzeichnung bezieht sich nicht auf frische Produkte aus der Verkaufstheke, ebenfalls sind Produkte, die nicht zu den Eigenmarken gehören, nicht gekennzeichnet. Zu den Stufen 1 – 4 gehört eine farbliche Kodierung von rot-blau-orange-grün. Haltungsform 1 ist die Stallhaltung, Haltungsform 2 nennt sich Stallhaltung plus, Haltungsform 3 Außenklima und Haltungsform 4 Premium.
Haltung und Auslauf | Futter | Tiergesundheit | Transport zum Schlachthof | |
---|---|---|---|---|
Haltungsform 1 (Stallhaltung) | < 110 kg – 0,75 m2 / Tier
Kein Auslauf vorgeschrieben. |
konventionelles Futter
Gentechnik erlaubt |
Keine Angaben zu Kastration,
Abschneiden von Ringelschwänzen oder zur prophylaktischen Gabe von Antibiotika. |
Keine Angaben zur
Transportdauer. |
Haltungsform 2
(Stallhaltung plus) |
< 110 kg – 0,825 m2 / Tier
Kein Auslauf vorgeschrieben. Zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial. |
konventionelles Futter
Gentechnik erlaubt |
Keine Angaben zu Kastration,
Abschneiden von Ringelschwänzen oder zur prophylaktischen Gabe von Antibiotika. |
Keine Angaben zur
Transportdauer. |
Haltungsform 3
(Außenklima) |
<110 kg – 1,05 m²/Tier
Kein Auslauf vorgeschrieben, aber Stallhaltung mit Außenklimareizen. Zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial. |
konventionelles Futter
Gentechnik verboten |
Keine Angaben zu Kastration,
Abschneiden von Ringelschwänzen oder zur prophylaktischen Gabe von Antibiotika. |
Keine Angaben zur
Transportdauer. |
Haltungsform 4
(Premium) |
< 110 kg – 1,5 m2 / Tier
Auslauf vorgeschrieben. Zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial. |
Konventionelles Futter; mind.
20 % aus eigenem Betrieb oder aus der Region. Gentechnik verboten. |
Keine Angaben zu Kastration,
Abschneiden von Ringelschwänzen oder zur prophylaktischen Gabe von Antibiotika. |
Keine Angaben zur
Transportdauer. |
Diese Haltungsformkennzeichnung wird sowohl von Tierschutzorganisationen und Verbraucherschützern kritisiert. Gekennzeichnet wird in allen Stufen nur die Zeit während der Mast. So ist in allen vier Stufen weder das Schnabelkürzen bei Hühnern noch die betäubungslose Kastration oder das Kupieren der Schwänze bei Schweinen explizit verboten. Die Sauenhaltung im Kastenstand wird ebenfalls nicht berücksichtigt[9]. Eine Umfrage von greenpeace zeigte, dass fast 90 % des Schweinefleisches aus Haltungsform 1 stammen[10], so dass für Verbraucher keine richtige Wahl zwischen den einzelnen Formen besteht. Eine externe Kontrolle der gekennzeichneten Produkte und der Herstellung findet nicht statt[11].
Weitere Kennzeichnungen in Deutschland
Des Weiteren extistieren das Neuland-Label und das Label Tierschutz-kontrolliert der Organisation Vier Pfoten.[12]
Der Deutsche Tierschutzbund hat das Tierschutzlabel Für mehr Tierschutz[13] erstellt. Dieses ist in zwei Stufen mit unterschiedlich strikten Anforderungen unterteilt. Die erste Stufe soll beispielsweise sicherstellen, dass in der Schweineproduktion den Tieren 45 Prozent mehr Platz im Vergleich zu den gesetzlichen Mindestanforderungen eingeräumt wird. Die Tiere sollen eigene Bereiche zum Liegen, Fressen und Koten haben. Ferner soll den Tieren Beschäftigungsmaterial angeboten werden und es gibt eine Bestandsobergrenze von 3000 Schweinen pro Betrieb. In der zweiten Stufe des Labels soll sichergestellt werden, dass die Tiere doppelt so viel Platz im Vergleich zu den gesetzlichen Mindestanforderungen haben und dass nicht mehr als 2000 Tiere pro Betrieb gehalten werden.[14]
Von Naturland, bioland und demeter existieren weitere Gütesiegel, die Produkte aus biologischer bzw. biologisch-dynamischer Tierhaltung kennzeichnen.
Die kostenlose Web-Anwendung Literaturdatenbank Tierwohlindikatoren wurde vom Projektteam „Nationales Tierwohl-Monitoring“ erarbeitet und vom Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) umgesetzt. Das Online-Tool soll vor allem Wissenschaftlern, aber auch Praktikern und der interessierten Öffentlichkeit einen umfassenden Überblick über den Stand des Wissens geben. Für zahlreiche Tierarten können Tierwohlindikatoren gefiltert und Steckbriefe heruntergeladen werden. Dabei sind alle Filter frei kombinierbar: Haltung, Transport und Schlachtung von Kälbern, Mastrindern, Milchkühen, Saug- und Aufzuchtferkeln, Sauen, Mastschweinen, Legehennen, Masthühnern, Puten sowie Regenbogenforellen und Karpfen aus der Aquakultur.[15]
Österreich
Das AMA Gütesiegel zählt zu den bekanntesten Gütesiegel in Österreich und fokussiert sich auf die Herkunft des Produktes. Die Bio-Vorgabe der EU-Verordnung achtet auf eine natürliche Haltung. Das Vier-Pfoten-Siegel stellt das Tierwohl bei Haltung, Transport und Schlachtung sicher.
Dänemark
In Dänemark gibt es ein staatliches Tierschutzlabel. Der Verbraucher wird mit grünen Herzen auf den Produkten auf die Haltungsbedingungen hingewiesen. Der Staat kontrolliert die Landwirte und ist für das Marketing zuständig.[16]
Niederlande
In den Niederlanden gibt es das Tierschutzlabel „Beter Leven“ (deutsch: Besser leben). Laut dem Agrarökonomen Achim Spiller ist das Label „am Markt ausgesprochen erfolgreich. Wenn Sie in Holland durch die Regale gehen, sehen Sie das an allen Ecken und Enden. Das hat viel größere Marktanteile als in Deutschland bisher.“[17]
Schweiz
Es gibt in der Schweiz zwei Tierwohlprogramme, die der Bund seit den neunziger Jahren mit Direktzahlungen (Produktionssystembeiträge) finanziell unterstützt: „BTS“[18] (Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme) und „RAUS“[19] (Haltung mit regelmäßigem Auslauf ins Freie).[20][21] Die beiden Programme zielen allein auf genügend Bewegung und den Zugang ins Freie ab. Faktoren wie die Gesundheit, Fütterung oder Betreuung werden nicht berücksichtigt.[22] Bei Kühen fördert BTS z. B. die Umstellung von einer Anbindehaltung auf eine Laufstallhaltung.[23] Der Schweizer Tierschutz (STS) kritisiert die BTS-Haltungsformen in der Geflügelproduktion.[24] Rund 93 % des Label-Geflügels von der Migros stammt aus Optigal-Betrieben, die nach BTS[25][18] produzieren, weswegen Micarna bereits mehrfach in der Kritik stand (→ Micarna#Kritik). Im Mai 2021 begann Lidl Schweiz das STS-Tierwohlrating, welches bis dahin nur im Internet veröffentlicht wurde, direkt auf den Fleischverpackungen anzubringen.[26][27] Auch Migros setzt auf ein Tierwohllabel und arbeitet dabei mit dem HAFL zusammen.[28]
USA
Auch in den USA gibt es Tierwohllabel (engl. Animal-Welfare Labels).[29]
Kritik
Kritik am Tierwohllabel gibt es von Tierschutzorganisationen, die stattdessen die Einführung einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung fordern.[30][31]
Siehe auch
Weblinks
- Tierwohl stärken - Label für mehr Tierwohl, ein Vergleich verschiedener Label beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Deutschland)
- Tierwohl-Label und Haltungsform-Kennzeichnung, Informationen zu verschiedenen Tierwohl-Labels beim Lebensmittelverband Deutschland
- Haltungsform.de, Informationen zur Haltungsform-Kennzeichnung des deutschen Lebensmittel-Einzelhandels
- Essen mit Herz, ein Vergleich verschiedener Label des Schweizer Tierschutz (STS)
- hart aber fair vom 15. April 2019: Die Fleisch-Frage: Mit hübschen Siegeln gegen schlechtes Gewissen?
Einzelnachweise
- Wiebke Pirsich, Tierwohl in der Fleischbranche Label - Verbrauchereinstellungen - Vermarktungswege, Dissertation, erschienen am 18. Oktober 2017
- Rheinische Post, "Verbraucher entscheiden über Tierwohl", 27. März 2018
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Das staatliche Tierwohllabel: Kriterien und Anforderungen, 2017
- NDR: Otte-Kinast bedauert Scheitern des Tierwohl-Labels. Abgerufen am 9. Februar 2022.
- Ferdinand Dyck: Neuer Anlauf für das Tierwohllabel. In: Die Zeit. 10. Januar 2022, abgerufen am 9. Februar 2022.
- https://www.haltungsform.de/
- https://initiative-tierwohl.de/wp-content/uploads/2021/07/20210625_PM_Initiative-Tierwohl_ITW-Ware-jetzt-breitenwirksam-gekennzeichnet_FINAL.pdf
- Siegel-Check Fleisch. Abgerufen am 16. April 2020.
- Haltungsform-Label: Was es kann und wem es helfen soll. Abgerufen am 16. April 2020.
- i04591_ranking_abfrage_billigfleisch. (PDF) Abgerufen am 16. April 2020.
- QS Qualität und Sicherheit GmbH: QS-System grundlegender Maßstab für Haltungsform-Kennzeichnung. Abgerufen am 16. April 2020 (deutsch).
- NRD, Was bedeuten die größten Tierwohllabels?, 20. Januar 2017
- Verbraucherzentrale, Das Label "Für Mehr Tierschutz", 15. Januar 2018
- Spiegel, Fleisch-Gütesiegel: Wohlfühl-Label fürs Gewissen, 28. Januar 2017
- Thünen-Institut: Tierwohlindikatoren kostenfrei online recherchieren., 1. Juli 2021 (abgerufen am 8. Juli 2021)
- Hessischer Rundfunk, Warten auf das staatliche Tierwohl-Label, 8. März 2018
- Deutschlandfunk, Nicht Bio, aber mehr Tierschutz, 15. Januar 2018
- DZV Art. 74: BTS-Beitrag
- DZV Art. 75: RAUS-Beitrag
- Tierwohlbeiträge (BTS/RAUS) In: Bundesamt für Landwirtschaft, abgerufen am 8. Oktober 2018.
- Direktzahlungen – Produktionssystembeiträge. In: Agrarbericht 2020. Abgerufen am 1. Mai 2021.
- Massentierhaltungsinitiative: Tierärztinnen und Tierärzte fordern die Überarbeitung des Gegenentwurfs. In: Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte. 3. Dezember 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.
- Samuel Krähenbühl: Anbindestall kann tierfreundlich sein. Schweizer Bauer, 8. Mai 2014, abgerufen am 19. November 2020.
- Angelika Hardegger: Ist das noch Landwirtschaft – oder schon Industrie? In: Neue Zürcher Zeitung, 15. September 2018, abgerufen am 6. Februar 2019.
- GKZV: Besonders tierfreundliche Stallhaltung
- Lidl startet Tierwohlrating auf Produkten. Schweizer Bauer, 10. Mai 2021, abgerufen am 10. Mai 2021.
- Fleisch: Lidl setzt Tierwohlrating auf Verpackung. Schweizer Bauer, 11. Februar 2021, abgerufen am 11. Februar 2021.
- Lia Pescatore: Lidl und Migros bewerten neu die Tierfreundlichkeit ihrer Produkte. In: bluewin.ch. 12. Februar 2021, abgerufen am 13. Mai 2021.
- New York Times, What to Make of Those Animal-Welfare Labels on Meat and Eggs, 31. Januar 2017
- Händler wollen verpflichtende Haltungskennzeichnung, vom 27. März 2018, abgerufen am 8. August 2019 in Lebensmittelpraxis.de.
- Ehrliche Kennzeichnung vom Schnitzel bis zur Milch: VIER PFOTEN und Verbraucherschützer fordern Haltungskennzeichnung, vom 3. Mai 2018, abgerufen am 8. August 2019 in Fellbeisser.net.