Theophanie
Theophanie (altgriechisch θεός theos „Gott“; φαίνεσθαι phainesthai „sich zeigen“, „erscheinen“) bedeutet wörtlich übersetzt „Erscheinung eines Gottes“, die Manifestierung Gottes in der Menschenwelt oder der Natur. Man kann Theophanie auch als Selbstoffenbarung Gottes in der Natur und der menschlichen Vernunft, genauer gesagt: in der Außen- und der Innenwelt verstehen. Der Terminus wird vor allem im Sprachgebrauch der christlichen Theologie verwendet.
Während die Ilias die früheste Quelle für Beschreibungen von Theophanie in der klassischen Tradition liefert, gilt das Gilgamesch-Epos als vermutlich früheste direkte Beschreibung von Theophanie. Im Gilgamesch-Epos trifft der Protagonist auf Siduri, eine Göttin, die mit dem Brauwesen und mit Fruchtbarkeit assoziiert wird. In der jüdisch-christlichen Tradition ist die Bibel die primäre Quelle von Ereignissen, die als Theophanie zitiert werden.
Theophanie in der griechischen Tradition
Als sich Zeus der Semele in seiner wahren Gestalt offenbart, wird sie von seiner Göttlichkeit geblendet und verbrennt, da der Anblick des Gottes mehr ist, als ein Sterblicher ertragen kann. Die meisten Theophanien in der griechischen Überlieferung verlaufen jedoch nicht tödlich.
Biblische Traditionen
Die New Catholic Encyclopedia (Neue katholische Enzyklopädie) zitiert Beispiele wie Gen 3,8 und weiter Gen 16,7–14.[1] Hier handelt es sich ursprünglich um einen Engel, der Hagar erscheint. Im weiteren Verlauf heißt es indes, dass Gott direkt zu ihr sprach, sie Gott sah und erlebte (Gen 16,13). Ein weiteres Beispiel ist Gen 22,11-15, eine Darstellung des Engels des Herrn (also nicht von Gott selbst), der zu Abraham spricht. Gleichwohl benutzt der Engel in der Darstellung die Worte Gottes in der ersten Person (Gen 22,12b). Obwohl in beiden Fällen Engel erscheinen, spricht Gott durch sie. Dadurch werden sie zu einer Manifestation Gottes. Vgl. Mose und der brennende Dornbusch. Ursprünglich sah Mose einen Engel in dem Busch, sprach dann aber direkt mit Gott (Ex 3). Als besonders alte Theophanieschilderungen gelten Ri 5,4f., Dtn 33,2 und Hab 3,3, die die Herkunft Adonais im Süden lokalisieren.
Jesus Christus wird entsprechend den Evangelien und der christlichen Tradition als menschgewordener Sohn Gottes gesehen (Joh 1,14). Die New Catholic Encyclopedia nimmt jedoch Bezug auf einige Theophanien in den Evangelien, wie Mk 1,9-11 und Lk 9,28-36, wo die Taufe und die Verklärung Jesu Christi nacherzählt wird. Obgleich Jesus Christus von seinen Jüngern während seines Lebens als Manifestation Gottes angesehen wurde, würde man hier nur von einer Theophanie sprechen, wenn sich sein göttlicher Glanz und seine Machtfülle gezeigt hätten und nicht – wie es nach Darstellung der Evangelien der Fall war – von seiner Menschlichkeit verhüllt gewesen wäre. Traditionelle Analysen dieser Textstellen brachten christliche Gelehrte zu der Ansicht, Theophanien als eindeutige Äußerung Gottes gegenüber dem Menschen zu verstehen, wobei „eindeutig“ andeutet, dass sich die Menschen über die Anwesenheit Gottes zweifelsfrei bewusst sind.
Orthodoxes Christentum
Das Fest der Theophanie wird in der orthodoxen Kirche am 6. Januar gefeiert, wobei insbesondere der Taufe Christi im Jordan gedacht wird. An diesem Tag findet auch die Große Wasserweihe statt, bei der aber nicht, wie es der Name vermuten lässt, primär das Wasser, sondern durch das Wasser die gesamte Schöpfung gesegnet wird.
Der Bischof Eusebius von Caesarea, der im 4. Jahrhundert lebte, schrieb ein Buch mit dem Titel Theophania, das auf Christi Inkarnation Bezug nimmt.
Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage
Joseph Smith, Jr., der Prophet und Begründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, behauptete im Alter von 14 Jahren von Gottvater und Jesus Christus in einem Hain in der Nähe seines Hauses besucht worden zu sein, eine Theophanie als Antwort auf sein erstes gesprochenes Gebet. Diese Vision gilt als Ursprung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.
Theophanie in anderen Glaubensrichtungen
Da Hinduismus oft als polytheistisch oder pantheistisch verstanden wird, hat Theophanie hier eine andere Bedeutung als im Judentum oder im Christentum. Die bekannteste Theophanie in den östlichen Traditionen ist im Bhagavad Gita, einem Teil des Werkes Mahabharata enthalten. In der Gita bittet der berühmte Krieger Arjuna Krishna um Offenbarung seiner wahren Gestalt, nachdem Arjuna von Krishna mehrfach Lehrunterricht auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra erhalten hatte. Die Bitte um Offenbarung indiziert, dass Krishna über dem Sterblichen steht. Im Hauptteil von Kapitel XI willigt Krishna ein und verleiht Arjuna spirituelles Sehvermögen, das es ihm ermöglicht, Krishna in seiner wahren, einer furchteinflößenden und ehrfurchtgebietenden Gestalt, zu sehen. Diese Theophanie wurde von Robert Oppenheimer beim Miterleben des ersten Atombombentests zitiert: Now I am become Death, the destroyer of worlds („Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten“). Die von Oppenheimer falsch übersetzte Stelle bedeutet in der deutschen Übersetzung ursprünglich: „Ich bin die Zeit, die alle Welt vernichtet, erschienen, um die Menschen fortzuraffen“ (Bhagavad Gita Kapitel 11/32).
Trivia
In der jüngeren Vergangenheit berichtete der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick von einer erlebten Theophanie gnostischer Natur am 3. Februar 1974, die später Grundlage für seine halb-biographischen Bücher Valis (1981) und Radio Freies Albemuth (1985) wurde.
Quellen
- Friedrich Kirchner, Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe, 1907.
- Hans-Peter Müller, Die kultische Darstellung der Theophanie. Vetus Testamentum, Vol. 14, Fasc. 2 (April 1964), S. 183–191.
Einzelnachweise
- Nachschlagewerk der Katholischen Universität von Amerika, 2001.