Strontianverfahren
Mit dem Strontianverfahren wird Restzucker aus Melasse gewonnen. Strontian ist ein Gemisch von Strontiumoxid und Strontiumhydroxid und wird aus dem Mineral Strontianit (Strontiumcarbonat) hergestellt.
Chemie
In einem ersten Schritt wird Strontiumcarbonat zu Strontiumoxid gebrannt. Im Gegensatz zu Calciumcarbonat (Kalzinierung) reicht hierzu einfaches Erhitzen nicht aus, sondern zum Brennen muss man Wasserdampf und/oder Kohle hinzufügen. Das entstandene Kohlendioxid wird später benötigt.
Strontian reagiert mit Zucker zu schwerlöslichem Strontiumsaccharat, das abfiltriert werden kann. Mit Hilfe von Kohlendioxid (aus dem Brennprozess) wird aus Strontiumsaccharat wiederum Strontiumcarbonat gefällt. Aus der verbliebenen Lösung wird durch Eindampfen reiner, strontiumfreier Zucker erhalten. Das Strontiumcarbonat kann wieder als Startmaterial in den Prozess eingebracht werden. Das Strontianverfahren ist ein Kreislauf, bei dem kein Strontium verbraucht wird (Katalysator).[1]
Von Strontiumsaccharat existieren zwei Formen: bei niedriger Temperatur entsteht das Monosaccharat, bei hoher Temperatur das Disaccharat.[2]
Geschichte
Melasse ist ein Restprodukt bei der Zuckerproduktion aus Zuckerrübe und besteht selber noch aus mehr als 50 % Zucker. Die französischen Chemiker Hippolyte Leplay und Augustin-Pierre Dubrunfaut entwickelten ein Verfahren, um aus der Melasse durch Reaktion von Bariumoxid mit Zucker schwerlösliche Bariumsaccharate abzuscheiden.[3] Im Jahr 1849 erweiterten sie ihr Patent auf Strontiumsalze. Es scheint bei diesem Patent nur um eine rechtliche Sicherung des Barytverfahrens zu gehen. In der Praxis hat das Strontianverfahren von Leplay und Dubrunfaut wahrscheinlich nicht funktioniert.[4]
Erst durch die Arbeiten von Carl Scheibler wurde das Strontianverfahren industriell anwendbar.[5] Nach Scheibler muss das Strontianverfahren bei Siedehitze durchgeführt werden. Insbesondere in der Dessauer Zuckerraffinerie von Emil Fleischer kam das Verfahren zum Einsatz. Im Münsterland brach daraufhin ein regelrechtes „Goldfieber“ zur Gewinnung von Strontianit aus.[6] Eine der größten Gruben bei Drensteinfurt wurde nach Dr. Reichardt, dem Direktor der Dessauer Zuckerraffinerie benannt. Ein weiterer Einsatzort des Strontianverfahrens war die Zuckerfabrik Rositz.
Schon 1883 nahm die Nachfrage nach Strontianit deutlich ab. Zum einen wurde es durch ein anderes Strontiummineral (Coelestin) verdrängt, das billig aus England importiert wurde. Zum anderen sank der Zuckerpreis so stark, dass eine Gewinnung aus Melasse nicht mehr lohnend war.
Literatur
- Martin Börnchen: Strontianit. Ausstellungsführer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, 2005. (PDF; 6,5 MB).
- T. H. P. Heriot: The Manufacture of Sugar from the Cane and Beet. Green and Company, 1920, S. 341–342. (Archiv online).
- G. Krause: Der Schiedsspruch in Sachen des Scheibler'schen Monostrontiumsaccharat-Patentes. In: Chemiker Zeitung. nr. 32, 19. April 1885. (PDF; 4,9 MB).
Einzelnachweise
- Reinhard Brauns: Das Mineralreich. Band 1, Fritz Lehmann Verlag, Stuttgart 1903, S. 402–403.
- Ueber Scheibler's Strontianverfahren. In: Polytechnisches Journal. 248, 1883, S. 426–428.
- J. Nicklès: Leplay's Verfahren zur Abscheidung des krystallisirbaren Zuckers aus der Melasse. In: Polytechnisches Journal. 131, 1854, S. 47–50.
- De Indische opmerker. 15. März 1883. (Memento vom 12. Dezember 2013 im Internet Archive) (PDF; 8,1 MB; niederländisch).
- University of Arizona Bulletin. No. 35, (1916–1917) (PDF; 2,3 MB)
- Martin Börnchen: Der Strontianitbergbau im Münsterland. (PDF; 4,3 MB).