Stephan Lehnstaedt
Stephan Lehnstaedt (geboren 1980 in München[1]) ist ein deutscher Historiker und Professor für Holocaust-Studien und Jüdische Studien am Touro College Berlin.
Leben
Stephan Lehnstaedt studierte Geschichte und wurde 2008 an der Universität München promoviert. Im Jahr 2016 habilitierte er sich in Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Chemnitz. Er war von 2005 bis 2009 wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München, von 2010 bis 2016 Mitarbeiter in Warschau am Deutschen Historischen Institut. Er beschäftigt sich mit Imperialismus, der Geschichte der zwei Weltkriege, dem Holocaust und dessen Wiedergutmachung. Aufsätze und Bücher von ihm liegen in sieben Sprachen vor.
Lehnstaedt war 2008 bis 2010 Gutachter in Sozialgerichtsprozessen und 2012 Sachverständiger für den Bundestag zur Ghettorente. Für seine Forschungstätigkeit und seinen Beitrag zur deutsch-polnischen Aussöhnung erhielt er in Polen 2015 den Orden „Missio Reconciliationis“ und die Medaille „Powstanie w Getcie Warszawskim“ (Anielewicz-Medaille) von der Vereinigung der Jüdischen Kämpfer und Geschädigten des Zweiten Weltkriegs.[2] Im Jahr 2021 erhielt er für sein Buch über den Polnisch-Sowjetischen Krieg die Medaille „100-lecia bitwa Warszawskiej“ der polnischen Piłsudski-Vereinigung.[3]
Lehnstaedt engagiert sich öffentlich zu aktuellen Themen mit Holocaustbezug sowie zur polnischen Geschichte,[4] 2018 hat er etwa den Bau eines deutsch-polnischen Geschichtsmuseums vorgeschlagen.[5] 2017 war er als Sachverständiger in einer Anhörung des Bundestags-Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als Experte für das Gedenken an die Aktion Reinhardt. Er publiziert regelmäßig u. a. in der Süddeutschen Zeitung, dem Tagesspiegel sowie der Jüdischen Allgemeinen.
Mit seinen Studenten hat er 2017 die Ausstellung „Im Angesicht der Vernichtung. Arbeit und Widerstand in den Ghettos, 1941–1944“ für die und mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand kuratiert,[6] 2019 mit der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Wiener Library London die vielbeachtete, unter anderem von den Vereinten Nationen in New York gezeigte, zweisprachige Ausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“.[7] Er war wissenschaftlicher Leiter der Online-Ausstellung „Der Mensch als Ware. Zwangsarbeit bei Siemens in Berlin“.[8]
2016 wurde Lehnstaedt Professor für Holocaust-Studien und Jüdische Studien am Touro College Berlin. Er hat zuvor an der Universität München, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der London School of Economics unterrichtet.
Mitgliedschaften
Lehnstaedt ist Mitglied in den wissenschaftlichen Beiräten des Forum: Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg[9], der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung[10], der Zeitschriften Studia nad Totalitaryzmami i Wiekiem XX | Totalitarian and 20th Century Studies[11] und Przegłąd Zachodni[12] sowie der Jury des Wissenschaftlichen Förderpreises des Botschafters der Republik Polen.[13]
Veröffentlichungen
Monographien
- Der Große Nordische Krieg 1700–1721. Reclam, Leipzig 2021, ISBN 978-3-15-011345-5.
- Der vergessene Sieg. Der Polnisch-Sowjetische Krieg 1919-1921 und die Entstehung des modernen Osteuropa. C.H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74022-0.
- Imperiale Polenpolitik in den Weltkriegen. Eine vergleichende Studie zu den Mittelmächten und zu NS-Deutschland. Fibre-Verlag, Osnabrück 2017, ISBN 978-3-944870-57-1.
- Der Kern des Holocaust. Bełżec, Sobibór, Treblinka und die Aktion Reinhardt. C.H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-70702-5.[14]
- Geschichte und Gesetzesauslegung. Zu Kontinuität und Wandel des bundesdeutschen Wiedergutmachungsdiskurses am Beispiel der Ghettorenten. fibre-Verlag, Osnabrück 2011, ISBN 978-3-938400-69-2.
- Okkupation im Osten. Besatzeralltag in Warschau und Minsk 1939-1944. Oldenbourg-Verlag, München 2010 (Volltext digital verfügbar).
Herausgeberschaften
- mit Bernhard Bachinger und Wolfram Dornik: Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen 1867-1918. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020.
- mit Svea Hammerle und Hans-Christian Jasch: 80 Jahre danach. Bilder und Tagebücher deutscher Soldaten vom Überfall auf Polen 1939. Metropol-Verlag, Berlin 2019.
- mit Hans-Christian Jasch: Verfolgen und Aufklären - Crimes Uncovered. Die erste Generation der Holocaustforschung - The First Generation of Holocaust Researchers. Metropol-Verlag, Berlin 2019.
- mit Robert Traba: Die „Aktion Reinhardt“. Geschichte und Gedenken. Metropol-Verlag, Berlin 2019.
- mit Marta Ansilewska-Lehnstaedt: Identität und Krieg. In: Zeitschrift für Genozidforschung. Band 16, Nr. 1, 2018
- mit Dariusz Adamczyk: Wirtschaftskrisen als Wendepunkte. Ursachen, Folgen und historische Einordnungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Fibre-Verlag, Osnabrück 2015.
- mit Jochen Böhler: Die Berichte der Einsatzgruppen aus Polen 1939. Vollständige Edition. Metropol-Verlag, Berlin 2013.
- mit Jürgen Hensel: Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos. Fibre-Verlag, Osnabrück 2013.
- mit Grzegorz Krzywiec, Joanna Nalewajko-Kulikov und Ruth Leiserowitz: Lesestunde – Lekcja czytania. Neriton, Warschau 2013.
- mit Jochen Böhler: Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939–1945. Fibre-Verlag, Osnabrück 2012.
- mit Kristin Platt: Alltag im Ghetto. Strukturen, Ordnungen und Lebenswelt(en) im Blick neuer Forschungen. In: Zeitschrift für Genozidforschung. Band 13, Nr. 1/2, 2012.
Weblinks
- Literatur von und über Stephan Lehnstaedt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Stephan Lehnstaedt in der bibliografischen Datenbank WorldCat
- Stephan Lehnstaedt – bei Clio-online
- Stephan Lehnstaedt – bei Touro College
Einzelnachweise
- Deutsche Digitale Bibliothek: Stephan Lehnstaedt.
- Mitarbeiter-Seite von Stephan Lehnstaedt. In: touroberlin.com. Archiviert vom Original am 25. März 2017; abgerufen am 12. April 2017.
- wiadomosci.olsztyn.pl: Rocznica Tych, co rozpoczęli zwycięski marsz ku Niepodległej – Wojewódzkie obchody I Kadrowej w Głotowie | Wiadomosci.Olsztyn.pl. 6. August 2021, abgerufen am 13. August 2021 (pl-PL).
- Zum Beispiel der Artikel Einfach zuhören in der Süddeutschen Zeitung vom 25. April 2017, Interview zur Aktion Reinhardt im Deutschlandfunk am 17. März 2017, Interview zu den Ghettorenten für die Deutsche Welle am 29. Januar 2017 (polnisch).
- Lehnstaedt in "Der Tagesspiegel": Plädoyer für ein polnisch-deutsches Museum Die Nachbarn verstehen lernen. 2. August 2018, abgerufen am 5. März 2019.
- Die Tagespost: Wie Schafe zur Schlachtbank? In: die-tagespost.de. 9. Juni 2017 (die-tagespost.de [abgerufen am 10. Juni 2017]).
- Blogeintrag zur Ausstellung mit vielen Nachweisen zur Rezeption. Abgerufen am 5. März 2019.
- Der Mensch als Ware – Zwangsarbeit bei Siemens in Berlin – Ein studentisches Ausstellungsprojekt. Abgerufen am 30. September 2021 (deutsch).
- Forum: Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg. Archiviert vom Original am 13. April 2017; abgerufen am 10. April 2017.
- Beraterkreis der Stiftung Flucht, Versöhnung, Vertreibung. Abgerufen am 12. April 2017.
- Studia nad Totalitaryzmami i Wiekiem XX | Totalitarian and 20th Century Studies. In: Instytut Pileckiego. Abgerufen am 5. März 2019 (pl-PL).
- Homepage des Przegłąd Zachodni. Abgerufen am 5. März 2019.
- JURY | Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Abgerufen am 30. September 2021.
- Rezensiert von Klaus Hillenbrand in der taz vom 15. Juli 2017