Steglitzer Schülertragödie
Als Steglitzer Schülertragödie wird ein Vorfall bezeichnet, der sich am 28. Juni 1927 im Berliner Stadtteil Steglitz abspielte.
Die Oberschüler Paul Krantz (18) und Günther Scheller (19) hatten unter starkem Alkoholeinfluss im elterlichen Sommerhaus in Mahlow bei Berlin einen Selbstmordpakt geschlossen: Scheller sollte seinen Freund Hans Stephan (18) erschießen. Krantz sollte anschließend Günther Scheller sowie dessen Schwester Hildegard (16) und schließlich sich selbst umbringen. Auslöser waren einerseits die intimen Beziehungen Hildegard Schellers zu Paul Krantz und Hans Stephan und andererseits Günther Schellers unglückliche Liebe zu Hans Stephan.
Später erfüllte Günther Scheller seinen Teil der Verabredung, indem er in der Wohnung seiner Eltern in der Berliner Albrechtstraße 72 C Hans Stephan erschoss. Kurz darauf nahm er sich mit einem Kopfschuss das Leben. Paul Krantz führte die geplante Tat nicht aus.
Er wurde dennoch wegen Verstoßes gegen die Waffenordnung und gemeinschaftlichen Totschlags angeklagt. Paul Krantz’ Verteidiger war der renommierte und hoch dotierte Rechtsanwalt Erich Frey. Das Schwurgericht des Landgerichts Berlin-Moabit verurteilte Krantz am 20. Februar 1928 wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu drei Wochen Haft, die mit der Untersuchungshaft verbüßt waren. Im Übrigen entschied das Gericht auf Freispruch. In dem Prozess trat Magnus Hirschfeld als Gutachter auf, der dem Angeklagten „geistige Frühreife und körperliche Unreife“ attestierte.
Der Fall erregte in ganz Deutschland und auch in der internationalen Presse großes öffentliches Aufsehen und führte zu heftigen Debatten über den angeblichen sittlichen Verfall der Jugend in der Weimarer Republik.
Paul Krantz verarbeitete Teile des Vorfalls in seinem 1931 unter seinem Pseudonym und späteren Namen Ernst Erich Noth erschienenen Roman Die Mietskaserne. Die größtenteils autobiografische Darstellung des Lebens von Jugendlichen in einem Berliner Mietshaus der Weimarer Zeit wurde nach der 1932 erschienenen, gekürzten zweiten Auflage jedoch als „undeutsch“ verboten und erst 1982, kurz vor Krantz’ Tod, erneut aufgelegt.
Die Schriftstellerin Clara Viebig hatte an der Gerichtsverhandlung zur Steglitzer Schülertragödie teilgenommen. In ihrem Roman Insel der Hoffnung (1933) verarbeitete sie ihre Eindrücke bezüglich der Befragung Jugendlicher über intime Details ihres Privatlebens, die sie als unangemessen und voyeuristisch empfindet.
Der Vorfall selbst diente 2004 als Vorlage zum Film Was nützt die Liebe in Gedanken und zu dem Roman Der Selbstmörder-Klub von Arno Meyer zu Küingdorf. Der Stoff wurde zweimal verfilmt; 1929 von Carl Boese in Geschminkte Jugend und 1960 von Max Nosseck unter dem gleichen Titel. Ebenfalls Bezug auf den Vorfall nimmt Peter Martin Lampels Drama Pennäler aus dem Jahre 1929.
Literatur
- Arno Meyer zu Küingdorf: Der Selbstmörder-Klub. Leipzig 1999.
- Theodor Lessing: Kindertragödie. (Digitalisat auf Wikisource) In: Prager Tagblatt, 14. Februar 1928.
- Ernst Erich Noth: Die Mietskaserne. Frankfurt am Main 1931/2003.
- Heidi Sack: Moderne Jugend vor Gericht, Bielefeld 2016, Kapitel: Verhandelt – Berlin, den 28.6.1027, S. 123 ff. books.google
- Paul Schlesinger (sling): Mordprozess Krantz, in: Richter und Gerichtete, hrsg. von Robert M. W. Kempner. Vorwort Gustav Radbruch. Ullstein, Berlin 1929. ebook 2012. ebook 2016
Weblinks
- Michael Mielke: Der Selbstmörder-Klub. In: Die Welt, 27. November 1999
- Die Steglitzer Schülertragödie von 1927 (Memento vom 11. August 2007 im Internet Archive) In: Heimatverein Steglitz, Steglitzer Heimat 2 / 2004 (PDF, S. 34–39; 1,3 MB)
- Der Todespakt. In: Tagesspiegel, 17. Februar 2008