Störung auf der Start- oder Landebahn
Eine Störung auf der Start- oder Landebahn (englisch: Runway incursion) besteht, wenn ein Flugzeug, Fahrzeug oder eine Person unerlaubt auf eine gerade in Nutzung befindliche Start- und Landebahn eines Flugplatzes gelangt, auch ohne dass dadurch die Gefahr eines Zusammenstoßes mit einem startenden oder landenden Flugzeug besteht. Typische Vorfälle sind beispielsweise das versehentliche Queren durch ein Flugzeug oder das nicht rechtzeitige Verlassen durch ein Follow-me-Car.
Definition
Die internationale zivile Luftfahrtorganisation ICAO definierte Störung auf der Start- oder Landebahn am 27. April 2006 wie folgt:
“Any occurrence at an aerodrome involving the incorrect presence of an aircraft, vehicle, or person on the protected area of a surface designated for the landing and take-off of aircraft.”
„Jeglicher Vorfall auf einem Flugplatz, der das unerlaubte Eindringen eines Flugzeugs, Fahrzeugs oder einer Person in den Sicherheitsbereich einer Fläche, welche für Starts und Landungen von Flugzeugen vorgesehen ist, beinhaltet“
Die amerikanische Flugaufsichtsbehörde FAA übernahm diese Festschreibung 2007. Zuvor hatte sie unterschieden zwischen Begebenheiten mit (runway incursion) und ohne (surface incident, dt.: Vorfall am Boden) Gefährdung.[1]
Die offizielle Definition der Deutschen Flugsicherung (DFS) lautet:
„Eine Runway incursion liegt vor, wenn sich ein Flugzeug, ein Fahrzeug oder eine Person fälschlicherweise in einem Bereich befindet, der für Start oder Landung eines Luftfahrzeugs vorgesehen ist“[2]
Maßnahmen
Zur Erhöhung der Sicherheit auf Start- und Landebahnen werden solche Vorfälle durch die zuständigen Behörden untersucht und ggf. z. B. technische Abläufe am jeweiligen Flugplatz geändert. Die DFS hat dazu lokale Runway-Safety-Teams eingerichtet. Sofern es in Deutschland zu einem Unfall kommt, beteiligen sich neben der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig, je nachdem, wo die betroffene(n) Maschine(n) gebaut oder registriert wurde(n), ggf. auch die Flugsicherheitsbehörden anderer Länder an der Untersuchung. Insbesondere auf Großflughäfen kann es immer wieder zu gefährlichen Situationen kommen, welche jedoch zumeist ohne jeden Schaden ausgehen. Dennoch werden sämtliche Störungen unabhängig vom Schweregrad ihrer Folgen eingehend geprüft.
Runway incursion am Beispiel Logan 2005
Am 9. Juni 2005 standen ein Airbus A330-300 der irischen Fluggesellschaft Aer Lingus mit der Flugnummer EI132, besetzt mit 12 Crewmitgliedern und 328 Passagieren, sowie eine Boeing 737-300 der amerikanischen US Airways mit der Flugnummer US1170, besetzt mit fünf Crewmitgliedern und 103 Passagieren, auf ihren Startpositionen auf Startbahn 9 bzw. 15R des Logan Airport in Boston. Wie auf stark frequentierten Flughäfen üblich, war auch an diesem Abend die Flugverkehrskontrolle in mehrere Bereiche aufgeteilt: während Tower West für EI132 zuständig war, zeichnete Tower Ost für US1170 verantwortlich.
Um 19:39:10 Uhr erhielt die Aer Lingus-Maschine vom Tower West die Starterlaubnis für Startbahn 15R. Fünf Sekunden später erteilte Tower Ost dem US Airways-Jet die Freigabe für die die Startbahn 15R kreuzende Runway 9. Aufgrund der zwischen den beiden Startbahnen liegenden Terminalgebäude konnten die Piloten die jeweils andere Maschine zunächst nicht sehen. Während beide Flugzeuge auf Startgeschwindigkeit beschleunigten, bemerkte der Copilot der US Airways-Maschine den Airbus auf der anderen Piste und stellte fest, dass eine Kollision drohte, da sich auf dem Kreuzungspunkt der Startbahnen beide Flugzeuge bereits in der Luft befinden würden. Mit dem Hinweis Keep it down! (dt.: unten bleiben!) schob er das Steuerhorn nach vorne, sodass die Maschine zwar weiter beschleunigte, jedoch nicht abhob, und so unter dem bereits auf 52 Meter gestiegenen Aer Lingus-Jet hindurch rollen konnte. Da aufgrund der bereits erreichten Startgeschwindigkeit ein sicherer Startabbruch nicht mehr möglich war, hob US1170 nach Passieren des Kreuzungspunktes lediglich weiter hinten als vorgesehen sicher ab.[3][4]
Die nationale Behörde für Flugsicherheit (NTSB) leitete eine Untersuchung ein und fand heraus, dass der Fluglotse im Tower Ost seinem Kollegen im Tower West die Erlaubnis erteilt hatte, EI132 von Startbahn 15R abheben zu lassen. Während er anderen Flugverkehr koordinierte, vergaß er offenbar diese Freigabe und gab seinerseits Starterlaubnis für US1170, obwohl vorgegeben war, Flugzeuge auf Startbahn 9 erst starten zu lassen, sobald Piste 15R frei ist. Das NTSB hielt als Resultat ihrer Ermittlungen unerlaubtes Flugzeug auf der Startbahn, verursacht durch Vorgabenmissachtung des Fluglotsen fest.[3]
Nach diesem Vorfall wurden in Boston die Abläufe dahin gehend geändert, dass nur noch Tower West Anfragen zur Freigabe der Piste 15R entgegennehmen darf, und diese dem Tower Ost unverzüglich anzumelden hat. Nach der Bestätigung durch Tower Ost muss innerhalb von fünf Sekunden die Starterlaubnis an die wartende Maschine erteilt werden, sonst verfällt die Freigabe. Darüber hinaus dürfen sich während eines Starts auf Startbahn 15L keine Flugzeuge auf Piste 9 befinden. Erst wenn die startende Maschine den Kreuzungspunkt passiert, hat Tower West den Lotsen im Tower Ost zu informieren, dass die Kreuzung frei ist, und Startbahn 9 genutzt werden kann.[3]
Weitere Beispiele
- In den frühen Morgenstunden des 30. November 1970 streifte auf dem Flughafen Lod (heute Flughafen Ben Gurion) eine als Frachtflugzeug der TWA startende Boeing 707-373C beim Abheben eine genau in diesem Moment quer über die Startbahn geschleppte Stratofreighter der israelischen Luftwaffe. Beide Maschinen fingen Feuer, drei Menschen kamen zu Tode.
- 1972 stieß in Chicago eine startende Douglas DC-9 der North Central Airlines mit einer CV-880 von Delta zusammen, die in dichtem Nebel die Startbahn kreuzte. Zehn Menschen wurden getötet, 17 verletzt.
- Auch das bis heute schwerste Unglück der Luftfahrtgeschichte ohne terroristische Einwirkung, die Flugzeugkatastrophe von Teneriffa 1977, geschah durch eine Störung auf der Start- und Landebahn.
- Am 11. Oktober 1984 raste eine Tu-154 B-1 der Aeroflot in Omsk während der Landung in auf der Landebahn befindliche Baufahrzeuge. Der Fluglotse hatte erlaubt, die Piste wegen starken Regens zu trocknen, und war kurz danach eingeschlafen. 174 Passagiere und vier Bauarbeiter starben.
- 1991 prallten eine als USAir-Flug 1493 fliegende Boeing 737 und der weisungsgemäß auf der Startbahn wartende SkyWest-Flug 5569 auf dem Flughafen Los Angeles zusammen, nachdem eine Lotsin der ankommenden Maschine die falsche Piste zugewiesen hatte. Dieser Unfall forderte 34 Menschenleben.
- Ein Beinahe-Zusammenstoß ereignete sich am 1. April 1999 ebenfalls in Chicago: ein Jumbo-Jet der Air China befuhr eine Piste, auf der gerade ein weiterer Jumbo der Korean Air zum Start beschleunigte. Die koreanische Crew zog die Maschine früher hoch als vorgesehen und konnte den kreuzenden Jumbo in 23 Metern Höhe überfliegen.
- Am 31. Oktober 2000 wählte Singapore-Airlines-Flug 006 unter Zeitdruck und bei schlechter Sicht versehentlich eine gesperrte Startbahn des Flughafens Taiwan Taoyuan und kollidierte beim Startlauf mit Betonbarrieren und Baugeräten. 83 Menschen fanden den Tod, weitere 96 wurden verletzt.
- Beim Flugunfall von Mailand-Linate 2001 nahm eine Cessna CitationJet, bedingt durch fehlendes Bodenradar und unzureichende Beschilderung, in dichtem Nebel einen falschen Rollweg und wurde von einer startenden MD-80 der SAS gerammt. Alle 114 Personen an Bord der Maschinen sowie vier weitere Menschen am Boden verloren ihr Leben.
- In Folge des Erdbebens im Indischen Ozean 2004 und dem daraus resultierenden Tsunami verursachte rund eine Woche nach dem Unglück ein Zusammenstoß mit einem über die Landebahn in Banda Aceh laufenden Wasserbüffel für einige Stunden erhebliche Verspätungen bei den Hilfsgüterflügen.
- Air-Canada-Flug 759: Eine Runway incursion der besonderen, da sehr seltenen Art, ereignete sich am 7. Juli 2017 kurz vor Mitternacht auf dem Flughafen San Francisco: statt des zugewiesenen Runways 28R richtete sich die Crew einer landenden A320 der Air Canada auf den parallel verlaufenden Taxiway C aus, auf dem zu diesem Zeitpunkt vier andere Maschinen wie vorgesehen auf die Freigabe warteten, sich auf die Startbahn begeben zu dürfen. Einer der Piloten dieser Jets bemerkte den Irrtum rechtzeitig und verständigte den Tower, der Flug 759 zum sofortigen Durchstarten anwies. Der Airbus konnte im anschließenden zweiten Versuch sicher landen. FAA, TSB und Air Canada kündigten eingehende Untersuchungen an, bei denen unter anderem geklärt werden sollte, wie nahe das landende Flugzeug den wartenden Maschinen letztendlich gekommen ist.[5] Diese ergaben, dass sich der Air Canada-Jet ihnen bis auf rund acht Meter genähert hatte – nur Sekunden später durchzustarten hätte demnach unweigerlich ein Inferno bedeutet.[6]
Ausnahme
Auf Flughäfen, die (auch) militärisch genutzt werden und eine Alarmrotte vorhalten, dürfen die Abfangjäger im Einsatzfall auch Start- und Landebahnen als Rollbahn benutzen, um ihre Startposition schneller erreichen zu können. Diese außerordentliche Nutzung wird nicht als Runway incursion gewertet und daher auch nicht näher untersucht.
Entwicklungen
Das Airport Surface Detection Equipment, Modell X (ASDE-X) sowie das Airport Movement Area Safety System (AMASS) sind computergestützte Systeme, die Fluglotsen vor möglichen Störungen bei der Startbahnnutzung warnen sollen.
Weblinks
Referenzen
- „FAA Adopts ICAO Definition for Runway Incursions“, FAA news release, 1. Oktober 2007 (Memento des Originals vom 9. Oktober 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Deutsche Flugsicherung, abgerufen am 8. Dezember 2014
- NTSB final report Final Report from NTSB (Memento vom 27. September 2012 im Internet Archive)
- Alpa release. Archiviert vom Original am 28. September 2007; abgerufen am 4. Dezember 2014.
- Landeanflug auf Taxiway. aero.de, 11. Juli 2017, abgerufen am 11. Juli 2017.
- Nur fünf Sekunden vom Flughafen-Inferno entfernt. welt.de, 25. Juli 2017, abgerufen am 26. Juli 2017.