Semana Santa in Sevilla
Die Feierlichkeiten der Semana Santa (Karwoche) in Sevilla sind die bedeutendsten und bekanntesten in ganz Spanien. Vom Palmsonntag bis zum Ostersonntag lebt die ganze Stadt im Bann der Prozessionen.
Geschichte
Die ersten Hermandades bildeten sich bereits im 14. Jahrhundert. Zu dieser Zeit waren öffentliche Geißelungen weit verbreitet und als Mittel zur Vergebung der Sünden gemeinhin anerkannt. Diese ersten Bruderschaften, die nach Zusammenschlüssen und Namensänderungen teilweise immer noch in den heutigen weiterleben, veranstalteten erste Prozessionen, bei denen sich die Teilnehmer kasteiten. Die Bruderschaften dieser Zeit bildeten sich in der Regel aus Angehörigen einer bestimmten sozialen, Berufs- oder ethnischen Gruppe. Dies manifestiert sich auch heute noch in den Namen einiger der älteren Bruderschaften: Los Panaderos (die Bäcker) oder Los Gitanos (die Zigeuner).
Der Ursprung der Semana Santa, wie sie heute begangen wird, liegt im Jahr 1521. Fadrique Enríquez de Ribera, der erste Marquis von Tarifa richtete nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land einen Kreuzweg ein. In den folgenden Jahren markierten die Stationen dieses Kreuzwegs den Verlauf der Bußprozessionen der Bruderschaften Sevillas.
Im Jahr 1604 legte Kardinal Fernando Niño de Guevara den Grundstein für den Prozessionsweg, der heute noch üblich ist. Er bestimmte, dass alle Bruderschaften Sevillas auf ihrem Bußweg die Kathedrale zu besuchen hätten, und die aus Triana stammenden die Parroquía de Santa Ana. Hintergrund waren neue kirchliche Vorschriften, die darauf abzielten, die öffentlichen Geißelungen in geregelte Bahnen zu lenken.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts fand eine Verschiebung in der grundlegenden Struktur der Hermandades statt: sie wandelten sich von einer bestimmten Gruppen vorbehaltenen Organisationen zu hermandades de barrio, d. h. dem Stadtviertel ihrer Heimatgemeinde verbundenen Einrichtungen.
Im 19. Jahrhundert kam es zu den schwersten Konflikten zwischen den Bruderschaften und der Staatsgewalt. Unter anderem die Unterdrückung unter der französischen Besetzung Spaniens und die folgenden liberalen Regierungen führten zum Verschwinden zahlreicher Bruderschaften.
In der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich die Semana Santa in ihrer heutigen Form. Die katholische Kirche bemühte sich um eine Stärkung der Position der christlichen Rituale in der Gesellschaft. Insbesondere wurde die Marienverehrung gefördert, z. B. durch die Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis im Jahr 1854. Darüber hinaus entdeckten verschiedene Gemeinden die touristische Anziehungskraft der traditionellen Prozessionen und subventionierten die Hermandades, um diese Tradition zu erhalten. Mit dieser Überwindung des Konflikts mit der Staatsmacht war der Weg frei für die hohe Bedeutung, die die Feiern der Karwoche in Sevilla und ganz Spanien heute haben. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Schritt für Schritt die Semana Santa in ihrer heutigen Form. In den letzten Jahren haben verschiedene Bruderschaften auch Frauen die Teilnahme an den Prozessionen gestattet. Traditionellerweise konnten Frauen zwar Mitglied einer Hermandad sein, aber nicht als Nazarena mit der Prozession gehen.
Die Prozessionen
Typischer Ablauf
In groben Zügen ist der Prozessionszug (cortejo genannt) einer Hermandad wie folgt aufgebaut:
- Cruz de Guía (Leitkreuz): Ein großes Kreuz, meist aus Holz und mit Silber verziert, das die Prozession eröffnet und den Weg für den Zug bahnt. Bei einigen Bruderschaften folgt auf das Cruz de Guía eine erste Kapelle.
- Nazarenos del Cristo: Der erste Teil der Büßer. Üblicherweise gehen diese in Zweierreihen und tragen große Kerzen, teilweise sind auch andere Insignien zu sehen, z. B. Silberstäbe, die Fahnen der Bruderschaft oder Holzkreuze.
- Paso del Cristo: Der erste Paso, der eine Szene aus der Leidensgeschichte darstellt. Er wird von einem Capataz geleitet und von etwa 40 bis 50 Costaleros auf den Schultern getragen. Bei den meisten Hermandades folgt dem Paso eine Musikkapelle, die getragene Marschmusik spielt. Einige Bruderschaften haben keine musikalische Begleitung.
- Nazarenos de la Virgen: Der zweite Teil der Büßer. Bei einigen Bruderschaften unterscheidet sich ihre Kleidung von der der Nazarenos del Cristo
- Paso de la Virgen oder Paso de palio: Der zweite Paso, der die Prozession abschließt. Er zeigt ein Bildnis der Jungfrau Maria und ist mit einem Baldachin bedeckt. Auch auf diesen Paso folgt in der Regel eine Kapelle.
Prozessionsstrecke
Start- und Endpunkt jeder Prozession ist das Viertel, in dem die Bruderschaft ihren Sitz hat. Die meisten Bruderschaften haben eine eigene Kapelle oder sind einer Kirchengemeinde angeschlossen, von deren Kirche aus sie die Prozession beginnen. Der Auszug (salida) wird von den Angehörigen und Freunden der Büßer beobachtet und gehört zu den emotionalsten Momenten einer Semana-Santa-Prozession.
Anschließend bewegt sich der Prozessionszug in Richtung Zentrum. Je nach Entfernung des Heimatviertels kann dieser Weg bis zu acht Stunden in Anspruch nehmen. Im Zentrum Sevillas befindet sich die sogenannte carrera oficial (offizielle Strecke), die von allen Bruderschaften passiert werden muss. Entlang dieser Strecke sind Logen und Klappstühle aufgebaut, die tagesweise gemietet werden können. Die carrera oficial endet in der Kathedrale, wo die Bruderschaften ihre estación de penitencia, die Bußstation abhalten. Im Anschluss verlassen sie die Kathedrale auf der gegenüberliegenden Seite und treten den Rückweg an.
Die entrada, also das Eintreten der Bruderschaft in ihre Kapelle nach dem Ende der Prozession ist ein weiterer emotionaler und sehr sehenswerter Moment, besonders da dieser in der Regel nachts stattfindet, so dass die von Kerzen erleuchteten Pasos besonders prachtvoll erscheinen.
Anteilnahme
Im Gegensatz zu anderen Teilen Spaniens, in denen die Karwoche in erster Linie Urlaub bedeutet, und gerne für den ersten Strandausflug des Jahres genutzt wird, werden die Prozessionen in Sevilla überall in der Stadt mit großer Anteilnahme verfolgt. Zumindest die Prozession der Bruderschaft des eigenen Viertels wird von den meisten Sevillanos verfolgt, besonders der Auszug und die Rückkehr genießen eine große Aufmerksamkeit.
Während die Nazarenos vorbeiziehen, gibt es noch angeregte Diskussionen unter den Zuschauern, die aber sofort verstummen, wenn ein Paso in Sichtweite kommt. Diese werde in praktisch vollständiger Stille beobachtet. Einige der populärsten Marienfiguren, vor allem die beiden Esperanzas der Bruderschaften Esperanza de Triana und La Macarena, rufen starke Emotionen unter ihren treuesten Anhängern hervor.
Die capillitas
Als capillitas werden die treuesten "Fans" der Semana Santa bezeichnet. Diese Bezeichnung hat nichts abwertendes und wird auch von den Betreffenden selbst gebraucht. Ein capillita zeichnet sich durch ein umfangreiches Detailwissen über die Geschichte der Hermandades, neue Elemente an den Pasos, die Prozessionsmärsche und jedem anderen Thema, das mit der Semana Santa verbunden ist, aus. Durch ihr Wissen um die besten Plätze, um die einzelnen Prozessionen zu beobachten, werden sie zu unbezahlbaren Helfern für Laien und Semana-Santa-Neulinge.
Semana Santa für Kinder
Für Kinder gibt es zwei Beschäftigungen, um sich die Zeit während des Vorbeiziehens einer Prozession zu vertreiben. Zum einen tragen viele Nazarenos Bonbons und andere Süßigkeiten bei sich, die sie während der Pausen an Kinder verteilen. Dieser Brauch soll sich gebildet haben, um Kindern die Angst vor den bedrohlich wirkenden vermummten Büßern zu nehmen. Die Nazarenos von Los Panaderos verteilen sogenannte picos, kleine Brotstangen.
Der zweite Zeitvertreib ist das Wachssammeln. Dazu werden die Nazarenos gebeten, etwas Wachs von ihren Kerzen auf eine Kugel tropfen zu lassen, die das Kind in den Händen formt und die im Laufe der Woche immer weiter anwächst.
Die saeta
Die saeta ("Pfeil") ist ein aus dem Flamenco stammender Gesang. Er wird von einem einzelnen Sänger (bzw. einer Sängerin), der meist auf einem Balkon entlang der Prozessionsstrecke steht, ohne instrumentale Begleitung gesungen. Die meisten saetas sind den Virgenes, also den Marienstatuen gewidmet, allerdings gibt es auch saetas zu Ehren einiger der populärsten Christus-Figuren (z. B. Nuestro Padre Jesús el Nazareno von der Hermandad El Silencio). Der Paso mit dem besungenen Bild hält während des Gesangs an.
Zeitplan
Im Folgenden sind für jeden Tag der Semana Santa die Hermandades aufgeführt, die an diesem ihre Prozession begehen.
Domingo de Ramos (Palmsonntag)
- La Paz
- La Borriquita
- Jesús Despojado
- La Cena
- La Hiniesta
- San Roque
- La Estrella
- La Amargura
- El Amor
Lunes Santo (Montag der Karwoche)
- Beso de Judas
- Santa Genoveva
- Santa Marta
- San Gonzalo
- La Vera-Cruz
- Las Penas
- Las Aguas
- El Museo
Martes Santo (Dienstag der Karwoche)
- El Cerro
- Los Javieres
- San Esteban
- Los Estudiantes
- San Benito
- La Candelaria
- La Bofetá
- Santa Cruz
Miércoles Santo (Mittwoch der Karwoche)
- La Sed
- San Bernardo
- El Buen Fin
- La Lanzada
- El Baratillo
- Cristo de Burgos
- Las Siete Palabras
- Los Panaderos
Jueves Santo (Gründonnerstag)
- Los Negritos
- La Exaltación
- Las Cigarreras
- Montesión
- La Quinta Angustia
- El Valle
- Pasión
Madrugá (Nacht vom Gründonnerstag auf den Karfreitag)
- El Silencio
- El Gran Poder
- La Macarena
- El Calvario
- La Esperanza de Triana
- Los Gitanos
Viernes Santo (Karfreitag)
- La Carretería
- La Soledad de San Buenaventura
- El Cachorro
- La O
- San Isidoro
- Montserrat
- La Sagrada Mortaja
Sábado Santo (Karsamstag)
- Los Servitas
- La Trinidad
- El Santo Entierro
- La Soledad de San Lorenzo
Domingo de Resurección (Ostersonntag)
- La Resurección