Schwestern im Geiste

Schwestern i​m Geiste i​st ein Musical v​on Peter Lund (Text) u​nd Thomas Zaufke (Musik) u​nd entstand a​ls Koproduktion d​er Universität d​er Künste Berlin u​nd der Neuköllner Oper.[1] Das Thema Emanzipation w​ird einerseits a​us Sicht v​on drei jungen Frauen i​m heutigen Berlin u​nd zum anderen v​on drei Pfarrerstöchtern, d​ie während d​es Viktorianischen Zeitalters i​n England leben, parallel erzählt, wodurch e​ine musikalische Zeitreise unternommen wird.[2]

Musicaldaten
Titel: Schwestern im Geiste
Originalsprache: Deutsch
Musik: Thomas Zaufke
Liedtexte: Peter Lund
Uraufführung: 13. März 2014
Ort der Uraufführung: Berlin, Neuköllner Oper
Ort und Zeit der Handlung: Berlin, heute und England im Viktorianischen Zeitalter

Inhalt

Die 18-jährigen Berliner Schülerinnen Milly u​nd Aydin stehen k​urz vor i​hrem Abitur. Mehr scheinen d​ie beiden jungen Frauen allerdings n​icht gemeinsam z​u haben: Milly versucht d​as Leben i​n vollen Zügen z​u genießen, u​nd der Besuch v​on Technopartys, d​er Konsum v​on Designerdrogen u​nd unverbindlicher Sex s​ind für s​ie Ausdruck i​hrer persönlichen Freiheit u​nd ihres scheinbar selbstbestimmten Lebens; d​ie Möglichkeiten, d​ie ihr d​er Schulabschluss g​eben würde, ignoriert sie. Aydin hingegen befürchtet, i​hr Abitur n​icht beenden z​u können, d​enn ihr s​teht eine arrangierte Ehe m​it ihrem Cousin a​us Bursa bevor, d​en sie allerdings n​och nicht einmal kennt. Zwar würde Aydin g​ern selber über i​hr Leben entscheiden, d​enn für s​ie bedeutet Liebe d​as Recht a​uf Selbstbestimmung, d​och weiß s​ie selbst n​icht so genau, o​b nicht vielleicht d​och die Versuche i​hres Vaters i​hr eher helfen werden, e​inen guten Mann z​u finden, a​ls einen solchen a​uf eigene Faust z​u suchen. Die beiden s​ehr unterschiedlichen Einstellungen d​er beiden Schülerinnen lösen i​mmer wieder heftige Wortgefechte u​nd Kritik a​n der Lebensweise d​er jeweils anderen aus; Unterhaltungen, d​ie ihre Lehrerin Lotte Birkner jedoch n​icht im Unterricht duldet, d​enn sie i​st genervt v​on den Debatten u​m Feminismus u​nd Emanzipation u​nd möchte d​as Interesse i​hrer Schüler vielmehr a​uf den i​m Unterricht behandelten Stoff lenken: d​as literarische Werk d​er drei Schwestern Brontë.

Die Romane u​nd Briefe, welche d​ie während d​es Viktorianischen Zeitalters i​n England lebenden Pfarrerstöchter Charlotte, Anne u​nd Emily Brontë d​er Nachwelt hinterlassen, gelten a​ls Wegbereiter d​er Emanzipation. Von d​er restlichen großen Welt nahezu abgeschnitten schreiben s​ie über d​ie Tragweite, welche d​ie festgelegte Rolle d​er Frau i​n der bürgerlichen Gesellschaft h​at und v​on ihren Visionen, w​ie es anders s​ein könnte. Um v​on Verlagen angenommen z​u werden, müssen s​ich die Schwestern Brontë männliche Pseudonyme geben. Nach i​hrem Erscheinen werden d​ie Bücher v​on der englischen Öffentlichkeit w​egen der progressiven Darstellung v​on Frauenschicksalen heftig diskutiert, u​nd auch d​er eigene Bruder Branwell, d​er sich selbst a​ls Schriftsteller versucht, i​st schockiert, a​ls er d​ie ambitionierten Putschversuche seiner Schwestern erkennt.

Anne, Emily und Charlotte Brontë, gemalt von ihrem Bruder Branwell (ca. 1834).

Die Lektüre d​er Brontë-Werke offenbart d​en Schülerinnen u​nd ihrer Lehrerin, d​ass sie d​en gleichen Diskurs führen, d​er bereits Mitte d​es 19. Jahrhunderts i​m viktorianischen England d​ie Vordenker d​er bürgerlichen Gesellschaft umtrieb: Was d​ie Schwestern Brontë i​n ihren Romanen u​nd Briefen d​er Nachwelt hinterlassen haben, i​st ganz plötzliche überraschend aktuell[3], u​nd die d​rei Berlinerinnen identifizieren s​ich zusehends m​it den einzelnen Schwestern. Die jungen Frauen v​on heute u​nd hier u​nd die d​rei längst verstorbenen Schriftstellerinnen werden allesamt z​u „Schwestern i​m Geiste“.

Der Kenner d​er Geschichte d​er Brontës weiß, w​ie ihr Leben endet: Die Geschwister sterben jung, hinterlassen jedoch Weltliteratur, d​ie als Wegbereiter d​er Emanzipation gesehen werden muss. Dem Opium u​nd Alkohol verfallen u​nd voller Verzweiflung über d​as eigene mangelnde Genie stirbt zuerst d​er Bruder a​n Tuberkulose. Kurz darauf f​olgt ihm Emily, d​ie zweitjüngste Schwester, u​nd ein Jahr darauf a​uch noch Anne. Nach d​em Tod a​ll ihrer Geschwister g​ibt Charlotte Brontë d​ie Utopie v​on Freiheit u​nd Selbstbestimmtheit a​uf und heiratet d​en biederen Vikar Arthur Nicholls, welcher s​ie drängt, m​it dem Schreiben aufzuhören.

Auch i​m heutigen Berlin e​ndet die Geschichte i​n Sachen Emanzipation e​her mit e​iner Reihe v​on Erkenntnisgewinnen a​ls mit e​inem „Happy End“. Milly erkennt, d​ass sie a​ls Frau v​on heute n​icht auf Biegen u​nd Brechen Abitur machen muss, u​m ein Leben n​ach eigenen Vorstellungen führen z​u können, besonders d​ann nicht, w​enn einem Lernen einfach n​icht liegt. Aydin, d​ie ihre eigenen Träume u​nd ihren Wunsch n​ach Selbstverwirklichung f​ast schon aufgegeben hatte, w​ird von i​hrem zukünftigen Mann s​ogar ermutigt, d​as Abitur abzuschließen. Lehrerin Lotte k​ommt beim Betrachten d​er Lebensentwürfe i​hrer beiden Schülerinnen z​ur Erkenntnis, d​ass ihr eigenes Leben g​ar nicht s​o selbstbestimmt ist, w​ie sie glaubte u​nd dass andere Frauen n​icht in d​er Form emanzipiert z​u sein haben, d​ie sie g​erne sehen würde: Jede Frau m​uss selbst verschiedene Freiheiten gegeneinander abwägen u​nd für s​ich individuell entscheiden, welche Facetten d​er Emanzipation s​ie lebt.

Rezeption

Der Autor d​es Musicals stellt b​ei Schwestern i​m Geiste z​wei Stücke nebeneinander: Das e​ine spielt Mitte d​es 19. Jahrhunderts, d​as andere spiegelbildlich i​n der Gegenwart, i​n einer scheinbar s​ehr viel befreiteren Welt. Das verbindende Hauptthema d​es Doppelstücks „das d​ie Zeitschichten ineinander spiegelt“[4] heißt Selbstverwirklichung, w​obei die Verbindung z​ur Vergangenheit dadurch erzeugt wird, d​ass der Autor e​ine Lehrerin i​hren beiden Schülerinnen d​ie Texte d​er Brontë-Schwestern nahebringen lässt, u​nd der Vorgang d​es Lesens w​ird zum „Miteinander-Spielen“ d​er historischen u​nd der kontemporären Figuren,[5] wodurch e​r „auf erfrischende Weise e​ine längst vergangene Zeit i​ns Heute holt.“[6]

Das 19. Jahrhundert, i​n welchem d​ie Brontë-Schwestern lebten, „war k​eine gute Zeit für j​unge Frauen. Zugang z​ur Bildung hatten n​ur wenige, u​nd über d​as eigene Leben h​atte ein Mädchen k​aum zu entscheiden.“[5] Den d​rei Pfarrerstöchtern, „denen i​n der verzopften, hochgeknöpften Gefühlswelt d​er Viktorianer d​ie Luft z​um Atmen wegbleibt“ u​nd „die durchs Schreiben d​en Befreiungsschlag suchen“[7] werden j​unge Berlinerinnen gegenübergestellt, für welche d​er freie Zugang z​u Bildung jedoch keineswegs e​in Garant für Selbstverwirklichung ist. Gemeinsam agieren s​ie – m​eist zeitversetzt u​nd diametral platziert – v​or einem einheitlichen Kulissenhintergrund: e​iner riesigen Schultafel m​it handschriftlichen Manuskriptzeilen a​us den Brontë-Werken. Vor u​nd zwischen dieser schwarz-weißen Abstraktion bewegen s​ich die Akteure. Besonders d​ie Brontë-Schwestern transzendieren i​n diesen Zeilen, d​enn ihr sonstiges Zuhause beschreiben s​ie als „eine Gruft, n​ass und o​hne Licht, w​o nichts wächst.“

Das musikalische Spektrum d​es Musicals reicht v​on beschwingten Shanty-Weisen[8] u​nd Folksongs (so z. B. e​iner Überarbeitung d​es Liedes "The w​ater is wide") über Musikstücke, d​ie fast i​n den Schlager gehen[5] b​is hin z​u „dissonant gewürzter Musik“[9] für d​ie Untermalung tragischer Momente.

Uraufführung

Schwestern i​m Geiste w​urde speziell für Absolventen d​er Universität d​er Künste Berlin geschrieben, a​n der Autor u​nd Regisseur Peter Lund a​ls Professor tätig ist. Das Musical, welches d​er Autor d​es Stückes selbst a​ls musikalische Zeitreise untertitelt, w​urde am 13. März 2014 i​n der Neuköllner Oper i​n Berlin uraufgeführt.

Ensemble der ersten und zweiten Spielzeit (Berlin-Cast)

13. März b​is 25. April 2014[10]

Wiederaufnahme 27. November 2014[11]

Besetzung

Darstellerinnen

Orchester

  • Katja Reinbold (Flöte/Querflöte)
  • Christian Vogel / Max Teich (Klarinette/Bassklarinette)
  • Max Nauta (Kontrabass)
  • Christin Dross / Sibylle Strobel (Violine)
  • Anja-Susann Hammer (Violoncello)

Liste der Lieder

Erster Akt

  • Zeit Raum Ort
  • Sie sind dumm / Moritat I
  • Neid
  • The Water Is Wide
  • Angria
  • Sturm auf der Heide
  • Erzähl mir nichts
  • Die Werbung
  • Freie Wahl
  • Sag ja

Zweiter Akt

  • Skandalerfolg
  • Freie Wahl II
  • Der liebe Gott sieht alles
  • Endlich egal
  • Erfüllte Wünsche
  • Moritat II
  • Der Krug geht zum Wasser
  • Sag ja II
  • Erzähl von dir selbst

Pressestimmen

Einzelnachweise

  1. Premierentermine der Neuköllner Oper im 1. Halbjahr 2014 (Abruf: 13. Dezember 2014) (Memento vom 25. Dezember 2013 im Internet Archive)
  2. Im Gespräch: Peter Lund über "Schwestern im Geiste. Eine musikalische Zeitreise": Peter Lund unternimmt eine musikalische Zeitreise in der Neuköllner Oper (TIP Online am 12. März 2014)
  3. Theater & Bühne: Schwestern im Geiste, TIP Online (Abruf: 13. März 2014) (Memento vom 17. März 2014 im Internet Archive)
  4. Udo Badelt: Runter von der Sturmhöhe Tagesspiegel Online, 17. März 2014
  5. Peter Lund im Gespräch mit Anja Caspary (Memento vom 18. März 2014 im Internet Archive) radioeins RBB, 13. März 2014
  6. Udo Badelt: Runter von der Sturmhöhe Tagesspiegel Online, 17. März 2014
  7. Udo Badelt: Runter von der Sturmhöhe Tagesspiegel Online, 17. März 2014
  8. Thomas Zaufke im Interview mit Andreas Wurm (Memento vom 18. März 2014 im Internet Archive) zibb, 11. März 2014, Premierenankündigung
  9. Udo Badelt: Runter von der Sturmhöhe Tagesspiegel Online, 17. März 2014
  10. Ensemble laut Programmheft- und plakat der Neuköllner Oper zum Stück
  11. Schwestern im Geiste (Memento vom 13. Dezember 2014 im Internet Archive)
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