Saugwindharmonium
Das Saugwindharmonium (auch Saugluftharmonium genannt) ist die nicht nur in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts am weitesten verbreitete Bauform des Harmoniums (neben dem Druckwindharmonium resp. Kunstharmonium). Es wird auch „amerikanisches Harmonium“ genannt, da es dort seinen Ursprung als Amerikanische Orgel (cottage organ mit dem Prinzip der Saugluft, das Buschmann, der Vater der Handharmonika auf das Harmonium übertrug)[1] hat. Von der älteren Druckwind-Bauform unterscheidet es sich nicht nur klanglich, sondern auch durch seinen wesentlich einfacheren Aufbau, der nicht nur eine kostengünstigere Produktion erlaubt, sondern auch die Wartung erleichtert.
Während das Druckwind-/Kunstharmonium speziell für den künstlerisch-solistischen Einsatz konzipiert worden war, etablierte sich das Saugwindharmonium letztlich als ein Instrument, das oft in Kirchen und Kapellen als "Orgelersatz" und in vielen Bürgerhäusern für die Hausmusik genutzt wurde. Die ganz überwiegende Mehrzahl der heute noch in Deutschland vorhandenen Harmonium-Instrumente gehören zum Typ "Saugwindharmonium".
Ausstattung
- Tonerzeugung
Beim Saugwindharmonium wird der den Ton mit entgegengesetzter Luftstromrichtung wie beim Druckluftharmonium erzeugt. Durch das Betätigen der Tretschemel wird der Magazinbalg entleert, also ein Unterdruck einzeugt (insofern ist der dem Orgelbau entlehnte Terminus Magazinbalg hier irreführend). Beim Niederdrücken der Tasten resp. Öffnen der Ventile wird dadurch Luft angesaugt; diese muss an den Zungen vorbei und versetzt diese dabei in Schwingung – der Ton wird erzeugt. Weitere Erläuterungen gibt es beim Stichwort Harmonium.
- NORMALHARMONIUM (in der Regel Standardausstattung des Saugwindharmoniums)
Der "Verein der Harmoniumfabrikanten" unter dem Vorsitz von Theodor Mannborg beschloss 1903 eine Disposition für ein "Normalharmonium", von dem möglichst jedes Mitglied ein Instrument anbieten sollte. Über die gemeinsame Disposition hinaus sollte das Normalharmonium über zwei Kniehebel verfügen (rechts – Forteklappen/ links – Tutti). Der Manualumfang beträgt 5 Oktaven (F1 - f3), die Registerteilung liegt i. d. R. zwischen h0 und c1 (der Subbass 16' geht lediglich von C bis c0), Oktavkoppel[2]
Die vereinbarte Disposition (gruppiert nach Bass und Diskant, die Vox humana bildet die Grenze):
(7) Sub Bass 16'
(6) Eolian Harp 2'
(1) Diapason 8'
(1P) Diapason Dolce 8'
(3) Viola 4'
(3P) Viola Dolce 4'
(VH) Vox Humana
(4) Seraphone 8'
(3) Flute 4'
(1) Melodia 8'
(1P) Melodia Dolce 8'
(5) Vox celeste 8'
(OK) Octave Coupler
Deutsche Produzenten verwendeten oft andere Registernamen, die Registernummern sind jedoch identisch und werden von den Komponisten auch so für den Harmoniumspieler vorgegeben. Frage zum Harmonium
- Wie kann man ein Saugwindharmonium von einem Druckwindharmonium unterscheiden?[3]- (gleichzeitig ergibt dies eine vertiefende Ausstattungsbeschreibung)
1. Unterschiedsmerkmal: Expressionszug
Obwohl es auch eine Expressionsvorrichtung für Saugwind-Harmonien gab, wurde sie nur sehr selten gebaut.
2. Unterschiedsmerkmal: Klaviatur
Die Klaviatur beim Saugwindharmonium geht von F1 - f3 (Druckwindharmonium C – c4)
3. Unterschiedsmerkmal: Klaviaturteilung
Saugwindharmonium: Zumeist zwischen h0 und c1, seltener zwischen e0 und f0) (Druckwindharmonium: Klaviaturteilung zwischen e1 und f1)
Geschichte
In Europa nimmt Christian Friedrich Ludwig Buschmann eine besondere Stellung ein, da er zumindest ab 1838 Saugwindharmoniums baute. Die industrielle Fertigung des Saugwindharmoniums begann in den USA von 1850 bis 1860 durch die großen Firmen 'Estey' und 'Mason & Hamlin'[4] In den USA wird das Saugwind-Harmonium (also das Harmonium des „amerikanischen Systems“) für gewöhnlich „reed organ“ (auch „pump organ“ oder „parlor organ“) genannt. Fabriken aus den USA und Kanada konnten viele Saugwindharmoniums nach Deutschland exportieren. Die Massenproduktion ermöglichte günstige Preise, gleichzeitig kam der Klangcharakter dieser Instrumente denen entgegen, die in erster Linie einen (günstigen) Ersatz für die Orgel suchten. Auch die europäischen Hersteller von Druckwindharmoniums führten nach und nach das neue Saugwindsystem ein – vor allem weil diese Instrumente preiswerter herstellbar waren (Firmengründer in Sachsen wie 'Mannborg', 'Lindholm').
Literatur
- Christian Ahrens, Gregor Klinke: Das Harmonium in Deutschland. 2. Auflage. Verlag: Verlag Erwin Bochinsky, 2001, ISBN 3-923639-48-1.
- Harmonium. In: Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG). Bd. 05 1708f.
- Martin Geisz: Kulturerbe Harmonium. Verlag: Wissenschaftlicher Verlag. Berlin 2016. ISBN 978-3-86573-959-9
- Robert F. Gellermann: The American Reed Organ and the Harmonium. ISBN 1-879511-12-6.
Einzelnachweise
- Erich Valentin: Handbuch der Musikinstrumentenkunde. Gustav Bosse, Regensburg 1954, S. 372 f.
- Das Normalharmonium.
- FAQ
- Harmonium Julius Estey & Co. In: Klaus Gernhard, Hubert Henkel: Orgelinstrumente – Harmoniums. 1. Aufl. Breitkopf & Härtel, 1984, ISBN 3-7651-0201-6, S. 94.