Sattelzeit
Sattelzeit ist ein von Reinhart Koselleck in den 1970er Jahren geprägter Begriff zur Bezeichnung einer Übergangszeit zwischen Früher Neuzeit und Moderne. ‚Sattel‘ (gemeint ist ein Bergsattel) steht metaphorisch für einen allmählichen Übergang. Hans Blumenberg nannte einen solchen Übergang Epochenschwelle.
Bedeutung
Gemeint ist die Spätzeit der Aufklärung und die Zeit vor und nach der Französischen Revolution, von ungefähr 1750 bis 1850 oder 1870, in der im Zusammenhang mit den politisch-gesellschaftlichen Umwälzungen dieser Periode auch Schlüsselbegriffe für das politische Denken der Moderne einen tiefgreifenden Bedeutungswandel erfahren hätten (z. B. Staat, Bürger, Familie) oder als Neologismen (z. B. Imperialismus, Kommunismus, Klasse) überhaupt erst eingeführt worden seien. Der Bedeutungswandel ist nach Koselleck so zu verstehen, dass in Verbindung mit einer veränderten historischen Zeiterfahrung, die geschichtliche Entwicklung in neuer Weise als Wandel und Bewegung akzentuiert, auch die Bedeutungen politischer Leitbegriffe sich von überzeitlich-statischen hin zu zukunftsgerichtet-antizipatorischen Inhalten verschoben hätten.
In Ergänzung und Erweiterung des begriffsgeschichtlichen Konzepts nach Koselleck werden in der Geschichtsforschung noch weitere Veränderungsprozesse als charakteristisch für die Sattelzeit angesehen, wodurch sich die Nähe zu modernisierungstheoretischen Annahmen ergibt:
- demografischer Wandel,
- sozialer Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft,
- Verkehrsrevolution durch neue Verkehrsmittel (z. B. Eisenbahn, Dampfschiff),
- Beginn der Industrialisierung,
- Herausbildung neuer Kultur- und Konsumformen.
In geschichts- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten wird der Begriff Sattelzeit zuweilen auch analog auf andere Perioden gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche übertragen.
Literatur
- Elisabeth Décultot, Daniel Fulda (Hrsg.): Sattelzeit. Historiographiegeschichtliche Revisionen (= Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 52). Berlin: Oldenbourg Verlag 2016. ISBN 978-3-11-044968-6 Rezension auf hsozkult
- Reinhart Koselleck: Einleitung, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Klett-Cotta, Stuttgart 1979, S. XV
- Reinhart Koselleck: Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in: Werner Conze (Hrsg.), Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts, Klett-Cotta, Stuttgart 1972, S. 10–28, hier S. 14f.