Rothwald
Der Rothwald (auch Rotwald) ist ein 40 km² großes, teilweise naturbelassenes Waldgebiet in den Niederösterreichischen Kalkalpen, südlich und südöstlich des Dürrenstein-Massivs. Es liegt am Südrand der Region Eisenwurzen bzw. des Bezirkes Scheibbs bis in die Steiermark hinein. Der ursprünglichste Teil des Rothwaldes ist der „Urwald Rothwald“, ein etwa 4 km² großer Primärwald im Gemeindegebiet von Gaming. Dieser Urwald ist das Kernstück des einzigen Wildnisgebietes in Österreich der Kategorie Ia der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN).[1] Das Wildnisgebiet Dürrenstein mit seinen derzeit 35 km² Fläche liegt zu einem Drittel im Gebiet des Rothwaldes, zwei Drittel erstrecken sich an den südwestlichen und westlichen Abhängen des Dürrensteinmassives.
Lage und Entwicklung des Schutzgebietes
Das streng geschützte Naturschutzgebiet schließt im Ostteil den kleinen und den großen Urwald mit zusammen fast 500 ha, die nie forstwirtschaftlich genutzt wurden, ein. Dieser für Österreich einzigartige Zustand kam durch die abgelegene Lage, die Besitzverhältnisse und einen jahrhundertelangen Grenzstreit zustande. Der erste Eigentümer war die Kartause Gaming. Für diese war das Gebiet eine orographische Exklave hinter der Wasserscheide am Dürrenstein, was eine Holzbringung erschwerte.[2][3] Nach der Auflösung des Kartäuserklosters durch Joseph II. 1782 wurde das Gebiet verstaatlicht und erst 1825 wieder privatisiert und an die Grafen Festetics verkauft,[4] die auch das Waldgebiet forstlich durch eine Waldbahn an die Klause an der Weißen Ois anzuschließen versuchten, was sich aber unwirtschaftlich herausstellte. Nach weiteren Besitzerwechseln ab 1864 wurde es 1875 an die Familie Rothschild verkauft,[4] die den Urwaldbereich völlig unberührt ließ. Im Sinne des heutigen Umweltschutzes entschloss sich Albert Rothschild 1875, das Gebiet auch weiterhin als Primärwald für die Nachwelt zu erhalten.
Vom Land Niederösterreich wurde 1997 gemeinsam mit den Grundeigentümern, der damals Rothschild'schen Forstverwaltung Langau und der Österreichischen Bundesforste-AG, Naturwälder ein Schutzgebiet im Ausmaß von 2.400 Hektar abgesichert und 1997–2001 im Rahmen eines LIFE-Projektes der EU unter wissenschaftlicher Begleitung der Wiener Universität für Bodenkultur die Anerkennung als Wildnisgebiet Dürrenstein vorbereitet. Ende 2002 wurde durch das Land Niederösterreich dauerhaft zum Naturschutzgebiet erklärt und im Folgejahr international von der IUCN als bisher einziges Wildnisgebiet Österreichs der Kategorie I anerkannt.
Der Urwaldbereich liegt in einer weiten Mulde hinter den Dürrenstein-Gipfeln in einer Höhenlage von etwa 900 bis 1300 Meter. Dieses Gebiet wird vom Rothaus- und Moderbach entwässert. Im gesamten Schutzgebiet besteht ein Wegegebot, aber es sind nur wenige ehemalige Forstwege und markierte Steige, die von Individualbesuchern benutzt werden dürfen, vorhanden. Der größere Westteil auf dem Grundbesitz der Österreichischen Bundesforste AG erstreckt sich nach der Flächenerweiterung um etwa 100 ha im Jahr 2013 nun bis zur steirischen Grenze zwischen Hochkirch (1468 m ü. A.) und Ringkogel (1668 m ü. A.).
Den Namen Rothwald trug ursprünglich (lange bevor Rothschild das Gebiet kaufte[5]) der Süden des Gebietes, wo jenseits des Grenzbaches auf steirischer Seite das bewaldete Gelände langsam zum Massiv der Kräuterin ansteigt. Auch das unmittelbar nördlich des Lassingbaches (der Grenze nach Niederösterreich) befindliche Forsthaus und Weiler trägt diesen Namen (die immer wieder geäußerte Vermutung,[6] der Rothwald habe seinen Namen von Rothschild, ist daher unzutreffend). Erwähnenswert sind auch die Rothschildhäuser, die sich in der weiteren Umgebung des Wildnisgebietes befinden.
2017 wurden der Urwald Rothwald und Teile des Nationalparks Kalkalpen mit anderen Wäldern Europas zum UNESCO-Weltnaturerbe Buchenurwälder und Alte Buchenwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas erhoben.[7]
Am 26. Jänner 2019 berichtete die Wiener Zeitung, dass die Familie Rothschild ihre letzten Besitzungen in Österreich zu verkaufen beabsichtige, unter anderem Waldflächen in der Größe von 7.000 Hektar, die auch den Urwald Rothwald (400 Hektar) beinhalten.[8][9] Der Kaufpreis lag angeblich bei 190 Millionen Euro, der Käufer ist die Familie Prinzhorn.[6]
Siehe auch
Literatur
- O. Baschny: Rothwald – ein Urwald in Niederösterreich. Wald- und Holzarbeit, 1970, S. 208, 209.
- M. Robischon: Im finstren Urwaldtann. Land der Berge 3, 1966, S. 48–54.
- Kurt Zukrigl: Urwaldreste in den niederösterreichischen Kalkalpen. Angewandte Pflanzensoziologie 18/19, S. 289–296.
- Kurt Zukrigl, Johann Nather, Günther Eckhart: Standortskundliche und waldbauliche Untersuchungen in Urwaldresten der niederösterreichischen Kalkalpen. In: Mitteilungen der forstlichen Bundes-Versuchsanstalt Wien. Band 62, 1963, S. 1–244 (zobodat.at [PDF]).
- Kurt Zukrigl: Zwei Urwaldreste in den niederösterreichischen Kalkalpen. In: Jahrbuch des Vereins zum Schutze der Alpenpflanzen und -Tiere. Band 28, 1963, S. 65–73 (zobodat.at [PDF]).
- Matthias Schickhofer: Urwald in Österreich – die letzten wilden Waldparadiese. Brandstätter, Wien 2013, ISBN 978-3-85033-697-0.
Weblinks
- Was vom Urwald übrig blieb in wienerzeitung.at
- Der österreichische Urwald. Forschung im Urwald Rothwald in Niederösterreich. in Ö1 – Text zu einer Radiosendung der Sendereihe Dimensionen - die Welt der Wissenschaft; ausgestrahlt in Ö1 am 16. Mai 2011, 19.06 Uhr.
- Antonia Kreppel: Kakanische Wildnis. Ein Stück Urwald im Herzen Österreichs. In: Deutschlandfunk. 2015.
- Radiosendung Kakanische Wildnis. Ein Stück Urwald im Herzen Österreichs, aus der Sendereihe Gesichter Europas, mit Reportagen von Antonia Kreppel (darin Literaturauszüge aus: Walden oder leben in den Wäldern von Henry David Thoreau, Diogenes Verlag, gelesen von Daniel Wiemer). Musik und Regie: Babette Michel, Ton und Technik: Angelika Brochhaus, am Mikrofon: Johanna Herzing, 2015. Ausgestrahlt im Hörfunkprogramm Deutschlandfunk des Deutschlandradios K. d. ö. R. am 13. August 2016.
- Anton Carli: Der Urwald Rothwald als Leitbild für Bestandesumwandlungen in der Fichten-Tannen-Buchenwaldstufe im Nationalpark Gesäuse. Bericht im Auftrag der Nationalpark Gesäuse GmbH Fachbereich Naturschutz und Naturraum. Bearbeitungszeitraum: Juli bis November 2007. 22. November 2007. In: nationalpark.co.at. Nationalpark Gesäuse GmbH (PDF-Datei, 3,9 MiB; Einleitung als HTML-Dokument).
- Geschichte des Wildnisgebietes Dürrenstein von der Schutzgebietsverwaltung Wildnisgebiet Dürrenstein (auf wildnisgebiet.at)
- Matthias Schickhofer: Die letzten Urwälder von Österreich. In: derStandard.at, 4. Juni 2011, abgerufen am 18. August 2016.
- Bernhard E. Splechtna, Karl Splechtna: Rothschild's Wilderness: How a Primeval Forest Survived the Timber Industry. Environment & Society Portal, Arcadia Spring 2016, no. 4. Rachel Carson Center for Environment and Society.
Einzelnachweise
- Schutzgebiet wienerzeitung.at, abgerufen am 17. Februar 2016
- Reinhard Pekny: Das Wildnisgebiet im historischen Rückblick. In: Silva Fera, Band 1, 2012, S. 9–15 (zobodat.at [PDF]).
- Eine ähnliche Lage hatten die Herrschaftsgründe am Gippel, die aber im 19. Jahrhundert durchforstet wurden. Dort ist nur der Lahnsattler Urwald erhalten.
- Hermann Weiß, Hildegard Wiesenhofer und Franz Wiesenhofer: „Das Triftwesen auf der Großen Erlauf“ – Die Anfänge der Erlauftrift.
- Österreich ob und unter der Enns (1809–1818) – Franziszeische Landesaufnahme (online auf mapire.eu)
- Das Ende der Ära Rothschild in Gaming, ORF, 30. Juni 2019, abgerufen am 5. November 2019.
- orf.at: Weltnaturerbe: Österreichische Buchenwälder gelistet. Artikel vom 7. Juli 2017, abgerufen am 8. Juli 2017.
- Wiener Zeitung, Ausgabe 019, 2019, Seite 11, "Rothschild-Wald verkauft"
- Rothschilds verkaufen letzten Wald, NÖN, 29. Januar 2019, abgerufen am 5. November 2019.