Retrofokus
Der Begriff Retrofokus bezeichnet eine besondere Bauweise von Objektiven mit kurzer Brennweite. Das Wort Retrofokus beschreibt dabei bereits im Kern die wesentliche Eigenschaft dieser Objektive: es leitet sich ab vom lateinischen retro: rückwärts, zurück und focus: Feuerstätte, Herd, im übertragenen Sinne Brennpunkt. Retrofocus bedeutet übersetzt also: Den Brennpunkt zurücksetzen.
Motivation
Bei Einstellung eines Objektivs auf die Entfernung „unendlich“ entspricht der Abstand zwischen der bildseitigen Hauptebene des Objektivs und der Bildebene gerade der Brennweite. Wenn das Objektiv aus einer einzelnen dünnen Sammellinse besteht, würde diese genau in der bildseitigen Hauptebene liegen. Bei Objektiven mit sehr kurzer Brennweite kann dieser Abstand für bestimmte technische Anwendungen jedoch zu klein werden. Beispielsweise muss bei einer einäugigen Spiegelreflexkamera zwischen Objektiv und Bildebene noch genug Platz für den Schwingspiegel bleiben. Die Retrofokusbauweise erlaubt es, die Schnittweite des Objektivs zu vergrößern, ohne die Brennweite zu verändern. Die Linsen des Objektivs können dabei vor der bildseitigen Hauptebene liegen. Objektive mit Brennweiten, die deutlich kleiner sind als die minimal mögliche Schnittweite des Kamerasystems[1] (bei Kleinbild-Spiegelreflexkameras um ca. 38 mm[2], je nach System) fertigt man üblicherweise in Retrofokusbauweise.
Geschichte
Die ersten Retrofokusobjektive wurden 1931 für Farbfilmkameras entwickelt. Hinter dem Objektiv musste bei diesen frühen Kameras genug Platz für einen Farbteiler bleiben. Dadurch wurde der Abstand zwischen Objektiv und Filmebene so groß, dass für kleinere Brennweiten die herkömmlichen Objektive nicht mehr genutzt werden konnten. Das erste Retrofokus-Objektiv für Kleinbild-Kameras wurde 1950 von Pierre Angénieux entwickelt.
Bei den ersten Konstruktionen wurde eine Streulinse vor ein vorhandenes Objektiv gesetzt, was die Abbildungsleistung verschlechterte. Der Aufbau eines hochwertigen Retrofokusobjektivs ist aufwändig, aber durch moderne Berechnungs- und Herstellungsmethoden beherrschbar. Der asymmetrische Aufbau und die für große Bildwinkel nötigen großen Frontlinsen machen die Korrektur der Abbildungsfehler schwierig. Um auch im Nahbereich eine gute Abbildungsleistung zu erreichen, werden bei hochwertigen Konstruktionen Linsenelemente beim Fokussieren gegeneinander verschoben (floating elements).
Retrofokusobjektiv / Teleobjektiv
Die Retrofokusbauweise ist die Umkehrung der Tele-Bauform (englisch: Telephoto-Design) von Objektiven: Teleobjektive sind kürzer als ihre Brennweite. Beim Teleobjektiv steht erst eine positive Gruppe (Sammellinse) im Strahlengang, gefolgt von einer negativen Gruppe (Zerstreuungslinse), wodurch die Baulänge kürzer als die Brennweite wird (Prinzip des Galilei-Fernrohres). Bei Retrofokusobjektiven wird die Reihenfolge umgekehrt, wodurch sich die Baulänge vergrößert.
In der fotografischen Praxis hat es sich eingebürgert, den Begriff Teleobjektiv allgemein für Objektive mit einer größeren Brennweite als der Normalbrennweite zu verwenden – auch wenn es sich nicht um eine echte „Tele“-Konstruktion handelt.
Siehe auch
- Distagon, Bauart- und Markenbezeichnung für Retrofokus-Objektive der Carl Zeiss AG, Oberkochen
Weblinks
- Leica R-Objektive Seite 3, Abschnitt Retrofokus (PDF-Datei; 1,02 MB)
- Natural Vignetting (englisch)
Einzelnachweise
- Zeiss-Webseite zum Distagon 2,8/15 mm, Abgerufen 3. August 2015
- Datenblatt zum Planar 1,4/50 mm mit Contax/Yashica Anschluss PDF, Abgerufen 3. August 2015