Reisezeit
Das Wort Reisezeit ist ein Homonym und weist je nach Fachgebiet unterschiedliche Begriffsinhalte auf.
Fachgebiete
Im Tourismus ist die Reisezeit die günstigste Jahreszeit eines Zielgebiets für Reisen[1], im Eisenbahnwesen gibt es die „komplexe Reisezeit“ oder die Reisezeit wird in der Verkehrsplanung als Synonym für die Fahrzeit angesehen.
Tourismus
Klima und Wetter des Zielgebiets sind für Reisende neben dem Reisepreis ein wichtiges Entscheidungskriterium. Reiseführer beinhalten deshalb teilweise ausführlich einen Abschnitt „Reisezeit und Klima“.[2] Sie berücksichtigen die Klima- und Wetterdaten von Regionen. Der Reisende geht davon aus, dass diese aus der Vergangenheit stammenden Daten auch bei seiner Reise gelten. Die Reisebranche (insbesondere Reiseveranstalter, Gastronomie oder Hotellerie) unterscheidet deshalb zwischen Hauptsaison und Nebensaison. Während der Hauptsaison kann von Reisenden im Zielgebiet eine niederschlagsarme und warme Witterung (oder kalte Witterung im Winterurlaub) erwartet werden. In den Tropen sind die beste Reisezeit die Trockenzeit oder Teile der Übergangszeiten, ansonsten in gemäßigten Zonen der Frühling, Sommer, Herbst (für Sommerurlaub) oder Winter (für Winterurlaub).[3]
Eisenbahnwesen
Möglichst kurze Fahrzeiten sind ein wesentliches, vom Fahrgast wahrgenommenes Qualitätsmerkmal öffentlicher Verkehrssysteme.[4] Werden im Eisenbahnwesen zur Fahrzeit noch Übergangszeiten, Wartezeiten an Bahnhöfen und weitere Behinderungszeiten hinzugerechnet, entsteht daraus die „komplexe Reisezeit“[5]
Gegenüber der Fahrzeit gehen bei der Reisezeit auch die Haltestellenaufenthaltszeiten (für Fahrgastwechsel und Abfertigung) als zusätzliche Größen ein; sie wird deshalb gelegentlich auch treffender als „Beförderungszeit“ bezeichnet.[6]
Beispiel
An folgendem Beispiel seien die Unterschiede aus Fahrzeit, Reisezeit und komplexer Reisezeit verdeutlicht:
Ein Schüler will nach Schulende um 17:00 Uhr einen Kinofilm besuchen, der um 18:30 Uhr beginnt. Er fährt dazu von der Schule um 17:15 Uhr zum Bahnhof A-Stadt, wo er um 17:30 Uhr ankommt. Der Zug fährt um 17:45 Uhr vom Bahnhof A-Stadt ab und kommt in B-Dorf um 18:00 Uhr an. Von dort läuft der Schüler 5 Minuten zum Kino.
Die Fahrzeit für diese Strecke beträgt 30 Minuten (15 Minuten mit dem Bus, 15 Minuten mit dem Zug). Die Reisezeit beträgt 50 Minuten (30 Minuten Fahrzeit + 15 Minuten Umsteigezeit + 5 Minuten Gehzeit). Die komplexe Reisezeit beträgt 90 Minuten (50 Minuten Reisezeit + 15 Minuten Wartezeit auf den Bus + 25 Minuten Wartezeit von der Ankunft im Kino bis zum Beginn des Films).
Synonym
Wird der Begriff Reisezeit synonym für Fahrzeit verwendet, so ist dieser Gebrauch ungenau: Denn nicht jede Fahrt ist auch eine Reise. Der Arbeitsweg eines Pendlers beispielsweise ist eine Fahrt, deren Dauer deshalb präziser Fahrtzeit heißen muss und nicht Reisezeit. Entsprechend absolviert er eine Fahrstrecke und keine Reisestrecke.
Verkehrstelematik
Mit Hilfe von Instrumenten der Verkehrstelematik (wie z. B. Verkehrsstromanalysen) wird versucht, die Reisezeitelemente, die außerhalb der berechenbaren Fahrzeit liegen, zu prognostizieren und damit sowohl aktuelle Daten für das Verkehrsmanagement bereitzustellen, als auch längerfristig Änderungen im Verhalten der Verkehrsteilnehmer zu erzielen. In der Praxis werden komplexe Reisezeiten bisher selten systematisch erfasst, in der Verkehrsplanung meist unter Anwendung von Annahmen oder Simulationen berechnet.[7]
Dienstreisen
Bei Dienst- und Geschäftsreisen gehören die Fahrzeiten von Außendienstmitarbeitern zur Arbeitszeit und müssen vergütet werden. Das gilt auch für die Fahrt vom Home office direkt zum Kunden.[8] Im zitierten Urteil stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) klar, dass die Fahrten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit bilden und nach der Verkehrsanschauung jedenfalls bei Außendienstmitarbeitern, Vertretern, „Reisenden“ und ähnlichen insgesamt die Dienstleistung aus dem Arbeitsvertrag darstellen.
Literatur
- Technische Universität Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr: Einführung zur Vorlesung Komplexe Reisezeit. Dresden (Memento vom 30. Dezember 2009 im Internet Archive) (PDF; 243 kB)
- Florian Koch, Peter Pez: Stadtverkehrsrevolution Pedelec. In: Raumplanung. 2-2013. (Über das Reisezeitexperiment in Lüneburg, bezogen auf komplexe Reisezeit im Sinne dieses Wikipedia-Artikels)
- Martin Isbruch: Mit dem Pedelec schneller ans Ziel? Verkehrsmittelvergleich im Alltagsverkehr vom 24. Mai 2013 (über die Ergebnisse von Peter Pez, 2012).
Weblinks
Einzelnachweise
- Walter Linden (Hrsg.), Gablers Verkehrs-Lexikon, 1966, S. 328
- Roland Dusik, DuMont Reise-Handbuch Reiseführer Australien: Der Osten und Tasmanien, 4. Auflage, 2018, S. 91 f.
- Steph Dyson, Reisezeit: Zur besten Zeit am besten Ort, 2020, S. 1 ff.
- Lars Schnieder, Betriebsplanung im öffentlichen Personennahverkehr: Ziele, Methoden, Konzepte, 2015, S. 24
- Technische Universität Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Einführung zur Vorlesung Komplexe Reisezeit, Dresden, Oktober 2009, S. 1 (Memento vom 30. Dezember 2009 im Internet Archive)
- Technische Universität Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Einführung zur Vorlesung Komplexe Reisezeit, Dresden (Memento vom 30. Dezember 2009 im Internet Archive) (PDF; 243 kB), dort: Reisezeitberechnung, S. 2
- Peter Pez Verkehrsrevolution Pedelec. Ergebnisse des Reisezeitexperimentes in Lüneburg, Präsentation 2012 (PDF; 1,9 MB)
- BAG, Urteil vom 22. April 2009, Az.: 5 AZR 292/08 = BB 2010, 642