Rainer Moormann
Rainer Moormann (* 1950) ist ein deutscher Chemiker und Experte für Reaktorsicherheit.
Leben
Moormann wuchs in Osnabrück auf. Nach dem Abitur studierte er in Braunschweig physikalische Chemie und promovierte dort mit ramanspektroskopischen und theoretischen Untersuchungen zu Wasserstoffbrückenbindungen in Flüssigkeiten. Von 1976 bis 2012 beschäftigte er sich am Forschungszentrum Jülich mit Sicherheitsproblemen von Kugelhaufenreaktoren (insbesondere am Beispiel des AVR (Jülich)),[1][2] Fusionsreaktoren[3] und Spallationsneutronenquellen.[4]
Whistleblower zum Kugelhaufenreaktor
Moormann veröffentlichte 2008 eine in Fachkreisen vielbeachtete, kritische Neubewertung der Sicherheit von Kugelhaufenreaktoren[5][6] und sorgte gegen erhebliche Widerstände über die Medien und durch mehrere Vorträge für die Verbreitung seiner Kritik.[7]
Moormann widerspricht der Charakterisierung von Kugelhaufenreaktoren als inhärent sicher und katastrophenfrei und hält die darauf begründete Werbestrategie zu Kugelhaufenreaktoren für wissenschaftlich unredlich.[8][9][10] Weiterhin wendet er sich gegen einen Export dieser Technologie in Schwellenländer wie Südafrika und China. Seine Arbeiten werden als eine Ursache für das Scheitern des südafrikanischen Kugelhaufenreaktorprojektes PBMR im Jahre 2010 angesehen.[11][12] Dafür und für die Inkaufnahme der damit verbundenen beruflichen Nachteile[8] bekam er 2011[13] den Whistleblowerpreis der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW)[14] und der deutschen Sektion der atomwaffenkritischen Juristenvereinigung IALANA.
Die Befürworter der Kugelhaufenreaktoren im Forschungszentrum Jülich sahen Moormanns öffentliches Wirken kritisch; in ihren Reihen wurde er als „Demagoge, der den sichersten Reaktor der Welt in den Schmutz gezogen hat“ bezeichnet.[8] Aufgrund der Anfeindungen und Ausgrenzungen im Forschungszentrum Jülich[13] ging Moormann in den vorgezogenen Ruhestand, seine aktive Berufsphase endete Anfang 2012.
Am 26. April 2014 veröffentlichte das Forschungszentrum Jülich den Abschlussbericht einer Studie, mit der das Zentrum nach dem Fukushimaunfall 2011 eine unabhängige AVR-Expertengruppe hatte beauftragen müssen. Der Bericht enthält eine weitgehende Korrektur der früheren offiziellen Position zum AVR als der eines sicheren Reaktors. Der Bericht bedeutete auch eine Bestätigung und damit Rehabilitierung Moormanns.[15][16] Im Mai 2014 kündigte das FZJ die Beendigung der Entwicklungsarbeiten zum Kugelhaufenreaktor an, was bis 2017 erfolgte.
Gemeinsam mit zwei US-Kollegen veröffentlichte Moormann im Jahr 2018 eine Warnung vor ungelösten Problemen beim seinerzeit im Bau befindlichen chinesischen Kugelhaufenreaktor HTR-PM.[17] Der erste Reaktor dieses Typs erreichte 2021 Kritikalität.
Kritisches Engagement zur Energiewende
Im Juli 2020 veröffentlichte Moormann zusammen mit der Atomkraftbefürworterin Anna Veronika Wendland ein Memorandum mit energiepolitischen Forderungen zur Rolle der Kerntechnik in der Energiewende, die aus wissenschaftlichen Erwägungen abgeleitet werden.[18][19] Die Autoren argumentieren, dass im Sinne des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit ein befristeter, möglichst staatlicher Weiterbetrieb der noch laufenden sechs deutschen Kernkraftwerke notwendig ist und empfehlen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür sofort zu schaffen. Das würde es gestatten, etwa 60 % der deutschen Braunkohleverstromung schnell zu beenden, was einer CO2-Emissionsreduktion um 10 % entsprechen würde. Weiterhin empfehlen die Autoren, im Jahr 2030 die Frage des Neubaus von Kernkraftwerken auf Basis von Leichtwasserreaktoren dann zu erörtern, wenn bis dahin die technischen Voraussetzungen für eine weitgehend auf erneuerbaren Energien basierende Energiewende nicht geschaffen worden sein sollten und so eine zu intensive Fossilnutzung über 2050 hinaus drohen würde. Das Memorandum wird in Deutschland und darüber hinaus diskutiert.[20][21][22][23][24][25]
Das Memorandum wurde teils heftig kritisiert. So wird laut dem Grünen-Politiker Hans-Josef Fell das CO2-Einsparpotential massiv überschätzt,[26] er gibt, wie auch Wolfgang Pomrehn bei heise online[27] vorrechnet, nur ein maximales anfängliches Einsparpotential von 4 % der jährlichen Emissionen an. Eine Publikation des IPPNW wirft den Autoren zudem vor, mit ihrer Suggerierung, dass es nur eine Alternative zwischen fossiler und atomarer Stromerzeugung gäbe, die aktuelle Studienlage zu ignorieren.[28] Schon Anfang 2020 kommentiert Petra Pinzler ein ähnlichen Vorstoß der Mittelstands- und Wirtschaftsunion bzgl. der AKW-Laufzeitverlängerung in der Zeit mit den Worten, dass das Klima mit Kernkraftwerken zu schützen, aus ökonomischen, ökologischen und politischen Gründen ausgemachter Blödsinn sei.[29] Das Handelsblatt schreibt dazu, dass die Energiekonzerne mittlerweile von den Pro-AKW-Demos genervt seien.[30]
Auszeichnungen
Deutscher Whistleblowerpreis 2011
Einzelnachweise
- A. Langen: Gebt uns die Kugel (Memento vom 11. Mai 2012 im Internet Archive), Kontext 12/2011
- A. Langen: Strahlendes Glanzstück, Kontext 01/2012
- R. Moormann, H. K. Hinssen, A. K. Krüssenberg, B. Stauch, C. H. Wu: Investigation of oxidation resistance of carbon based first-wall liner materials of fusion reactors. In: Journal of nuclear materials. Band 212, 1994, S. 1178–1182.
- Zsófia Kókai, Szabina Török, Péter Zagyvai, Daniela Kiselev, Rainer Moormann, Endre Börcsök, Luca Zanini, Alan Takibayev, Günter Muhrer, Riccardo Bevilacqua, József Janika: Comparison of different target material options for the European Spallation Source based on certain aspects related to the final disposal. In: Nuclear Instruments and Methods in Physics Research. Section B: Beam Interactions with Materials and Atoms. Band 416, 1. Februar 2018, S. 1–8.
- Rainer Moormann: AVR prototype pebble bed reactor: a safety re-evaluation of its operation and consequences for future reactors. In: Kerntechnik. Band 1–2, Nr. 74, 2009, S. 8–21 (web.archive.org [PDF; 411 kB; abgerufen am 21. September 2021]).
- Rainer Moorman: A safety re-evaluation of the AVR pebble bed reactor operation and its consequences for future HTR concepts. In: Berichte des Forschungszentrums Jülich. Nr. 4275, Juni 2008, S. 1–37 (PDF).
- Frank Dohmen: Rückbau des Reaktors Jülich: Heißer Meiler. In: Spiegel Online. 24. Juli 2009, abgerufen am 4. Januar 2015.
- M. Täubner, M. Rafalski: Kann denn Wahrheit Sünde sein? Wirtschaftsmagazin Brand eins 05/2012, S. 106–109.
- R.Moormann: Katastrophenfreie Jülicher Kugelhaufenreaktoren, Chance oder Mythos? in: 8. Offene Akademie 2013, Tagungsband ISBN 978-3-941194-11-3, S. 75–80.
- R. Moormann: Das Jülicher Atomdebakel, 8. März 2014 (PDF)
- Linda Nordling: Pebble-bed nuclear reactor gets pulled. In: Nature. 463, 2010, S. 1008–1009, doi:10.1038/4631008b.
- Edwin Cartlidge: Nuclear's new generation, Physics World, Oktober 2010.
- Whistleblowing im nuklear-industriellen Komplex
- Begründung der Jury für den Whistleblower-Preis (PDF; 20 kB)
- Neue Osnabrücker Zeitung: Störfälle vertuscht – Osnabrücker Kritiker rehabilitiert, 28. April 2014.
- Forschungszentrum Jülich: AVR-Expertengruppe legt Bericht vor, 26. April 2014: Bericht der AVR-Expertengruppe (Kurzfassung) (PDF; 329 kB), (Langfassung) (PDF; 4 MB).
- R.Moormann, S.Kemp, Ju Li: Caution Is Needed in Operating and Managing the Waste of New Pebble-Bed Nuclear Reactors. Joule 2 Issue 10 (2018) 1911-14 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2542435118303350
- R.Moormann, A.V.Wendland: Warum wir die deutschen Kernkraftwerke jetzt noch brauchen. Memorandum vom 16.07.2020. Zusammen mit begleitenden Dokumenten auf https://saveger6.de/
- R.Moormann, A.V.Wendland: Deutsche Klimastrategie: Stoppt den Atomausstieg ! Die Zeit 30 (2020) https://www.zeit.de/2020/30/deutsche-klimastrategie-atomausstieg-co2-emissionen-bundesregierung
- Konrad Schuller: Umgang mit dem Klimawandel. Letzte Hoffnung Atomkraft. Warum zwei Ökoaktivisten den Atomausstieg verschieben wollen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 6. September 2020 (online).
- Hessischer Rundfunk: Alles Wissen: Atomkraft für die Energiewende. 29. Oktober 2020 (abrufbar bis Oktober 2021).
- Allemagne: le volte-face des ecologistes antinucleaires. 25. September 2020. http://www.economiematin.fr/news-ecologie-nucleaire-changement-idee-evolution-electricite-redacteur und Kommentar dazu https://www.breizh-info.com/2020/09/26/151117/urgence-climatique-des-ecologistes-antinucleaires-font-volte-face-en-allemagne/
- Atomkraft: Experten drängen auf den Ausstieg aus dem Ausstieg. Augsburger Allgemeine, 10.09.2020 https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Atomkraft-Experten-draengen-auf-den-Ausstieg-aus-dem-Ausstieg-id58101806-amp.html
- WDR Tagesgespräch 28.09.2020: Klimawandel – die Stunde der AKW?https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tagesgespraech/tg-achtundzwanzigster-september-104.html
- Die Schweiz wird ihre Kernkraftwerke noch brauchen. Interview mit A.V.Wendland zum energiepolitischen Moormann/Wendland Memorandum. Bulletin des Schweizer Nuklearforums 3/2020 https://www.nuklearforum.ch/de/aktuell/e-bulletin/die-schweiz-wird-ihre-kernkraftwerke-noch-brauchen
- Die nukleare Täuschung: Atomenergie ist kein Heilsbringer für den Klimaschutz. In: Hans-Josef Fell. 17. August 2020, abgerufen am 20. Oktober 2020 (deutsch).
- Wolfgang Pomrehn: Atomkraft: Das letzte Gefecht? Abgerufen am 20. Oktober 2020.
- www.ippnw.de: Gesundheit. Abgerufen am 20. Oktober 2020.
- Atomkraft, ja bitte?. In: ZEIT ONLINE. 6. Februar 2020, abgerufen am 20. Oktober 2020.
- Energiewirtschaft: Atomkraft für Klimaschutz? Energiekonzerne sind von neuen Pro-AKW-Demos genervt. Abgerufen am 20. Oktober 2020.
Weblinks
- Verleihung des Whistleblower-Preises 2011 auf Hintergrund.de
- Whistleblower-Preis 2011 geht an Kernforscher auf Heise.de
- noz.de (Memento vom 11. Februar 2013 im Webarchiv archive.today)
- Begründung der Jury für den Whistleblower-Preis (PDF; 20 kB)