Róbert Ragnar Spanó
Róbert Ragnar Spanó (* 27. August 1972 in Reykjavík) ist ein isländischer Jurist und Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er ist seit 18. Mai 2020 der 15. Präsident des EGMR.[1]
Neben der isländischen besitzt Róbert Ragnar Spanó auch die italienische Staatsbürgerschaft.[2]
Leben und Wirken
Róbert Ragnar Spanó erwarb 1997 an der Universität Islands den Titel Kandidat der Rechtswissenschaften, was dem kombinierten Erwerb der Titel Bachelor of Laws und Master of Laws entspricht. Anschließend arbeitete er als Richter an einem isländischen Bezirksgericht, bevor er 1998 Rechtsberater des Ombudsmannes des isländischen Parlaments wurde. 2000 erwarb Róbert Ragnar Spanó an der University of Oxford den Titel Magister iuris in den Fächern European and Comparative Law. Von 2002 bis 2004 war er Assistenzprofessor an der Universität Islands, später außerordentlicher Professor und seit 2006 ordentlicher Professor für Strafverfahrensrecht.
Nach einer erneuten kurzen Tätigkeit als Richter arbeitete er parallel zu seiner Tätigkeit an der Universität in verschiedenen Positionen für das isländische Justizministerium, die Regierung und als Vorsitzender zweier Expertenkommissionen zur Untersuchung von sexuellen Missbräuchen an Kindern und Jugendlichen und Menschenrechtsverletzungen in Wohlfahrtsorganisationen. Von 2010 bis 2013 war er Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Islands. 2012 war er als unabhängiger Experte für die Lanzarote-Kommission tätig.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Im Juni 2013 wurde er als Nachfolger von Davíð Þór Björgvinsson als Vertreter Islands zum Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewählt.[2] Róbert Ragnar Spanó trat seine voraussichtlich bis 2022 dauernde Amtszeit am 1. November 2013 an. Am 1. April 2019 wurde Róbert Ragnar Spanó von den Richtern des EGMR zum neuen Vizepräsidenten des Gerichtshofs gewählt. Er trat das Amt als einer der beiden EGMR-Vizepräsidenten in Nachfolge des zum EGMR-Präsidenten gewählten Linos-Alexandre Sicilianos am 5. Mai 2019 an.[3] Außerdem ist er Präsident der II. Sektion des EGMR.
Am 20. April 2020 wählten die Richter des EGMR Róbert Ragnar Spanó zum Präsidenten des Gerichtshofs. Er trat das Amt als Nachfolger von Linos-Alexandre Sicilianos am 18. Mai 2020 an.[1]
Kritik
Umstrittener Türkei-Besuch
Anfang September 2020 löste Róbert Ragnar Spanó, bei seinem offiziellen Türkeibesuch als Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, eine Entrüstungswelle aus, als er einen Ehrendoktortitel der Universität Istanbul annahm. Kritisiert wurde auch, dass es zu keinem Treffen mit Regierungskritikern kam.[4][5] So nahm er eine Einladung von Basak Demirtas, der Ehefrau des inhaftierten Kurdenpolitikers Selahattin Demirtaş, dessen Freilassung der EGMR seit Jahren fordert, nicht an.[6]
Er traf sich ausschließlich mit hohen Justizbeamten und Vertretern der Erdogan-Regierung. Mit der befreundeten türkischen EGMR-Richterin Saadet Yüksel, deren Bruder für die Regierungspartei AKP im Parlament saß, reiste Róbert Ragnar Spanó in die südostanatolische Stadt Mardin, um dort unter anderem die Imam-Hatip-Schule, eine der religiös geprägten Schulen, zu besichtigen, zu deren Absolventen auch Erdogan gehört.
Immerhin führte er in zwei Vorlesungen, die er vor jungen Richtern und Staatsanwälten sowie vor Studenten hielt, aus, wie wichtig eine unabhängige Justiz und die Freiheit von Forschung und Lehre seien.
„Dass sich ausgerechnet der oberste Repräsentant der Verteidigung der Menschenrechte in Europa von einem Land ehren lässt, das seit Jahren systematisch Menschenrechte verletzt, ist für türkische Oppositionelle und ausländische Beobachter nicht nachvollziehbar.“
„Ich verstehe nicht, wie man stolz darauf sein kann, Ehrenmitglied einer Universität zu werden, die zu Unrecht Hunderte von Akademikern hinausgeworfen und in Arbeitslosigkeit und Armut getrieben hat.“
Die Türkei wird häufiger als die meisten anderen Mitglieder des Europarates wegen schwerer Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention an den Pranger gestellt. Allein 2019 befasste sich der Gerichtshof mit 9250 Verfahren gegen das Land, das bei Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen nur noch von Russland übertroffen wird. Zehntausende türkische Staatsbürger wurden vor allem nach dem Putschversuch aus dem Staatsdienst entlassen und verhaftet. Auch fühlt sich Ankara oft an Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs gar nicht gebunden.[5]
Weblinks
Einzelnachweise
- Robert Spano, Judge in respect of Iceland, today elected President of the European Court of Human Rightst. In: Presseaussendung des EGMR. 20. April 2020, abgerufen am 23. April 2020 (englisch).
- New Icelandic and Lithuanian Judges Elected auf echrblog.com, abgerufen am 14. Dezember 2017.
- European Court of Human Rights elects a new Vice-President. In: Presseaussendung des EGMR. 1. April 2019, abgerufen am 1. April 2019 (englisch).
- Türkei: Kontroverse um Auszeichnung von Ehrendoktorwürde – Tausende Akademiker wurden nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 entlassen und verhaftet. Ausgerechnet dort will der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nun eine Ehrendoktorwürde entgegen nehmen. Das Unverständnis ist groß, BR24, 3. September 2020
- Europas wichtigster Richter für Menschenrechte lässt sich ausgerechnet von Erdogan würdigen – In der Türkei ist die Menschenrechtslage desaströs. Das hielt den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aber nicht davon ab, sich in Istanbul mit einem Doktorhut ehren zu lassen. Oppositionelle fühlen sich verraten, Daniel Steinvorth, NZZ, 7. September 2020
- (en) You met Turkey’s President who didn’t implement ECtHR judgements, Bianet, 7. September 2020
- (en) Mehmet Altan addresses an open letter to ECtHR President, Bianet, 31. August 2020