Pseudoentlehnung
Eine Pseudoentlehnung oder Scheinentlehnung ist ein Wort, das klingt, als stamme es aus einer fremden Sprache, tatsächlich aber kein Fremd- oder Lehnwort ist. Oft handelt es sich um Analogiebildungen zu oder Nachahmungen von bereits etablierten Fremdwörtern. Als Pseudoentlehnungen gelten Neubildungen und morphologisch (nicht aber semantisch) übernommene Wörter. Bekannte Beispiele für Pseudoentlehnungen sind der Scheinanglizismus Handy (im Englischen ein Adjektiv mit der Bedeutung „praktisch“)[1] und der Scheingallizismus Friseur (im Französischen unbekannt, dort coiffeur).[2]
Oft wird aus bereits geläufigen Fremdwörtern oder charakteristischen Bestandteilen von Fremdwörtern einer Sprache ein neues Wort gebildet. Neben dem bereits erwähnten Beispiel „Friseur“ (aus „Frisur“ und der französischen Endung -eur, nach Ingenieur u. a.) ist das Wort Showmaster für den Moderator einer Fernsehunterhaltungssendung eine Scheinentlehnung (im Englischen unbekannt, dort heißt es host), die aus dem bereits existierenden Fremdwort Show und dem anglisierenden Master abgeleitet ist.[3] Entsprechendes gilt für den Talkmaster, ebenfalls im Deutschen gebildet.[4]
Im weitesten Sinne kann auch die Neuschöpfung in einer Fremdsprache als Pseudoentlehnung verstanden werden, streng genommen stellt sie aber einen Neologismus dar, der nach den Regeln der Wortbildung gebildet wird. So existierten die Wörter Telefon und Telegramm im Griechischen nicht, sie sind aber aus Wörtern des Griechischen gebildet.[5] Mitunter werden Scheinentlehnungen auch in den Wortschatz der Quellsprache übernommen, so die beiden vorangegangenen Beispiele in das Neugriechische. Besonders in der Wissenschaftssprache, etwa der Medizin, sind neue Wörter aus altgriechischen oder lateinischen Wortwurzeln oder Hybridbildungen aus griechischen und lateinischen Elementen entstanden, die entweder (bis dato im Griechischen und Lateinischen nicht verwendete) Komposita oder Ableitungen mit neulateinischen Suffixen sind.
Eine weitere Klasse von Scheinentlehnungen sind neu erfundene Wörter mit vermeintlich oder tatsächlich für die Quellsprache charakteristischen Lautkombinationen oder Silben. Beispiele sind der Scheinslawismus Besoffski für einen Betrunkenen oder Alkoholiker[6] und der Scheinanglizismus Twen (aus der Anfangssilbe englischer Zahlwörter)[7] für einen Menschen im Alter zwischen 20 und 29.
Literatur
- Betz, Werner. (1959) Lehnwörter und Lehnprägungen im Vor- und Frühdeutschen. In: Deutsche Wortgeschichte I, hrsg. von Friedrich Maurer & Friedrich Stroh, 127–147. Berlin: Walter de Gruyter.
- Glahn, Richard: Der Einfluß des Englischen auf gesprochene deutsche Gegenwartssprache. 2., durchgesehene Auflage. Peter Lang, Frankfurt u. a. 2002, Kapitel Scheinentlehnung, S. 36–38, ISBN 3-631-38955-8.
Weblinks
Einzelnachweise
- Es handelt sich bei Handy um eine "nur im Dt. gebräuchliche Substantivierung zu engl. handy "handlich, praktisch", also nicht um die Übernahme eines Wortes aus dem Englischen: Wahrig: Deutsches Wörterbuch. 8., vollständig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Renate Wahrig-Burfeind. Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2008, ISBN 978-3-577-10241-4, Stichwort "Handy".
- Es handelt sich bei Friseur/Frisör um eine "französisierende dt. Ableitung von frisieren", also nicht um die Übernahme eines Wortes aus dem Französischen: Wahrig: Deutsches Wörterbuch. 8., vollständig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Renate Wahrig-Burfeind. Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2008, ISBN 978-3-577-10241-4, Stichwörter "Friseur"/"Frisör".
- Laut Duden ist Showmaster eine "dt. Bildung aus engl. show (…) und master (…)", also keine Entlehnung des Gesamtwortes aus dem Englischen: Duden. Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. 4., aktualisierte Auflage. Herausgegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007, ISBN 3-411-04164-1, Stichwort: Showmaster.
- Siehe Glahn, Seite 37.
- Siehe Artikel Telefon (im Deutschen gebildet) und Telegramm (im Englischen aus griechischen Wörtern gebildet und wohl über das Französische ins Deutsche entlehnt) in: Duden. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 5., neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Dudenverlag, Berlin/Mannheim/Züchrich 2014. ISBN 978-3-411-04075-9.
- Herbert Pfeiffer: Das große Schimpfwörterbuch. Über 10000 Schimpf-, Spott- und Neckwörter zur Bezeichnung von Personen. Eichborn, Frankfurt/Main 1996, ISBN 3-8218-3444-7, Stichwort Besoffski.
- Siehe Glahn, Seite 37.