Private Waldschule Grunewald
Die Private Waldschule Grunewald war eine konfessionell ungebundene Privatschule im Berliner Ortsteil Grunewald. Sie wurde 1930 durch die Pädagogin Toni Lessler (1874–1952) gegründet, 1939 wurde sie geschlossen.[1] Die Schule orientierte sich als damals einzige bzw. erste Privatschule Deutschlands am Erziehungsbild von Maria Montessori, war für Mädchen und Jungen offen und bot den zur damaligen Zeit noch modernen koedukativen Unterricht nach den Lehrplänen des Reformrealgymnasiums und Lyzeums an.[2]
Private Waldschule Grunewald | |
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Schulform | Montessorischule |
Gründung | 1930 |
Schließung | 1939 |
Adresse |
Hagenstraße 56 |
Ort | Berlin-Grunewald |
Land | Berlin |
Staat | Deutschland |
Koordinaten | 52° 28′ 45″ N, 13° 16′ 31″ O |
Geschichte
Wilmersdorf, Uhlandstraße 161
Toni Lessler betreute bereits seit 1912 in der Uhlandstraße 161 private Schulzirkel für Kinder und Jugendliche mit intensiverem Betreuungsbedarf, um diese beim Lernen und bei ihren Hausaufgaben zu fördern.
Grunewald, Brahmsstraße 17/19
Die neue Schule wurde in der Brahmsstraße 17/19 gegründet, das Gebäude ist bis heute erhalten. Ihr wurde – erstmals bei einer deutschen Privatschule – ein Tagesheim mit entsprechender Vollverpflegung angegliedert, in dem sich Schüler bei Bedarf auch an den Nachmittagen aufhalten konnten und dort beispielsweise bei den Hausaufgaben und beim Lernen betreut wurden. Der Begriff Waldschule bezog sich auf einen heilpädagogisch begründeten Trend der damaligen Zeit, Stadtkindern einen direkten Bezug zur Natur zu ermöglichen. In der Villengegend Grunewald waren zu dieser Zeit viele wohlhabende Familien von Akademikern, Bankiers, Künstlern und Unternehmern angesiedelt, darunter oft solche jüdischer Herkunft.[3] Weitere Klientel dieser Schule wurden Kinder ausländischer Diplomaten. Zwischen 1930 und deren generellem Verbot im April 1933 bestand an der Schule eine eigene Montessori-Klasse mit 32 Schülern. Aus diesem Anlass wurde die Schule von der ab 1925 durch Clara Grunwald geführten Deutschen Montessori-Gesellschaft e. V. (DMG) ausgewählt, um dort einen großen Empfang anlässlich des ersten Besuchs von Maria Montessori in Deutschland zu veranstalten (vermutl. 1931 oder 1932). Mitglied des Lehrerkollegiums der Schule war Toni Lesslers jüngere Schwester Clara Heine (* 29. Februar 1876).[4]
Grunewald, Hagenstraße 56
Durch den Erfolg der neu gegründeten Schule in der Brahmsstraße wurde schon 1932 ein größeres Schulgebäude erforderlich. Lessler zog daher mit ihrer ganzen Schule in eine große Villa um, die sich nicht weit entfernt in der Hagenstraße 56 an der Ecke zur Teplitzer Straße befand. Deren weitläufiger Garten eignete sich auch für die Pausengestaltung, für die Anlage von Blumenbeeten durch die Schüler der verschiedenen Klassen und den Sport. Es gab dort einen Tennisplatz, der im Winter geflutet wurde, um von den Schülern als Eislauffläche genutzt werden zu können. Die Schule wurde nun inoffiziell auch als „Schule am Roseneck“ bezeichnet, nach dem nahegelegenen Platz. Bis zum 23. Dezember 1933 bestand die Schülerschaft zu weit überwiegendem Anteil aus christlichen Kindern.[5]
Durch die 1. Verordnung zum Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 wurde die Zahl der Neuaufnahmen jüdischer Schüler an höheren öffentlichen Schulen (und Hochschulen) limitiert. Jüdische Schüler und Lehrkräfte wurden an den staatlichen Schulen generell ausgegrenzt, wodurch insbesondere Schulanfänger und jüngere Schüler stark betroffen waren, denn sie konnten dem für sie unbegreiflichen Geschehen noch nichts entgegensetzen. Eltern versuchten daher, ihre Kinder vor derart traumatischen Erfahrungen zu schützen, indem sie sie auf jüdische Schulen schickten, von denen es jedoch zunächst nicht genug gab bzw. deren Kapazität zunächst nicht ausreichte.
Die Unterrichtsinhalte veränderten sich, jüdische Schulen mussten ihre Schüler nun vordringlich auf ein Leben nach der Emigration ins Ausland vorbereiten. Der Spracherwerb, vorrangig Englisch und Hebräisch, gewann demgemäß an Bedeutung, aber auch das Erlernen praktischer Alltagsfähigkeiten und das identitätsstiftende Begehen jüdischer Feste, da viele deutsche Schüler jüdischer Herkunft aus zum Christentum konvertierten oder säkular geprägten Familien stammten.[6][7]
Toni Lessler, die ihre Privatschule nicht an einen „arischen“ Betreiber übergeben mochte, fürchtete Ende 1933 eine Schließung ihrer Bildungseinrichtung. Die von den Nationalsozialisten als „arisch“ bezeichneten Lehrer und Schüler – somit der weitaus größte Teil der Schüler – mussten stattdessen am letzten Schultag vor Weihnachten, am Samstag, dem 23. Dezember 1933, die Schule verlassen und sich umgehend an öffentlichen Schulen anmelden. Die betroffenen Schüler erschienen an diesem Tag dennoch mit ihren Eltern zur vorgesehenen Schulweihnachtsfeier, an der Toni Lessler als Jüdin jedoch nicht mehr teilnehmen durfte. Nur ein „arisches“ Mädchen durfte mit ministerieller Sondergenehmigung bis zu ihrem Schulabschluss Ostern 1934 bleiben. In diesem Zeitraum wurden 140 jüdische Schüler an der Privatschule neu angemeldet, die ihre Ausgrenzung an den öffentlichen Schulen nicht mehr aushielten.[8][9][10] Die Schule musste sich in der Folge wegen ihrer jüdischen Schulleiterin und Betreiberin „Private Jüdische Waldschule Grunewald“ nennen, der pädagogische Montessori-Ansatz wurde untersagt. Der staatlich auferlegte Zusatz „jüdische“ wurde von der Schulleitung maschinenschriftlich beispielsweise in Zeugnisse eingefügt.[11]
Schulleiter war vom 4. Januar 1934 bis zu der von den Nazis erzwungenen Schließung der Schule im Jahr 1939 Kurt Landsberg (1892–1964).[12]
Im Jahr 1936 musste die Schule erneut erweitert werden und nutzte daher zusätzlich das an das Schulgrundstück angrenzende Gebäude Kronberger Straße 18. Die Waldschule Grunewald erhielt so eine Kapazität von 425 Schülern inkl. Oberstufe. Die Berechtigung für das Abitur folgte. Als erste und einzige jüdische Schule in Preußen erhielt die Waldschule Grunewald die Genehmigung, ihrer Bildungseinrichtung eine Frauenschule anzugliedern. Die Schule war ab 1937 als Prüfungszentrum für die Aufnahme (Matric Exam) an der University of Oxford zertifiziert. Jüdische Schüler, die das Deutsche Reich vor der Shoah verlassen konnten, waren somit in der Lage, sich auf ein Studium im Vereinigten Königreich vorzubereiten.[13][14]
Ende August 1937 beging die Schule ihr 25-jähriges Bestehen. Zu den zweitägigen Festveranstaltungen mit Theateraufführungen und Chorgesang, einem Sportfest auf dem Gemeindesportplatz und einer Ruderregatta in Berlin-Grünau im Zusammenwirken mit dem Jüdischen Brüderverein (Wohlfahrt) und dem (seit 1936: Jüdischen) Ruder-Club ‚Welle-Poseidon‘ erschien eine umfangreiche Jubiläumsfestschrift. Allein rund 1500 Gäste wurden zusätzlich zu den Schülern und Lehrkräften im Garten der Waldschule gezählt.
In der Pogromnacht vom 9. November 1938 blieb die Schule von nationalsozialistischen Übergriffen verschont.
Einem Runderlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, vom 15. November 1938 zufolge wurden sämtliche jüdischen Schüler infolge des Pogroms von den staatlichen Schulen verwiesen. Dadurch stieg die Schülerzahl der Privaten Jüdischen Waldschule Grunewald noch einmal an.
Im Jahr 1939 wurde die Private Jüdische Waldschule Grunewald auf Anordnung der Nationalsozialisten geschlossen. Toni Lessler emigrierte kurz zuvor in die Vereinigten Staaten.
Auf dem Grundstück der ehemaligen Villa bzw. der früheren Privatschule Hagenstraße 56 befindet sich seit 2004 der Neubau der Katarischen Botschaft.
Bekannte Schüler
- Hanns Alexander, Kaufmann und Bankier, Nazi-Jäger
- Ernst Ludwig Ehrlich, Judaist und Historiker
- Ludwig Greve, Schriftsteller und Bibliothekar
- Peter von Oertzen, Politikwissenschaftler, niedersächsischer Kultusminister
Bekannte Lehrer
- Leonore Goldschmidt, 1934
- Erich Ludwig Loewenthal, 1934–1939
Schulleiter
- Toni Lessler, 1930–1934
- Kurt Landsberg, 1934–1939
Literatur
- Kurt Landsberg (Hrsg.): Festschrift anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Privaten Jüdischen Waldschule Grunewald. Selbstverlag, Berlin 1937.
- Jörg H. Fehrs: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712–1942. Edition Hentrich 1993, Hrsg. Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum e. V. ISBN 978-3-89468-075-6.
- Friedrich Wißmann / Ursula Blömer (Hrsg.): „Es ist Mode geworden, die Kinder in die Lesslerschule zu schicken“. Dokumente zur Privaten Waldschule von Toni Lessler in Berlin Grunewald, Oldenburg, BIS Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2010. ISBN 978-3-8142-2047-5.
Einzelnachweise
- Kurzbiografie Toni Lessler. In: Berliner Morgenpost, 2. September 2003; abgerufen am 20. Juli 2015
- Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. Autobiografie. S. 14
- Grunewaldrampe auf: berlin-judentum.de
- Hartmut Bomhoff: Ehrlich, Ernst Ludwig. Prägende Jahre – Eine Biographie. S. 24
- Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. Autobiografie. S. 14
- Schulalltag nach 1933. Kreuzzug gegen Kinder. Auf: swr.de, abgerufen am 20. Juli 2015
- Jugend 1918–1945. Jüdische Jugend. Auf: jugend1918-1945.de, abgerufen am 20. Juli 2015
- Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. Autobiografie. S. 21
- Kiezspaziergang 9. November 2002 – Vom Roseneck zum Hagenplatz. berlin.de; abgerufen am 20. Juli 2015
- Kiezspaziergang 13. November 2004 – Vom Roseneck zum Hagenplatz. berlin.de; abgerufen am 20. Juli 2015
- Zeugnis der Privaten Jüdischen Waldschule Grunewald 1937/38. Auf: jmberlin.de, abgerufen am 20. Juli 2015
- Ansprache von Kurt Landsberg am 29. August 1937. In: Kurt Landsberg (Hrsg.): Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Privaten Jüdischen Waldschule Grunewald, Berlin 1937, S. 113
- Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. Autobiografie. S. 24
- Hainer Weißpflug: Private Waldschule Grunewald. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Charlottenburg-Wilmersdorf. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2005, ISBN 3-7759-0479-4 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009).