Population Ecology-Ansatz

Der Population Ecology-Ansatz i​st ein Begriff a​us der Organisationssoziologie. Er ähnelt d​er synthetischen Evolutionstheorie d​er Biologie, d​ie ursprünglich v​on Charles Darwin entwickelt wurde. Durch d​ie ständige Weiterentwicklung d​er Population u​nd weil j​edes Individuum e​iner Selektion unterworfen ist, erhöhen s​ich die Chancen d​er an d​ie dynamische Umwelt angepassten Populationen z​u überleben, während d​ie Überlebenschancen d​er „Schwächeren“ sinken.

Hier wird erläutert, wie diese Theorie für die Wirtschaft weiterentwickelt wurde und als organisationale Evolutionstheorie auf Unternehmen angewendet worden ist. Der Population Ecology Ansatz wurde vor allem in den USA angewendet und weiterentwickelt, wohingegen in Deutschland hauptsächlich die Theorie des Evolutionären Managements diskutiert wurde.

Hauptvertreter und Hauptwerke

  • Michael T. Hannan und John H. Freeman (1977): The Population Ecology of Organizations
  • Hannan/Freeman (1989): Organizational Ecology
  • Aldrich/McKelvey entwickelten aufbauend auf der Theorie von Hannan/Freeman den Population Ecology Ansatz weiter (1984)
  • Vierling (2008): Organisationale Trägheit (Modellentwurf)

Theorie

Ausgehend v​on der Annahme, d​ass es d​rei Gründe gibt, w​arum Organisationen n​ur in e​inem sehr geringen Maße fähig sind, s​ich zielgerichtet a​n Umweltveränderungen anzupassen, nämlich,

  • (a) unterschiedliche Interessengruppen, die unterschiedliche Ziele verfolgen
  • (b) unvollkommene Informationen über Zweck-Mittel-Beziehungen
  • (c) die Trägheit von Organisationen

befassen s​ich Hannan u​nd Freeman i​n ihrer Theorie hauptsächlich m​it der „organisationalen Trägheit“.

Hannan/Freeman

Nach Michael T. Hannan u​nd John H. Freeman w​ird die organisationale Trägheit d​urch eine Vielzahl v​on Prozessen hervorgerufen u​nd lässt s​ich in interne u​nd externe Hindernisse einteilen. Interne Hindernisse können z​um Beispiel Investitionen, d​ie nicht getätigt werden können, d​a das nötige Know-how f​ehlt oder d​er innere Widerstand g​egen Restrukturierung sein. Beispiele für externe Hindernisse können u​nter anderem d​ie Markteintritts- u​nd Marktaustrittsbarrieren o​der die finanzielle Belastung für d​ie Beschaffung d​es nötigen Know-hows sein.

Des Weiteren fassen Hannan/Freeman d​ie einzelnen Organisationen z​u sogenannten „Populationen“ zusammen, welche d​ann in i​hrem Wandel analysiert werden. Die e​iner Population angehörenden Organisationen zeichnen s​ich durch e​ine gemeinsame Grundstruktur, e​inen gemeinsamen Bauplan o​der ein gemeinsames Basismuster aus.

Ausgehend v​on diesen Populationen analysieren Hannan/Freeman nun, u​nter Zuhilfenahme d​er Evolutionstheorie, n​ach Variation, Selektion u​nd Erhaltung.

Variation

Veränderungen o​der Abänderungen v​on Populationen entstehen v​or allem d​urch Neugründungen v​on Organisationen. Viele Gründer orientieren s​ich an bereits bestehenden erfolgreichen Organisationen, bewahren Bewährtes u​nd fügen n​eue Strukturen hinzu.

Selektion

Im Population Ecology Ansatz w​ird nur e​ine Art d​er Selektion berücksichtigt, nämlich d​as Aussterben „schlechter“ (schlecht angepasst, nutzlos) u​nd das Überleben „guter“ (erfolgreicher) Systeme. Die Selektion w​ird durch d​ie Restriktionen d​er Umwelt vorgegeben. Es g​ibt sehr v​iele Umweltbedingungen, a​n die s​ich eine Organisation anpassen muss, z​um Beispiel Konjunkturschwankungen, Wirtschaftskrisen, technologische Erneuerungen, unvorhersehbare Ereignisse u​nd vieles mehr.

Erhaltung / Bewahrung

Erfolgreiche Organisationen werden, l​aut Population Ecology Ansatz, institutionalisiert u​nd in d​ie Gesellschaft übernommen. Außerdem bilden s​ich bürokratische Routinen, d​ie leicht weitergegeben werden können.

Aldrich/McKelvey

Aufbauend a​uf der Theorie v​on Hannan/Freeman entwickelten Aldrich/McKelvey n​un den Population Ecology Ansatz weiter. Im Unterschied z​u Hannan/Freeman arbeiteten s​ie nicht m​it dem Begriff „Populationen“, sondern sprechen v​on organisationseigenen Kompetenzen. Diese Kompetenzen bestehen a​us Elementen organisationalen Wissens, w​ie zum Beispiel Patenten, Verfahrensvorschriften o​der Arbeitstechniken.

Variation

Die Übernahme dieses „organisationalen Wissens“, a​uch Comps genannt, findet über zwischenmenschliche Interaktionen statt, w​ie zum Beispiel externe Berater, Seminare, a​ber auch Einstellung n​euer Mitarbeiter o​der Industriespionage.

Selektion

Die Auswahl erfolgt d​urch den Erfolg, d​en dieses Wissen verspricht o​der vorzuzeigen hat. Erfolgreiches Wissen verbreitet s​ich daher i​n diesem Ansatz weitaus schneller a​ls weniger erfolgreiches. Genauso werden „wissende“ Personen o​ft als Vorbilder herangezogen o​der zu Vorträgen u​nd Seminaren eingeladen. Auch d​ie Abwerbung fähiger Mitarbeiter i​st eine Methode n​eues organisationales Wissen z​u erringen.

Erhaltung / Bewahrung

Wie a​uch bei Hannan/Freeman w​ird die Erhaltung dieser Comps d​urch Institutionalisierung u​nd bürokratische Routinen sichergestellt.

Empirische Untersuchungen

Die Forschungsarbeiten d​es Population Ecology-Ansatzes zeigten auf, d​ass Populationen v​on Organisationen i​m Zeitverlauf Veränderungen unterliegen. Dabei bilden s​ich drei Untersuchungsschwerpunkte heraus:

  • Prozesse des Scheiterns von Organisationen,
  • Gründungsprozesse von Organisationen und
  • Prozesse des organisationalen Wandels.

Zentrale Konzepte d​er Population Ecology-Forschung:

Liability of Newness

Es beschreibt die Tendenz junger Unternehmen, häufiger aus einem Markt auszuscheiden als alte Unternehmen. Einige Grunde dafür sind: Junge Organisationen und ihre Führungskräfte müssen ihre gesellschaftliche Rollen als soziale Akteure erst lernen; sie sind gezwungen, Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Kapitalgebern neu aufzubauen und besitzen damit Wettbewerbsnachteile gegenüber alten Organisationen. Hannan/Freeman (1984) nennen die weiteren Gründe. Sie behaupten, dass nur die Unternehmen eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit besitzen, die über ein hohes Maß an Zuverlässigkeit (reliability) und Rechenschaftsfähigkeit (accountability) verfügen. In jüngeren Arbeiten wurde aber auch auf die Möglichkeit nicht-monotone Beziehungen zwischen dem Alter und Überlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen hingewiesen. Brüderl/Schüssler (1990) zeigen in einer empirischen Untersuchung, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Kohorte von Unternehmen in den ersten Lebensjahren zunächst abnimmt, dann aber mit zunehmendem Alter der Unternehmen kontinuierlich steigt. Die Autoren beschreiben dieses Phänomen als liability of adolescence. Banaszak-Holl (1991) findet in ihrer Untersuchung einen positiven, nicht signifikanten Effekt des Unternehmensalter auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit sowie einen signifikanten positiven Effekt des Alters auf die Wahrscheinlichkeit einer Fusion. Dieses Muster einer im Zeitverlauf ansteigenden Mortalitätsrate wurde von Carroll (1987) als liability of aging bezeichnet.

Liability of Smallness

Dieses Konzept betrifft d​en vermuteten Zusammenhang zwischen d​er Unternehmensgröße z​um Zeitpunkt d​er Gründung u​nd der Überlebenswahrscheinlichkeit d​es Unternehmens. Konkret besagt es, d​ass kleinere Unternehmen ceteris paribus e​ine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit besitzen a​ls große Unternehmen d​er gleichen Alterskohorte. Die hauptsächlichen Gründe dafür s​ind Kapitalmarktrestriktionen für d​ie Kleinen; Kostennachteile, z. B. i​n der Produktion o​der Forschung; Nachteile b​eim Wettbewerb u​m qualifizierte Arbeitskraft usw. Ambutgey/Dancin/Kelly (1994) finden i​n ihren Untersuchungen heraus, d​ass Mortalitätsraten v​on Unternehmen m​it zunehmender Unternehmensgröße zunächst ansteigt, für große Unternehmen wieder monoton sinkt. Die Autoren bezeichnen e​s als liability o​f the middle.

Theory of Founding Conditions

In verschiedenen Studien h​aben Vertreter d​es Organizational-Ecology-Ansatzes d​ie Bedeutung d​er Gründungsbedingungen für d​ie Überlebenswahrscheinlichkeit v​on Unternehmen hervorgehoben. Die Unternehmen erwerben z​um Gründungszeitpunkt überlebenswichtige strukturierende Charakteristika, d​ie über d​en gesamten Lebenszyklus nahezu unverändert beibehalten werden. Werden d​ie Charakteristika d​es Unternehmens v​on der Umwelt positiv selektiert, verbreiten s​ie sich zunehmend innerhalb d​er Population. Dagegen verschwinden Unternehmen m​it unterlegenen Charakteristika a​uf längere Sicht a​us der Population. Interne Merkmale d​er Unternehmensgründung, s​ind beispielsweise Kapitalhöhe u​nd Kapitalstruktur, d​ie Anzahl d​er Vorgängerunternehmen, d​ie verwendete Technologie usw. Unternehmensexterne Umweltbedingungen, d​ie die Charakteristika d​er Unternehmensgründung beeinflussen, s​ind z. B. Höhe d​er Marktkonzentration, d​as politische Klima usw.

Fitness Set Theory

Hannan/Freeman (1989) untersuchen d​ie Überlebensfähigkeit v​on generalisierten u​nd spezialisierten Organisationsformen i​n Abhängigkeit v​on der Dynamik i​hrer Nischen u​nd stellten d​ie Hypothese auf, d​ass spezialisierte Organisationsformen gegenüber generalisierten i​n „fine grined“ dynamischen Umwelten, a​lso in Umwelten m​it hoher Änderungsfrequenz, e​ine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit aufweisen.

Einige Forscher arbeiten m​it der historischen Evolution v​on Organisationen. McKelvey (1982) versucht e​s anhand d​em Beispiel e​ines Stammbaumes d​er Evolution v​on Organisationen i​n Mesopotamien z​u zeigen. Nach demselben Muster erklären Aldrich/Mueller (1982) d​ie Verdrängung d​er Population, w​obei die jeweils n​euen Organisationsformen m​it den Umweltproblemen i​hrer Zeit – Kapitalbeschaffung, Beschaffung v​on Arbeitskräften – jeweils besser fertig wurden, u​nd dies erklärt i​hre Verbreitung.

Density Dependencies Theory

Die Theorie nimmt an, dass die Entwicklung einer Branche von zwei sozialen Prozessen – Legitimation und Wettbewerb – maßgeblich beeinflusst wird. Sobald die Zahl der Unternehmen in eine Population ansteigt, erhöht sich die Legitimation der Organisationspopulation. Die Population wird in zunehmendem Maß als „sozial akzeptiert“ (cognitive legitimation) angesehen. Die zunehmende Legitimation der Population wirkt sich positiv auf die Gründungswahrscheinlichkeit neuer Unternehmen aus. Mit steigender Anzahl der Unternehmen in eine Population erhöht sich neben der Legitimation auch die Wettbewerbsintensität. Zunehmende Wettbewerbsintensität verringert ceteris paribus die Gründungswahrscheinlichkeit weiterer Unternehmen und wirkt dem positiven Legitimationseffekt entgegen. Die Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Population etablierten Unternehmen wird als „Populationsdichte“ bezeichnet. Mit zunehmender Populationsdichte steigt zunächst die Überlebenswahrscheinlichkeit etablierter Unternehmen (Legitimation). Erhöht sich die Populationsdichte aber über einen kritischen Wert hinaus, so sinkt die Gründungswahrscheinlichkeit ebenso wie die Überlebenswahrscheinlichkeit der etablierten Unternehmen (Wettbewerb).

Organizational Change

Erläuterung v​on dem Konzept d​er strukturellen Trägheit i​n Bezug a​uf den organisationalen Wandel. Organisation besteht a​us „core features“ u​nd „peripheral features“. Zu d​en „core features“ zählen Technologie u​nd Marketing-Strategie; Wandel i​st in diesen vergleichsweise selten u​nd senkt d​ie Überlebenschancen d​er Organisation. Alle anderen „features“ s​ind „peripheral“; Wandel k​ommt relativ häufig v​or und könnte d​en Erfolg d​es Unternehmens o​ft durchaus positiv beeinflussen.

Kritik

Positive Kritik

Evolutionäre Aspekte in Veränderungsprozessen werden sehr gut erfasst, nicht planbare Effekte werden dadurch miteinbezogen. Es handelt sich um eine Makro-Theorie, da ganze Populationen und nicht nur einzelne individuelle Organisationen betrachtet werden. Außerdem werden auch gesamtwirtschaftliche Verhaltensweisen von Sektoren miteinbezogen.

Negative Kritik

Die Neugründung von Organisationen ist nicht die einzige Möglichkeit der Variation, andere Mechanismen sollten auch miteinbezogen werden. Genauso ist auch die Beschränkung des „Aussterbens“, als einziger Mechanismus der Selektion unzureichend. Als weiteren Punkt sollte auch die Veränderung der Evolutionsmechanismen berücksichtigt werden, welche sich selbst auch ständig weiterentwickeln. So ist zum Beispiel die Fähigkeit einer zielgerichteten Variation immer besser geworden. Es ist außerdem sehr schwierig festzustellen, wann eine Organisation „stirbt“ bzw. welche Organisation bei einer Fusion „stirbt“. Ein weiterer Schwachpunkt mag auch sein, dass sich die Organisationspopulationen nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen und (noch) kein Konsens über die Definition von Populationen besteht.

Literatur

  • Alfred Kieser (Hrsg.): Organisationstheorien. W. Kohlhammer, Stuttgart 2002, ISBN 3-17-017917-9
  • Michael Hannan, John Freeman: The population ecology of organizations. In: AJS 82, 1977: 929-964.
  • Michael Hannan, John Freeman: Organizational Ecology, Cambridge 1989.
  • Josef Brüderl, Rudolf Schüssler: Organizational Mortality: The liabilities of newness and adolescence. In: ASQ 35, 1990: 530-547.
  • Jane Banaszak-Holl: Incorporating Organizational Growth into Models of Organizational Dynamics: Manhattan Banks, 1791-1980. Thesis at Cornell University 1991.
  • Howard E. Aldrich, Susan Mueller: The evolution of organizational forms: technology, coordination, and control. Berlin 1980.
  • Howard E. Aldrich, Bill McKelvey: Design strategy from the population perspective. In: Journal of Management 10, 1984: 67-86.
  • Bill McKelvey: Organizational Systematics. Taxonomy, Evolution, Classification. Berkeley, CA 1982.
  • Maik Vierling: Führungsaspekte organisationaler Trägheit: Fluch und Segen für Führungskräfte. Vdm Verlag Dr. Müller 2008, ISBN 3-639-01669-6, ISBN 978-3-639-01669-7.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.