Polykrates (Tyrann von Samos)
Polykrates (altgriechisch Πολυκράτης Polykrátēs) war ein antiker griechischer Tyrann, der von ca. 538 bis 522 v. Chr. auf der griechischen Insel Samos herrschte.
Frühes Leben und Herrschaftsübernahme
Polykrates wurde wohl um 570 v. Chr. geboren[1] und entstammte einer aristokratischen, samischen Familie. Aufgrund einer Inschrift wird zuweilen gemutmaßt, dass sein Vater Aiakes[2] ebenfalls Tyrann von Samos gewesen sein könnte,[3] was allerdings unwahrscheinlich ist.[4]
Über das Leben, das Polykrates vor der Machtübernahme auf Samos führte, ist nur die bei Athenaios überlieferte Anekdote bekannt, dass er bei feierlichen Anlässen kostbare Decken bzw. Speiseliegen[5] und Becher an Mitbürger verlieh, woraus sich ableiten lässt, dass Polykrates schon vor seiner Zeit als Tyrann wohlhabend war und „einem luxuriösen Lebensstil gefrönt“[6] hat.
Die Macht auf Samos übernahm Polykrates durch einen bewaffneten Überfall während eines religiösen Festes zu Ehren Heras, bei dem Polykrates und seine Brüder Pantagnotos und Syloson mit Unterstützung von Lygdamis, dem Tyrann von Naxos, die unbewaffneten Teilnehmer festsetzten, einige töteten und auch die Akropolis besetzten.[7] Vermutlich geschah das im Jahr 538 v. Chr. Da Lygdamis etabliert sein musste, um auswärts Hilfestellung zu leisten, muss eine gewisse Zeit seit seinem Herrschaftsantritt, der wiederum mit Hilfe des seit 546 v. Chr. alleine herrschenden Peisistratos erfolgt war, vergangen gewesen sein. Weitere Indizien sind Eusebius, chronicon 189 und Thukydides 1,13,6, wovon ersterer Polykrates’ Tyrannis 532 v. Chr. beginnen lässt und letzterer eine grobe zeitliche Übereinstimmung mit Kambyses II. nahelegt. Eine Liste von Thalassokratien von Diodor, bei Eusebius, chronicon 106, überliefert, stellt eine samische Seeherrschaft von 538 bis 522 v. Chr. fest, was wahrscheinlich eben mit Polykrates’ Herrschaft übereinstimmt.[8] Zunächst herrschten die drei Brüder gemeinsam über Samos, doch Polykrates entledigte sich seiner Mitherrscher, indem er Pantagnotos ermordete und Syloson ins Exil trieb. Von nun an, vermutlich ab etwa 532 v. Chr.,[9] herrschte er allein.
Für die drei großen samischen Bauten – der Tunnel des Eupalinos, das Heraion und der Hafen –, die Herodot als Rechtfertigung für seinen samischen Exkurs anführt[10] und die Aristoteles wohl mit den „polykrateischen Bauwerken“ gemeint haben dürfte[11], dürfte Polykrates nicht bzw. nur zum Teil verantwortlich gewesen sein. Der Tunnel wurde wohl früher begonnen,[12] während ein nie fertig gestellter Neubau des Heraion von Polykrates in Auftrag gegeben sein könnte.[13] Der Hafen ist indes nicht eindeutig zuzuordnen.[14] Für sich selbst soll Polykrates einen Palast gebaut haben, der noch lange später von Caligula bewundert worden sein soll.[15]
Polykrates schaffte es offenbar, durch Piraterie einen gewissen Reichtum anzuhäufen und damit berühmte Persönlichkeiten an seinen Hof zu locken. Zeitweise wirkten die Dichter Ibykos[16] und Anakreon[17] an seinem Hof und rühmten den Tyrannen[18]; dem berühmten Arzt Demokedes soll Polykrates ein Gehalt von jährlich zwei Talenten gezahlt haben.[19] Der Reichtum des Tyrannen war geradezu sprichwörtlich und wurde später Thema moralisierender, von Tyrannentopik beeinflusster Berichte,[20] die allerdings nicht wörtlich zu nehmen oder als historische Fakten anzusehen sind.[21] Gegner der Tyrannis und potentiell konkurrierende Aristokraten wie Pythagoras verließen indes die Insel.
Außenpolitik und Tod
Nach außen hin betätigte sich Polykrates in erster Linie mittels einer gut ausgestatteten Flotte, deren Schiffe, modifizierte Fünfzigruderer, schnell und geräumig waren und Samainai genannt wurden, als Händler und Pirat.[22] Herodot nennt ihn den ersten Griechen, der nach der Seeherrschaft strebte,[23] und erwähnt Siege über Lesbos und Milet.[24] Thukydides zufolge unterwarf Polykrates eine Reihe von Inseln.[25] Die Macht des Polykrates wurde jedoch eingeschränkt, als er dem Perserkönig Kambyses II. Schiffe, die er mit inneren Gegnern bemannte, als Unterstützung für dessen Ägypten-Invasion schickte und Kambyses dabei ausrichten ließ, er solle die Samier nicht mehr nach Hause zurückschicken.[26] Diese kehrten jedoch um, besiegten eine Flotte des Polykrates und landeten auf Samos, wo sie aber zurückgeschlagen wurden. Um Polykrates zu vertreiben, baten sie dann die Spartaner um Hilfe.[27] Herodot zufolge sagten diese zu und auch Korinther schlossen sich dem neuerlichen Angriff an[28], der aber ebenfalls fehlschlug,[29] so dass Polykrates sich als Tyrann von Samos halten konnte.
Unklar ist, wie Polykrates zum Perserreich stand, das zu seiner Zeit die Vormachtstellung in der Region erlangte. Zunächst war er wohl mit dem ägyptischen König Amasis verbündet. Herodot lässt dieses Bündnis mit der von späteren antiken Autoren oft aufgegriffenen Ringgeschichte[30] enden: Amasis warnt den Griechen hier, dass zu viel Glück den Neid der Götter errege und er sich von seinem größten Schatz trennen solle. Polykrates wirft daraufhin einen wertvollen Ring ins Meer, bekommt ihn jedoch wider Willen zurück. Der entsetzte Amasis erkennt darin ein Zeichen der Götter und beendet das Bündnis.[31] Diese Anekdote ist eindeutig nicht historisch und stammt von Herodot.[32] Wann das Bündnis von wem gebrochen wurde, ist somit unklar; zudem besteht die Möglichkeit, dass Polykrates bis nach Amasis’ Tod wartete, um sich den militärisch überlegenen Persern anzuschließen,[33] die nun begannen, im Mittelmeerraum Präsenz zu zeigen. Möglich ist aber auch, dass Polykrates schon zuvor im Auftrag des Kambyses tätig war und für den Perserkönig den aufsässigen persischen Statthalter Oroites in Schach hielt.[34]
522 v. Chr. hatte Polykrates jedenfalls mit finanziellen Problemen zu kämpfen, was wahrscheinlich eine Folge der Niederlage gegen die Aufständischen, der Angriffe auf Samos und der aus der Schwächung der Flotte resultierenden nachlassenden Einnahmen aus der Piraterie war. Als Oroites, der sich angeblich von Kambyses bedroht fühlte, ihm ein Bündnis und einen Teil seines Vermögens anbot, schickte Polykrates zunächst seinen Sekretär Maiandrios, um den angeblichen Schatz zu überprüfen.[35] Maiandrios ließ sich von Oroites entweder überlisten oder bestechen[36], so dass Polykrates zu einem Treffen mit Oroites fuhr. Nachdem der Satrap ihn dann, wie Herodot schreibt, „eines Todes hatte sterben lassen, den ich nicht erzählen mag, hängte er ihn ans Kreuz.“[37] Herodot, der sich zeitweise auf Samos aufhielt und Polykrates durchaus wohlwollend darstellt, hielt diesen Tod für seiner unwürdig.[38]
Rezeption
Friedrich Schiller behandelt ihn in der berühmten Ballade Der Ring des Polykrates im Scheitelpunkt seiner Erfolge. Die Vorlage dafür bot die Passage im III. Buch der Historien des Herodot. Schillers Ballade machte Polykrates im deutschen Sprachraum bekannt und sorgte noch für einige weitere, allerdings weniger bekannte Bearbeitungen des Stoffs, unter anderem von Wilhelm Schnitter.[39]
Literatur
- Helmut Berve: Die Tyrannis bei den Griechen. Band 1. C. H. Beck, München 1967, S. 107–114.
- Justus Cobet: Polykrates [1]. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 10, Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01480-0, Sp. 70–71.
- Thomas A. Schmitz: Polykrates. In: Peter von Möllendorff, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 8). Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02468-8, Sp. 767–772.
- Graham Shipley: A History of Samos, 800–188 BC. Clarendon Press, Oxford 1987, ISBN 0-19-814868-2, S. 67–99 (zugleich Dissertation, Wadham College 1982).
- Loretana de Libero: Die archaische Tyrannis. Franz Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06920-8, S. 251–310 (zugleich Habilitationsschrift, Universität Göttingen 1995).
- Elke Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer. C.H. Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-67378-8, S. 230–237.
- Aideen Carty: Polycrates, Tyrant of Samos. New Light on Archaic Greece. Franz Steiner, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-515-10898-0 (= Historia. Einzelschriften 236).
Weblinks
- Jona Lendering: Polycrates. In: Livius.org (englisch)
Einzelnachweise
- Suda, Stichwort Ἀνακρέων, Adler-Nummer: alpha 1916, Suda-Online; vgl. John P. Barron: The Sixth-Century Tyranny at Samos. In: Classical Quarterly. 58, 1964, S. 210–229, S. 212; Renate Tölle-Kastenbein: Herodot und Samos. Bochum 1976, S. 20; Cecil M. Bowra: Greek Lyric Poetry. 2. Auflage, Oxford 1961, S. 268f.
- Den Namen bezeugt Herodot 2,182; 3,39; 3,139; 6,13; 6,14. Andere Angaben bei Suda, Stichwort Ἴβυκος, Adler-Nummer: iota 80, Suda-Online und Himerios, orationes 29,22 sind irreführend und Herodot gegenüber zu vernachlässigen, vgl. Loretana de Libero: Die archaische Tyrannis. Stuttgart 1996, S. 258.
- Vgl. Graham Shipley: A History of Samos, 800–80 BC. Oxford 1987, S. 70f.; Mary White: The Duration of the Sixth Century Tyranny at Samos. In: Journal of Hellenic Studies. 74, 1954, S. 37–43, S. 37 und 42f., B. M. Mitchell: Herodot and Samos. In: Journal of Hellenic Studies. 95, 1975, S. 75–91, S. 78.
- Vgl. de Libero, S. 258f.
- Francis X. Ryan: Die stromnai des Polykrates von Samos. In: Studia Humaniora Tartuensia. 10, 2009, S. 1–8, S. 6. Ryan schlägt Speisebett als Übersetzung für στρωμναί vor und verbindet damit die Annahme, dass Polykrates die sich gerade erst verbreitende Sitte des Speiesens im Liegen auf Samos einführte.
- Rainer Bernhardt: Luxuskritik und Aufwandsbeschränkungen in der griechischen Welt (= Historia. Einzelschriften 168). Stuttgart 2003, S. 29.
- Polyainos, Strategemata 1,23; Elke Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer. München 2015, S. 230.
- Vgl. Helmut Berve: Die Tyrannis bei den Griechen. Band 2, S. 583; Jules Labarbe: Un Putsch dans la Grèce antique. Polycrate et ses frères a la conquête du pouvoir. In: Ancient Society. 5, 1974, S. 21–41, S. 41.
- Vgl. Matthew Dillon, Lynda Garland: The ancient Greeks. History and culture from archaic times to the death of Alexander. London 2013, S. 278.
- Herodot 3,60
- Aristoteles, Politik 5,1313b
- Vgl. Hermann J. Kienast: Der Tunnel des Eupalinos auf Samos (= Samos. XIX). Bonn 1995, S. 181f.
- Vgl. Hendrik Svenson-Evers: Die griechischen Architekten archaischer und klassischer Zeit (= Archäologische Studien. Band 11). Frankfurt a. M. 1996, S. 45.
- Vgl. de Libero, S. 294f.
- Sueton, Caligula 21. Dieser Palast ist allerdings im Gegensatz zu den anderen Bauwerken archäologisch nicht nachweisbar, vgl. Stein-Hölkeskamp, S. 233.
- Suda s. v. Ἴβυκος.
- Anakreon F 46 D; Strabon 6,638; Herodot 3,121; Athenaios 12,540e; Aelianus, varia historia 9,4; Suda s. v. Ἀνακρέων
- Vgl. Stein-Hölkeskamp, S. 234.
- Herodot 3,131; Athenaios 12,522b. Die Historizität der Person des Demokedes ist allerdings umstritten.
- Athenaios 12,540c–d = Klytos, FGrH 490 F 2, Alexis, FGrH 539 F 2; Athenaios 12,540f–541a = Klearchos F 44 Wehrli.
- Vgl. Bernhardt, S. 30; Linda-Marie Günther: Alles von überall her… – Handel und Tryphe bei Polykrates von Samos. In: Münstersche Beiträge zur antiken Handelsgeschichte. 18, 1999, S. 48–56, S. 54.
- Vgl. Stein-Hölkeskamp, S. 231.
- Herodot 3,122
- Herodot 3,39
- Thukydides 1,13,4
- Herodot 3,44
- Herodot 3,45
- Herodot 3,46ff. Die Geschichte, die Herodot als Begründung für diese Hilfe erzählt, gelten allerdings als unglaubwürdig, vgl. Paul Cartledge: Sparta and Samos: A special Relationship? In: Classical Quarterly. 32, 1982, S. 243–265, S. 256ff.
- Herodot 3,55ff.
- Nacherzählt bzw. erwähnt bei Valerius Maximus 6,9, Ext. 5; Maximos von Tyros 34,5; Strabon 6,637; Diodor 1,95,3; Cicero, de finibus bonorum et malorum 5,92; Stobaios, florilegium (sermones) 4,48a,15
- Herodot 3,40ff.
- Vgl. Mitchell, S. 79; de Libero, S. 279; J. E. van der Veen: The Lord of the Ring. Narrative Technique in Herodotus’ Story on Polycrates’ Ring. In: Mnemosyne. 46, 4, 1993, S. 433–457 weist auf den warnenden Weisen als typisches Motiv bei Herodot hin.
- Vgl. de Libero, S. 279.
- Vgl. Andrik Abramenko: Polykrates’ Außenpolitik und Ende. Eine Revision. In: Klio. 77, 1995, S. 35–54. In gewissem Licht betrachtet spricht Polykrates’ Äußerung bei Herodot 3,39 für diese Überlegungen.
- Herodot 3,120ff.
- Vgl. Shipley, S. 103.
- Herodot 3,125
- Herodot 3,125; vgl. Thomas Schmitz: Polykrates. In: Peter Möllendorf, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente Band 8). Stuttgart/Weimar 2013, Sp. 767–772, Sp. 768.
- Vgl. Schmitz, Sp. 770ff.