Passauer Vertrag
Der Passauer Vertrag vom 2. August 1552 zwischen dem römisch-deutschen König Ferdinand I. und den protestantischen Reichsfürsten unter der Führung Moritz’ von Sachsen nach dem Fürstenaufstand stellte die formale Anerkennung des Protestantismus dar, die mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 reichsrechtlich festgeschrieben wurde. Der Vertrag wurde im Passauer Lamberg-Palais verhandelt und abgeschlossen. Unterzeichnet wurde er im Schloss der Grafen Solms in Rödelheim.
Infolge der hastigen Flucht der Truppen von Kaiser Karl V. aus Innsbruck hatte Moritz sein oberstes Kriegsziel erreicht. Er wollte Verhandlungen mit Ferdinand I., dem Bruder Karls und zeitweiligen Regenten für das Reich, aufnehmen und zu einer Lösung der Religionsfrage im Reich gelangen. Dies war mit Karl nicht möglich, da er nicht zu einer friedlichen Regelung bereit war.
Reichsrechtliche Bedeutung
Dieser Vertrag war zugleich auch eine Kompromissvereinbarung zwischen Ferdinand und Moritz. Kaiser Karl verpflichtete sich, Landgraf Philipp von Hessen freizulassen. Philipp war der Schwiegervater von Moritz von Sachsen und befand sich seit der Wittenberger Kapitulation 1547 in kaiserlicher Gefangenschaft. Auch der bis dahin gefangengehaltene ehemalige Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen kam im Gefolge der Friedensverhandlungen wieder frei. In den Aufgabenbereich des Kaisers fiel es auch, für den Schutz des Heiligen Römischen Reichs gegen die Bedrohung durch die Türken zu sorgen. Die Protestanten ihrerseits unter Moritz von Sachsen verpflichteten sich, ihn hierbei zu unterstützen.[1]
Position des Kaisers
Karl lehnte den in Passau verhandelten Vertragsentwurf zunächst ab und bestand auf Änderungen, u. a. auf einer Befristung des vereinbarten Gewaltverzichts bis zum nächsten Reichstag, der dann nach Wegen zu einer religiösen Wiedervereinigung des Reichs zu suchen habe. Karl ratifizierte den veränderten Entwurf am 15. August 1552.
Insofern waren die dem Vertrag vorangegangenen Passauer Verhandlungen wesentlich wichtiger. Sie werden von Historikern als das eigentlich Bahnbrechende angesehen. Die Verhandlungen fanden in einer Atmosphäre des unmittelbar drohenden und von Markgraf Albrecht Alcibiades dann auch tatsächlich geführten Zweiten Markgrafenkrieges statt. So versammelten sich in Passau Ferdinand, Moritz, die Abgesandten der anderen Kurfürsten, Albrecht von Bayern, die Bischöfe von Salzburg, Passau und Eichstätt und die Vertreter von Württemberg, Brandenburg-Küstrin und Jülich. Die Vertreter des Kaisers hatten allerdings keine Vollmachten, einen endgültigen Vertrag abzuschließen, Karl wollte selbst entscheiden. Die Verhandlungen fanden hauptsächlich zwischen den Kriegsparteien statt. Ferdinand und die anderen Fürsten vermittelten bei Konflikten.
Karl widersetzte sich lange den Forderungen der aufständischen Fürsten, und mit der Standhaftigkeit der kaisertreuen Stadt Frankfurt am Main, die der Belagerung der Fürsten trotzte (17. Juli bis 9. August 1552),[2] durch Geldbewilligungen aus Neapel und von den Fuggern, änderte sich allmählich die Lage. Den verlangten definitiven, immerwährenden Frieden in der Religionsfrage lehnte Karl ab.
Interessen der Fürsten
Aber fast alle an den Verhandlungen Beteiligten waren an einem stabilen, tragfähigen Ausgleich auf der Grundlage des Status quo interessiert. Das war insofern interessant, als die katholische Kirche bis dahin immer darauf bestanden hatte, dass die Einheit der Kirche unbedingt gewahrt bleiben müsse. Zweitens war man sich darin einig, dass dem Frieden vor der Wiedervereinigung der Kirche Vorrang einzuräumen sei. Die Glaubensauseinandersetzungen müssten verrechtlicht und damit politisch neutralisiert werden. Man wollte einen stabilen Frieden, mochten die theologischen Fragestellungen auch weiterhin ungelöst bleiben. Auch diese Ansichten hatten kurz zuvor noch kaum Anhänger im Reich besessen. Und drittens waren die in Passau versammelten Fürsten der Überzeugung, dass die Reichsstände selbst die Probleme zu lösen hätten. Es sei nicht nur eine Aufgabe des Kaisers oder des Papstes, Frieden zu schaffen, sondern das Reich müsse von innen heraus befriedet werden. Die Ansichten der Kurie wurden nicht zur Kenntnis genommen und auch das bisherige Provisorium von Karl V. in Form des Augsburger Interims wurde stillschweigend preisgegeben.
Trotz der Ablehnung des Vertrags als dauerhafte Regelung durch Karl stimmte auch Moritz der Befristung zu. Er wollte sich lieber als Retter des Protestantismus sehen als den Krieg gegen die Habsburger weiter fortzusetzen, zumal der Krieg langfristig auf Grund der Ressourcen des Kaisers wahrscheinlich sowieso nicht zu gewinnen gewesen wäre.
Literatur
- Winfried Becker (Hrsg.): Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung (= Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns. Bd. 80). Degener, Neustadt an der Aisch 2003, ISBN 3-7686-4221-6
- Volker Henning Drecoll: Der Passauer Vertrag (1552). Einleitung und Edition (= Arbeiten zur Kirchengeschichte. Bd. 79). De Gruyter, Berlin u. a. 2000, ISBN 3-11-016697-6
- Axel Gotthard: Das Alte Reich 1495–1806. 5., durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-534-15118-9.
- Joseph Lortz: Die Reformation in Deutschland. Herder, Freiburg i. B. 1940. (2. Band)
Anmerkungen
- Tatsächlich leisteten die Protestanten unter Moritz ihm mit einigem Erfolg Hilfe. Die ersten ernsten Probleme mit der „Reichstürkenhilfe“ traten auf, als der Nachfolger von Ferdinand, Maximilian II. beabsichtigte, die Krone von Polen zu erlangen. Dies führte zu einer Annäherung Maximilians an den Papst und zu einer Entfremdung von den deutschen Protestanten.
- Johannes Voigt: Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, Berlin, Decker, 1852, Band 1, S. 292–315.