ORGAN²/ASLSP
ORGAN²/ASLSP ist ein Musikstück für Orgel von John Cage aus dem Jahr 1987. Die Abkürzung ASLSP steht für as slow as possible und ist die Anweisung, die vierseitige Partitur so langsam wie möglich zu spielen. Bei der Uraufführung am 21. November 1987 in Metz spielte der Organist Gerd Zacher das Orgelstück in einer Länge von etwas über 29 Minuten. Neuere CD-Einspielungen erschienen von Hans-Ola Ericsson, Christoph Bossert und Dominik Susteck.
Seit dem Jahr 2001 wird es in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt als langsamstes und längstandauerndes Orgelstück der Welt in einer Gesamtlänge von 639 Jahren aufgeführt,[1] der zufolge sich das Projekt als ein Versprechen in die Zukunft versteht und dementsprechend auch als musikalisches Langzeitexperiment gelten kann.[2][3][4][5][6][7] Der jüngste Klangwechsel fand am 5. Februar 2022 statt; der nächste ist für den 5. Februar 2024 vorgesehen.
Entstehung
John Cage komponierte das Stück unter dem Titel ASLSP im Jahr 1985 ursprünglich für Klavier mit Hilfe eines Zufallsprogramms mit dem Computer. Entstanden ist es als Auftragswerk und Wettbewerbsstück für The University of Maryland Piano Festival and Competition, später umbenannt in William Kapell International Piano Competition, uraufgeführt wurde es am 14. Juli 1985 in College Park, Maryland.[8] Die Spielanweisung im Original ist mehrdeutig. ASLSP wird von Cage zuerst als as slow as possible bestimmt, des Weiteren bezieht er sich auf das Zitat „Soft morning city! Lsp!“ aus dem letzten Absatz des Romans Finnegans Wake von James Joyce. Das Werk ist in acht gleich lange Teile unterteilt.[8] 1987 schrieb Cage es für den Organisten Gerd Zacher für Orgel um: ORGAN²/ASLSP
Aufführung in Halberstadt
Das John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt mit seiner 639-jährigen Realisation von John Cages ORGAN²/ASLSP wird von der eigens dafür gegründeten und rein ehrenamtlich arbeitenden John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt getragen und finanziert. Einer der Initiatoren war Johann-Peter Hinz, Vorsitzender des Stadtrates von Halberstadt nach der Wende bis 1999, der auch die Burchardikirche als Ort für das Projekt vorschlug. Die nicht renovierte und lediglich gesicherte Kirche ist angeblich ein idealer Ort für das Konzert. Sie soll auch in diesem Zustand bleiben.[9]
Vorgeschichte
Bei einem Orgelsymposium im Jahr 1998 in Trossingen entstand die Idee, die Angabe as slow as possible noch wörtlicher als bei der Uraufführung zu nehmen. Die Wahl für die Realisierung fiel auf Halberstadt, da in der seinerzeit ungenutzten Sankt-Burchardi-Kirche im ehemaligen Kloster Sankt Burchardi ein idealer Aufführungsort gefunden wurde. Zugleich gab es einen Bezug zum Halberstädter Dom, in dem am 20. oder 21. September 1361 eine der ältesten dokumentierten Orgeln der Neuzeit fertiggestellt wurde. Dieser „Fatal Day in Halberstadt“, so Harry Partch in seinem Werk Genesis of a Music 1949, war Ausgangspunkt für die Festlegung der Dauer der Halberstädter Aufführung auf 639 Jahre.
Dieser Zeitraum ergab sich aus der Differenz des Einbaus der alten (nicht erhaltenen) Domorgel von 1361 in den Halberstädter Dom und dem zunächst geplanten Aufführungsbeginn im Jahre 2000. Der Bogen spannt sich also von 1361 über 2000 in das Jahr 2639. Die tatsächliche Aufführung des Werkes konnte jedoch aufgrund von Geldmangel bei dem rein ehrenamtlich betriebenen John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt erst am 5. September 2001 beginnen und soll demgemäß auch erst im Jahr 2640 enden. Die vierseitige Partitur wurde für die Aufführung auf die angestrebte Spieldauer von 639 Jahren hochgerechnet. Bei acht gleichlangen Teilen und einer Wiederholung dauert ein Teil genau 71 Jahre. Die Klangwechsel des ersten Teils bis zum Jahre 2072 wurden von Christoph Bossert und Rainer O. Neugebauer berechnet.
Die Cage-Orgel
In der Planungsphase war noch der Marburger Orgelbauer Gerald Woehl im Projekt involviert.[10] Der Bau der Orgel in der Sankt-Burchardi-Kirche eigens für die Aufführung des Stückes geschieht durch den Kevelaerer Orgelbauer Romanus Seifert & Sohn mit Unterstützung der Firma Orgelbau Reinhard Hüfken aus Halberstadt.[11] Sie steht im südlichen Querhaus der Kirche, während sich die Balganlage im nördlichen Querhaus befindet. Außerdem ist auch ein altes Chorgestühl vorhanden, das allerdings ursprünglich nicht aus der Burchardi-Kirche stammt. Um eine Unterbrechung des Stücks bei einem Gebläseausfall zu verhindern, gibt es ein zuschaltbares Ersatzgebläse. In der Orgel können mehrere Orgelpfeifen eingebracht werden. Bei den sogenannten Klangwechseln werden diese entsprechend dem Verlauf der Partitur ausgetauscht.
Aufführung
Die Realisierung des Stücks begann am 5. September 2001. Da die Aufführung mit einer „Pause“ von fast eineinhalb Jahren einsetzte, war der Gebläseton der erste Orgelklang. Am 5. Februar 2003 war dann mit dem ersten Pfeifenklang der zweite Orgelklang zu hören.
Die Klangwechsel[12] finden allgemein regen öffentlichen Zuspruch, so dass sich zu diesen Zeitpunkten viele Besucher einfinden. Am 5. Oktober 2013 gab es den 13. Klangwechsel, am 5. September 2020, also erst fast sieben Jahre später, fand der 14. Klangwechsel[13] unter großer medialer Beachtung[14] statt.
Termine der Klangwechsel des ersten Teils
Impuls | Aktion | Töne | Datum | |
---|---|---|---|---|
Impuls 1: | P: | 5. September 2001 | ||
Impuls 2: | K: | gis′, h′, gis″ | 5. Februar 2003 | 518 d |
Impuls 3: | K: | e, e′ | 5. Juli 2004 | 516 d |
Impuls 4: | P: | gis′, h′ | 5. Juli 2005 | 365 d |
Impuls 5: | K: | a′, c″, fis″ | 5. Januar 2006 | 184 d |
Impuls 6: | P: | e, e′ | 5. Mai 2006 | 120 d |
Impuls 7: | K: | c′, as′ | 5. Juli 2008 | 792 d |
Impuls 8: | P: | c′ | 5. November 2008 | 123 d |
Impuls 9: | K: | d′, e″ | 5. Februar 2009 | 92 d |
Impuls 10: | P: | e″ | 5. Juli 2010 | 515 d |
Impuls 11: | P: | d′, gis″ | 5. Februar 2011 | 215 d |
Impuls 12: | K/P: | c′(16′), des′(16′), as′ | 5. August 2011 | 181 d |
Impuls 13: | P: | a′, c″, fis″ | 5. Juli 2012 | 335 d |
Impuls 14: | K: | dis′, ais′, e″ | 5. Oktober 2013[16] | 457 d |
Impuls 15: | K: | gis, e′ | 5. September 2020 | 2527 d |
Impuls 16: | P: | gis | 5. Februar 2022 | 518 d |
Impuls 17: | K: | d′ | 5. Februar 2024 | 730 d |
Impuls 18: | K: | a′ | 5. August 2026 | 912 d |
Impuls 19: | P: | e′ | 5. Oktober 2027 | 426 d |
Impuls 20: | K: | g | 5. April 2028 | 183 d |
Impuls 21: | P: | d′ | 5. August 2028 | 122 d |
Impuls 22: | P: | a′ | 5. März 2030 | 577 d |
Impuls 23: | P: | dis′, e″ | 5. September 2030 | 184 d |
Impuls 24: | P: | g | 5. Mai 2033 | 973 d |
Impuls 25: | K: | h | 5. Dezember 2033 | 214 d |
Impuls 26: | K: | f, d′ | 5. August 2034 | 243 d |
Impuls 27: | P: | f, d′ | 5. September 2034 | 31 d |
Impuls 28: | P: | h | 5. Oktober 2034 | 30 d |
Impuls 29: | K: | des″ | 5. Juni 2035 | 243 d |
Impuls 30: | K/P: | A (16′)des″ | 5. September 2037 | 823 d |
Impuls 31: | K: | as′, as″ | 5. März 2038 | 181 d |
Impuls 32: | P: | as″ | 5. Juli 2038 | 122 d |
Impuls 33: | P: | as′ | 5. Mai 2039 | 304 d |
Impuls 34: | K: | d′, as′ | 5. Dezember 2039 | 214 d |
Impuls 35: | P: | d′, as′ | 5. April 2040 | 122 d |
Impuls 36: | K: | des, b | 5. Januar 2041 | 275 d |
Impuls 37: | P: | des, b | 5. März 2042 | 424 d |
Impuls 38: | P: | A (16′) | 5. November 2043 | 610 d |
Impuls 39: | K: | a, d′ | 5. Juli 2044 | 243 d |
Impuls 40: | K/P: | e′ais′ | 5. März 2045 | 243 d |
Impuls 41: | K: | h′, c″, ais″ | 5. März 2046 | 365 d |
Impuls 42: | P: | c′(16′), h′, c″, ais″ | 5. Oktober 2047 | 579 d |
Impuls 43: | K: | c (16′) | 5. Februar 2049 | 489 d |
Impuls 44: | K: | dis′, a′ | 5. April 2050 | 424 d |
Impuls 45: | P: | a, d′, e′ | 5. Februar 2051 | 306 d |
Impuls 46: | P: | dis′, a′ | 5. November 2051 | 273 d |
Impuls 47: | K: | es, h | 5. Mai 2053 | 547 d |
Impuls 48: | P: | c (16′) | 5. November 2054 | 549 d |
Impuls 49: | P: | es, h | 5. Juli 2056 | 608 d |
Impuls 50: | K: | b′ | 5. August 2057 | 396 d |
Impuls 51: | K: | A (16′) | 5. Mai 2058 | 273 d |
Impuls 52: | P: | A (16′) | 5. November 2059 | 549 d |
Impuls 53: | K: | ges′, c″, des″ | 5. April 2060 | 152 d |
Impuls 54: | P: | ges′, c″, des″ | 5. Juni 2060 | 61 d |
Impuls 55: | K/P: | e′b′ | 5. November 2060 | 153 d |
Impuls 56: | K: | h′, c″, es″, c′″ | 5. Februar 2061 | 92 d |
Impuls 57: | P: | c″, es″, c′″ | 5. April 2061 | 59 d |
Impuls 58: | K/P: | d′e′ | 5. September 2061 | 153 d |
Impuls 59: | K: | ais, dis′, fis′ | 5. August 2062 | 334 d |
Impuls 60: | P: | ais, fis′ | 5. Februar 2064 | 549 d |
Impuls 61: | K/P: | a, a′d#′ | 5. Januar 2067 | 1065 d |
Impuls 62: | P: | d′ | 5. Juni 2067 | 151 d |
Impuls 63: | P: | a, a′ | 5. Juli 2068 | 396 d |
Impuls 64: | P: | des′(16′) | 5. März 2071 | 973 d |
Impuls 65: | P: | h′ | 5. Juli 2071 | 122 d |
- K = Klanganfang
- P = Klangende (Pause)
Spendentafeln
Da die John-Cage-Orgel-Stiftung keine institutionelle Förderung bekommt, ist sie auf Spenden angewiesen. In der Kirche können an einem Stahlband für jedes Aufführungsjahr sogenannte Klangtafeln angebracht werden. Jeder Spender und jede Spendergruppe, die mindestens 1200 EUR spenden, können sich eine Tafel zuteilen lassen und einen Text vorgeben. Auf der Webseite des Projektes kann man einsehen, welche Jahre noch zur Verfügung stehen.
Weblinks
- ORGAN²/ASLSP John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt, die offizielle Website der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt
- Dauerorgeln. Ob’s Gott gefällt?, Ein Gespräch mit dem Berliner Komponisten und Theologen Dieter Schnebel über das längste Musikstück der Welt, das am 5. Mai in Halberstadt in eine neue Phase tritt. Das Werk von John Cage soll im Jahr 2640 zu Ende gehen. Von Ulrich Stock, Zeit Online vom 3. Mai 2006
- (JC{639}) Künstlerischer Dokumentarfilm von Sabine Groschup, 2006/20012
- A Visit to John Cage's 639-Year Organ Composition von Aaron Gonsher, Red Bull Music Academy, am 12. April 2019
- The 639 Year Concert arte TV Gymnastics am 23. Oktober 2019
- Cage Conversation with Richard T. Eldridge, Januar 2021
- The John Cage Organ Project & the Climate Change, Interview mit Warren Sanders für Music 4 Climate Justice (M4CJ) bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 am 12. November 2021
Einzelnachweise
- Offizielle Website der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt, abgerufen am 19. Februar 2021.
- The New York Times, An Organ Recital for Very, Very Patient von Daniel J. Wakin am 5. Mai 2006, abgerufen am 18. Februar 2021.
- Die Zeit, Die eingefrorene Zeit von U. Stock am 8. Januar 2006, abgerufen am 27. Oktober 2013.
- Die Zeit, Das Summen Gottes von U. Stock am 5. August 2011 zum bevorstehenden zehnjährigen Jahrestag, abgerufen am 17. September 2011.
- Harper’s Magazine, There are Other Forces at Work. John Cage comes to Halberstadt von John Darnielle im Januar 2016, abgerufen am 18. Februar 2021.
- Brunswick Review, Millenium Jukebox von Carlton Wilkinson im Dezember 2017, abgerufen am 18. Februar 2021.
- Who is more important in our times, Cage or Beethoven? Gespräch über das Cage-Projekt, abgerufen am 19. Februar 2021.
- ASLSP. In: johncage.org.
- "Ein Suchender der immer wieder metallene Materialien neu erprobt." Jörg-Heiko Bruns in der Volkstimme.de vom 31. August 2012, am 9. Juli 2021 abgerufen.
- So langsam wie möglich, und das für Jahrhunderte, Raoul Mörchen, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. September 2000, zitiert in John Cage in Halberstadt – Die Zeitproblematik in »As Slow As Possible«, David Zintl 5. April 2005
- Projektbeschreibung auf der offiziellen Website der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt, abgerufen am 3. Juni 2017
- Die Klangwechsel auf der offiziellen Website der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt, abgerufen am 5. Februar 2017
- 14. Klangwechsel SWR Wissen Odysso vom 30. Oktober 2020, abgerufen am 18. Februar 2021.
- Medienresonanz zum 14. Klangwechsel auf der offiziellen Website der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt, abgerufen am 18. Februar 2021.
- Ausschnitt aus der Partitur 'Klangwechsel' auf der offiziellen Website der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt, abgerufen am 27. Oktober 2013.
- Klangwechsel bei Cage-Aufführung in Halberstadt: Das langsamste Orgelkonzert der Welt. Der Spiegel, 5. Oktober 2013, abgerufen am 5. Oktober 2013.