Norma Shearer
Edith Norma Shearer (* 10. August 1902 in Montréal, Kanada; † 12. Juni 1983 in Woodland Hills, Kalifornien) war eine US-amerikanische Schauspielerin. Sie zählte in den 1930er Jahren zu den größten weiblichen Stars in Hollywood. 1930 gewann sie für The Divorcee den Oscar als beste Darstellerin.
Leben
Edith Norma Shearer wurde nach ihren Geschwistern Douglas Shearer und Athole als jüngstes Kind von Andrew Shearer und Edith Fisher Shearer in Kanada geboren. Anfang der 1920er kehrte Norma zurück nach Amerika. Ein erster Kontakt zum Showbusiness konnte über einen Bruder der Mutter hergestellt werden, der Manager einer Theatertruppe war und Verbindungen nach New York hatte. Der Versuch, bei den Ziegfeld Follies des Florenz Ziegfeld Jr. aufzutreten, zerschlug sich. Stattdessen arbeitete Shearer gelegentlich als Modell, so zum Beispiel als Miss Lotta Miles in einer Kampagne der Autoreifenmarke Kelly-Springfield. In späteren Jahren sollte sich dieser Spitzname für Shearer bei jenen in der Filmgesellschaft, die ihr nicht unbedingt wohlgesinnt waren, einbürgern. Bald spielte Norma Shearer kleinere Rollen in Filmen und entwickelte sich rasch zu einer beliebten Nebendarstellerin. Ermutigt durch den Erfolg, ging sie Anfang der 1920er nach Hollywood.
Der Produzent Irving Thalberg sah Norma Shearer in ihren frühen Aufnahmen und stellte sie Louis B. Mayer vor, der ihr 1923 einen Fünfjahresvertrag bei den alten Metrostudios gab. Sie spielte in zahlreichen Filmen mit und stieg rasch zu einem der Stars der Gesellschaft auf. Besonders nach dem Überraschungserfolg von Der Mann, der die Ohrfeigen bekam, wo sie neben Lon Chaney und John Gilbert unter der Regie von Victor Sjöström auftrat, wuchs die Popularität der Schauspielerin. In der internen Hierarchie bei MGM, zu der Metro mit anderen Firmen 1924 verschmolzen war, stand sie direkt nach Marion Davies und Lillian Gish an dritter Stelle. Der kometenhafte Aufstieg von Greta Garbo überschattete damals allerdings die ständig wachsende Beliebtheit von Norma Shearer.
1927 heiratete sie Irving Thalberg, der damals Produktionschef von MGM war, und ihre Karriere im Studio nahm einen gewaltigen Aufschwung. Das zeigte sich, als die Schauspielerin im selben Jahr in der Prestigeproduktion von The Student Prince neben Ramón Novarro unter der Regie von Ernst Lubitsch zu sehen war. Das Studio wollte damit an den Erfolg von Die lustige Witwe mit Mae Murray und John Gilbert unter der Regie von Erich von Stroheim und La Boheme aus dem Jahr darauf mit Lillian Gish und John Gilbert unter der Regie von King Vidor anknüpfen, die zuvor für volle Kinos gesorgt hatten.
Mit Beginn der Tonfilmära begann die eigentliche Glanzzeit der Schauspielerin. Irving Thalberg sorgte dafür, dass Shearer die besten Rollen bekam und sie trug bald den Titel Queen of MGM. Sie war für ihren Ehrgeiz berüchtigt und überwachte jedes Detail während der Dreharbeiten persönlich. Mit eiserner Disziplin gewöhnte sie sich ab, vor der Kamera zu schielen und mit den besten Kameraleuten des Studios arbeitete sie an einem speziellen Oberlicht, das ihrem an sich flächigen Gesicht mehr Konturen verlieh. Berühmt wurde ein ganz speziell für sie entwickeltes Make-up, mit dem ihre Haut fast alabasterfarben auf der Leinwand wirkte und so hell war, dass es besondere Anforderungen an die Ausleuchtung der übrigen Mitspieler stellte. Gleichzeitig ließ sie sich jedes einzelne Standfoto, das von ihr veröffentlicht werden sollte, persönlich zur Freigabe vorlegen. Da Shearer glaubte keine gute Figur zu haben, achtete sie peinlich darauf, ihre Beine zu verhüllen. In dieser Zeit wuchs auch die Verbitterung bei Joan Crawford über die Bevorzugung von Shearer. Auf die Frage, warum denn Norma ein Star geworden sei, obwohl sie doch so stark schielen würde und kurze Beine und eine sehr breite Hüfte habe, antwortete Crawford: Well, she sleeps with the boss.
Shearer, die in der Stummfilmzeit meist Damen der besseren Gesellschaft gespielt hatte, war mit dem Aufkommen des Tonfilms zunehmend unzufrieden mit ihrem Image und wollte auch in romantischen Melodramen spielen, wie die, mit denen Greta Garbo und Marlene Dietrich berühmt wurden. Auf Anraten von Ramon Novarro ließ Shearer sich von dem damals völlig unbekannten Fotografen George Hurrell in einer Serie von lasziv-aufreizenden Posen aufnehmen. Damit konnte sie Thalberg überzeugen, ihr die Rolle in The Divorcee, der Verfilmung eines eher freizügigen Romans über eine frisch geschiedene Frau, die zahlreiche Affären hat, zu geben. Shearer gewann den Oscar als beste Hauptdarstellerin und spielte danach meist selbstbewusste Frauen mit eigenen Ideen über Liebe und Ehe. Die Schauspielerin achtete jedoch darauf, dass sie nicht auf einen Rollentyp festgelegt wurde. So drehte sie hintereinander die Verfilmung von Noël Cowards Salonkomödie Private Lives, das Remake von Liebesleid, einer sentimentalen Liebesgeschichte, die auf verschiedenen Zeitebenen spielt, und in der Adaption von Eugene O’Neills Strange Interlude. Nachdem Thalberg, dessen angeschlagene Gesundheit ihn zu einer Kur in Europa zwang, 1934 zu MGM zurückgekehrt war, gab er seiner Frau meist Rollen in opulent verfilmten Bühnenklassikern wie The Barretts of Wimpole Street, dem größten Erfolg von Broadwaylegende Katharine Cornell, oder Romeo und Julia. Die Verfilmung traf jedoch nicht die Zustimmung der Kritik, die bemängelte, dass Shearer mit 36 etwas reif für die Rolle gewesen sei und auch ihr Partner Leslie Howard mit 42 bereits ein kritisches Alter überschritten habe.
1936 starb Irving Thalberg. Die Schauspielerin war in den folgenden Monaten in einen erbitterten Streit mit Louis B. Mayer um die finanziellen Regelungen in Thalbergs Testament verwickelt. Die Einigung erfolgte nach viel negativer Publicity und sah unter anderem vor, dass die Schauspielerin noch sechs weitere Filme für je 150.000 Dollar drehen sollte. Darüber hinaus standen ihr prozentuale Einnahmen an den letzten Thalberg-Produktionen zu.
Norma Shearer wandte sich danach ihrer Lieblingsproduktion zu, der aufwändig und mit viel Detail produzierten Biografie von Marie-Antoinette, die 1938 in den Verleih kam und weniger Geld einspielte, als sie gekostet hatte. Ihr heute bekanntester Film ist Die Frauen von 1939, die Verfilmung des gleichnamigen Broadwayhits und der kommerziell zweiterfolgreichste Film des Jahres. Shearer und Joan Crawford kamen nicht gut miteinander aus, was den gemeinsamen Szenen jedoch ein zusätzliches Maß an Authentizität verleiht. Die meisten Kritiker mochten die Darstellung von Miss Shearer nicht und verglichen ihre Rolle sogar mit denen, die Ann Harding stets übernommen hatte. Im Folgenden lehnte die Schauspielerin Hauptrollen in Vom Winde verweht, Susan und der liebe Gott sowie Mrs. Miniver ab und verabschiedete sich 1942 nach zwei finanziell wenig erfolgreichen Komödien We Were Dancing und Her Cardboard Lover von der Leinwand. Angebote für einen längerfristigen Vertrag bei Warner Brothers, die die Schauspielerin neben Bette Davis in In Freundschaft verbunden einsetzen wollten, lehnte sie ab. Entgegen landläufigen Gerüchten war die Rolle der Norma Desmond in Boulevard der Dämmerung nicht an Norma Shearer orientiert, sondern nahm Grundzüge aus dem Charakter von Norma Talmadge auf.
1942 lernte sie in Sun Valley den Skilehrer Marti Arrougé kennen. Sie heirateten noch im selben Jahr und Norma Shearer zog sich endgültig von der Leinwand zurück. Sie umsorgte ihre kleine Familie mit den beiden Kindern aus der Ehe mit Irving Thalberg. Shearer hielt dennoch weiterhin Kontakt zu MGM. So entdeckte sie während eines Skiurlaubs Janet Leigh, für die sie Leinwandtests arrangierte, was zu einem Vertrag mit MGM führte.
Auf dem Hollywood Walk of Fame erinnert bei 6638 Hollywood Blvd ein Stern an die Schauspielerin.
Auszeichnungen
Oscar/Beste Hauptdarstellerin
- 1930 – Oscar für The Divorcee und nominiert für Their Own Desire
- 1931 – nominiert für Der Mut zum Glück
- 1935 – nominiert für The Barretts of Wimpole Street
- 1937 – nominiert für Romeo und Julia
- 1939 – nominiert für Marie-Antoinette
Gemäß den Statuten der Academy konnten Schauspieler während der ersten drei Verleihungen für einen oder mehrere Filme nominiert werden. Im Fall von Norma Shearer wurde der Oscar dann allerdings nur für einen Film verliehen.
Weitere Auszeichnungen
- 1938 – Coppa Volpi auf den Filmfestspielen von Venedig für Marie-Antoinette.
Filmografie
- 1920: Way Down East
- 1920: Torchy’s Millions
- 1920: The Stealers
- 1921: The Sign on the Door
- 1922: The End of the World
- 1922: The Leather Pushers
- 1922: The Man Who Paid
- 1922: Channing of the Northwest
- 1922: The Bootleggers
- 1923: A Clouded Name
- 1923: Man and Wife
- 1923: The Devil’s Partner
- 1923: Pleasure Mad
- 1923: The Wanters
- 1923: Lucretia Lombard
- 1924: The Trail of the Law
- 1924: The Wolf Man
- 1924: Blue Water
- 1924: Broadway After Dark
- 1924: Broken Barriers
- 1924: Empty Hands
- 1924: Der Mann, der die Ohrfeigen bekam (He Who Gets Slapped)
- 1924: The Snob
- 1925: Excuse Me
- 1925: Lady of the Night
- 1925: Waking Up the Town
- 1925: Pretty Ladies
- 1925: A Slave of Fashion
- 1925: The Tower of Lies
- 1925: His Secretary
- 1926: Des Teufels Zirkus (The Devil’s Circus)
- 1926: The Waning Sex
- 1926: Upstage
- 1927: The Demi-Bride
- 1927: After Midnight
- 1927: Alt-Heidelberg (The Student Prince in Old Heidelberg)
- 1928: The Latest from Paris
- 1928: The Actress
- 1928: A Lady of Chance
- 1929: The Trial of Mary Dugan
- 1929: The Last of Mrs. Cheyney
- 1929: The Hollywood Revue of 1929
- 1929: Their Own Desire
- 1930: The Divorcee
- 1930: Let Us Be Gay
- 1931: Strangers May Kiss
- 1931: Juwelenraub in Hollywood (The Stolen Jools) (Kurzfilm für karitative Zwecke)
- 1931: Der Mut zum Glück (A Free Soul)
- 1931: Private Lives
- 1932: Liebesleid (Smilin' Through)
- 1932: Strange Interlude
- 1934: Riptide
- 1934: The Barretts of Wimpole Street
- 1936: Romeo und Julia (Romeo and Juliet)
- 1938: Marie-Antoinette
- 1939: Idiot’s Delight
- 1939: Die Frauen (The Women)
- 1940: Escape
- 1942: We Were Dancing
- 1942: Her Cardboard Lover
Literatur
- Jack Jacobs, Myron Braum: The Films of Norma Shearer. Citadel Press, Secaucus NJ 1977, ISBN 0-8065-0607-5.
- Gavin Lambert: Norma Shearer. A Life. Alfred A. Knopf, New York NY 1990, ISBN 0-394-55158-3.
Weblinks
- Norma Shearer in der Internet Movie Database (englisch)
- Norma Shearer bei Turner Classic Movies (englisch, derzeit von Deutschland aus nicht zugänglich)
- Gary Morris: Queen Norma – Shearer, That Is. Bright Lights Film Journal, 1. April 1996 (englisch)
- zahlreiche Fotos bei Silent Ladies (Memento vom 3. August 2013 im Internet Archive)