Nierenarterienstenose
Die Nierenarterienstenose ist eine ein-, aber auch beidseitig auftretende Verengung der die Nieren versorgenden Arterie (A. renalis). Folge dieser Verengung kann ein durch den Goldblatt-Effekt (Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems) ausgelöster Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) sein. Je nach Ursache der Stenose und dem Alter und Verlauf des Patienten kann eine medikamentöse Behandlung der Folgeerscheinungen oder eine Intervention zur Beseitigung der Engstelle in Betracht gezogen werden.
Klassifikation nach ICD-10 | |
---|---|
I70.1 | Atherosklerose der Nierenarterie |
Q27.1 | Angeborene Nierenarterienstenose |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Verbreitung
Nierenarterienstenosen finden sich bei Obduktionen bei bis zu 40 % der Menschen älter als 75 Jahre. Je nach Untersuchung und Patientengruppe liegt eine Nierenarterienstenose bei rund 1–5 % der Patienten mit erhöhtem Blutdruck vor. Somit ist die Nierenarterienstenose als Ursache für einen Hypertonus selten, sie ist jedoch die häufigste Ursache bei den Patienten, welche nicht unter einem primären Hypertonus, das heißt einer Blutdruckerhöhung ohne fassbare organische Ursache leiden.[1]
Ursachen
Rund 70 bis 90 % der Nierenarterienstenosen beruhen auf arteriosklerotischen Plaques, welche zumeist am Übergang von der Aorta zur Nierenarterie auftreten. Sie betrifft vor allem männliche Patienten jenseits des 50. Lebensjahres. Rund 10–20 % der Nierenarterienstenosen beruhen auf einer Veränderung des Bindegewebes, welche als fibromuskuläre Dysplasie bezeichnet wird. Diese tritt bei jüngeren Patienten auf und zeigt eine Häufung bei Frauen. Seltenere Ursachen einer Lumeneinengung der Nierenarterie sind Gefäßentzündungen, unter anderem die Riesenzellarteriitis und die Takayasu-Arteriitis. Ebenso kann ein Aneurysma der Nierenarterie oder ein disseziierendes Aneurysma der Aorta zu einer Stenose führen. Ebenso können Embolien zu einer Stenose der Nierenarterie führen. In seltenen Fällen kann es durch Tumore oder Zysten zu einer Einengung der Nierenarterie durch Druck von außen kommen.[1]
Pathophysiologie (Goldblatt-Effekt)
Die Pathophysiologie der Nierenarterienstenose begründet sich zu einem großen Teil im sogenannten Goldblatt-Effekt. Bei einer Verkleinerung des Nierenarteriendurchmessers auf weniger als 40 % kommt es zu einem Absinken der Nierendurchblutung. Die Niere reagiert mit einer vermehrten Ausschüttung von Renin, welches über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System zu einer Vasokonstriktion (Engstellung der Gefäße) und zu einer vermehrten Rückresorption von Natrium und Wasser führt. Folge beider Vorgänge ist der für die Krankheit typische Anstieg des systemischen Blutdrucks. Die erkrankte Niere versucht also ihre eigene eingeschränkte Durchblutung kompensatorisch zu verbessern, steigert dabei allerdings den Druck im Körperkreislauf auf krankhafte Werte. Benannt ist dieser Mechanismus nach dem US-amerikanischen Pathologen Harry Goldblatt.
Klinik
Die Nierenarterienstenose an sich verursacht keine Beschwerden. Sie führt jedoch zu einem schweren, oft therapierefraktärem arteriellen Hypertonus. Sie kann zu sekundärem Hyperaldosteronismus führen. Eine Abklärung sollte bei einem Auftreten des Hypertonus vor dem 30. Lebensjahr erfolgen. Bei älteren Patienten sollte bei einem abrupt beginnenden, schweren Hypertonus eine Diagnostik erwogen werden. Ein Hypertonus mit einem wiederholten Lungenödem im Rahmen einer Blutdruckkrise kann ebenso ein Hinweis auf das Vorhandensein einer Nierenarterienstenose sein. Ebenso ist eine Verschlechterung der Nierenfunktion unter antihypertensiver Medikation, welche auf das RAAS abzielt, ein Hinweis auf eine Nierenarterienstenose.[1] Eine neu aufgetretene Hypotrophie einer Niere sollte ebenso zur Abklärung bezüglich einer Gefäßstenose an der Niere führen.[2]
Diagnostik
Bei rund 40 % der Patienten lässt sich neben dem Bauchnabel oder über den Flanken mit dem Stethoskop ein Strömungsgeräusch hören. Dies kommt aber auch bei wenigen Patienten mit hypertonen Blutdruckwerten ohne Stenose vor. Eine Dopplerultraschalluntersuchung der Nierenarterien kann diese in 88 % der vorliegenden Fälle erkennen und in 89 % der nicht-vorliegenden Fälle ausschließen. Eine MRT-Untersuchung der Nierenarterienuntersuchung oder eine Computertomographie leisten dies mit einer Sensitivität und Spezifität von mehr als 94 %. Der Goldstandard der Diagnostik ist eine Digitale Subtraktionsangiographie, bei der durch eine Punktion der Leistenarterie ein Katheter in die Nierenarterie eingebracht wird, um diese direkt durch Kontrastmittelfluß sichtbar zu machen. In den bildgebenden Verfahren kann eine arteriosklerotische Engstelle von einer fibromuskulären Dysplasie abgegrenzt werden.[1]
Therapie und Heilungsaussicht
Bezüglich der Behandlung wird zwischen einer konservativen Behandlung und einer invasiven Beseitigung der Engstelle unterschieden. Bei der konservativen Behandlung wird versucht, durch Medikamente und Änderung des Lebensstils den Blutdruck zu normalisieren und Risikofaktoren für das Fortschreiten der Arteriosklerose auszuschalten. Bei den konservativ-rekonstruktiven Verfahren wird mittels einer PTA die Engstelle in der Nierenarterie beseitigt. Bei Patienten mit fibromuskulären Dysplasien gelingt eine PTA in 95 % der Fälle und führt bei 75 % zu einer signifikanten Besserung des Blutdrucks. Die Langzeitergebnisse in fünf- bis zehnjährigen Verlaufskontrollen werden als günstig gewertet.[1]
Zur interventionellen Behandlung bei arteriosklerotischen Stenosen liegen mittlerweile randomisiert-kontrollierte Studien vor. Diese konnten keine Überlegenheit der Intervention gegenüber der medikamentösen Therapie belegen.[3] Vereinzelt kam es in diesen Studien zu interventionsbedingten Todesfällen oder schwerwiegenden Komplikationen wie dem Verlust einer Gliedmaße oder dem Verlust der Nierenfunktion. Die Indikation zur Intervention bei arteriosklerotischen Läsionen wird deswegen mittlerweile kritisch gesehen und sollte Patienten vorbehalten bleiben, bei denen die medikamentöse Therapie versagt oder bei denen ein rascher Verlust der Nierenfunktion durch die Stenosen angenommen wird.[1]
Bei einer beidseitigen Nierenarterienstenose oder einer Stenose an einer Einzelniere ist der Gebrauch von blutdrucksenkenden Medikamenten, die über eine Hemmung des RAAS wirken, kontraindiziert, da dies zu einem Nierenversagen führen kann.[2]
Medizingeschichte
Die Aufdehnung von Nierenarterien wurde von Andreas Roland Grüntzig ab 1974 etabliert, der seine Expertise auf diesem Gebiet auf Herzkranzgefäße übertrug und somit als Begründer der interventionellen Kardiologie gilt.
Literatur
Weblinks
- Nierenarterienstenose www.urologielehrbuch.de
- nierenratgeber.de
Einzelnachweise
- Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf: Nephrologie – Pathophysiologie – Klinik – Nierenersatzverfahren. Stuttgart 2015, S. 623–638.
- Michal Tendera, Victor Aboyans, Marie-Louise Bartelink, Iris Baumgartner, Denis Clement u. a.: ESC Guidelines on the diagnosis and treatment of peripheral artery diseases. In: European Heart Journal. 32, 2011, S. 2851–2906. doi:10.1093/eurheartj/ehr211
- S. Jenks, S. E. Yeoh, B. R. Conway: Balloon angioplasty, with and without stenting, versus medical therapy for hypertensive patients with renal artery stenosis. In: The Cochrane database of systematic reviews. Band 12, 5. Dezember 2014, S. CD002944, doi:10.1002/14651858.CD002944.pub2, PMID 25478936.